Projekt Voltaire |
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Mehr Mythos als real: Musiker in Deutschland | ||
(Foto: Mindjazz Pictures / Thomas Rabsch) |
Von Jens Balkenborg
Fremd bin ich eingezogen,
fremd zieh’ ich wieder ausWinterreise, Franz Schubert, Wilhelm Müller
Aljoscha Pauses fünfteilige Dokuserie »Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte« beginnt mit einem Zitat aus Schuberts Winterreise. Und sie ist genau das: eine Reise. Eine tatsächliche, eine persönliche und eine kreative.
Der Fremde im Zentrum der Serie dürfte den meisten tatsächlich fremd sein: Roland Meyer de Voltaire. Der 1978 in Bonn geborene Musiker war der Kreativkopf hinter der 2011 aufgelösten Band Voltaire, die Mitte der 2000er Jahre von der Kritik als aussichtsreiche deutsche Newcomer gefeiert wurden. Komplexe deutschsprachige Texte, ein Sound mit poppiger Attitüde, Gitarrenriffs und Brüchen, dazwischen de Voltaires gerne auch in die Kopflagen lavierende Stimme. Dass der »Rolling Stone« die Band als »schönste Aussicht auf das Jahr 2006« neben die Indie-Rocker der Arctic Monkeys stellte, half allerdings eben so wenig wie der Plattenvertrag bei Universal.
»Ich glaube, dass die meisten sich nicht vorstellen können, wie wenige Musiker eigentlich von ihrer Musik leben können«, fasst es SWR-Moderatorin Christiane Falk nüchtern zusammen. Sie ist eine der Stimmen dieser Dokuserie, für die Pause den Musiker sechs Jahre lang begleitete. Die beiden kennen sich schon länger, de Voltaire hat, neben anderen Projekten, die Soundtracks für Pauses Fußball-Dokus, zuletzt etwa für Inside Borussia Dortmund, beigesteuert. Der Bonner Regisseur hat zuvor mit seinen Langzeitstudien Tom Meets Zizou – Kein Sommermärchen, Trainer! oder Being Mario Götze – Eine deutsche Fußballgeschichte die Fußball-Szene durchleuchtet. Jetzt gewährt er einen Einblick in das Leben eines Musikers und in den deutschen Popmusikzirkus.
Bei den ersten Begegnungen im Jahr 2014 wirkt Roland Meyer de Voltaire wie ein Gestrandeter, wie er da in seinem Kölner WG-Zimmer wohnt und am Existenzminimum herumkrebst. Die Miete muss er teils mit Instrumentenverkäufen zusammenkratzen. »Da gibt es kein Mandat für einen tollen Musiker, dass er da irgend 'ne Berechtigung hätte«, erklärt Musikexpress-Redakteur Linus Volkmann. In Rückblicken zeigt Pause Musikvideos und Live-Auftritte aus den good old days und lässt Expertinnen und alte Bandmitglieder ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass der Mann nicht völlig durch die Decke gegangen ist.
Die Serie gibt sich gerade zu Beginn viel Mühe, Mythenbildung zu betreiben: De Voltaire, die zarte Künstler-Seele, das verkannte Genie! Das ist eine Spur zu dick aufgetragen und soll der Dramaturgie dieser sehr klassisch geratenen Doku-Serie dienen. Die kommt in manchen Momenten konsequenterweise, wie man ergänzen muss, selbst wie ein Popsong daher. Es braucht halt ein bisschen Drama.
Und doch folgt man de Voltaire gerne bei seinem persönlichen und vor allem kreativen Wandel. Ist da anfangs noch ein Störgefühl, wenn der zunächst überidealistisch wirkende Mann, unterstützt noch von seinen Eltern, sich als für die Musik geboren betrachtet, kommt im Laufe der Serienminuten immer mehr die Erkenntnis: Das ist völlig ernst gemeint, und zwar mit aller Konsequenz!
Von Köln verschlägt es de Voltaire nach Berlin, wo er sich in einem nomadischen Dasein in verschiedenen Wohnungen von Freunden und Bekannten neu sortiert. Wir folgen ihm zu Gesprächen mit Produzenten oder in den Proberaum der deutschen Rockband Madsen, die fast zeitgleich mit Voltaire bekannt wurde, sich allerdings bis heute gehalten hat. Wir sehen den Komponisten und Soundfrickler in seinem kleinen Heim-Studio vor neuen Produktionen, an denen er arbeitet, als Ideengeber für eine Bekannte, bei der er schließlich einzieht und auch im Studio von Rapper Uchenna van Capelleveen alias Megaloh, für den de Voltaire schon länger als Gastsänger arbeitet. Trotz musikalischer Erfolge muss auch der Rapper sich nebenbei im Lager eines großen Paketlieferanten verdingen, um sich »genug Zeit und Sicherheit für seine Musik« zu verschaffen, wie er erklärt.
»Wie ein Fremder« ist einerseits die in Serie gegossene Entromantisierung des Popmusik-Traums. Eine zugespitzte Botschaft lautet: Für wirkliche Kreativität ist im auf Radiotauglichkeit und ökonomische Interessen gebürsteten Showbusiness wenig bis gar kein Platz und Geld verdienen die wenigsten. Andererseits hat es zugleich etwas Romantisches, wie Pause dem selbstkritischen, teils unschlüssig herumstochernden, aber doch zielstrebigen Soundperfektionisten de Voltaire dabei zuschaut, wie er versucht, seinen Traum zu leben.
Die kreative Reise, auf der wir ihn begleiten, scheint eine vom Licht ins produktive Dunkel: von ehemals deutschen Texten hin zu englischen, von akustischen Sounds hin zu elektronischen. »Schwarz« nennt sich das Projekt, das sich langsam aus der Serie herausschält. Inspiriert von der »Dunkelheit, bevor der Film losgeht«, so de Voltaire, vermischt er 80er-Jahre-Synthesizer mit Soundscapes, die Radio Head-Kreativmotor Thom Yorke in seinen Soloprojekten eingehend kartografiert hat. Mehr Kraft als auf Platte entwickelt Schwarz live. Es ist ein starker Moment der Serie, wenn der Musiker, gemeinsam mit einer Cellistin und einer Pianistin, erstmals seit Langem wieder auf der Bühne steht und vor kleinem Publikum ein Akustik-Arrangement des Songs »Shine« zum Besten gibt. Auch davon erzählt die Serie: Musik gehört auf die Bühne.
»Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusikgeschichte«
Als DVD / VoD bei Mindjazz Pictures