18.06.2020

Trauma on Fire

Lior Roz in Fauda
Komplexes Porträt nicht nur einer zerrissenen Gesellschaft, sondern auch zutiefst gespaltener Persönlichkeiten
(Foto: Netflix)

Mit der dritten Staffel wird die israelische Ausnahmeserie FAUDA erwachsen und zu großer Serienkunst: immer noch politisch höchst ambivalent beweist sie mehr als früher echte Empathie, ohne ihr gnadenlos analytisches Kalkül aufzugeben

Von Axel Timo Purr

»The Israeli-Pales­ti­nian conflict has been a tragedy, a clash between one very powerful, very convin­cing, very painful claim over this land and another no less powerful, no less convin­cing claim. Now such a clash between right claims can be resolved in one of two manners. There’s the Shake­speare tradition of resolving a tragedy with the stage hewed with dead bodies and justice of sorts prevails. But there is also the Chekhov tradition. In the conclu­sion of the tragedy by Chekhov, everyone is disap­pointed, disil­lu­sioned, embit­tered, heart­broken, but alive. And my colleagues and I have been working, trying…not to find the senti­mental happy ending, a brotherly love, a sudden honeymoon to the Israeli-Pales­ti­nian tragedy, but a Chek­ho­vian ending, which means clenched teeth compro­mise.«Amos Oz in einem Interview auf PBS am 23. Januar 2002

Israe­li­sche Serien werden auf dem inter­na­tio­nalen Seri­en­markt nicht umsonst seit Jahren wie hoch­wer­tige Rohdia­manten gehandelt. Man denke nur an die Remakes von Serien wie BeTipul – בטיפול (In Treatment – 2005-2008) oder Prisoners of War – חטופים (Homeland – 2010-2012), um eine Ahnung über das kreative Potenzial des israe­li­schen Seri­en­marktes zu kriegen. Mehr noch als in anderen Regionen ist dabei der »Krieg vor der eigenen Haustür« ein wichtiger kreativer Motor, um den Trau­ma­ti­sie­rungen der israe­li­schen Gesell­schaft so etwas wie ein filmi­sches, thera­peu­ti­sches Auffang­be­cken gegenü­ber­zu­stellen.

Wie gut Film als Therapie und histo­ri­sche Bewäl­ti­gungs­stra­tegie funk­tio­nieren kann, zeigte vor zwei Jahren bereits der paläs­ti­nen­sisch-israe­li­sche Regisseur Sameh Zoabi mit seiner furiosen Nahost­kon­flikt-Komödie Tel Aviv on Fire, in der über den Dreh einer Soap-Opera sowohl paläs­ti­nen­si­sche als auch israe­li­sche Konflikte und Trau­ma­ti­sie­rungen verar­beitet und glei­cher­maßen beide Seite des Konfliktes in die thera­peu­ti­sche Mangel genommen werden, um am Ende tatsäch­lich so etwas wie Hoffnung schöpfen zu dürfen.

Das dunkle Gegen­s­tück zu dieser großar­tigen Grat­wan­de­rung ist die seit 2015 vom israe­li­schen Satel­liten-und-Video-on-Demand-Sender »Yes« produ­zierte und inzwi­schen von Netflix lizen­zierte Serie »Fauda« (arabisch فوضى , DMG fauḍạ̄ ‚Chaos, Durch­ein­ander, Tohu­wa­bohu, Unordnung; Anarchie; Plan­lo­sig­keit'), deren dritte Staffel Ende 2019 in Israel erschien und seit April 2020 auf Netflix abrufbar ist. So wie in Tel Aviv on Fire liegt auch in »Fauda« der Nahost­kon­flikt auf der thera­peu­ti­schen Film-Couch. Erkennt Sameh Zoabis Film trotz seiner genauen, depri­mie­renden Alltags­be­ob­ach­tungen gerade über die Ähnlich­keiten beider Seiten eine Chance zur Über­win­dung des Konfliktes, und sei es nur in einer geteilten Leiden­schaft für Hummus, ist es in »Fauda« genau das Gegenteil.

Zwar werden auch in »Fauda« die Ähnlich­keiten von Israelis und Paläs­ti­nen­sern klar heraus­ge­ar­beitet, sprechen die Prot­ago­nisten einer Mista’aravim-Spezi­al­ein­heit der israe­li­schen Vertei­di­gungs­streit­kräfte genauso gut arabisch wie hebräisch und unter­scheiden sich auch sonst von in ihren Gegenü­bern der Hamas, deren radikale Führer sie in verdeckten Opera­tionen im West­jor­dan­land auszu­schalten versuchen, nur in ideo­lo­gi­schen Belangen, steht am Ende der ersten beiden Staffeln vor allem die Erkenntnis, dass jede Form der Sympathie und Liebe gegenüber der Gegen­seite nur zu einer tödlichen Enttäu­schung führen kann.

Vor allem über die zentrale Haupt­figur, den von Lior Raz verkör­perten Agenten Doron Kavillio, gelingt ein überaus komplexes und packendes Porträt eines Menschen, der aus seinen Fehlern nicht lernt und in fast schon schi­zo­phrenen Grenz­gängen immer wieder seine Identität zu verlieren droht. Seine ungestüm aufflam­mende Empathie für die paläs­ti­nen­sisch-arabische Seite bekommt er aller­dings nur durch den Tod seiner Gegenüber wieder in den Griff.

Die von Lior Raz und dem als Jour­na­list für Nah-Ost-Themen bekannten Avi Issach­aroff entwi­ckelte Serie nimmt sich jedoch nicht nur Zeit für seinen »Anti-Helden«, sondern entwi­ckelt sowohl auf Israel- als auch auf Hamas-Seite eine faszi­nie­rend dichte, großartig gespielte Perso­nal­decke, über die nicht nur die Under-Cover-Einsätze spek­ta­kulär abge­wi­ckelt werden, die vor allem durch die »preis­werten« Außen­drehs nicht nur eine fast schon beun­ru­hi­gend doku­men­ta­ri­sche Realität vermit­teln, sondern mit 200.000 Euro pro Folge auch deutlich unter dem Preis­ni­veau vergleich­barer Formate in anderen Ländern liegt.

»Fauda« erzählt aber auch vom privaten Leben aller Betei­ligten und gibt eine Ahnung davon, welch hoher Preis auf beiden Seiten für den exis­tie­renden Dauer­kon­flikt gezahlt wird. Mit alltä­g­li­chen Details aus der Westbank und Israel, mit Dialogen, die mehr­heit­lich auf Arabisch geführt (und in Israel hebräisch unter­ti­telt gezeigt) werden, wird allein schon durch Anrede-Floskeln und immer wieder­keh­rende Gott-bezogene Tiraden die Nähe beider Konflikt­par­teien deutlich. Noch einmal stärker zeigen sich die tragi­schen »Wahl­ver­wandt­schaften« bei den infor­mellen Treffen des fantas­tisch entwi­ckelten und über­wäl­ti­gend zwei­deutig gespielten Einsatz­lei­ters von Doron, Gabi »Captain Eyov« und seines Gegenü­bers vom paläs­ti­nen­si­schen Sicher­heits­dienst, um nur eine von vielen situa­tiven Momenten zu schildern, in denen fragile emotio­nale Bezie­hungen zwischen den Konflikt­par­teien etabliert werden, bei denen sich keine Seite sicher sein kann, was diese Beziehung letzt­end­lich zu tragen fähig ist und kleinste Miss­ver­ständ­nisse zu größten Kata­stro­phen führen können.

Dennoch – und das haben sowohl Raz als auch Issach­aroff klar­ge­stellt, die beide ihre persön­li­chen Erfah­rungen als Under­cover-Agenten gemacht haben – ist die Kern­per­spek­tive die Israels, ist der Writers Room der Serie, wenn auch ein sehr unge­wöhn­li­cher (1), dann doch ein rein israe­li­scher, wird hier kalku­liert (um nicht gleich propa­gan­dis­tisch zu sagen) vermeint­liche Insider-Nahost-Realität konstru­iert, sind es am Ende immer die schon in fast soap-artiger, melo­dra­ma­ti­scher Coolness agie­renden israe­li­schen Bad Boys for Life, deren Sympa­thien dem Zuschauer gehören, die am Ende zwar geliebte Menschen verlieren, aber über alttes­ta­men­ta­ri­sche Rache dann doch so etwas wie Genug­tuung, wenn auch nie wirk­li­ches Glück erfahren.

Erst mit der dritten Staffel ändert sich diese Grund­hal­tung in Ansätzen. Zwar wird gerade aus paläs­ti­nen­si­schen Reihen auch für diese Staffel heftige Kritik geübt, wie etwa von dem »Haaretz«- Jour­na­listen George Zeidan, der in einem Kommentar Ende April die neueste Staffel wegen Falsch­in­for­ma­tionen, Unter­stel­lungen und gefähr­li­cher Propa­ganda heftig atta­ckierte. Doch jenseits falscher arabi­scher Dialekte und einer massiven Weich­zeich­nung der drama­ti­schen Armut und Margi­na­li­sie­rung des Gaza-Streifens gelingt »Fauda« unter der Regie von Rotem Shamir und den Dreh­büchern von Noah Stollmann neben dem weiterhin flir­renden Hyper­rea­lismus erstmals auch so etwas wie wirkliche Empathie mit dem radi­ka­li­sierten Gegenüber, der in Gestalt des jungen, paläs­ti­nen­si­schen Boxers Bashar Hamdan (Ala Dakka) sein Coming-of-Age erlebt. Damit kommt »Fauda« dem nah, was Raz einmal grund­sätz­lich über die Serie behauptet hat: »It’s a TV show. It’s meant to entertain. But I can tell you that when I talk with Israeli right-wingers, a lot of them tell me that this is the first time they feel empathy for the other side.«

Denn wie in keiner der Staffeln zuvor wird hier deutlich, wie trau­ma­ti­siert die Region mit allen Betei­ligten und wie gefähr­lich jede Form von Vertrauen ist, dass die Spaltung nicht nur zwischen Israelis und Paläs­ti­nen­sern existiert, sondern auf beiden Seiten Risse durch Gesell­schaft und Familien gehen und nicht nur das, dass die markan­teste und nach­hal­tigste Spaltung viel­leicht sogar die in jedem Einzelnen ist, der sich zwar immer wieder versucht zu eman­zi­pieren, nur um im nächsten Moment schon wieder von den jahr­zehn­te­lang tradierten Konflikten und Trau­ma­ti­sie­rungen zermahlen zu werden.

Das ist in all seiner Ambi­va­lenz, Spannung und unaus­weich­li­cher, apoka­lyp­ti­scher Hoff­nungs­lo­sig­keit große Seri­en­kunst, so gut, dass sie in ihrer Inten­sität bisweilen kaum zu ertragen ist, auch wenn das Drehbuch-Team immer wieder radikal eingreift und wie in den ersten beiden Staffeln den poli­ti­schen Thriller-Bausteinen virtuos Soap-Elemente unterlegt, mit gran­diosen Drohnen-Aufnahmen nach­haltig kapi­tel­artig »verortet« und immer wieder rausch­artig-düstere Nahost-Apoka­lypse mit trocken-nüch­ternem Buddy-Humor und Haus­halts­alltag verzahnt, um die erneut aufreis­senden Wunden wieder zu stillen, ohne sie jedoch wirklich heilen zu können.

Am Ende wünscht man eigent­lich nur eins: dass die Betei­ligten sich wie in Tel Aviv on Fire oder so wie in Samuel Maoz wichtiger, subver­siver, filmi­scher Bestands­auf­nahme zum Nahost-Konflikt, Foxtrot, endlich darüber klar werden, dass man nicht darüber schweigen muss, worüber man nicht reden kann.

(1) »TRUST THE WRITER.« Die israe­li­sche Autorin Michal Aviram (FAUDA) war zu Gast beim JF Inter­na­tional.