Tatort Deutschland |
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Einer der »Tatorts«, die Geschichte machten: Reifezeugnis vom jungen Wolfgang Petersen | ||
(Foto: NDR/TelePress) |
Nein, dies ist kein Kino. Aber ein Reservat des deutschen Genrefilms, der im Kino nicht mehr stattfindet. Der »Tatort« ist Genre pur: Immer Krimi, manchmal Thriller, öfters auch Psycho-, selten Horror. Melodram meistens, Liebesschnulze, oder Datemovie kaum, Komödie zu selten und zu gewollt. Aber jedenfalls Film. Der sogar mitunter im Kino gezeigt wird; oder auf Filmfestivals wie dem Filmfest München.
Zur Credit-Musik von Klaus Doldinger und im Fadenkreuz auf dem Bildschirm gibt
es inzwischen fast jeden Sonntagabend nicht nur Krimi-Unterhaltung, sondern wie es Genrefilm ja grundsätzlich immer bedeutet, auch ein Stück weit Gesellschaftskritik und Kulturgeschichte.
Der »Tatort« ist auch ein Kulturort. Inzwischen ist der Tatort medienfunktional extrem wichtig. Er wird nicht nur gesehen, er wird nicht nur vorangekündigt, sondern er wird danach auch bewertet nach verschiedensten Kriterien. Er wird eingeordnet in die Gesamtgeschichte des Tatorts, in die Einzelnarrative der Städte, der Kommissare, der Mord-Geschichten. Es gibt »Tatort«-Rankings. Es gibt Fanclubs. Es gibt Börsen, wo der Mörder erraten werden kann. »Tatort« in dem Sinn ist Kult
– ja so kann man es auch abtun. »Tatort« ist aber vor allem etwas, was den Alltag der Menschen relativ stark und wie kaum andere Fernsehsendungen beschäftigt. Ist der »Tatort« vielleicht neben Fußball und bestimmten Nachrichtensendungen einer der letzten medial Orte des Gemeinsinns, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und seiner Formung in Deutschland?
Insofern ist er ganz bestimmt auch ein Thema für ein Kulturmagazin wie unseres.
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»Tatort« ist ein Gestalter der Lebensordnung für Millionen von Menschen, genau wie Fußball. Er ordnet den Alltag – das immerhin ist der Vorteil jener »Tatort«-Inflation, die wir seit etwa 20 Jahren erleben.
Es gibt historische »Tatorts«, die Geschichte machten: Vor allem natürlich Reifezeugnis vom jungen Wolfgang Petersen, der ist dann immerhin bis zum Hollywood-Regisseur gebracht hat – auch daran sieht man, dass die Übergänge zwischen Kino und Fernsehen beim »Tatort« fließend sind. In diesem Film hat Nastassja Kinski ihr Debüt.
Auch andere Filme oder
Ermittler-Figuren sind bedeutend geworden. Man kann darum selbstverständlich »Tatort« im Rückblick als Kulturgeschichte der Bundesrepublik insbesondere der 70er und 80er Jahre lesen, und zwar so dicht und abbildrealistisch, wie man das mit den Filmen der gleichen Zeit nicht kann – übrigens im Unterschied zum französischen oder italienischen Kino. Denn das Kino des Neuen Deutschen Films, des Autoren-Films hat sich der Wirklichkeit Westdeutschlands sehr oft auch da
enthoben, wo es nicht Kostümfilm oder historisches Pastiche war, wie etwa Die Ehe der Maria Braun oder Herzogs Filme. Sehr wenige Filme, die in den 70er Jahren fürs Kino gemacht wurden, zeigten so viel Abbild-Realität von Westdeutschland wie der »Tatort«. Die
verlorene Ehre der Katharina Blum tat es, Alice in den Städten, Deutschland im Herbst selbstverständlich auch – aber dies ist ein Dokumentarfilm oder Essayfilm.
Aber sonst? Diese Filme sind aus anderen Gründen
wichtig und sie haben vielleicht genauso viel psychologische Wahrheit wie die »Tatorte«, oder wie in der ersten Hälfte der 70er Jahre auch die Filme der großartigen Reihe Der Kommissar, oder wie Stahlnetz in den 60ern. Haben sie mehr? Das möchte ich in Frage stellen.
Was
der »Tatort« auf jeden Fall hat, das ist, dass er ein Psychogramm von Haltungen und Milieus vorführt. Schon in seinen Kommissaren. Aber auch die Lehrerfamilie in »Reifezeugnis«. Damals waren es ja tatsächlich alles Männer. Und wahrscheinlich ist »Tatort« für die Männer und den männlichen Teil der Bundesrepublik noch verräterischer und auch präziser, genauer, differenzierter, als für die Frauenfiguren. Auch das ist eine ins Blaue hinein formulierte These, die ich selber
noch einmal anhand der alten Filme überprüfen müsste.
Aber ich glaube doch, dass wenn man einmal den Kommissar Veigl von Gustl Bayrhammer und den Zollfahnder Kressin (gespielt von Sieghardt Rupp) und Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp miteinander vergleicht, und deren Verhältnis zu Mitarbeitern, deren Privatleben, dann findet man schon eine ziemliche Spannbreite.
Kommissar Haferkamp war schon für mich als Kind eine interessante Figur. Schon damals konnte man merken, dass
hier ein – heute völlig unvorstellbar – neuer lässiger Typ auftrat, der irgendwie anders war, nicht nur weil in seinem Leben das vorkam, was man aus der wirklichen Welt kannte: Eine geschiedene Frau! Sondern auch, weil er mit dieser Frau trotzdem ein gutes Verhältnis hatte, man sich nicht anschrie sondern miteinander redete, sogar freundschaftlich. Und weil diese Frau eine Gesprächspartnerin war, die auch inhaltlich auf Augenhöhe etwas zu sagen hatte. Das haben wir in
früheren Krimis sonst nicht und auch nicht in vielen Tatort Folgen dieses ersten Jahrzehnts.
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Dann natürlich als Haferkamp abtrat, kam Schimanski. Ein Typ in Schmuddeljacke, der »Scheiße« sagt und Bier aus Dosen trinkt. Früher wurde im Dienst gesoffen und geraucht. Das fehlt.
An Reifezeugnis erinnere ich mich. An Haferkamp. Veigl. Lenz. Dann Schimanski. Mit Tanner.
Heute zeigen manche Filme dunkle Kapitel der Bundesrepublik. Manche sind ein Panorama oder eine Reflexion der gerade sicher eigenen Verhältnisse. Alles ist möglich:
Zwischen dem Münsteraner Schmunzeln, und Gesellschaftskritik ist alles drin. Manchmal dominieren zuletzt die Schauspiel-Acts bestimmter Leute.
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Aber es gibt blinde Flecken: Polizeigewalt kommt kaum vor. Polizeikorruption gar nicht. Rechtsradikalismus fehlt komplett. Migranten gibt es, aber sie sind selten Täter. Schwarze waren noch nie Täter.
Umgekehrt kann man am »Tatort« gut ablesen, was Konsens der Gesellschaft ist. Der »Tatort« behauptet das Vorhandensein einer weltoffenen, toleranten Gesellschaft.
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Es gibt regelrechte Lager-Kämpfe darum, wie experimentell ein Tatort eigentlich sein darf, und wie konservativ er sein muss. Konservativ heißt in diesem Fall: Am Anfang muss es eine Leiche geben, und zwar ein Mordopfer, nicht etwa ein Selbstmörder oder ein Unfalltod. Und am Ende einen Täter. Der Kommissar sollte weder Opfer noch Täter sein, sondern ermitteln.
In den letzten zehn Jahren, also etwa nach dem Ende der klassischen Redaktions-Garde, bilden sich die zunehmend jüngeren
und denkmalstürzend eingestellten, unter Beweisdruck stehenden ARD-Tatort-Redaktionen der Sender sehr viel darauf ein, »Tatorte« wie sie es nennen, »interessanter«, »origineller«, »phantasiereicher« zu machen. Das bedeutet vor allem, dass sie das klassische Schema des Tatorts brechen und experimentieren. Das kann man ja auch tun, warum nicht? Nur sollte der »Tatort« immer noch als »Tatort« erkennbar sei, scheint mir. Und wenn das Experiment zur Regel wird, wenn der
Normalfall fast schon die Ausnahme ist, dann wird es anstrengend.
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Trotzdem nennen manche die, die diese Experimente nicht so cool finden, dann »Tatort«-Stalinisten. Sie selbst sind dagegen offenbar »Tatort«-Dissidenten, Anwälte eines »Tatort«-Tauwetters.
Aus meiner Perspektive ist stalinistisch eher diese Wendung und das Misstrauen gegen den Normalfall, die ja vor allem von jenen geäußert wird, die mit dem klassischen »Tatort« gar nicht soviel anfangen können, und einen »'Tatort' zweiter Ordnung« wollen. Das sind postmoderne Positionen,
die ex negativo verraten, dass der »Tatort« explizit ein Produkt der Westlichen Moderne ist.
Die wahren Spießer sind dann jene, die sich für Hipster halten, mehr kennerisch um das Drumherum reden, anstatt einfach einen straighten Krimi zu schätzen, und sich von dessen Oberflächen mitreißen zu lassen.
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Der Normalität im Fernsehen hat natürlich einen mehrfachen Sinn. Da geht es nicht allein darum, Realität widerzuspiegeln oder gar zu repräsentieren, wie das auch neuerdings besonders gern gewünscht wird, besonders gern von Menschen, die nicht wissen, wovon sie reden.
Es geht auch darum, so etwas wie einen Konsens zu fabrizieren. Noam Chomsky nannte das »Manufacturing Consent«, und fand es natürlich ganz schön schlimm – sonst wäre er nicht Noam Chomsky. Aber genau das,
Beruhigung und eine bestimmte Form meinetwegen spießigen Mainstreamgefühls ist der Sinn eines Tatorts und überhaupt eines Fernsehkrimis. Stellen wir uns nur mal umgekehrt vor, Fernsehkrimis würde Dissens fabrizieren. Er würde die Gesellschaft spalten. Wäre dies der Sinn der Sache? Wäre dies schön? Ich glaube nicht. Ich glaube, das würde das Fernsehen auch wirklich überfordern.
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Noch einen Satz, um zu begründen, warum ich weiter oben meinte, die Menschen, die Repräsentation fordern, wüssten nicht, wovon sie reden. Wenn man nämlich wirklich Repräsentation will, dann müsste man schon mal gleich mindestens die Hälfte aller weiblichen Kommissarinnen abschaffen. Denn Kommissarinnen gibt es zwar im deutschen Fernsehen, in der Wirklichkeit aber nicht. Jedenfalls längst nicht so viele, wie auf der Mattscheibe.
Daran merkt man übriges auch, dass auf die
symbolische Geste, und die »verstärkte Sichtbarkeit«, wie das im Gendermainstreamig-Jargon genannt wird, keineswegs die gesellschaftliche Veränderung auf dem Fuß folgt. Ja, Karin Anselm und Nicole Heesters waren lange vor Ulrike Folkerts Pionierinnen als Fernsehkommissarinnen.
Auch hier wieder ist die Fernseh-Darstellung also keineswegs ein Spiegel der Wirklichkeit, sondern es ist etwas, worauf sich die Gesellschaft geeinigt hat – eine Konsens-Maschine.
Dies übrigens ist es genau, was außer mancher technischen Qualität und der Größe des Bildschirms bzw. der Leinwand das Fernsehen wirklich vom Kino unterscheidet. Was der Grund ist, warum wir lieber ins Kino gehen: Das Fernsehen ist wie gesagt Konsens-Maschine, aber das Kino ist Dissens- und Irritations- Maschine.
Und das ist auch gut so.