Eichhörnchen der Vergesslichkeit |
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Wer will, sieht hier nur das Thema. Alle anderen: einen guten Film. Borga räumt fast alle Preise ab | ||
(Foto: FFMOP / Tobias von dem Borne) |
»Es findet Betrug statt, wenn ein Autor seiner Gesinnung wegen gelobt wird, ihm die Form verziehen oder diese nicht gewürdigt wird.«
Heinrich Böll»Beim Umzug ins Digitale bleibt vieles auf der Strecke, was ein Festival ausmacht.«
Svenja Böttger, Festivaldirektorin»Es ist alles so sinnlos.«
»Was ist sinnlos?«
»Alles«
»Eh.«
Aus: »Fische«, Gewinner Max-Ophüls-Kurzfilmpreis
Gibt es etwas, das noch spannender ist, als Wim Wenders einen Ehrenpreis zu geben? Wahrscheinlich schon. Blicken wir also besser auf die neuen Filme bei diesem Nachwuchsfestival.
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Man sieht es gleich. Schon die ersten Bilder erlauben keinen Zweifel, dass sie es kann, dass wir von dieser Regisseurin noch hören werden. Nicht alles klappt auf Anhieb, aber sie hat unbändige Lust drauf, und diese überträgt sich aufs Publikum. Und das genügt für den Anfang dieser ersten Versuche einer jungen Frau mit dem Neuen – das gilt für Magda, aber auch für Lisa Hasenhüttl, die Regisseurin und Autorin, die sie erfunden hat. Magda ist gerade von ihrem Freund verlassen worden,
seine Umzugskisten stehen noch herum in der gemeinsamen Wohnung, und nerven langsam. Jetzt hat Magda sich, wie zum Ausgleich, in den Kopf gesetzt, Motorradfahren zu lernen. Wir sehen ihr ein paar Tage beim Leben und beim Arbeiten zu und bei den Fahrstunden. Es ist eine schwierige Phase, vieles ist etwas unklar, es gibt peinliche Momente, aber am Ende des Films geht es ihr besser als am Anfang.
Erwachsenwerden ist schwer. So kann man die Story zusammenfassen – aber wie
Hasenhüttl das zeigt, wie sie lakonisch in prägnanten Szenen aus Beiläufigem Universales gewinnt, ohne ihm zuviel Gewicht zu geben, es zu »schwer« zu machen, ist bewundernswert. Hasenhüttls an der Wiener Filmakademie entstandener Film Magda fährt Motorrad ist mehr als die übliche Visitenkarte einer Filmstudentin: Dies ist ein ganzer und guter Langfilm »in der Nussschale« – nicht zu streng, aber nie beliebig.
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Ganz anders, aber ähnlich gut ist Fische von Raphaela Schmid, der den Kurzfilmpreis gewann. Ein Durcheinander schon in den bunten Untertiteln. China-Klischees im China-Restaurant. Durchs Aquarium getrübte Bilder. »Wir ham schon länger keine Nummern mehr«, sagt die Bedienung. Von den Tischen Gesprächsfetzen: »Grad so ein Chaos...« Und: »Es ist alles so sinnlos.« – »Was ist sinnlos?« – »Alles.« – »Eh.«
Dramen im Kleinen.
Zwei entfremdete
Geschwister treffen sich nach dem Selbstmord der Mutter und erkennen, dass sie so entfremdet gar nicht sind.
Auch hier: Großes in der Nussschale. Diesmal mehr Robert Altman als Barbara Albert.
Aber vor allem muss man hier fortwährend denken: Beide Filme, Fische und Magda fährt Motorrad, kriegt kein deutscher Regisseur auch nur ansatzweise so hin.
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Man kennt das von Festivals, besonders von Kurzfilmprogrammen. Irgendwann fällt einem auf: In allen Filmen kommen Sofas vor. Oder rote Kochgeräte. Ein Leitmotiv. Und man fragt sich, ob das nur der Zufall der persönlichen Auswahl war, oder ob hier vielleicht ein ganzer Filmhochschuljahrgang eine Vorgabe bekommen hatte: »Macht, was ihr wollt, aber ein grüner Gartenzwerg muss vorkommen.«
Diesmal war es der Stier: Einmal ist er verschlafen und lebendig, aber pottwalgroß. So
wird er aus dem Meer gezogen. Einmal ist er tot, eine Rodeo-Reitmaschine auf der Schwäbischen Alb, die hier aussieht wie eine Westernlandschaft in Nevada.
Aber immer der Stier. Irgendwann fällt es einem auf, und das entpuppt sich als die Lösung, dass in allen diesen Stierfilmen das Auswärtige Amt gefördert hat, und die »Deutsche Filmakademie Produktion« produziert hat (Hä? Produzieren die jetzt auch noch? Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt, und dass das geht, aber das
recherchieren wir ein andermal), und die Europäische Union dazu angeregt hat: »Europe in Films« heißt die dazugehörige Initiative. Und der Stier ist natürlich – das Wappentier Europas!
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Was dabei herauskommt, das sieht dann wie folgt aus: In Götterdämmerung zeigen David Uzochukwu und Faraz Shariat ein schönes altes Schiff, das in der Adria für eine Urnenbestattung unterwegs ist. Symbole lösen einander ab. Eine Mischung aus Visconti-Dekadenz und Beschwörung alten Hollywoods, wie bei Peter Bogdanovich. »Freude schöner Götterfunken« wird gesungen, dann kentert das Schiff. Es ist auf Grund gelaufen, genau gesagt auf den
Stier.
Weltuntergang, Apokalypse, Metaphern und grundsätzliche Überwältigung auf Breitwand machen dem Dechiffriersyndikat viel Arbeit und belegen, dass dieser Film immerhin etwas will, und einen Begriff von Größe hat. Das ist viel unter den Maulwurfshügeln des Filmhochschuldurchschnitts.
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Einer der schönsten Filme ist Handbook for a Priviledged European Woman von Alma Buddecke. Die Leitfrage der Regisseurin lautete offenkundig: Wo finde ich Hollywood auf der Schwäbischen Alb? Sie zeigt schöne Menschen, schöne Autos, schöne Bilder, zur guten Musik von »Hot Chocolate«. Gesprochen wird Englisch, nicht Schwäbisch.
Retro auch sonst. Rodeo. Frauenphantasien. Bissi gewollt. Aber immerhin etwas gewollt.
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Jedenfalls gut gemacht ist Auto von Jakob Grunert. Der Film schreit von Anfang an: »Ich will auch mal 'Dark' machen!«
Autoland Deutschland. Ein Paar fährt durch den Wald, zerfleischt sich, doofe Dialoge, angespannt, künstlich ausgedacht. Typisch deutscher Film. Aber ein schönes Auto.
Und dann plötzlich Horror: Oh weh, oh weh, das Auto lebt. Und das Auto hat dann eine Poesie, wo die Menschen diese nicht haben. Autoland Deutschland eben.
Und zum Schluss der beste Dialogsatz, nicht nur weil er uns hier plötzlich und sehr unvermittelt den V-Effekt vor den Latz knallt: »Was war das für Musik?«
Das macht den Film rund. Die Musik war übrigens von »Siriusmo«. Muss ich die kennen? Ja, jetzt schon.
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Schön und interessant ist auch Hitzig von der Münchnerin Katharina Bischoff. Frauen in der Sauna. Die meisten jünger, gutaussehend. Die beiden, die hier Kurse geben, sind Männer. Dragan, der Sauna-Animateur, labert von Aufguss und Klangschale, die Regisseurin zeigt neben absurden Saunaritualen den Alltag. Sie macht das geschickt: Wir nehmen mit einer der Frauen, der offenbar Neuen, an den Saunagängen teil, und beobachten die anderen Frauen. Besonders
eine.
Aber so richtig weiß man dann vielleicht auch nicht, was dies wirklich soll, außer zu zeigen, was die Regisseurin alles kann.
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Ziemlich gut und ungewöhnlich und sehr interessant ist Hasen auf der Wiese von Leonie Kellein. Schanelec und die Folgen – so könnte man den Film beschreiben. Aber er ist eine sehr schöne Folge. Auf den Einfluss der Professorin an der HfbK kommt man auch, ohne im Nachspann die Danksagung zu lesen. Vignetten einer Familie auf dem Land, eine Drohne und Musik, schöne bewegte Kamerafahrten, Surfen im Netz, Kinderbilder, die in den Erwachsenen Horror wecken. Pure Schönheitsmomente, die keine Handlung stört, in die man wohl länger einsinken könnte.
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»Chanel Eck« pinselte das Rechtschreibprogramm. Auch gut.
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Die einzelnen Filme widerlegen den vergangene Woche bewusst zugespitzten Eindruck des allgemeinen Inhaltismus im Programm – der trotzdem nicht falsch oder unzutreffend ist, blickt man auf die Zusammenfassung der Geschichten, blickt man auch auf die Identitäten der Filmemacher.
Dass dieser Blick überhaupt stattfindet, ist bereits der größte Fehler, es ist aber ein Fehler, den das Festival durch seine Programmierung und die Betonung bestimmter Merkmale erst herstellt.
Wenn jetzt mancherorts die Rede von »Colorblind Casting« ist, dann könnte man vielleicht mal über »Colorblind Curating« nachdenken. Also übers Kuratieren einer Auswahl, das bewusst keinerlei Rücksicht darauf nimmt, und auch nicht in den Programmen damit wirbt, welches Geschlecht die Filmemacher haben, welche sexuelle Identität, wo sie herkommen, wo die Geschichten spielen, und wovon sie handeln. Wenn man einfach nur die Filme für ihre wunderbaren Einstellungen anpreisen würde, ihre
virtuose Montage, ihr schönes Blau, ihr wunderbares Gelb. Oder so ähnlich.
Die Fallen, in die man ansonsten tappen kann, zeigte nämlich nicht etwa der Siegerfilm Borga, sehr wohl aber der große Zuspruch für ihn.
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Eine Geschichte der Träume. Der Tagträume, der Geschichten, die man glauben will, mit ihren erfüllten Hoffnungen auf Reichtum und Glück. Und der Albträume, die einen heimsuchen bei Nacht.
Borga heißt der erste Spielfilm von Yorck-Fabian Raabe, der an der Berliner DFFB Film studierte, für den der Regisseur am Wochenende nicht nur den diesjährigen Max-Ophüls-Preis gewann, nicht nur einen oder zwei Preise, sondern insgesamt gleich vier: Den Publikumspreis, den Kirchenjury-Preis und den in der blödesten Kategorie, für den, wie es heißt: »relevanten Film des Jahres« – was immer das genau eigentlich sein soll.
Ein Triumph.
In den Slums von Accra, der Hauptstadt Ghanas, geht es los. Wir lernen eine Familie kennen, die autoritären Strukturen und archaischen Ehrvorstellungen von Verhältnissen, in denen Gewalt, Kriminalität, Drogen immer nahe sind, und der einzige Ausweg fern: Geld verdienen im Norden, in Europa. Auf den Kindern lasten die Erwartungen der Eltern, denen sie zugleich zu gehorchen haben.
Die Hauptfigur ist der jüngere Sohn, Kojo. In schnellen Schritten und knappen skizzenhaften Szenen erzählt der Film wie in einem Stationendrama zuerst aus seiner Kindheit, um dann den Weg des jungen Mannes zu zeigen, der es nach Europa schafft, genau gesagt ins kurpfälzische Mannheim, aber dort weiter ausgebeutet wird, nur unter neuen Vorzeichen – und nicht nur von Deutschen, auch von anderen Flüchtlingen.
Irgendwann setzt er sich zur Wehr – er wird kriminell, aber
er hat Erfolg. Und eine Weile ist er für seine Familie der Held, der, der es geschafft hat. Aber wie Armut, so hat auch Reichtum Konsequenzen, der Traum von einem radikal anderen Leben ist nicht zum Nulltarif zu haben – wie immer im Kapitalismus.
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Die Gefahr bei diesem Film liegt offen zutage. Sie besteht darin, dass man ihn auf sein Thema reduziert. Dann dass man viele Worte darüber verliert, dass er eine schwarze Hauptfigur hat, dass er zum Teil in Afrika spielt, dass er von Migration erzählt, von Armut, von Unterdrückung und Ausbeutung. Und von allem, was noch so in manchen Leitartikeln zu lesen ist. Das stimmt irgendwie, und doch geht es an der Substanz dieses Films vorbei. Denn alles das wäre egal, wäre Borga kein guter Film.
Dies ist er aber. Ein schöner Film, der im großen Bogen erzählt, der im guten Sinn rau ist. Er ist keineswegs ohne Fehler – vor allem die Musik ist zu oft und zu kommentierend eingesetzt, anstatt mal der Ruhe und der Phantasie der Zuschauer zu vertrauen.
Aber die Bilder sind ruhig. Nicht nur illustrativ. Sie sprechen auch für sich selbst.
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Bei aller Qualität scheinen Borga und die Preise für ihn auch die offen benannte Absicht des Festivals zu bestätigen, im Programm vermeintlich relevante und unterrepräsentierte Themen zu zeigen.
Aber Filme, erst recht die des Nachwuchs, sind keine verfilmten Zeitungsreportagen und Leitartikel. Sie sollten es auch nicht sein.
Themen verschwinden aus dem Gedächtnis des Publikums so schnell wie der Schnee im Frühling. Was bleibt, sind Filmsprachen und Stile, Handwerk und Handschrift.
Das belegten besonders die anderen Preise des Wochenendes, die nicht mal den Verdacht aufkommen ließen, es handle sich um Thesenfilme.
Ob der – ebenfalls an der Berliner DFFB entstandene – Nico (über den ich noch schreibe, versprochen!) oder der Dokumentar-Film-Gewinner Stollen.
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Unsere auf sanktionierte Formen von Engagement und politischen Haltungen konditionierte Filmkritik wie die Jurys übersehen in der Regel die wirklich interessanten Filme, und das Interessante an vielen Filmen.
So hätte Das Massaker von Anröchte den Preis mindestens genauso verdient. Für viele, auch für mich, war dies der beste Film im Wettbewerb.
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Zugleich erschien mir zumindest das Programm in diesem Jahr auffällig schwächer als in den letzten Jahren. Gerade in den Langfilmwettbewerben. Das ist bestimmt der speziellen Situation der Corona-Lage geschuldet und daher ein Einzelfall. Und die allgemeine Feststellung ändert nichts daran, dass es natürlich einzelne Perlen und sehr gute Filme gab.
Seit langem schon ist Saarbrücken ein Ort der Entdeckungen und der Zukunft des Kinos. Neben den Spiel- und Dokumentarfilmen gibt es hier auch Wettbewerbe für Kurzfilme und – eine Spezialität – für sogenannte »mittellange« Filme zwischen 30 und 60 Minuten. Gerade hier finden sich oft die mutigsten, im guten Sinne riskantesten Filme des Festivals.
Besonders schwach schien mir in diesem Jahr der Dokumentarfilmwettbewerb zu sein. Im Dokumentarfilm fällt besonders auf, wie oft das Verhältnis der Generation zum Thema wird. Auch hier ein Aufstand der Kinder. Das ist manchmal etwas schwarz-weiß darstellt, die Jungen sind die Guten; die Alten die Bösen – das entspricht den Schemata der politischen Diskurse, die wir auch sonst kennen. Ebenso wie der allzu einfache Gegensatz zwischen bösem Millionär und guten Aktivisten, die gegen Millionäre kämpfen. Oder das böse Weltwirtschaftsforum, oder ein Blick aufs Wendtland.
Wieder bekamen viele österreichische Filme die Preise. Auch dies bestätigte: Saarbrücken war auch in diesem so schwierigen Filmjahr allen Problemen zum Trotz immer noch das bedeutendste Filmfestival für den deutschsprachigen Filmnachwuchs.