71. Berlinale 2021
Hurra, hurra, die Berlinale fällt aus! |
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»Das ist neu, das ist neu/
Hurra, hurra, die Schule brennt/
Sie stehen zusammen/ Dicht bei den Flammen/ Bis die Sonne untergeht/
Oh, die Feuerwehr/ Hat es doppelt schwer/ Weil der Wind sich dreht
Und sie singen...
Das ist geil, das ist geil/ Hurra, hurra, die Schule brennt.«
Extrabreit»Sie liebte den roten Teppich am meisten.«
Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick, in seinem Erinnerungsbüchlein über Monika Grütters
Wir ahnten es längst: Corona hat auch sein Gutes. Wie Halloween, Nikolaus und Karneval ist auch die Berlinale ein mitteleuropäischer Brauch, auf den zu verzichten man sich eigentlich nicht vorstellen und Berliner Journalisten-Kindern eigentlich nicht zumuten kann.
Weil in diesem Jahr aber alles anders ist, wird uns allen das Opfer dennoch abverlangt. An diesem Donnerstag wäre sie eröffnet worden. Doch dann kam Corona. Nun soll die Berlinale in anderer Form stattfinden –
als sogenannte »Hybrid-›Veranstaltung, mit vielen Unbekannten.‹«
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Einmal, ein einziges Mal in meinem Leben wenigstens, wird es keine Berlinale im Februar geben! Super!!
Einmal keine Berlinale-Pickel, keine Berlinale-Erkältung. Keine zwei Wochen schlechtes Essen am Potsdamer Platz und Veganer-Terror bei der Eröffnungsfeier.
Ein einziges Mal kein ausländischer Freund oder Kollege, dessen kopfschüttelndem Gesicht man erklären muss, was man selber sich nicht erklären kann: Warum die Berlinale so unmöglich viele Filme zeigt, warum viele dieser Filme so schlecht sind, warum die Sektionen so chaotisch sind, warum es in diesem ganzen dschungelhaften Einerlei noch nicht mal ein paar Schneisen gibt, auf denen man sich bewegen kann, und ein paar Holzwege, auf denen man sich interessant verirren kann, warum alles eigentlich einfach nur ein grauer brauner Matsch ist.
Einmal nicht die Erfahrung, dass einem die Berlinale-Organisation lauter klitzekleine Steinchen in den Weg legt, die einem dann die ganze Festival-Erfahrung so schwer machen und fortwährend im Kleinen so verleiden und so erkennbar völlig unnötig und undurchdacht sind, dass sie viel mehr nerven, als wenn es irgendein einziger großer Klotz wäre, um den man dann halt herumläuft.
Einmal kein langes Anstehen für Presse-Karten, die man dann nicht bekommt. Einmal kein Kotau bei der Berlinale Presseabteilung. Einmal kein subalterner Berlinale-Mitarbeiter, der elementare Festival-Dinge nicht versteht, dem man sie dann aber erklären muss, weil Höflichkeit bei der Berlinale keine Tugend ist, und auch nicht das Vertrauen in die Akkreditierten, sondern weil man hier die Presse und auch viele andere akkreditierte Gäste so behandelt wie ein notwendiges Übel, ohne das es nun mal leider auch nicht geht.
Einmal kein Musical-Palast, der als Festival-Kino maskiert wird. Einmal kein roter Teppich, der bergab führt. Einmal kein Berlinale-Gutmenschen-Film, von dem dann wieder niemand außer denen, die ihn wirklich gesehen haben, versteht, warum man den verreißt – worauf man stattdessen den Autor für einen schlechten Menschen hält, obwohl ich doch gar nichts gegen Menschenrechte habe, sondern im Gegenteil für ein Menschenrecht auf gutes Kino eintrete.
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Es war, von vielen Filmen und manchen Berlinale-Personen mal völlig abgesehen, immer schon per se unerträglich, im Februar ein A-Festival besuchen zu müssen.
Es ist einfach zu schlechtes Wetter, und die Stadt zu hässlich. Dann sollten wenigstens die Filme auf irgendetwas Lust machen.
Aber die Zeiten, als Filme von Tarantino, den Coen-Brüdern, Winterbottom, Minghella, Kaurismäki, Ang Lee, Milos Forman, Bertrand Tavernier hier liefen, sind lange vorbei.
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Vor über 20 Jahren, als ich ziemlich neu war als Filmkritiker und die Berlinale noch im Zoopalast stattfand und im Hotel Intercontinental, und Harald Martenstein noch ein so gefürchteter, wie guter Filmkritiker beim »Tagesspiegel« war, da konnte ich dieser Februar-Berlinale einiges abgewinnen. Da gab es die Berlinale auch noch im Royal, dem Kino mit der größten Leinwand Deutschlands, ein Kino, das längst abgerissen und durch den größten Saturn von Berlin ersetzt wurde. Damals
waren die Retrospektiven noch Regisseuren gewidmet, Emigranten wie Billy Wilder, G.W.Pabst, den Siodmak-Brüdern und Otto Preminger, sie liefen im Astor und der Ort, der heute »Astor« heißt, hieß damals »Filmpalast« und es gab Mitternachts-Vorführungen mit Wong Kar-wai und Johnnie To im Delphi.
Das World-Trade-Center stand noch, Political Correctness war etwas Rechtskonservatives, ich war jünger, und auch sonst war die Welt eine bessere.
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Es wäre daher glatt gelogen, und das soll man ja nicht, würde ich jetzt hier Krokodilstränen vergießen und irgendeine Form des Bedauerns heucheln. Tatsächlich kugle ich mich innerlich vor Freude. Tatsächlich tun mir zwar die Berlinale-Mitarbeiter ehrlich leid, viele einzelne geschätzte Personen, und auch diejenigen in den Leitungsfunktionen. Es nervt. Es macht keinen Spaß, was da passiert, es ist blöde Zusatzarbeit, gar keine Frage. Aber das ist es dann auch. Für die Berlinale könnte dieser erzwungene Lockdown der Berlinale auf mittlere Sicht sogar zu einem Jung-Brunnen werden.
Denn wenn die handelnden Personen, wenn das Leitungsteam selbst in doppelter Ausfertigung nicht in der Lage ist, entschiedene Entscheidungen zu treffen, und nicht in der Lage, dieses schwerfällige Schiff Berlinale wieder flott zu machen, dann müssen es eben die Verhältnisse von außen tun. Ein Schrecken ohne Ende bei der Berlinale wäre das Schlimmste, was passieren kann, deswegen wäre es besser, wenn es mit dieser alten klassischen Februarberlinale nun ein Ende mit Schrecken
hat.
Die Berlinale könnte damit tatsächlich zum Symbol werden für einiges andere, was man dem Kino hierzulande wünscht: Dass sich nämlich die Dinge ändern – so oder so. Dass alte Strukturen, alte Behäbigkeit und alte Funktionärsinteressen zerschlagen werden und zwar so zerschlagen werden, dass sie nicht wieder zu reparieren sind.
Das sind keine Gewaltfantasien – tatsächlich ist es aber eine Art Gewaltakt, den ich dem deutschen Film in vieler Hinsicht wünsche.
Aber kommen wir zurück zur Berlinale.
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Es gibt ein paar Sachen, die ich vermissen werde, ich gebe es zu: Sommerhaus-Essen und VfB Stuttgart gucken mit Jochen und seinen VfB-Freunden – gerade in diesem Jahr. Kölsch mit Arne. Moderation mit Lisa. Eröffnungsdinner bei Oliver; dann zur »Woche der Kritik«-Eröffnung (die findet ja weiterhin statt, leider aber online). Montagabend die Verleihung des »Preis der deutschen Filmkritik« – letztes Jahr mit wunderbaren Preisträgern wie Mariko und Jan. Der bissige Smalltalk mit Nick. Ein Diner-Besuch mit Nil und Engin. Katharina, Anna, Barbara.
Die paar wirklichen Film-Überraschungen im Forum und im Panorama und letztes Jahr auch bei »Encounters«. Die freundlichen Untergebenen der Unfreundlichen bei der Presseabteilung.
Das süffisante Lächeln geschätzter Presse-Agenten über die Filme, die sie vertreten müssen, überhaupt die unendliche Solidarität zwischen den Kollegen, denen, die man kennt, auch denen, die man nicht kennt, und die sich in Blicken äußert, in kurzen kleinen unscheinbaren Gesten; eine
Solidarität, die auf der Berlinale immer etwas besonders Warmherziges hat. Mir kommt es vor, dass das Verhältnis untereinander warmherziger ist als in Cannes oder Venedig, wo man sich einfach nur gut fühlt und dann ein gemeinsames tolles Erlebnis hat oder gemeinsam Spaß. Hier aber leidet man gemeinsam. Und Leiden schweißt bekanntlich noch mehr zusammen.
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»Tatü tataa, tatü tataa/ Die Feuerwehr ist auch schon da Es brennt so gut / Bald sieht man nur noch Glut/ Wo eben noch die Schule war/
Und sie singen/
Das ist neu, das ist neu/ Hurra, hurra, die Schule brennt
Das ist geil, das ist geil/ Hurra, hurra, die Schule brennt«
Extrabreit
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Sie sind kalt erwischt worden. Lange, vielleicht zu lange hatten die Verantwortlichen der Berlinale gegen alle Indizien und Inzidenzien an der Behauptung festgehalten, ihr Festival würde wie ursprünglich geplant, als Präsenzveranstaltung mit Zuschauern in diesem Februar stattfinden. Dahinter stand, wie man hört, vor allem interner Druck von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), dem Hauptgeldgeber des wichtigsten deutschen Filmfestivals. Gerade im Wahlkampf Jahr 2021 wollte die ehrgeizige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nicht auf diese öffentliche Bühne und ihren großen Auftritt verzichten – Pandemie hin oder her.
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Noch Mitte November hatte man mitten im Lockdown die Einladungen für den Februar verschickt. Erst kurz vor Weihnachten wurde die Veranstaltung dann abgesagt – was zu diesem Zeitpunkt niemand mehr ernsthaft überraschte. Da war das Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB), die regionale Filmförderanstalt, klüger gewesen: Schon Ende Oktober gab das MBB bekannt, die traditionelle Berlinale-Party würde diesmal nicht stattfinden.
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Grund für diese verspätete Entscheidung und das schlechte Kommunikationsmanagement war offenbar auch, dass es hinter den Kulissen Streit gegeben hatte. Denn über den ganzen fröhlichen Post-Lockdown-Sommer, als die Deutschen glaubten, die Pandemie läge bereits hinter ihnen, und Filmfestivals in der üblichen Präsenz-Form mit moderaten Schutzmaßnahmen in Venedig und San Sebastian ohne Probleme über die Bühne gingen, hatte sich das Berlinale-Management relativ reserviert gezeigt. Erst auf Nachfrage wurde mitgeteilt, man plane parallel fünf verschiedene Möglichkeiten der Durchführung – von einer kompletten Online-Ausgabe bis hin zu einer analogen Veranstaltung in der üblichen Form. Offenbar aber drängte die BKM darauf, frühzeitig im Oktober Fakten zu schaffen – als ob sich die Pandemie durch öffentliche Presseerklärungen festnageln ließe.
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Jetzt wird also alles anders und das Festival zu einer »Hybrid«-Veranstaltung: Vom 1. bis 5. März sollen »Branchenvertreter«, Presse und Jurys digital das Programm sehen, das Publikum soll dann im Juni alles nachholen – hoffentlich in Kinos und unter freiem Himmel. Die Details sind wohl aus kluger Vorsicht immer noch sehr vage gehalten – auch die Berlinale fährt »auf Sicht«.
In der Branche stößt dieses Modell keineswegs auf einhellige Begeisterung: »Ich finde es schade, den Wettbewerb unter Ausschluss der Öffentlichkeit im März zu machen, statt ihn im Juni zu veranstalten«, klagt jetzt Christian Bräuer, als gelernter Bankkaufmann seit 2004 der umtriebige Chef des Filmtheaterverbands »AG Kino«. Die Berlinale lebe vom Zusammenspiel zwischen Publikum und Branche. »Die Berliner freuen sich natürlich auf die Sommer-Berlinale. ... Aber ob es dieselbe internationale Wirkung hat?«
Vertraulich berichtet der Produzent eines Berlinale-Wettbewerbs-Films wiederum von ganz anderen, praktischen Problemen: Man kämpfe hinter den Kulissen mit der Berlinale darum, ob und in welcher Form die Filme überhaupt für Medienvertreter zugänglich würden. Manche Produzenten wünschen sich, dass ihre Filme der Presse regulär in Kinos gezeigt werden – mit einer Ausnahmegenehmigung und natürlich unter Einhaltung der bekannten Abstandsregeln. Andere haben auch gegen eine Online-Ausgabe Bedenken. Denn wenn Filme mehrere hundert Mal an Akkreditierte in der ganzen Welt übertragen werden – wie lässt sich dann noch sicherstellen, dass nicht wenigstens einer von ihnen den Film in seinem Wohnzimmer herunterlädt und weiterverbreitet? Selbst Grundschüler wissen heute: Alles was im Netz und auf einem Computer erscheint, kann in irgendeiner Form kopiert werden. Und viele wissen auch, wie. Bei einem kleinen Provinzfestival – und auch München oder Saarbrücken sind vergleichsweise Provinz – macht es nichts, wenn Filme kopiert werden. Zum einen hält sich hier die globale Nachfrage in Grenzen, zum anderen wären nicht wenige deutsche Filmemacher heilfroh, wenn sich wenigstens auf diesem Weg ein größeres Publikum für ihre Filme interessieren würde.
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Ganz anders liegen die Dinge bei einem internationalen »A-Festival« wie der Berlinale. Schon in den letzten Jahren nahm die Tendenz – oder der Wunsch? – der Festivals, auch ihr akkreditiertes Publikum zu kontrollieren und wie Schafe entmündigt von einem Gatter ins nächste zu treiben, deutlich zu. Die Exklusivität der Premieren – das wichtigste Pfund im Wettbewerb der Festivals untereinander – wird durch eine in den vergangenen Jahren immer schärfer gewordene Absicherung durch Embargos und Sperrfristen gesichert. Im Idealfall soll die Presse den Film in einer einzigen, vollbesetzten Vorführung sehen, und erst danach berichten, um die Premierenstimmung nicht durch saftige Vorabverrisse zu trüben – was gerade bei der Berlinale mit ihrer eher durchwachsenen Wettbewerbsqualität nicht selten geschah.
Im Vergleich mit den Hauptkonkurrenten Cannes und Venedig hat gerade die Berlinale ein Problem, wenn sie diese Exklusivitätserwartungen nicht erfüllen kann. Denn Verleiher und Weltvertriebe geben ihre Filme ja nicht aus selbstlosen Gründen auf ein Festival. Sie versprechen sich vom dortigen Markt gute Verkäufe und eine möglichst große Wirkung des Festivals als Werbeplattform für den kurz bevorstehenden Filmstart. Genau diese Werbewirkung fällt in Corona-Zeiten weg.
Der European Film Market (EFM) in einer gedrängten Online-Version wird nicht dasselbe sei, wie sonst – er ist aber eine wichtige Einnahmequelle für die Berlinale. In diesem Jahr, in dem alles im Netz stattfindet, muss der neue EFM-Chef Dennis Ruh Mieten für virtuelle Marktstände aushandeln, und eine digitale Infrastruktur aufbauen.
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Dass diese Themen relevant werden, erklären andere längerfristigere und strukturelle Mängel der Berlinale: Die Berlinale hat in den letzten 20 Jahren einen Bedeutungsverlust erlitten. Egal, ob man hierfür nun die Politik des langjährigen Berlinale-Direktors Dieter Kosslick verantwortlich macht, oder allgemeinere, von einzelnen Personen nicht zu beeinflussende Branchenentwicklungen – das Ergebnis bleibt das gleiche: Die Berlinale ist auf dem absteigenden Ast. Es
gibt dort zu wenig Stars, große amerikanische Produktionen bleiben zunehmend weg, das wichtige Autorenkino bevorzugt nach Möglichkeit den Auftritt an der Croisette in Cannes oder im Spätsommer auf dem Lido von Venedig. Die wenigen interessanteren deutschen Filme hat die Berlinale zuletzt durch Ungeschick verpasst, deutsche Dauergäste, die mit ihren Filmen offenbar über ein Berlinale-Abonnement verfügen, öden selbst die Mehrheit der ausländischen Gäste bei allem Wohlwollen nur
noch an.
Was übrig bleibt, sind kleine, sogenannte »relevante« Filme; Filme, die durch Inhalte glänzen, kaum durch die Filmkunst, um die es doch einem Festival in erster Linie gehen müsste.
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Ablesen lässt sich dieser Bedeutungsverlust besonders gut an der internationalen Karriere der jeweiligen Preisträger. Kaum ein Berlinale-Sieger der letzten 20 Jahre wurde zu einem großen Publikumserfolg. Und für nur sehr wenige Preisträger – allenfalls Fatih Akin und Asghar Farhadi – wurde die Berlinale zum Sprungbrett für eine größere internationale Karriere. Es gab keine einzige vergleichbar Erfolgsgeschichte zu jener des koreanischen Filmemachers Bong Joon-ho, der vor zwei Jahren mit seinem Film Parasite als erster Koreaner überhaupt die Goldene Palme von Cannes gewann – Startschuss für einen Preisregen, der in den mehrfachen Oscar-Gewinn ein Jahr später mündete. Oder noch ein Jahr zuvor der japanische Gewinner der Goldenen Palme: Hirokazu Kore-eda eröffnete mit seinem nächsten Film die Filmfestspiele von Venedig. Filme die im Venezianer Wettbewerb laufen, gehören wiederum regelmäßig zu den Favoriten der kommenden Oscar-Verleihung – und nicht selten auch zu den Siegern. Man denke etwa an Alfonso Cuaróns Roma, Filme wie Black Swan, La La Land und Joker. Vergleichbare Erfolgsgeschichten sucht man im Berlinale-Programm der letzten zwei Dekaden vergebens.
Hier liegt vermutlich auch der eigentliche Grund, warum die Berlinale selbst inmitten einer noch nicht bewältigten Pandemie stattfinden muss, während sich Cannes und Venedig schon früh klar festgelegt hatten, eine Online-Edition komme für sie nicht in Frage. Im Gegensatz zu diesen Festivals kann es sich die Berlinale schlicht nicht leisten, komplett auszufallen.