Gestrandet auf Corona Island
Costa Kino an der Costa Blanca |
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Das Kino lebt – zumindest in Valencia (und in zahlreichen anderen Regionen) | ||
(Foto: Axel Timo Purr) |
Von Axel Timo Purr
»Die halbe Nazion iss irre; (& die andre Hälfde nich ganz bei Groschn!)«
— Arno Schmidt, Die Schule der Atheisten
In Spanien scheint Kultur und Kulturvermittlung und was damit zusammenhängt dann doch einen anderen Stellenwert zu haben als in Deutschland, dem einstigen Land der Dichter und Denker. Die Schulen hatten stets – wenn auch der epidemiologischen Lage angepassten – Präsenzunterricht, die Orchester spielten weiterhin Opern und Sinfonien und auch die Theater waren eigentlich fast immer geöffnet, egal wo die Inzidenzwerte gerade rangierten.
Und die Kinos? Hatten (und haben) aus Mangel an US-Blockbustern gerade in kleineren Städten immer mal wieder geschlossen. Aber die positiven Signale der spanischen Politik haben sowohl kleine Kinos als auch die großen Ketten zu kreativen Manövern animiert, um ihre Verluste zu minimieren und weiterhin Präsenz zu zeigen und dem Publikum zu helfen, die Kulturpraktik »Kino« nicht zu verlernen – sei es durch neue, der Lage angepasste Öffnungszeiten nur an Wochenenden oder an ausgesuchten Tagen und Zeiten unter der Woche. Oder durch kleinere und größere Aktionen an die Kinos zu erinnern (und damit natürlich auch dringend notwendige Einnahmen zu generieren), so wie das innovative Angebot der Cinesa-Kette, die die für diesen Anlass perfekte Infrastruktur ihrer Kinos für Impfungen anbot.
Aber mit der Verleihung der Goyas und den anstehenden Oscars, deren beider Preisträger und Shortlists auch dann gezeigt werden, wenn die Filme schon bei Netflix laufen, liest sich das Kinoprogramm zumindest für Alicante an der Costa Blanca und Valencia (und eigentlich alle größeren Städte in Spanien) fast schon wie zu Zeiten vor Corona. Umso mehr, als immer mehr große Ketten den Vollbetrieb wieder aufnehmen, so wie die IMF-Großkinos in Valencia, die seit dem 5. März wieder in allen Sälen spielen.
Der Besuch des ABC Park-Kinos in Valencias Innenstadt fühlt sich dann auch fast schon wie der Eintritt ins cinephile Paradies an. Selbst die 16 Uhr-Vorstellung von MINARI, einem der Oscar-Anwärter für den besten Film, ist trotz des Einplatz-Abstandes zwischen Einzelpersonen oder Gruppen gut besucht. Die spanischen Untertitel helfen selbst einem Deutschen mit nur mangelhaften Grundkenntnissen des romanischen Sprachraums die überwiegend koreanischen Dialoge befriedigend zu erschließen, und zu verstehen, warum MINARI auch für die Kategorien beste Regie, bester Hauptdarsteller, beste Nebendarstellerin und bestes Originaldrehbuch nominiert wurde. Aber fast genau so schön wie der Film ist dann der Anblick beim Hinausgehen, sind das volle Foyer und die langen Schlangen vor den Kassen, die bis auf die Straße hinausreichen.
Dass diesen Andrang nicht jeder erwartet und es hin und wieder kleine Marketingstrategien braucht, um die Menschen in die Kinos zurückzuholen, deutete die Wiedereröffnung der Yelmo-Kinos in Málaga am 19. März an – Tickets wurden zum halben Preis für 2,90 Euro angeboten. Und nicht jeder rechnet anscheinend auch in Spanien damit, dass es bei der nächsten Pandemie ähnlich flexible Öffnungsregelungen für das Kino gibt, denn eine Investorengruppe plant für Málaga das immerhin zweitgrößte Autokino Europas.
Was schon wieder ein wenig riskant und abwegig erscheint, sieht man sich allein die Inzidenzzahlen nach der Öffnung der IMF-Kinos in Valencia, aber auch für andere Regionen an. Statt zu steigen, sind sie konsequent gesunken und bestätigen damit die Mitte Februar erschienene Studie der TU-Berlin, nach der Kunden im Supermarkt oder Angestellte in ihren Büros deutlich gefährdeter als Kinogeher sind.
Doch nicht nur Spanien scheint Kultur anders zu positionieren als der einstige Kultur-Koloss Deutschland. Denn auch in Albanien, Bahrain, Bosnien, Bulgarien, Kroatien, Ägypten, Island oder Nordmazedonien (und zahlreichen anderen Ländern) werden die Kinos keiner fragwürdigen Symbolpolitik geopfert und bleiben geöffnet.
Selbstverständlich auch in China, wo jeder weiß, wie wichtig Kultur ist, um eine »stabile« Politik zu gewährleisten – hier brummen die Kinos seit Mitte letzten Jahres wieder auf Hochtouren. Auch deshalb natürlich, weil man sich hier zunehmend von Hollywoods Blockbuster-Industrie emanzipiert hat. Mit eigenen Großproduktionen wie dem 2020 erschienenen Historien-Spektakel The 800, aber auch einer seit Jahren nachhaltig wachsenden einheimischen Filmproduktion aller Genres, die den Filmgeschmack Chinas inzwischen so nachhaltig verändert zu haben scheint, dass der Aufschrei, Kinos wegen auf Eis gelegter Blockbuster-Lieferungen aus den USA nicht öffnen zu können, ausgeblieben ist.