Lovemobil-Debatte
Anja Reschke und das reine Gewissen |
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Die Gesprächsrunde bei Zapp: Susanne Binninger, Stefan Lamby, Anja Reschke (v.l.) | ||
(Grafik: NDR / Zapp) |
»Der Rundfunk kann ja nicht alle Menschen, die sich entschieden haben, Dokumentarfilmer zu werden, finanzieren.«
Anja Reschke, Leiterin Programmbereich Dokumentation und Kultur beim NDR
Gute zwei Wochen nach Beginn der sogenannten »Affäre« um den Dokumentarfilm Lovemobil ist einiges klarer geworden, aber noch längst nicht alles klar. Im Gegenteil: Die unsägliche Empörungsbereitschaft des Publikums, auch unter den eigentlich fachlich besser informierten Dokumentarfilmern selbst, ist traurig und sollte in nächster Zeit noch genauer diskutiert werden. Ebenso wie der inquisitorische Ton, und der Jargon aus Zeiten der Hexenjagd, der in manchen Kreisen angeschlagen wird. Ein lächerliches, aber authentisches Zitat dazu: »Sie soll in der Hölle schmoren.«
Natürlich ist dies offenbar eine inzwischen in Deutschland allgemein verbreitete Einstellung: Wenn jemand etwas in den eigenen Augen falsch gemacht hat, dann drischt man auf ihn hinein. Man hält es im Zweifel gern mit der Obrigkeit und dem Stärkeren, nicht wie früher mit dem Underdog. Man freut sich, wenn man Täter dingfest machen kann, selbst wenn die Indizien noch gar nicht so klar zutage liegen. Es ist die Einstellung von Leuten, die Lynch-Prozesse mögen.
Dieser Ton ist ein Thema,
aber nicht unseres heute. Besser sprechen wir von einem stärkeren Akteur. Vielleicht auch einem Täter. Denn immer mehr rücken Rolle und Auftreten des beteiligten Senders, des Norddeutschen Rundfunks (NDR), in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Immerhin hat sich um den Film und die Fragen, die er berührt, jene veritable Debatte entsponnen, nach der sich der NDR angeblich so sehr gesehnt hat. In seiner Pressemitteilung, die am 22.03. veröffentlicht wurde, heißt es etwas gönnerhaft: »Da sich die Autorin und ein paar mit der Autorin bekannte Dokumentarfilmer auf eine Definition von Dokumentarfilm beziehen, die als 'künstlerische' Form auch Inszenierungen beinhalten dürfe, werden wir mit der Dokumentarfilmszene
in eine Debatte über die Definition dieses Genres einsteigen.«
Und weiter: »Unserer Auffassung nach ist der Dokumentarfilm in seiner Wahrhaftigkeit ein besonders wertvolles Genre. … Wir brauchen Offenheit und Transparenz, um dieses Genre pflegen zu können. Daher ist uns eine Debatte über Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms besonders wichtig.«
Diese Debatte hat der NDR jetzt.
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Ein mögliches Missverständnis möchte ich gerne vorab vermeiden: die Filmemacherin Elke Lehrenkrauss hat sich aus meiner Sicht nicht korrekt verhalten. Man kann noch darüber streiten, wie sie den Inszenierungscharakter mancher Szenen sowie die Tatsache, dass manche der Protagonisten, die im Film zu sehen sind, von anderen Laien gespielt werden, im Film hätte erkennbar machen sollen. Auch darüber, ob sie das überhaupt hätte tun müssen.
Es gibt Dokumentarfilme, die inszenierte Szenen und nicht inszenierte, Fiktion und Beobachtung miteinander vermischen, und nicht kenntlich machen, wann es sich um inszenierte Szenen handelt. Sie gehen allerdings – in der Regel zurecht – davon aus, dass die Vermischung erkennbar ist. Nach meinem Geschmack wäre es das Beste gewesen, der Abspann von Lovemobil hätte entweder die Aussage enthalten, dass zwar alles, was der Film zeigt, auf langjährige Recherchen zurückgeht, dass aber einige im Film zu sehende Szenen nachinszeniert wurden, vielleicht mit der zusätzlichen Begründung, dass dies zum Teil geschah, um Protagonistinnen zu schützen, und zum Teil, weil es nicht möglich ist, in bestimmte Milieus mit einer dokumentarisch beobachtenden Kamera vorzudringen.
Es wäre auch eine Lösung gewesen, im Abspann einfach Darsteller zu nennen und hinter den Rollennamen den Klarnamen aufzuführen.
Aber selbst wenn sie beides nicht getan hätte, hätte es einen korrekten Ausweg für Lehrenkrauss gegeben. Sie hätte bei einer der ersten Aufführungen des Films, spätestens als die erste auch nur vage in diese Richtung gehende Anfrage aus dem Publikum oder von Journalisten kam, in ihrer Antwort klarmachen können, wie sich die Dinge verhalten. Sie hat alles dies aber nicht getan. Im Gegenteil hat sie in einigen Interviews, die ich gelesen habe, Antworten gegeben, die einen
verschleiernden Effekt haben, und in denen sie sehr deutlich erkennbar die Antwort, die eigentlich gegeben werden müsste, vermeidet.
Darum sollte man nicht herumreden.
Die moralische Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist aus meiner Sicht vor allem die: Angenommen, es wäre auch weiterhin zu keiner Recherche und zu keinen Nachfragen von Sendern und Journalisten zu ihrem Film gekommen – wann wäre denn für Lehrenkrauss der Zeitpunkt gewesen, die Wahrheit zu
sagen? Immerhin hat sie in mehreren Interviews betont, sie habe sich mit der Lüge immer unwohl gefühlt. Weil ich ihr das glauben möchte, frage ich mich umso mehr: Wann und in welcher Weise hätte sie dazu beigetragen, sich wieder wohler zu fühlen?
Was ich Lehrenkrauss allerdings auch glaube: Dass sie sich während des ganzen Produktionsprozesses und als ihr klar wurde, dass sie den gewünschten Beobachtungsfilm nicht machen konnte, dass sie Inszenierungen braucht, um das Nicht-Filmbare doch noch filmbar zu machen, nicht getraut hat, der Redaktion gegenüber unverblümt die Wahrheit zu sagen. Sie hat dies in ihrer Sicht in verblümter Form getan.
Entscheidend hier ist aber das auch von vielen anderen erwähnte
Machtverhältnis. Die Tatsache, dass Filmemacher, insbesondere junge und Nachwuchs-Filmemacher – und auch wenn sie heute 42 Jahre alt ist, ist Lehrenkrauss in dem Sinn eine Nachwuchs-Filmemacherin, als dies ihr erster langer Dokumentarfilm war.
Und hier nun kommen wir wieder zum NDR.
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Die Sichtweise des NDR interessiert mich sehr. Weil das so ist, habe ich bereits in der Woche vor Ostern versucht, auch mit dem für den Film verantwortlichen NDR-Redakteur Timo Großpietsch persönlich Kontakt aufzunehmen. Zumal Großpietsch in der Branche einen hervorragenden Ruf genießt, an dem zu zweifeln ich keinerlei Anlass habe, und weil ich davon persönlich überzeugt bin, dass ihm die Art, wie sein Haus mit der Causa Lovemobil umgeht, auch nicht besonders gut gefällt, war es mir wichtig, seine eigene Sicht auf die Angelegenheit zu hören. Und zwar vorbehaltlos, zu seinen Bedingungen. Das heißt: ich habe angeboten, ein Interview zu führen, aber auch angeboten, falls ihm dies lieber wäre, sich zu einem Hintergrundgespräch unter vier Augen zu verabreden.
Anbieten konnte ich dies allerdings nur einem mir namentlich nicht bekannten jungen Mitarbeiter, der offenbar im Vorzimmer das Telefon mit der Direktdurchwahl von Timo Großpietsch betreut. Als ich meine Anfrage dargelegt hatte, wurde ich von jenem Vorzimmermitarbeiter mehrfach auf die Pressestelle verwiesen. Ich sagte dem Herrn, dass mir die Nummer der Pressestelle sehr wohl bekannt sei, und ich dort angerufen hätte, wenn ich es gewollt hätte. Da ich ungern mit Menschen über Dritte kommuniziere, habe ich mich nicht an die Pressestelle gewandt und dies Großpietsch auch wissen lassen, und ihm mit der Bitte um Kontaktaufnahme meine Kontaktdaten zurückgelassen. Vielleicht meldet er sich ja noch die nächsten Tage.
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Die Rolle, die der NDR in dieser Angelegenheit spielt, ist gelinde gesagt weniger eindeutig, als er sie darstellen möchte.
Und gerade durch die Art und Weise, wie der NDR diese Angelegenheit öffentlich spielt, wird aus der Affäre Lovemobil auch eine Affäre NDR.
Vieles ist scheinheilig: Der Kommentar des NDR etwa, warum der Film nicht wieder – wie von vielen Zuschauern und der Fachbranche gewünscht – online gestellt wird. Der NDR behauptet, er habe ernsthaft erwogen, den Film der Öffentlichkeit »mit einer Kennzeichnung der inszenierten Szenen zur Verfügung zu stellen, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann«. Doch, so behauptet der Sender, möchten »einige der Darsteller aus dem Film nicht mehr gezeigt werden. Wir möchten den
Wunsch der Betroffenen entsprechen und werden den Film daher momentan nicht mehr veröffentlichen.«
Schon daraus ergeben sich mehrere wichtige Fragen. Zunächst einmal diese: Was heißt „momentan“? Wann und unter welchen Voraussetzungen wird der NDR denn den Film wieder veröffentlichen? Vor allem aber: Hat der NDR überhaupt das Recht, über eine Veröffentlichung zu entscheiden? Die Rechte liegen bei der Produzentin und Regisseurin. Der NDR hat eine Lizenz.
Letztendlich ist die Produzentin auch dafür verantwortlich, ob die Darsteller ihre Genehmigung gegeben haben, und sie muss es rechtlich verantworten und auch moralisch, ob der Film gegebenenfalls auch ohne heutiges Einverständnis Beteiligter der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Denn es ist ja gerade strittig, ob die Darsteller wussten, was für ein Film gemacht wird oder nicht. Und diese Unklarheit wird nicht dadurch entschieden, dass sich der NDR auf die eine, ihm
bequemere Seite schlägt.
Denn machen wir uns nichts vor: Würde der Film online zu sehen sein, könnten sich die Zuschauer auch darüber ein Bild machen, wie leichtfertig der NDR offenbar mit dem Film umgegangen ist. Denn um es noch einmal zu wiederholen: Jeder, der diesen Film sieht und ein bisschen von Dokumentarfilm versteht – also beispielsweise die Dokumentarfilm-Redaktion des NDR – kann sehen, dass dieser Film inszenierte Szenen enthält.
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»Dokumentarfilmer beuten sich aus und leben im Prekariat – ich hätte nie gedacht dass ich diese Aussage in einem Beitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hören würde. Und ich freue mich darüber, dass diese Erkenntnis auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ankommt.
Darum bin ich froh, dass ›Lovemobil‹ jetzt einen Anlass bietet, um über diese Arbeitsituation und über die Produktionsbedingungen zu sprechen.«
Stefan Lamby
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Schon durch die krawallige Strg_F-Reportage war klar, dass der NDR aus seinen eigenen Versäumnissen Kapital schlagen will und diese auf seine sehr eigene Weise in den verschiedenen eigenen Medien bestritt. Also gab es auch etwas mehr als eine Woche nach Bekanntwerden der Angelegenheit eine Zapp-Sendung, die zur einen Hälfte aus dem Recyceln von schon früher gezeigtem Material bestand, zur anderen aus einer Diskussion von drei Teilnehmern: Susanne Binninger von der AG Dok, der fürs Fernsehen tätige Dokumentarfilmer Stephan Lamby und Anja Reschke, Leiterin des Programmbereichs Dokumentation und Kultur beim NDR.
Vor allem der Auftritt von Anja Reschke war eine Frechheit. Allerdings eine Frechheit, die unfreiwillig die Verhältnisse bloßlegt, mit einer Offenheit, wie sie selten im Fernsehen zu sehen ist: Mit einer Paarung aus Arroganz und Ignoranz, aus Desinteresse und Hochmut, aus Verachtung gegenüber den Filmemachern und für die Filmkunst, für Kunst überhaupt, die Verbindung aus Unkenntnis und Kulturfeindlichkeit.
Auf die Frage, ob Lehrenkraus der Film weggenommen worden wäre: »Naja, also was heißt weggenommen? Das weiß ich sowieso nicht, was sie damit meint. Natürlich ist dieser Film für den Dokumentarfilm-Platz. Und der Dokumentarfilm Platz hat das Versprechen, dass er ein journalistisch oder ein wie soll ich sagen nachprüfbares recherchiertes Produkt ist, das die Wirklichkeit darstellt – was immer die Wirklichkeit ist. Ich nehme an, man hätte schon eine Lösung gefunden.«
Auf die Frage nach dem Charakter des Films wird mit Rufschädigung gespielt: »… zum Beispiel hat die nicht mal Rechercheberichte. Also ich weiß gar nicht, ob sie recherchiert hat. ... Ist dann The Crown auch etwas Dokumentarisches? ... Sie wollte keinen Produzenten. Sie wollte mit niemandem zusammen arbeiten. Sie wollte auch nicht mit STRG_F zusammenarbeiten.«
Zur Finanzierung: »Der Film ist unterfinanziert, behauptet sie. Ich kann keine Summe nennen, weil das unterliegt der Schweigepflicht. … es wird ein Budget mit der Autorin verhandelt. Dieser Film findet statt bei ihr vor der Haustür, da hat sie also keine großen Reisen, in einem relativ kleinen Gebiet mit relativ wenigen Protagonisten. Dass sie fünf Jahre gebraucht hat, war ihr Problem, war ihr Ding.
Niemand hat gesagt, dass man für diesen Film fünf Jahre braucht.
Wir
haben Geld hinterher geschossen. Mein Eindruck ist: Der Druck war der, dass sie ihren Film nicht fertig gekriegt hat. ...
Ich finde nicht, dass man diese Verantwortung dem Sender übergeben kann. Der Film ist absolut in Ordnung bezahlt gewesen. …
Wenn ich höre, 85 Prozent aller Dokumentarfilmer arbeiten im Prekariat – der Rundfunk kann ja nicht alle Menschen, die sich entschieden haben Dokumentarfilmer zu werden, finanzieren.«
Mit anderen Worten: Anja Reschke hat ein gutes Gewissen.
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So legte Anja Reschke die Hauptprobleme des öffentlichen Fernsehens unfreiwillig bloß: Es sind allzu oft Banausen und Kulturfeinde, die hier an den Schaltstellen sitzen.
Dies sind die Hauptprobleme. Hier wird deutlich, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich als Kulturkraft selber abschafft. Und hier sieht man, warum das Kino dringend aus dem Klammergriff dieser Sender befreit werden muss.