Stupid fucking Hippies! (& Günter Netzer) |
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Porträt des Serienmörders als junger, schöner und alter Mann | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
Out of the blue and into the black
You pay for this, but they give you that
– Neil Young, Into the Black
Vor allem für fußballaffine Deutsche dürften die ersten Minuten der BBC-Netflix-Mini-Serie The Serpent (Die Schlange) ein wenig verstörend sein, gleicht doch der im Zentrum stehende stoische Anti-Held, der historisch verbürgte und von Tahar Rahim verkörperte Charles Sobhraj, der Fußball-Legende Günter Netzer auf verblüffende Art und Weise. Nicht nur das Äußere in Kombination mit der versteinerten Mimik und Gestik von Netzer, sondern auch das gleiche Geburtsjahr (1944) und eine eher kontroverse, ernüchternde Haltung gegenüber der Hippie-Ideologie der 1970er Jahre (Netzer: »Am Samstag stehen elf Geschäftsleute auf dem Platz, von denen jeder seine eigenen Interessen vertritt. Sie suchen zusammen den Erfolg.«) verleiten zu völlig unerwarteten Gedankenspielen. Völlig zu Unrecht natürlich. Denn Netzer hat inzwischen auch das Schweizer Bürgerrecht, Sobhraj hingegen, vietnamesisch-indischer Herkunft, hat zwar einen französischen Pass, sitzt aber auch im Jahr 2021 mit inzwischen äußerst fragiler Gesundheit weiterhin in einem nepalesischen Gefängnis seine lebenslange Strafe ab.
Eine Strafe, die umso seltsamer anmutet, als Sobhraj sie durchaus hätte vermeiden können. Warum, wieso, weshalb, davon haben bereits die Sachbücher »Serpentine« von Thomas Thompson (1979), Richard Nevilles und Julie Clarkes »The Life and Crimes of Charles Sobhraj« (1980) und Noel Barbers Kapitel »The Bikini Murders« im Reader’s Digest »Great Cases of Interpol« (1982) erzählt. Dementsprechend sehen sich auch die filmischen Auskoppelungen des Sachbuchmaterials an, die sich zum einen auf Nevilles und Clarkes Fakten (Shadow of the Cobra, 1989) beziehen, zum anderen mit Bollywood-Mitteln aus der indischen Perspektive erzählen (Main Aur Charles, 2015).
Die von Richard Warlow und Toby Finlay geschriebene und von Tom Shankland und Hans Herbots in Szene gesetzte Serie geht über diese Ansätze weit hinaus. Sie hat als Serie natürlich auch mehr Zeit. Sie kann sich sowohl auf Sobhraj konzentrieren als auch auf die Vertrauten an seiner Seite, im Besonderen auf die Franco-Kanadierin Marie-Andrée Leclerc (Jenna Coleman) und den Inder Ajay Chowdhury (Amesh Edireweera), die Sobhraj bei seinen Morden an Hippies und/oder Backpackern in Indien, Nepal und Thailand zur Seite standen.
Diese Morde stehen vor allem in den ersten vier Folgen im Mittelpunkt, in denen die Serie immer wieder auch mit dokumentarischen Aufnahmen aus den 1970er den Hippie-Trail, die Überlandroute nach Asien, dokumentiert. Wir sehen Bilder aus einer anderen Zeit, einer Zeit, in der Afghanistan nicht für seine Kriege, sondern für die preiswerten Drogen in hervorragender Qualität und seine atemberaubenden Landschaften bekannt war. In Thailand, in der ein Großteil von Die Schlange spielt und wo auch bis Pandemiebeginn on-location gedreht wurde, sind 1975 die Nachwehen des Vietnamkriegs – jedenfalls in dieser Serie – nur in Ansätzen zu spüren. Vielmehr konzentriert sich der Blick der Drehbuchautoren auf das koloniale Nachspiel dieses Krieges in der Person von Sobhraj, der als Mischlings-Kind (»A half cast boy«) aus Saigon und später in Paris immer wieder rassistischen Attacken ausgesetzt ist und verzweifelt nach seiner Identität sucht. Als Kind eines Inders und einer Vietnamesin und später eines französischen Stiefvaters ist Identität für ihn noch einmal mehr ein fast schon hoffnungsloses Unterfangen, was seinen Hass auf Hippies zusätzlich nährt, schmeißen die Hippies doch ihre in die Wiege gelegten nationalen Identitäten nicht nur weg, sondern eignen sie sich im Drogenrausch gleich eine neue an: »Stupid fucking Hippies! They travel only to acquire. It’s another form of imperialism.«
Diese so private wie ideologische Kritik mag dann auch der moralische Trigger gewesen sein, der Sobhraj dazu bewog, das Leben, das auch Günter Netzer so liebte (teure Autos, tolle Frauen), mit den Geldern und Ausweisen toter Hippies zu finanzieren. Mit seinen Komplizen Marie-Andrée und Ajay gelang es ihm darüber hinaus, einen Edelsteinhandel zu etablieren und über die noch gültigen Visa in den mit eigenen Fotos gefälschten Ausweisen der Toten eine rege Reisetätigkeit zu entwickeln. Erst mit dem Tod eines holländischen Paares gerät das Trio dem holländischen Botschaftsmitarbeiter Herman Knippenberg (Billy Howle) und seiner Frau Angela Knippenberg (Ellie Bamber) ins Visier, die sich mit Hilfe eines ebenfalls Verdacht schöpfenden französischen Paares gegen eine träge und unterfinanzierte Polizei und die völlig desinteressierte und dünkelhafte Botschafterszene durchzusetzen versuchen.
Konzentriert sich der erste Teil auf diese Entwicklungen und baut sie konsequent mit klassischen Thriller-Motiven und einem bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzten Ensemble aus, werden in den letzten drei der acht knapp einstündigen Folgen die Fragen nach Identität und die Auswirkungen eines lebenslang erfahrenen Rassismus immer präsenter. Obwohl auch hier einige Passagen von Sobhrajs (realem) Leben fehlen bzw. der Dramaturgie wegen geopfert oder verändert werden (etwa die Rolle von Shobrajs Bruder oder seiner ersten Frau), zeigen sich aber gerade hier die Vorteile des Formats Serie. Würde ein normaler Langfilm es beim Porträt des Mörders als schöner Mann belassen müssen oder sich nur auf dessen Jugend konzentrieren können, kann die Serie weitere Erzähllinien einflechten und sogar noch mal Tempo und Stil variieren, wird im Fall von Die Schlange der Vergangenheit und den psychogrammatischen Hintergründen nun mehr Raum gegeben.
Anders als in den ersten Folgen, in denen mit stroboskopartigen Brüchen der linearen Erzählzeit experimentiert wird, manchmal im Minutentakt Rück- und Vorausblenden angestrengt werden, um die Spannung zu erhöhen, wird sowohl das Coming-of-Age von Sobhraj als seine späten Jahre in ruhigeren, längeren Abschnitten erzählt. Erhalten auch die Nebenfiguren deutlich mehr Konturierung und werden die stark hierarchischen Beziehungsmodelle und psychischen Abhängigkeiten auf ihre Tauglichkeit überprüft. Dieser Wechsel vom »rockenden« Serienmörder zum Mann mit Charakter, vom action- und spannungsgetriebenen »Urlaubsfilm« zum ernstzunehmenden Gesellschaftsporträt bietet dem Betrachter dann auch endlich die dringend notwendigen Identifikationsmöglichkeiten, so dass am Ende sowohl Sobhraj als auch der fast ebenso besessene Knippenberg zu komplexen Persönlichkeiten werden und ein wenig so wie in Michael Manns Heat Jäger wie Gejagter, Böse wie Gut zu einem gleichermaßen akzeptierten Code menschlichen Seins werden.
Diese Relativierung der Moral ist jedoch alles andere als eine Seligsprechung, passiert sie doch dediziert vor den mal mehr oder weniger zugänglichen Chiffren einer Welt, in der jeder auf jeden, der ein wenig dunklere Hautfarbe hat, hinabblickt und am Ende nicht nur Marie-Andrée Stigmatisierungen gegenüber Sobhraj verfällt, sondern auch Sobhraj seinen Freund und Komplizen Ajay als »little brown thug« bezeichnet, um ihn zu »entsorgen« und gleichzeitig damit das tut, was wir aus jüngeren Identitätsromanen wie Mithu M. Sanyals Identitti, Charles Yus Interior Chinatown oder Ocean Vuongs On Earth We’re Briefly Gorgeous so gut kennen: der herrschenden (weißen) Moral immer ein Stück voraus sein zu müssen, um dann doch nicht der bessere Mensch (Weiße) sein zu dürfen.
Immerhin begehrt Sobhraj am Ende gerade wegen dieser nicht erfüllbaren Sehnsucht noch ein letztes Mal auf, um zwar zu scheitern, aber immerhin Neil Youngs 1979 (kurz bevor der Hippie-Trail durch die Invasion der UdSSR in Afghanistan aufhörte zu existieren) veröffentlichtem Spät-Hippie-Punk-Song Into the Black fast schon ironisch nachzueifern: »It’s better to burn out than to fade away«.
Das macht Sinn.
Im Film allerdings wohl mehr als im wirklichen Leben, auch wenn Sobhraj zumindest in den indischen Gefängnissen durch sein Edelsteinvermögen ein äußerst bevorzugtes Leben führen konnte, das wohl besser war als die französische Alternative – als Asiate in einem Pariser Gefängnis allein wegen seiner Herkunft zu landen. Ungeklärt bleibt leider, ob sich Sobhraj wie Günter Netzer aus finanziellen Gründen ebenfalls irgendwann für die Schweiz entschieden hätte, wäre er in Mönchengladbach und nicht in Saigon geboren worden.
Die Schlange ist seit dem 2. April 2021 auf Netflix abrufbar.