13.05.2021

»Wir sind nicht nur in der Politik Internationalisten.«

Utopia in Babelsberg
Eine überraschende, unbekannte Geschichte des deutschen Kinos
(Foto: rbb/DEFA-Stiftung)

Ein Film zur vergessenen Geschichte des Science-Fiction-Kinos in der DDR

Von Rüdiger Suchsland

Eolomea, Signale – Ein Welt­raumaben­teuer oder Der schwei­gende Stern – wer kennt diese Filme? Es sind besonders ausge­fal­lene Exemplare einer an sich schon sehr seltenen Spezies: Seit Metro­polis und Frau im Mond, beide von Fritz Lang, führt der Science-Fiction Film in Deutsch­land ein Schat­ten­da­sein. Während es in der Bundes­re­pu­blik nach dem Krieg bis auf die Serie der Raum­pa­trouille Orion gar keine SF-Filme gab, kam das Genre ausge­rechnet in der DDR seit Ende der 1950er für etwa 15 Jahre zu einer kurzen Blüte.
Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Ende 50er und Anfang der 60er Jahre feierte auch die sowje­ti­sche Raumfahrt ihre größten Triumphe: Der »Sputnik-Schock« erschüt­terte den Westen, die Welt­raum­fahrten von Kosmohündin Laika und vor allem des Kosmo­nauten Juri Gagarin, der als der erste Mensch im Weltall in die Geschichte einging. Es war diese kurze helle opti­mis­ti­sche Epoche, in der auch der Science-Fiction des DDR Kinos boomte.

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Zugleich waren diese Filme wie letzten Endes die ganze Raum­fahrt­an­stren­gung jener Epoche Kinder des Kalten Kriegs. Zum Beispiel Der schwei­gende Stern vom Thälmann-Film­bio­gra­phen Kurt Maetzig aus dem Jahr 1960 – dies ist keine Utopie, sondern im Gegenteil: Eine Dystopie, aus der der Bessere erst entspringt. Der Schatten von Hiroshima und die Drohung durch das atomare Wett­rüsten liegen wie ein dunkler Schatten über dieser Geschichte, die auf eine Vorlage von Stanislaw Lem zurück­geht.
Eine Japanerin erklärt: »Niemals darf ich ein Kind empfangen. Denn es würde eine Miss­ge­burt werden, ein Ungeheuer. Für mich hat sich damals alles entschieden – mit der Bombe von Hiroshima.«

Der Film entwirft erst im weiteren Verlauf das harmo­ni­sche Bild einer soli­da­ri­schen Gemein­schaft. Man muss dies nicht auf die Kriegs­er­fah­rung von Maetzig zurück­führen – aus der konnten, wie man weiß, auch ganz andere Träume und Ideen entwachsen.
Sondern es entspringt doch eher der Stimmung der Epoche: Es geht um den Entwurf einer zukünf­tigen Welt­ge­mein­schaft, wenn ein Chinese, ein Japaner, ein Deutscher und später sogar auch noch ein US-ameri­ka­ni­scher Atom­phy­siker mit an Bord kommen, bevor ein Raum­schiff zur Venus startet. Etwas bieder, aber nicht falsch erklärt der sowje­ti­sche Held: »Die Landung auf der Venus kann nicht die Sache nur einer Nation sein. Wir sind nicht nur in der Politik Inter­na­tio­na­listen. In einer fried­li­chen Welt behalten wir unsere Ergeb­nisse nicht nur bei uns.«

Der schwei­gende Stern war nicht nur ideo­lo­gisch progressiv, sondern auch in seinem Design und seinen futu­ris­ti­schen Zukunfts­ent­würfen – bei den Bauten griff der Regisseur auf die Babels­berger Tradition und das Personal zurück. Für die Tricks war der Könner Ernst Kunstmann zuständig, der schon in der Weimarer Republik bei Fritz Langs Metro­polis mitge­ar­beitet hatte.

Über Science-Fiction definiert eine Gesell­schaft ihr Verhältnis zur Zukunft. Und wenn eine Gesell­schaft keine Science-Fiction-Bilder hat, dann kann man folgern, hat sie in einem gewissen Sinn auch keine Zukunft.
In der DDR der frühen 60er war die Zukunft nichts Fernes, sondern eigent­lich lebte man schon mitten­drin. Technik-Euphorie, die Gleich­heit einer Nach­kriegs­zeit­auf­bau­ge­sell­schaft und Weltraum-Fantasie flossen zusammen.

Dem verges­senen Thema der DDR-Science Fiction widmete sich jetzt die Fern­seh­do­ku­men­ta­tion Utopia in Babels­berg – Science Fiction aus der DDR. Sie stammt vom Berliner Film­kri­tiker Knut Elster­mann und wurde vom RBB produ­ziert aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums der DEFA, der ostdeut­schen Film­pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft.

Der Film zeigt das auch mit dem Blick auf Nach­bar­felder: Denn zumindest gestreift wird auch, dass es Science Fiction in der DDR nicht nur im Kino gab. Vielmehr exis­tierte eine breite und diffe­ren­zierte Autoren­szene, die Anfang der 70er Jahre einen großen Aufschwung erlebte.

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Um 1980 war dann aber auch in der DDR die Zukunft aufge­braucht – ähnlich wie im Kino des Westens, wo mit Meis­ter­werken wie Alien und Blade Runner opti­mis­ti­sche Science-Fiction ins Pessi­mis­tisch-Dysto­pi­sche umkippte.

Was diese über­ra­schende, unbe­kannte Geschichte des deutschen Kinos beim heutigen Betrachter bewirkt, das ist zum einen die große Lust darauf, mehr Science Fiction auch aus anderen Ländern zu der gleichen Zeit zu sehen – aus der opti­mis­ti­schen Epoche der späteren Nach­kriegs­zeit zwischen Ende der fünfziger und Mitte der 70er Jahre.
Und dann entdeckt man in sich selbst den Wunsch, doch noch einmal so unschuldig an eine bessere Zukunft zu glauben, wie es den damaligen Filmen und ihren Menschen ganz selbst­ver­ständ­lich gelang.

Utopia in Babels­berg – Science Fiction aus der DDR ist in der ARD-Mediathek abrufbar. Seit Dienstag 11.05. blickt das RBB Fernsehen eine Woche lang mit insgesamt 23 Spiel­film­klas­si­kern, Doku­men­ta­tionen und Kinder- und Märchen­filmen unter dem Titel »DEFA 75« auf die ostdeut­sche Film­ge­schichte zurück. Ab 16. Mai gibt es zudem einen großen Themen­schwer­punkt zu 75 Jahren DEFA in der ARD Mediathek, in der viele der hoch­karä­tigen Spiel­filme und Doku­men­ta­tionen online verfügbar sind.