Zukunftsmusik? |
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Mulan schuf 2020 den Präzedenzfall, als es direkt zu Disney+ ging. Filme waren plötzlich nicht mehr fürs Kino da | ||
(Foto: Disney Plus) |
Von Dunja Bialas
Was ist denn unser Geschäftsmodell?, fragte der Chef der mächtigen Filmförderungsanstalt Peter Dinges am vergangenen Dienstag beim größten Kinokongress der Branche, der dieses Jahr dem Thema »Kino digital« gewidmet war. Die Branche, Segment »Big Player«, blieb auf dem Panel »Neue Auswertungsstrategien« unter sich und zeigte sich erwartbar einig. »Begeisterung, Glück, Gemeinschaft« sei das Geschäftsmodell, das den Film im Kino halte. Einvernehmlich wurde der Kinosaal als Zugpferd für die Filmauswertung herausgestellt.
Yvonne Magwas, filmpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied des Ausschusses Kultur und Medien, stellte der versammelten Branche prompt eine Hausaufgabe. Bis zur nächsten Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG) Ende 2023 soll sich die Branche darüber verständigen, wie die Handhabung des Kino-Auswertungsfensters in Zukunft aussehen könnte. Während in diesen Tagen mit einem »Verlängerungsgesetz« die coronabedingte filmpolitische Stagnation konsolidiert wird, wird hier zunächst auf Duzhöhe an der Novellierung weitergearbeitet.
Werden wohl neben dem in Person von Christine Berg anwesenden Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) auch die auf Arthouse spezialisierte AG Kino Gilde sowie der alternative Verbandszusammenschluss »Initiative Zukunft Kino + Film« (unter dem Dach befinden sich u.a. AG Dok, Bundesverband Regie, Verband der deutschen Filmkritik, Hauptverband Cinephilie, Bundesverband kommunale Filmarbeit) in solche Überlegungen einbezogen? Oder sollen es die Branchengroßen am liebsten einfach selbst unter sich regeln?
Von bis zu acht Wochen für den Lizenzfilm (also Filme ohne deutsche Produktionsbeteiligung) (Fred Kogel, Leonine) bis zu drei oder vier Monaten für den deutschen Film (Torsten Frehse, Vorstand AG Verleih) gibt es eine Bandbreite an Vorschlägen, wie die Exklusivität des Films für das Kino aufrechterhalten werden könnte. Erstaunlich ungeschoren kam Fred Kogel mit seinem Faux pas davon, Boandlkramer an den gerade öffnenden Kinos vorbei direkt zu Amazon Prime geschleust zu haben. Dem größten »Independent-Verleiher«, wie der Leonine-Chef seine Firma selbst beschreibt, erwuchs daraus kein Vorwurf.
Begeisterung, Glück, Gemeinschaft – das sind freilich die Gemeinplätze einer äußerst harmlos verstandenen Kinokultur, die sich in erster Linie als kommerzielles Geschäftsmodell versteht. Andere Sichtweisen deutete Torsten Frehse lediglich an, wenn er davon sprach, dass ein Film auch Zeit brauche, um sich entfalten zu können. Ein »Film, der im Kino floppt, floppt auch online«, so seine Vermutung angesichts der allgemeinen Kongress-Bereitschaft, die Stream-Auswertung rascher für kassenschwache Filme gelten zu lassen.
Gregory Theile der großen Kinopolis GmbH, die überwiegend Multiplexe betreibt, will »das noch ein paar Jahrzehnte so machen«, mit der derzeit sechsmonatigen Kinoauswertung deutscher Filme. Mehr exklusive Auswertungszeit hieße für die Kinos auch bessere Planbarkeit. Er habe außerdem keine Angst, dass auch in Zukunft große Titel wie Mulan oder Wonder Woman 1984 am Kino vorbeigingen, dafür habe sich die Erträglichkeit von Kinos für die Filmauswertung zu deutlich gezeigt. Auch wenn die großen Streamer hinsichtlich der Einspielergebnisse eine lediglich »nordkoreanische Offenheit« zeigen, so Torsten Frehse, sei doch durchgesickert, dass die Zahlen »nicht richtig gut« seien. Außerdem seien viele Filme, die online gezeigt würden, »Convenience-Qualität«, eine interessante Umschreibung des Direct-to-Consumer-Verfahrens, das Filme am Kino vorbei direkt zum Konsumenten bringt. Der dann nur noch seinen Fernseher anschalten muss.
Einig war sich die Branche: Man müsse erst einmal das Ende von Corona und die Long-Covid-Effekte abwarten, um den Markt gegebenenfalls neu zu justieren. Bis zur Gesetzes-Novelle hat sie dafür nun zwei Jahre Zeit. Absehbar ist schon jetzt eine flexibler aushandelbare Sperrfristhandhabe, was in der FFG-Richtlinie festgehalten werden soll. »Den dynamischen Zeiten gerecht werden«, lautete allgemein das Credo.
Gegen Schluss des Panels stellte Politikerin Magwas noch eine interessante Forderung in den Raum, die das »Geschäftsmodell« Kino zu einem Gesellschaftsmodell ausweiten könnte und den anwesenden Geschäftsmännern den Stachel des auf sich selbst bedachten, gewinnorientierten Denkens zog: Kinos seien Erlebnis- und Kulturorte. Davon ausgehend müsse weiter gedacht werden. Die Kommunen sollten Kinos als Teil der Stadtgesellschaft und des Stadtentwicklungskonzeptes betrachten. Daran müssten alle Akteure gemeinsam arbeiten, die Film- und Kinobranche, die Bürgermeister*innen und Stadträte.
Womit der Kongress dann auf einmal doch ein wenig Zukunftsmusik versprühte, würde dies doch den Weg zu einer integrativen Kulturförderpolitik jenseits bloßer Geschäftsmodelle ebnen.