Weitschweifender Blick aus dem Regionalfenster |
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Verweist fragmentarisch auf das Ganze: Deren Ercenks Berzah | ||
(Foto: Kunsthochschule für Medien Köln) |
Von Dunja Bialas
Eigentlich hatte Festivalleiterin Insa Wiese doch schon letztes Jahr ordentliches Pech gehabt. Im März 2020 startete sie ihr Festival in Regensburg, die renommierte Kurzfilmwoche – und musste dann jäh abbrechen. Corona war da. Die Kinos wurden geschlossen, und Insa Wiese erwischte die erste Welle wie ein Tsunami. Das Festivalprogramm wurde fortgespült, ohne dass sie für Vorrichtungen hätte sorgen konnte.
Dieses Jahr sollte alles anders werden. Insa Wiese hatte ihr Festival vorsorglich gleich auf Ende Mai verschoben. Im Januar hatten die Impfungen begonnen, mit dem Frühjahr und den ansteigenden Temperaturen war zu rechnen, auf eine entspannte Lage Ende Mai war zu hoffen. Doch dann kam die dritte Corona-Welle mit der britischen Mutante, und schon wieder wurden Wieses Hoffnungen begraben. Doch diesmal war sie gewappnet und brachte das Festival kurzerhand in den Online-Modus.
Das gesamte Programm inklusive Diskussionen, aber natürlich ohne die legendäre Zündfunk-Party, die sonst in den alten Gemäuern des »Leeren Beutel« startet (der dann bis spät in die Nacht bumsvoll ist), ist jetzt online zu erleben. Und das Programm ist dieses Jahr bumsvoll bis zum Anschlag. Hier versammeln sich in unterschiedlichen Sektionen und Wettbewerben Kurzfilme ab 2019, die Insa Wiese am besten, interessantesten, herausforderndsten, unterhaltsamsten oder ungewöhnlichsten findet. Angefangen mit dem »Bayernfenster« und »Regionalfenster«, wo die Lokalmatadore ihr Schaufenster finden, über den Deutschen und Internationalen Wettbewerb bis hin zum »Kurzfilmkonfetti« für alle außergewöhnlichen Filme, die in den festen Sektionen nicht unterkommen. Insa Wiese liebt es bunt, aber ohne es allzubunt zu treiben. Bunt, aber mit Anspruch.
Die Buntheit des Programms verdankt sich der Tatsache, dass Wiese keine Sparte meidet. Der Kurzfilm spielt sich bei ihr in allen Formen ab, als Spiel-, Dokumentar-, Animations- und Experimentalfilm. Nur selten findet man Filme mit der verhassten Kurzfilmpointe. Meist sind die ausgewählten Filme nachdenkliche Stücke oder engagierte Statements, aber ohne vordergründige Message. Am meisten wird bei der Online-Ausgabe die Präsenz der quirligen und schnellsprechenden Friesin fehlen, die es nach einem Step-over in Hamburg in das mittelalterliche Regensburg verschlagen hat.
Der deutsche Wettbewerb zog dieses Jahr besondere Aufmerksamkeit auf sich. Zumindest im Kurzfilmbereich gibt es Hoffnung für den deutschen Film, könnte das Fazit lauten. Offenkundig wurde, wie wichtig die kurze Form sein kann, um neue Filmsprachen zu entwickeln, ohne den Druck des Langfilms und ohne Produktionszwänge.
Unter den vielen sehr guten Arbeiten sei hier besonders erwähnt Top Down Memory (2020) des Bildenden Künstlers Daniel Theiler (Deutscher WB 2). Er führt vor, in welchem Maße sich das kurze Format für den essayistischen Ansatz eignen kann, als Godard’sche forme qui pense (denkende Form). Der Film arbeitet mit geteilter Leinwand, was online und auf dem Laptop natürlich nur bedingt funktioniert. Aber die Idee zeigt sich allemal. Zentrum des Films ist die umstrittene Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses und er führt die Problematik in historische Tiefen. Eine schwarze Schauspielerin steht auf dem herrschaftlichen Balkon, von dem viele politische, kolonialistische und unterjochende Dekrete ausgerufen wurden. Aber auch Karl Liebknecht verkündete am 9. November 1918 von einem Balkon aus die Revolution. Umstürze und Zementierungen geschehen von erhöhter Position.
Als Dokumentarfilm herausragend war Nele Dehnenkamps Seepferdchen (2020) (Deutscher WB 1). Ein Mädchen bringt dem Bruder in einem städtischen Schwimmbad das Schwimmen bei, eine ganz alltägliche und doch ungewöhnliche Situation, sind es doch sonst die Helikoptermütter, die den Schwimmfortschritt des Nachwuchses überwachen. Hanan hat ein besonderes Motiv: Sie und Sidar kamen als Flüchtlinge auf einem Schlauchboot über das Meer, sie konnte damals nicht schwimmen. Die Überfahrt hat sich bei ihr als Trauma verfestigt, das sie nur überwinden konnte, indem sie eins mit dem Wasser wurde. Jetzt arbeitet sie daran, dass ihr kleiner Bruder – damals noch ein Baby – nicht auch so ein unbewusstes Trauma entwickelt. Aus dem Off spricht die junge Hanan sehr reflektiert über das Erlebte, während wir sehen, wie sie ihren Bruder unter der Wasseroberfläche balanciert. Dann tauchen beide unter – im hellblauen Schwimmbadwasser entsteht das imaginäre Bild des Untergehens, das in der neuen Geborgenheit allen Schrecken verloren hat. Dehnenkamp (Studentin an der Filmakademie Baden-Württemberg) zeigt, wie Verdichtung durch Engführung geht, und weiß die Bild-Ton-Schere auf sensible Art einzusetzen.
Drei Episoden in einem Kurzfilm, ja geht das denn? Deren Ercenk zeigt mit Berzah (2019) (Deutscher WB 1), dass das sehr gut geht: In drei Kurzerzählungen errichtet sie ein mosaikartiges Bild aus Standardsituationen des Türkeiurlaubs, die allesamt sehr typisch, aber keineswegs touristisch sind. Die nahezu unerträgliche Hitze legt sich als Verklammerung über die Geschichten wie einst die Hubschrauberflüge in Robert Altmans Episodenfilm Short Cuts (1993). Ein Stromausfall in einem All-Inclusive-Hotel, der Sonnenbrand, der sich über der geschundenen Haut ausbreitet, eine steile Treppe und ein Schranktransport in einer verschachtelten Gödel-Escher-Bach-Stadt, Ercenk fängt Situationen mit einem großen Gespür für die Atmosphäre ein, sehr organisch, sehr authentisch, erzählt lakonisch, aber erzählt die Geschichten nie aus. Eine Pointe oder einen Paukenschlag wird man in den Kurzerzählungen der Studentin an der Kunsthochschule für Medien in Köln nicht finden.
Insa Wiese streut in ihre vielfältigen Programme immer auch den Experimentalfilm und hat dafür eine interessante Auswahl getroffen. Für den Stream (tagsüber) leider völlig ungeeignet, aber in der Ahnung eines stillen, essayistischen Werks sei hier Viktor Brims Dark Matter (2020) (Deutscher WB 1) herausgehoben. An der Schwelle zum Dokumentarischen zeigt der Videokünstler Tableaux vom Tagebau zur Rohstoffgewinnung. Die Bilder, allesamt sehr monochrom, dunkel, sind selbst der Rohstoff seiner Kunst – dichter Nebel entbirgt allmähliches Geschehen, Krater klüften sich in der Landschaft auf, schweres Gerät trägt dunkle Erde ab. Ein Film, den man sich auf die Kinoleinwand wünscht.
Auch Anthropocene (2019) von Moritz Schuchmann inszeniert Landschaft als Land Art. Im Hauptberuf Designer, findet der Filmkünstler Linien und Geraden, die die Kulturlandschaft durchziehen und komponiert sie zu einer visuellen Symphonie. Eine Mediation des rechten Winkels, in die man sich gerne fallen lässt.
Immer wieder kleine Inseln setzt der Animationsfilm in die Programme. Zum Schluss sei hier noch ein besonders kunstvoller »Zeichentrick« erwähnt. Der Animationskünstler Frédéric Schuld taucht mit Der Schornsteinsegler (2020) (Deutscher WB 2) in die Realität sogenannter Schornsteinjungen des 19. Jahrhunderts ein. Die Schornsteinjungen, klein und wendig, kletterten im beginnenden industriellen Zeitalter in die riesigen Schlote, um sie zu säubern. Oder um dort nistende Vögel zu vertreiben, wie in dem mit expressionistischer Hand und passenderweise mit Kohlestift äußerst eindrucksvoll gezeichneten Animationsfilm. Ein bedrückendes Bild auf die vergangene Kinderarbeit, die erahnen ließ, wie gefährlich Arbeit einst war. Ob die Schornsteinfeger darüber glücklich sind, dass sie heute vor allem die blinkenden und piepsenden Rauchmelder überprüfen müssen?
Zu wenig Zeit blieb, um auch noch in das Programm des internationalen Wettbewerbs (8 Programme) zu blicken. Mit Siegfried Fruhauf, Sandro Aguilar, Mika Taanila, Peter Strickland finden sich darunter einige bekannte Namen. Der Rest wird eine Entdeckungsfahrt ins Neuland jungen Filmschaffens sein.
27. Kurzfilmwoche Regensburg
21.05.-06.06.2021
Einzeltickets: 5 €
Festivalpass: 40 € (ermäßigt 20 €)
Zum Online-Festival
Panels-Tipps:
Low-Budget Filmmaking (22.5., 11 Uhr)
Wie kommt der Kurzfilm ins Fernsehen? (24.5., 15 Uhr)
Feminismus und Verschwörungstheorien (28.5., 15 Uhr)