Wie die CDU dafür sorgen will, dass Kulturschaffende nicht SPD wählen... |
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Auch so ein Opfer der Pandemie: Carmen Losmanns wunderbarer Film Oeconomia |
»In ›normalen‹ Zeiten, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters, finden 150.000 Kulturveranstaltungen im Jahr statt. ›Wer sich diese Zahl vor Augen führt, kann ermessen, welcher Verlust in Folge der Corona-Pandemie entstanden ist. Ein Verlust an Freude und Genuss beim Publikum, ein Verlust an Ausdrucksmöglichkeiten bei Künstlerinnen und Künstlern der unterschiedlichen Genres, ein immenser ökonomischer Verlust für die Kulturwirtschaft, Kultureinrichtungen, Kulturvereine sowie viele angrenzende Branchen.‹«
- Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats im Juni 2021
»Wenn wir die Schulen voll öffnen, dann gibt es keine Kultur.« sagte Angela Merkel. Und damit war der Scholz-Fonds beerdigt.
Am nächsten Tag, Mittwoch vergangener Woche, standen sie dann »harmonisch« vor der Presse. Olaf Scholz lächelte sein Scholz-Lächeln, und meinte, das komme »genau zur richtigen Zeit«, Monika Grütters schwafelte von einem »Geschenk« für die Kultur, als sei die Staatssekretärin im Kanzleramt eine Feudalherrin, die die Untertanen mal wieder beglücke.
Ihr
freudiges Strahlen war aber berechtigt: Gerade noch rechtzeitig hatte Grütters erkannt, dass Olaf Scholz im Begriff war, sich bei den Kulturfuzzis beliebt zu machen, deswegen war sie mit Hilfe der Kanzlerin voll dazwischen gegrätscht. Gerade noch rechtzeitig. Gerade noch rechtzeitig hat die CDU den Scholz-Fonds zerhauen, und den den Aufbruch der Kultur in die Post-Corona-Welt verhindert.
Einmal mehr beweist diese Anekdote aus dem politischen Berlin, wie Kulturpolitik in Pandemie-Zeiten funktioniert. Nämlich gar nicht. Kultur ist unwichtige Verschiebemasse, »nicht systemrelevant«.
Vielleicht sollten die Kulturmacher einfach eine Bank überfallen. Das wäre am ehrlichsten. Oder, a la Bert Brecht – was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank – beginnen, Geld selber zu produzieren. Ich empfehle dazu Carmen Losmanns wunderbaren Film Oeconomia, auch so ein Opfer der Pandemie. Wachstum entsteht durch Schulden machen, lernt man da, und vielleicht auch, wo das Geld herkommt. Jedenfalls wo es nicht herkommt.
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Seit Mittwoch vergangener Woche laufen in Berlin die Telefone der Kulturpolitiker heiß, weil jeder sich beschwert: »Stümperkram«, »Keine Ahnung von der Praxis«; »Es kann doch nicht wahr sein...« – das waren noch die harmloseren Worte von Praktikern des Kulturbetriebs.
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Der Scholz-Fonds... Schon mal gehört? Gemeint ist nicht der Corona-Rettungsfonds für die Euro-Zone, nicht die Bazooka des letzten Frühjahrs, sondern ein »Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen«, den der Bundesfinanzminister bereits Ende letzten Jahres angekündigt hatte. Ursprüngliches Ziel: Kulturveranstalter sollen ermutigt werden, Veranstaltungen zu planen und vertragliche Verpflichtungen einzugehen, auch wenn die Veranstaltungen aufgrund der Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen voraussichtlich nicht kostendeckend oder gar mit Gewinn durchgeführt werden können. Die Regelung gilt sowohl für öffentliche und öffentlich-geförderte Veranstaltungen, bei denen die Förderung nur einen Teil der Kosten deckt, aber auch für überwiegend privatwirtschaftliche Veranstaltungen, die den Großteil ihrer Kosten aus Eintrittsgeldern decken müssen, oder gar einen Gewinn erwirtschaften müssen. Ebenfalls einbezogen sind Vereine.
Der Fonds beruht auf zwei Säulen. Zum einen handelt es sich um eine Ausfall- und Auffangversicherung, die vor allem dann einspringen würde, wenn eine Veranstaltung in der Zeit ab Sommer 2021 nicht wie geplant durchgeführt werden kann.
Die zweite Säule ist eine Ausgleichsregelung, die dann einspringt, wenn Veranstaltungen nur mit deutlich reduzierter Zuschauerzahl möglich sind und deswegen »nicht kostendeckend durchgeführt werden können«.
Von Anfang an war ein bisschen unklar, wie der Scholz-Fonds genau von funktioniert. Es gab keinerlei öffentlichen Bekanntgaben oder Orientierungshilfen für die Kulturschaffenden. Auf die Ankündigung des Ministers »folgte langes Schweigen« schreibt auch der Chefredakteur von »Politik & Kultur« in der neuesten Ausgabe (6/2021), der immerhin vom Bund finanzierten Monatszeitschrift des deutschen Kulturrats. »Nur bröckchenweise drangen Informationen durch.« Erst seit vergangener Woche, seit dem 26. Mai 2021 ist klar: Der Fonds kommt tatsächlich. Und er soll mit 2,5 Milliarden Euro ausgestattet sein. Das »Geschenk« der Kulturstaatsministerin, dass sie selber weder bestellt, noch bezahlt hat, ist also auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, ein Klacks angesichts von 10-50 Milliarden Lockdown-Kosten pro Woche. Vulgo: Peanuts!
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Aber immerhin. Klar ist allerdings auch, das vieles an dem Fonds jetzt anders gehalten ist, als es ursprünglich von Scholz gedacht war. Und klar ist, dass vieles noch unklar ist, einiges undurchdacht, und das Allermeiste komplett praxisfern.
Das liegt nicht allein daran, dass die dicke Akte aus 35 mit langen Sätzen kompliziert beschriebenen DIN A4 Seiten im Verlautbarungs-Chinesisch der Behördenjuristen gehalten ist, also relativ unverständlich. Sondern die wesentlichen Punkte sind bewusst vernebelt und völlig unklar.
Denn eigentlich geht es der Bundeskanzlerin und ihrem Umfeld nicht um Förderung der Kultur, sondern um deren Verhinderung. Die zeitliche Verschiebung nach hinten, die nebulösen Konditionen, der Verzicht auf Garantien, die Trickserei mit den immer neuen, immer wieder veränderten Zuschauer-Zahlen in der schriftlichen Ausarbeitung – mal 500 Zuschauer, mal 2000 Zuschauer – heißt, genau wie Angela Merkels Satz »Wenn wir die Schulen voll öffnen, dann gibt es keine Kultur.«
eigentlich im Klartext: »Wir wollen jetzt überhaupt keine großen Kulturveranstaltungen.« Sie wollen wegen der Pandemie Kultur-Veranstaltungen verhindern. Aus Ängstlichkeit.
Und damit dies nicht so auffällt, verzögert man den Scholz-Fonds, zieht ihn in den Herbst, wo es normalerweise wetterbedingt kaum noch Kulturveranstaltungen gibt. Das ist ganz klar die Absicht.
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Besonders unklar sind auch die »100 Prozent« Zuschauerzahlen, also die Ausgangsgröße, von der dann die »80 Prozent« ausgerechnet werden sollen, die der Fonds abdeckt. »Das ist natürlich die erste Frage, die ein denkender Mensch stellt: Was ist 100 Prozent?« meinte ein Kulturbeamter eines Bundeslandes.
Eine absurde Folge: Was nicht passt, wird passend gemacht. Veranstaltungen mit im Prinzip hoher Zuschauerzahl über mehrere Tage werden formell in viele kleine Veranstaltungen mit relativ wenig Zuschauern zerschlagen, um besser Gelder beantragen zu können, und um nicht das Gesamtereignis, sondern jeden einzelnen Veranstaltungstag für sich abzusichern – das ist so, als wenn ein Kinobetrieb mit fünf Vorstellungen pro Tag in je drei Sälen pro Woche sich für die Behörden als
»Festival« mit 105 Einzelveranstaltungen darstellen würde.
So war das natürlich nicht gemeint.
Das Ergebnis ist fatal: »Es ist völlig verrückt.« meinte eine Kulturveranstalterin, mit der wir sprachen, »Wir wissen nicht mit wie viel Besuchern wir planen können.« Ein anderer »Wir wissen nicht, in welcher Form wir überhaupt stattfinden können. Und außerdem wissen wir nicht, wenn wir stattfinden, wie der Scholz-Fonds da überhaupt greifen kann.«
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Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats und in dieser Funktion wie gesagt dem Bund durchaus verpflichtet übt kaum verhohlene, nur höflich formulierte Kritik an Geist wie Ausfertigung des Scholz-Fonds: »Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe [28.06.2021; d.R] bestanden allerdings noch einige nicht unbeträchtliche
Hindernisse bei der Umsetzung des Sonderfonds für Kulturveranstaltungen, die hoffentlich bis zum Start der Wirtschaftlichkeitshilfe Anfang Juli und der Ausfallabsicherung Anfang September aus dem Weg geräumt werden können.
Besonders wichtig ist, dass die Antragssteller einen rechtsicheren Bescheid über die Wirtschaftlichkeitshilfe oder die Ausfallabsicherung unmittelbar nach der Antragsstellung erhalten. Nur so kann verantwortlich das unternehmerische
Risiko zur Durchführung einer Kulturveranstaltung unter strengen Hygienebedingungen eingegangen werden. Das ist bislang nicht vorgesehen.
Vertrauen in den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen kann nur entstehen, wenn auch klar ist, dass die Antragsteller auch die Mittel erhalten. Eine reine Registrierung ohne weitere Zusicherung, dass auch Hilfen gewährt werden, wird dies Vertrauen nicht schaffen.«
Eine Ohrfeige. Denn Zimmermann konstatiert nicht nur, dass man dem Bund, salopp gesagt, nicht vertrauen kann, sondern er sagt deutlich: Wenn man jetzt etwas beantragt, gibt es keinerlei Garantie. Ob wirklich Geld fließt, dafür gibt es keinerlei Sicherheit. Keinerlei Bescheid. Am Ende sind die Kulturveranstalter hoch verschuldet, und dann kommt entweder Geld oder es kommt nicht oder es kommt, aber nicht rechtzeitig, sondern erst nach der Insolvenz.
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Es geht noch weiter: »Ein besonderer Pferdefuß ist aus Sicht der Wirtschaftlichkeit dass Hilfe nur für Veranstaltungen bis zu 2000 Teilnehmern beantragt werden kann, und nur 1000 Tickets bezuschusst werden.« »Ein weiteres Hindernis ist der Zeitraum. Bislang ist der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen nur bis zum 31.Dezember 2021 geplant. Dies ist ein viel zu kurzer Zeitraum. Zumal jetzt noch nicht abzusehen ist, ob ab dem kommenden Jahr wieder Veranstaltungen in
gewohnter Größenordnung stattfinden können.«
Zimmermann konstatiert auch die Umständlichkeiten, Bundesgelder über Bundesländer zu beantragen, bei landesübergreifenden Veranstaltungen, wie einer Tournee, für jedes Bundesland einzeln beantragen zu müssen,
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So geht es der Kulturbranche seit Anfang der Pandemie. Es ist nichts passiert. Es hat sich nicht geändert.
Wir erleben: Deutschland kann es einfach nicht. Es ist übrigens auch komplett egal, wer da in Berlin regiert. Es wird immer an denselben Widerhaken hängenbleiben. Denn es dominiert neben der grundsätzlichen Kulturferne der Politik auch die TÜV-Mentalität der Behörden. Es ist gar nicht mal übertriebene Bürokratie oder übertriebener Kontrollwahn. Sondern es ist einfach nur unendliche Praxisferne und Menschenferne.
Diese Haltung führt dann dazu, dass man nicht in der Lage ist, zu verhindern, dass man bei Corona-Testzentren von irgendwelchen windigen Westentaschen-Betrügern mit billigsten Maschen nach Strich und Faden über den Tisch gezogen wird.
Oder man macht einen Kulturrettungsfonds, der die Kultur nicht rettet.
Aber die Union gewinnt die Wahlen. Wetten das?