17.06.2021

Reise zum Goldenen Spatz

Nachtwald
Nachtwald von André Hörmann läuft auch auf dem Kinderfilmfest München
(Foto: Goldener Spatz / André Hörmann)

Das deutsche Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz 2021 ging in die hybride Version und war vom 6. – 12. Juni in Gera, Erfurt und online zu sehen

Von Christel Strobel

Gründung – Geschichte – Struktur

Was mit »Kinder­film­wo­chen« in verschie­denen Städten der DDR begann, wurde ab 1979 als »Natio­nales Festival Goldener Spatz für Kinder­filme der DDR in Kino und Fernsehen« in der thürin­gi­schen Stadt Gera zu einem wichtigen Treff­punkt der einhei­mi­schen Kinder­film- und Fern­seh­schaf­fenden und hatte bald auch Auswir­kungen auf die bundes­deut­sche Kinder­ki­no­szene, die sich damals etablierte. Kinder­filme der DEFA, die mit ihren Geschichten und Quali­täts­maßs­täben das heran­wach­sende Publikum ernst nahmen, gehörten zunehmend zu einem quali­ta­tiven Programm der bundes­deut­schen Kinder­kinos.

Die Reise nach Gera war immer spannend, war es doch die Chance, die umfang­reiche Zwei­jah­res­pro­duk­tion der DEFA-Kinder­filme und TV-Produk­tionen zu sehen und die oft leiden­schaft­li­chen Diskus­sionen der Kreativen zu erleben. Der »Goldene Spatz« war auch ein »Arbeits­fes­tival« und wandte sich von Anfang an sowohl an das junge Publikum als auch an Fachleute. Deshalb hat es – auch dank der Beharr­lich­keit und des persön­li­chen Einsatzes von Enthu­si­asten aus der Kinder­film­branche sowie Anschub-Förder­mit­teln des BMI und Unter­stüt­zung von der Stadt Gera u.a. – die Wende 1989 über­standen und sich zu einem gesamt­deut­schen Treff­punkt entwi­ckelt. 1993 wurde die Deutsche Kinder­me­di­en­stif­tung Goldener Spatz – fortan Trägerin des »Deutschen Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz« – gegründet, 2003 kam die Stadt Erfurt als zweiter Standort des Festivals dazu und seit 2007 findet es in beiden Städten im jähr­li­chen Turnus statt; startet in Gera, wechselt dann nach Erfurt und bietet einen Überblick über deutsche bzw. mit Deutsch­land co-produ­zierte Filme, Fern­seh­pro­gramme und ausge­wählte Onli­ne­an­ge­bote für Kinder.

Während die Preis­träger der verschie­denen Kate­go­rien (Spielfilm, Doku­men­tar­film, Animation) bis 1989 von einer Fachjury bestimmt wurden und eine Kinder­jury aus dem Bezirk Gera zudem Ehren- und Sonder­preise vergab, befand seit der Neustruk­tu­rie­rung eine Kinder­jury über die Haupt­preise – die Goldenen Spatzen. 1993 kamen die Jury­kinder zum ersten Mal aus allen deutschen Bundes­län­dern, seit 2005 auch aus den deutsch­spra­chigen Nach­bar­län­dern.

2019 feierte der Goldene Spatz mit einer Fest­ver­an­stal­tung in Gera sein 40-jähriges Bestehen, 2020 wurde das Festival wegen der Corona-Virus-Rege­lungen von Mai auf September verschoben und erstmals gab es auch eine ergän­zende Online-Ausgabe.

2021 nun fand der Goldene Spatz komplett online statt. Aber die 33 Jury-Kinder zwischen 9 und 13 Jahren waren komplett vor Ort, sichteten und disku­tierten coro­na­kon­form und vergaben ihre Preise.

Wett­be­werb

Langfilme (8)

Langfilme (8) machten einen kleinen Teil des Programms (insgesamt 33 ausge­wählte Beiträge in fünf Kate­go­rien) aus. Der CGI-Anima­ti­ons­film Peter­chens Mondfahrt, die Neuver­fil­mung des gleich­na­migen phan­tas­ti­schen Märchens von Gerdt von Bassewitz aus dem Jahr 1912, das schon Genera­tionen durch die Kindheit begleitet hat, eröffnete das Festival 2021. Regisseur Ali Samadi Ahahi (u.a. drei »Petersson und Findus«-Verfil­mungen) verfasste auch, zusammen mit Arne Nolting, das Drehbuch und hatte hohe Ansprüche an die visuelle Gestal­tung: »Wir haben uns vorge­nommen, den best­mö­g­li­chen in Deutsch­land produ­zierten CGI-Anima­ti­ons­film zu liefern.« Gelungen ist ihm klas­si­sches Family Enter­tain­ment in perfekter compu­ter­ge­ne­rierter Technik. In deren turbu­lenten Welten auf der Fahrt zum Mond gerät aller­dings die phantasie- wie humor­volle, manchmal aber auch traurige und nach­denk­liche Geschichte vom großen Jungen Peter und seiner kleinen Schwester Anna und vom Maikäfer Sumsemann auf der Suche nach seiner Sumsefrau immer wieder in den Hinter­grund.

Auch das deutsch-tsche­chi­sche Fanta­s­y­aben­teuer Die Hexen­prin­zessin, eine Produk­tion des ZDF, Regie: Ngo The Chau, wird von einer Überfülle an Spezi­al­ef­fekten beherrscht, dass es nur so bunt schillert, blitzt, blendet und kracht. Weniger wäre mehr gewesen, zumal es sich hier um eine tiefer­sin­nige Geschichte (nach einem norwe­gi­schen Volks­mär­chen) handelt: Die Prin­zes­sinnen Amalindis und Zottel sind zwar Zwil­lings­schwes­tern, aber total unter­schied­lich – vornehm und pflicht­be­wusst die Eine, eigen­willig und fern jeder höfischen Etikette die Andere. Deshalb hat Zottel Krach mit ihrem Vater, König Goderic. Zu Turbu­lenzen kommt es, als drei Hexen ein bei der Geburt der Zwillinge gegebenes Verspre­chen einfor­dern und die schöne Amalindis, deren Heirat bevor­steht, entführen. Nun machen sich Zottel und Prinz Tanka, der vorge­se­hene Gemahl der Entführten, auf den Weg und treffen bald den Hexen­jäger Bero (Jürgen Vogel), der sie oft uner­wartet unter­stützt. Für Zottel wird es aber auch ein Weg zu sich selbst. Und das über­zeugte auch die Kinder­jury, die den Goldenen Spatzen an Charlotte Krause für ihre Rolle »Zottel« verlieh: »… Die lustige, lebens­frohe und natur­lie­bende Zottel wurde durch Charlotte von einem fiktiven Charakter zu einem glaub­wür­digen Menschen.«

Um Träume, die gefähr­lich werden können, geht es im Film Nachtwald von André Hörmann, Regie und – zusammen mit Katrin Milhahn – Drehbuch. »Man muss im Leben so viel träumen, wie man nur kann. Denn was man träumen kann, kann man auch erreichen«, daran glaubt Pauls Vater felsen­fest und versucht, auch den Gemein­derat des Ortes in der Schwä­bi­schen Alb von seiner Entde­ckung – der Sage nach – einer riesigen Höhle im Ursu­len­berg zu über­zeugen. Die Leute aber halten ihn für verrückt und der zwölf­jäh­rige Paul leidet auch unter dem oft seltsamen Verhalten seines Vaters, dem er sich dennoch verbunden fühlt. Nun ist der Vater seit einem Jahr verschwunden – doch was ist mit ihm passiert? Paul macht sich im Zimmer seines Vaters auf die Suche nach den Aufzeich­nungen, findet die Weg-Beschrei­bung zur Höhle und weiht seinen Freund Max ein. Am Beginn der Sommer­fe­rien gehen die beiden Jungen ein großes Abenteuer an, das immer wieder extrem spannend wird, in dessen Verlauf aber auch belas­tendes Fami­liäres zur Sprache kommt. Trotz aller Hinder­nisse, die zu über­winden sind, ist es für die beiden Freunde ein ganz beson­derer Sommer. Das wird einfühlsam und mit großer Sympathie erzählt.

Nachtwald (kurhaus-produc­tion in Kopro­duk­tion mit dem SWR) ist im Rahmen der Initia­tive »Der besondere Kinder­film« entstanden, das sind Filme nach Origi­nal­stoffen, deren Produk­tion von TV-Sendern sowie Länder­för­de­rungen, Kura­to­rium junger deutscher Film, Dt. Film­för­der­fonds und BKM unter­stützt wird. Geplanter Kinostart: … (Verleih farbfilm) – Nachtwald wird beim Kinder­film­fest München (1.- 6. Juli) gezeigt.

Der Preis­träger der Kinder­jury, Mission Ulja Funk von Barbara Kronen­berg (Regie und Buch) siehe Berlinale-Bericht / Genera­tion: »In der Welt der erwach­senen Kinder«, 11.03.2021
Aus der Begrün­dung der Kinder­jury für den Goldenen Spatzen an Mission Ulja Funk:
»… Dies haben wir so entschieden, weil wir den Beitrag witzig fanden. Außerdem war der Film sehr spannend und unter­haltsam. … Dazu war der Film lehrreich gestaltet, was vor allem an Uljas Vorträgen zu Beginn des Films liegt.«
Zudem vergab die MDR-Rund­funk­rat­jury den mit 4000 Euro dotierten Dreh­buch­preis an Barbara Kronen­berg für Mission Ulja Funk

Die Kategorie Langfilm enthielt auch die 2020 gestar­teten Filme Into the Beat – Auszeich­nung mit dem Kinder­me­di­en­preis/Drehbuch des MDR-Rund­funk­rats – und Max und die Wilde 7 (beide waren für den Kinder­film­preis der Jury des Verbands der deutschen Film­kritik nominiert).

Serie/Reihe Live Action (4)

Pan Tau: Folge 2
Die 25-minütige Episode mit dem Titel »Blumen für den Ritter« gab Gele­gen­heit, eine von 14 Episoden in einer neuver­filmten Staffel zu besich­tigen. Und die Vorahnung bestä­tigte sich, dass das Original – zwischen 1966 und 1978 als Fern­seh­serie (33 Episoden in 3 Staffeln) in deutsch-tsche­cho­slo­wa­ki­scher Kopro­duk­tion zwischen dem WDR, den Prager Film­stu­dios Barrandov und dem tsche­cho­slo­wa­ki­schen Fernsehen entstanden – weder zu toppen noch zu wieder­holen ist. Die Idee für den legen­dären Pan Tau mit der typischen Melone auf dem Kopf, der mit einer eleganten Hand­be­we­gung an selbiger den Kindern in diversen Lebens­lagen Hilfe zaubert, hatten der Autor Ota Hofman und der Regisseur Jindřrich Polák. Und so, wie Pan Tau ein »Kind seiner Zeit«, der 70er Jahre, war, so bekam das Liebens­werte dieser Figur, aber auch die augen­zwin­kernde Ironie eine ganz eigene Bedeutung, die mit der gesell­schaft­li­chen Befind­lich­keit jener Jahre zusam­men­hängt. Vor diesem Hinter­grund ist die Neuauf­lage in schickem, ein bisschen auf altmo­disch gestyltem Milieu technisch perfekt, in Farbe, aber glatt und ohne Charme. Möglich wurde sie, »nachdem die Erben der Schöpfer die Rechte an eine Münchner Produk­ti­ons­firma verkauft hatten« (Quelle: Wikipedia).

Infor­ma­tion / Doku­men­ta­tion / Doku­men­tar­film (8)

Seepferd­chen
Am Ende dieses 16-minütigen Doku­men­tar­films sind ein paar nüchterne Infor­ma­tionen zu lesen: »Auf der Flucht vor dem IS über­querten Hanan und Sidan 2015 mit ihrer Familie das Mittel­meer. Eine Welle ließ das Schlauch­boot auf dem Weg von der Türkei nach Grie­chen­land voll laufen. Alle 60 Passa­giere haben die lebens­ge­fähr­liche Überfahrt überlebt.« Über dieses trau­ma­ti­sche Erlebnis spricht das jesi­di­sche Mädchen Hanan, das damals nicht schwimmen konnte und jetzt ihren jüngeren Bruder Sidan im Schwimm­be­cken des Hallen­bades beim Schwimm­un­ter­richt unter­stützt.
Aus der Begrün­dung der Kinder­jury für ihren Preis an Seepferd­chen:
»Wir finden es sehr mutig von Hanan, uns ihre berüh­rende Geschichte vor offener Kamera zu erzählen. Außerdem hat es bestimmt viel Über­win­dung gekostet. Wir finden, sie ist ein gutes Vorbild für alle, die Angst vor dem Schwimmen haben. Wir finden, es ist eine tolle Kame­rafüh­rung über und unter Wasser.«

Goldener Spatz Spezial

2021 wurde zum vierten Mal ein Publi­kums­preis in der Jugend­film­reihe vergeben, dotiert mit 2.500 Euro und von der Hand­werks­kammer Erfurt gestiftet.
Das junge Publikum entschied sich für den öster­rei­chi­schen Film Das schaurige Haus. Daniel Geronimo Prochaska hat eine unheim­lich schei­nende Bege­ben­heit im idyllisch gelegenen Bad Eisen­kappel im Süden Kärntens nahe der slowe­ni­schen Grenze insze­niert. Dorthin ziehen Hendrik, 16, sein kleiner Bruder Eddi und ihre Mutter, die in dieser abge­le­genen Gegend einen Forschungs­auf­trag bekam. Die Einhei­mi­schen sind ihnen nicht zuletzt wegen ihres eigen­tüm­li­chen Dialekts fremd und ihre Unter­kunft stellt sich schon gleich als echt schaurig heraus, es gibt Andeu­tungen, dass jemand vergiftet wurde in diesem Haus. Als Eddi eines Nachts zum Schlaf­wandler wird und auch noch Slowe­nisch spricht, gleitet es ins Absurde. Doch bevor alle die Hysterie ergreift, lüftet sich das Geheimnis. Insgesamt ist es ein unter­halt­sames Spiel, das aus immer neuen Entde­ckungen, tempo­rei­chen Wendungen und Grusel­ef­fekten einen vergnü­g­li­chen Film macht – und am Schluss auch Hendrik mit der neuen Umgebung versöhnt.

Unter dem Label Wieder­ent­deckt sind schon manche inter­es­santen Filme aus der DEFA-Produk­tion auf die Leinwand gekommen. Für die Festival-Ausgabe 2021 – zugleich anläss­lich 75 Jahre DEFA – wurden zwei sehr unter­schied­liche Werke ausge­wählt:

Der lange Ritt zur Schule (1982) ist ein schönes Beispiel für den Insze­nie­rungs­stil von Rolf Losansky, der unter dem Begriff »real-phan­tas­ti­scher Film« bekannt und sehr populär war. Hier geht es um einen elfjäh­rigen Jungen, der eigent­lich ein ziemlich normaler Schüler ist, außer wenn seine ungeheure Phantasie mit ihm durchgeht. »Ein flotter, witziger Film, bei dem sich die Ausgangs­idee – die Paral­le­lität zwischen dem Schulweg und die Western­hand­lung mit Pferden und Post­kut­schen – wider Erwarten nicht verbraucht, sondern immer wieder Gele­gen­heit zu neuen Einfällen bietet. Ein Kinder­film, der die Kino-Welt voll ausschöpft, sie aber nicht unre­flek­tiert ausbeutet.« (KJK 12-4/82)

Biologie! (1990) von Jörg Foth hingegen ist auf den ersten Blick ein sperriger Film, dessen Brisanz sich aber zunächst in unbe­deu­tend erschei­nenden Fest­stel­lungen, dann in immer drin­gender gestellten Fragen zeigt, schließ­lich im offenen Wider­stand der 15-/16-jährigen Schüler gegen den Bau eines Feri­en­hauses des Gene­ral­di­rek­tors mitten im Natur­schutz­ge­biet, wofür er sich die Geneh­mi­gung nicht beim zustän­digen Umweltamt, sondern »von höchster Stelle« geholt hat. Für Ulla, der es sehr ernst ist mit dem Natur- und Umwelt­schutz ist, hat ihre konse­quente Haltung bittere Folgen. Schau­platz ist eine DDR-Klein­stadt in den späten 1980er Jahren, in dieser Zeit ist der Film auch entstanden, kam aber erst nach dem Mauerfall in die Kinos und ist absolut sehens­wert. Jörg Foth gehört zur letzten Regie-Genera­tion der DEFA. Mit Biologie! hat er ein heißes Eisen angepackt, ein drän­gendes Thema, das seiner­zeit aber für eine größere Bewegung nicht opportun war. 20 Jahre später akti­vierte es unter dem Motto »Friday for Future« immer mehr junge enga­gierte Menschen. So kann der Film von Jörg Foth durchaus als Vorläufer gesehen werden... (DVD bei abso­lu­tMe­dien)

Resumé

»Wir haben auch in diesem Jahr das Beste aus der Situation gemacht und das Festival virtuell durch­ge­führt. Mit zahl­rei­chen Inter­views und Gruß­bot­schaften von Film­schaf­fenden sowie unserer Festi­val­welt ‚Spat­zTopia’ haben wir die dies­jäh­rige Ausgabe für unser Publikum zuhause auf der digitalen Leinwand erlebbar gemacht. Mit virtu­ellen Fach­ver­an­stal­tungen und Networ­king-Events war der GOLDENE SPATZ wieder eine wichtige Plattform für den Austausch der Kinder­me­di­en­branche.«
Festi­val­lei­terin Nicola Jones über den »Goldenen Spatz 2021«

Kinder­jury Rück- und Ausblick

Insgesamt 1113 junge Film- und Medi­en­fans hatten sich 2021 auf einen Platz in die Kinder­jury beworben. Das war die zweit­höchste Bewer­ber­zahl in der Geschichte des Festivals. Die jungen Juro­rinnen und Juroren (9-13 Jahre) sichten, testen und disku­tieren während der Festi­val­woche die einge­reichten Beiträge und zeichnen die Gewinner der einzelnen Kate­go­rien bei der feier­li­chen Preis­ver­lei­hung mit den Goldenen Spatzen aus.
Ein erfah­renes Team steht den Jury­kin­dern während der gesamten Festi­val­woche rund um die Uhr zur Verfügung. Jährlich im Dezember beginnt die Bewer­bungs­frist für die Kinder­jury für das kommende Festival. Weitere Infor­ma­tionen hier.