Reise zum Goldenen Spatz |
||
Nachtwald von André Hörmann läuft auch auf dem Kinderfilmfest München | ||
(Foto: Goldener Spatz / André Hörmann) |
Von Christel Strobel
Was mit »Kinderfilmwochen« in verschiedenen Städten der DDR begann, wurde ab 1979 als »Nationales Festival Goldener Spatz für Kinderfilme der DDR in Kino und Fernsehen« in der thüringischen Stadt Gera zu einem wichtigen Treffpunkt der einheimischen Kinderfilm- und Fernsehschaffenden und hatte bald auch Auswirkungen auf die bundesdeutsche Kinderkinoszene, die sich damals etablierte. Kinderfilme der DEFA, die mit ihren Geschichten und Qualitätsmaßstäben das heranwachsende Publikum ernst nahmen, gehörten zunehmend zu einem qualitativen Programm der bundesdeutschen Kinderkinos.
Die Reise nach Gera war immer spannend, war es doch die Chance, die umfangreiche Zweijahresproduktion der DEFA-Kinderfilme und TV-Produktionen zu sehen und die oft leidenschaftlichen Diskussionen der Kreativen zu erleben. Der »Goldene Spatz« war auch ein »Arbeitsfestival« und wandte sich von Anfang an sowohl an das junge Publikum als auch an Fachleute. Deshalb hat es – auch dank der Beharrlichkeit und des persönlichen Einsatzes von Enthusiasten aus der Kinderfilmbranche sowie Anschub-Fördermitteln des BMI und Unterstützung von der Stadt Gera u.a. – die Wende 1989 überstanden und sich zu einem gesamtdeutschen Treffpunkt entwickelt. 1993 wurde die Deutsche Kindermedienstiftung Goldener Spatz – fortan Trägerin des »Deutschen Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz« – gegründet, 2003 kam die Stadt Erfurt als zweiter Standort des Festivals dazu und seit 2007 findet es in beiden Städten im jährlichen Turnus statt; startet in Gera, wechselt dann nach Erfurt und bietet einen Überblick über deutsche bzw. mit Deutschland co-produzierte Filme, Fernsehprogramme und ausgewählte Onlineangebote für Kinder.
Während die Preisträger der verschiedenen Kategorien (Spielfilm, Dokumentarfilm, Animation) bis 1989 von einer Fachjury bestimmt wurden und eine Kinderjury aus dem Bezirk Gera zudem Ehren- und Sonderpreise vergab, befand seit der Neustrukturierung eine Kinderjury über die Hauptpreise – die Goldenen Spatzen. 1993 kamen die Jurykinder zum ersten Mal aus allen deutschen Bundesländern, seit 2005 auch aus den deutschsprachigen Nachbarländern.
2019 feierte der Goldene Spatz mit einer Festveranstaltung in Gera sein 40-jähriges Bestehen, 2020 wurde das Festival wegen der Corona-Virus-Regelungen von Mai auf September verschoben und erstmals gab es auch eine ergänzende Online-Ausgabe.
2021 nun fand der Goldene Spatz komplett online statt. Aber die 33 Jury-Kinder zwischen 9 und 13 Jahren waren komplett vor Ort, sichteten und diskutierten coronakonform und vergaben ihre Preise.
Langfilme (8) machten einen kleinen Teil des Programms (insgesamt 33 ausgewählte Beiträge in fünf Kategorien) aus. Der CGI-Animationsfilm Peterchens Mondfahrt, die Neuverfilmung des gleichnamigen phantastischen Märchens von Gerdt von Bassewitz aus dem Jahr 1912, das schon Generationen durch die Kindheit begleitet hat, eröffnete das Festival 2021. Regisseur Ali Samadi Ahahi (u.a. drei »Petersson und Findus«-Verfilmungen) verfasste auch, zusammen mit Arne Nolting, das Drehbuch und hatte hohe Ansprüche an die visuelle Gestaltung: »Wir haben uns vorgenommen, den bestmöglichen in Deutschland produzierten CGI-Animationsfilm zu liefern.« Gelungen ist ihm klassisches Family Entertainment in perfekter computergenerierter Technik. In deren turbulenten Welten auf der Fahrt zum Mond gerät allerdings die phantasie- wie humorvolle, manchmal aber auch traurige und nachdenkliche Geschichte vom großen Jungen Peter und seiner kleinen Schwester Anna und vom Maikäfer Sumsemann auf der Suche nach seiner Sumsefrau immer wieder in den Hintergrund.
Auch das deutsch-tschechische Fantasyabenteuer Die Hexenprinzessin, eine Produktion des ZDF, Regie: Ngo The Chau, wird von einer Überfülle an Spezialeffekten beherrscht, dass es nur so bunt schillert, blitzt, blendet und kracht. Weniger wäre mehr gewesen, zumal es sich hier um eine tiefersinnige Geschichte (nach einem norwegischen Volksmärchen) handelt: Die Prinzessinnen Amalindis und Zottel sind zwar Zwillingsschwestern, aber total
unterschiedlich – vornehm und pflichtbewusst die Eine, eigenwillig und fern jeder höfischen Etikette die Andere. Deshalb hat Zottel Krach mit ihrem Vater, König Goderic. Zu Turbulenzen kommt es, als drei Hexen ein bei der Geburt der Zwillinge gegebenes Versprechen einfordern und die schöne Amalindis, deren Heirat bevorsteht, entführen. Nun machen sich Zottel und Prinz Tanka, der vorgesehene Gemahl der Entführten, auf den Weg und treffen bald den Hexenjäger Bero (Jürgen Vogel),
der sie oft unerwartet unterstützt. Für Zottel wird es aber auch ein Weg zu sich selbst. Und das überzeugte auch die Kinderjury, die den Goldenen Spatzen an Charlotte Krause für ihre Rolle »Zottel« verlieh: »… Die lustige, lebensfrohe und naturliebende Zottel wurde durch Charlotte von einem fiktiven Charakter zu einem glaubwürdigen Menschen.«
Um Träume, die gefährlich werden können, geht es im Film Nachtwald von André Hörmann, Regie und –
zusammen mit Katrin Milhahn – Drehbuch. »Man muss im Leben so viel träumen, wie man nur kann. Denn was man träumen kann, kann man auch erreichen«, daran glaubt Pauls Vater felsenfest und versucht, auch den Gemeinderat des Ortes in der Schwäbischen Alb von seiner Entdeckung – der Sage nach – einer riesigen Höhle im Ursulenberg zu überzeugen. Die Leute aber halten ihn für verrückt und der zwölfjährige Paul leidet auch unter dem oft seltsamen Verhalten seines Vaters,
dem er sich dennoch verbunden fühlt. Nun ist der Vater seit einem Jahr verschwunden – doch was ist mit ihm passiert? Paul macht sich im Zimmer seines Vaters auf die Suche nach den Aufzeichnungen, findet die Weg-Beschreibung zur Höhle und weiht seinen Freund Max ein. Am Beginn der Sommerferien gehen die beiden Jungen ein großes Abenteuer an, das immer wieder extrem spannend wird, in dessen Verlauf aber auch belastendes Familiäres zur Sprache kommt. Trotz aller Hindernisse, die zu
überwinden sind, ist es für die beiden Freunde ein ganz besonderer Sommer. Das wird einfühlsam und mit großer Sympathie erzählt.
Nachtwald (kurhaus-production in Koproduktion mit dem SWR) ist im Rahmen der Initiative »Der besondere Kinderfilm« entstanden, das sind Filme nach Originalstoffen, deren Produktion von TV-Sendern sowie Länderförderungen, Kuratorium junger deutscher Film, Dt. Filmförderfonds und BKM unterstützt wird. Geplanter Kinostart: … (Verleih farbfilm) – Nachtwald wird beim Kinderfilmfest München (1.- 6. Juli) gezeigt.
Der Preisträger der Kinderjury, Mission Ulja Funk von Barbara Kronenberg (Regie und Buch) siehe Berlinale-Bericht / Generation: »In der Welt der erwachsenen Kinder«, 11.03.2021
Aus der Begründung der Kinderjury für den Goldenen Spatzen an Mission Ulja Funk:
»… Dies haben wir so entschieden, weil wir den Beitrag witzig fanden. Außerdem war der
Film sehr spannend und unterhaltsam. … Dazu war der Film lehrreich gestaltet, was vor allem an Uljas Vorträgen zu Beginn des Films liegt.«
Zudem vergab die MDR-Rundfunkratjury den mit 4000 Euro dotierten Drehbuchpreis an Barbara Kronenberg für Mission Ulja Funk
Die Kategorie Langfilm enthielt auch die 2020 gestarteten Filme Into the Beat – Auszeichnung mit dem Kindermedienpreis/Drehbuch des MDR-Rundfunkrats – und Max und die Wilde 7 (beide waren für den Kinderfilmpreis der Jury des Verbands der deutschen Filmkritik nominiert).
Pan Tau: Folge 2
Die 25-minütige Episode mit dem Titel »Blumen für den Ritter« gab Gelegenheit, eine von 14 Episoden in einer neuverfilmten Staffel zu besichtigen. Und die Vorahnung bestätigte sich, dass das Original – zwischen 1966 und 1978 als Fernsehserie (33 Episoden in 3 Staffeln) in deutsch-tschechoslowakischer Koproduktion zwischen dem WDR, den Prager Filmstudios Barrandov und dem tschechoslowakischen Fernsehen entstanden –
weder zu toppen noch zu wiederholen ist. Die Idee für den legendären Pan Tau mit der typischen Melone auf dem Kopf, der mit einer eleganten Handbewegung an selbiger den Kindern in diversen Lebenslagen Hilfe zaubert, hatten der Autor Ota Hofman und der Regisseur Jindřrich Polák. Und so, wie Pan Tau ein »Kind seiner Zeit«, der 70er Jahre, war, so bekam das Liebenswerte dieser Figur, aber auch die augenzwinkernde Ironie eine ganz eigene Bedeutung, die mit der gesellschaftlichen
Befindlichkeit jener Jahre zusammenhängt. Vor diesem Hintergrund ist die Neuauflage in schickem, ein bisschen auf altmodisch gestyltem Milieu technisch perfekt, in Farbe, aber glatt und ohne Charme. Möglich wurde sie, »nachdem die Erben der Schöpfer die Rechte an eine Münchner Produktionsfirma verkauft hatten« (Quelle: Wikipedia).
Seepferdchen
Am Ende dieses 16-minütigen Dokumentarfilms sind ein paar nüchterne Informationen zu lesen: »Auf der Flucht vor dem IS überquerten Hanan und Sidan 2015 mit ihrer Familie das Mittelmeer. Eine Welle ließ das Schlauchboot auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland voll laufen. Alle 60 Passagiere haben die lebensgefährliche Überfahrt überlebt.« Über dieses traumatische Erlebnis spricht das jesidische Mädchen Hanan, das damals nicht
schwimmen konnte und jetzt ihren jüngeren Bruder Sidan im Schwimmbecken des Hallenbades beim Schwimmunterricht unterstützt.
Aus der Begründung der Kinderjury für ihren Preis an Seepferdchen:
»Wir finden es sehr mutig von Hanan, uns ihre berührende Geschichte vor offener Kamera zu erzählen. Außerdem hat es bestimmt viel Überwindung gekostet. Wir finden, sie ist ein gutes Vorbild für alle, die Angst vor dem Schwimmen haben. Wir finden, es ist eine tolle
Kameraführung über und unter Wasser.«
2021 wurde zum vierten Mal ein Publikumspreis in der Jugendfilmreihe vergeben, dotiert mit 2.500 Euro und von der Handwerkskammer Erfurt gestiftet.
Das junge Publikum entschied sich für den österreichischen Film Das schaurige Haus. Daniel Geronimo Prochaska hat eine unheimlich scheinende Begebenheit im idyllisch gelegenen Bad Eisenkappel im Süden Kärntens nahe der slowenischen Grenze inszeniert. Dorthin ziehen Hendrik, 16, sein kleiner Bruder Eddi
und ihre Mutter, die in dieser abgelegenen Gegend einen Forschungsauftrag bekam. Die Einheimischen sind ihnen nicht zuletzt wegen ihres eigentümlichen Dialekts fremd und ihre Unterkunft stellt sich schon gleich als echt schaurig heraus, es gibt Andeutungen, dass jemand vergiftet wurde in diesem Haus. Als Eddi eines Nachts zum Schlafwandler wird und auch noch Slowenisch spricht, gleitet es ins Absurde. Doch bevor alle die Hysterie ergreift, lüftet sich das Geheimnis. Insgesamt ist
es ein unterhaltsames Spiel, das aus immer neuen Entdeckungen, temporeichen Wendungen und Gruseleffekten einen vergnüglichen Film macht – und am Schluss auch Hendrik mit der neuen Umgebung versöhnt.
Unter dem Label Wiederentdeckt sind schon manche interessanten Filme aus der DEFA-Produktion auf die Leinwand gekommen. Für die Festival-Ausgabe 2021 – zugleich anlässlich 75 Jahre DEFA – wurden zwei sehr unterschiedliche Werke ausgewählt:
Der lange Ritt zur Schule (1982) ist ein schönes Beispiel für den Inszenierungsstil von Rolf Losansky, der unter dem Begriff »real-phantastischer Film« bekannt und sehr populär war. Hier geht es um einen elfjährigen Jungen, der eigentlich ein ziemlich normaler Schüler ist, außer wenn seine ungeheure Phantasie mit ihm durchgeht. »Ein flotter, witziger Film, bei dem sich die Ausgangsidee – die Parallelität zwischen dem Schulweg und die Westernhandlung mit Pferden und Postkutschen – wider Erwarten nicht verbraucht, sondern immer wieder Gelegenheit zu neuen Einfällen bietet. Ein Kinderfilm, der die Kino-Welt voll ausschöpft, sie aber nicht unreflektiert ausbeutet.« (KJK 12-4/82)
Biologie! (1990) von Jörg Foth hingegen ist auf den ersten Blick ein sperriger Film, dessen Brisanz sich aber zunächst in unbedeutend erscheinenden Feststellungen, dann in immer dringender gestellten Fragen zeigt, schließlich im offenen Widerstand der 15-/16-jährigen Schüler gegen den Bau eines Ferienhauses des Generaldirektors mitten im Naturschutzgebiet, wofür er sich die Genehmigung nicht beim zuständigen Umweltamt, sondern »von höchster Stelle« geholt hat. Für Ulla, der es sehr ernst ist mit dem Natur- und Umweltschutz ist, hat ihre konsequente Haltung bittere Folgen. Schauplatz ist eine DDR-Kleinstadt in den späten 1980er Jahren, in dieser Zeit ist der Film auch entstanden, kam aber erst nach dem Mauerfall in die Kinos und ist absolut sehenswert. Jörg Foth gehört zur letzten Regie-Generation der DEFA. Mit Biologie! hat er ein heißes Eisen angepackt, ein drängendes Thema, das seinerzeit aber für eine größere Bewegung nicht opportun war. 20 Jahre später aktivierte es unter dem Motto »Friday for Future« immer mehr junge engagierte Menschen. So kann der Film von Jörg Foth durchaus als Vorläufer gesehen werden... (DVD bei absolutMedien)
»Wir haben auch in diesem Jahr das Beste aus der Situation gemacht und das Festival virtuell durchgeführt. Mit zahlreichen Interviews und Grußbotschaften von Filmschaffenden sowie unserer Festivalwelt ‚SpatzTopia’ haben wir die diesjährige Ausgabe für unser Publikum zuhause auf der digitalen Leinwand erlebbar gemacht. Mit virtuellen Fachveranstaltungen und Networking-Events war der GOLDENE SPATZ wieder eine wichtige Plattform für den Austausch der
Kindermedienbranche.«
Festivalleiterin Nicola Jones über den »Goldenen Spatz 2021«
Insgesamt 1113 junge Film- und Medienfans hatten sich 2021 auf einen Platz in die Kinderjury beworben. Das war die zweithöchste Bewerberzahl in der Geschichte des Festivals. Die jungen Jurorinnen und Juroren (9-13 Jahre) sichten, testen und diskutieren während der Festivalwoche die eingereichten Beiträge und zeichnen die Gewinner der einzelnen Kategorien bei der feierlichen Preisverleihung mit den Goldenen Spatzen aus.
Ein erfahrenes Team steht den Jurykindern während
der gesamten Festivalwoche rund um die Uhr zur Verfügung. Jährlich im Dezember beginnt die Bewerbungsfrist für die Kinderjury für das kommende Festival. Weitere Informationen hier.