Kino wie noch nie |
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Generalprobe mit dem Golem | ||
(Foto: Filmmuseum München) |
Von Dunja Bialas
Eine Freilichtleinwand mitten in der Stadt, geborgen im zweiten Innenhof des Münchner Stadtmuseums. Es ist schon erstaunlich, dass für dieses besondere Kinoerlebnis erst Corona kommen musste. Corona sogar im zweiten Jahr, um genau zu sein. Blickt man sich jetzt im steinernen Innenhof um, der zwischen dem Stadtmuseum und der städtischen Artothek liegt und selbst alteingesessenen Münchnern unbekannt ist, kann einen Wehmut erfassen angesichts des jahrzehntelangen Dornröschenschlafs. Bis auf wenige Artothek-Feste ungenutzt, urban und doch von der Stadt abgeschirmt, mit einem leicht historisierenden Fingerzeig auf die Sechzigerjahre liegt der Innenhof unberührt und unprätentiös da. Ihn schmückt nur eine Brunnenskulptur, die vielleicht, wenn es gut kommt, vom Münchner Bildhauer Rolf Nida-Rümelin, Vater des späteren Kulturreferenten und Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin stammen könnte, wie etwa die St.-Florian-Skulptur an der nahe gelegenen Hauptfeuerwache. Der Hof ist prosaisch, nüchtern-sachlich gehalten, wie man es von der Münchener Nachkriegsarchitektur kennt. Und wie es München am besten steht.
Filmmuseumsleiter Stefan Drößler und seine Stellvertreterin Claudia Engelhardt haben das schier Unmögliche gewagt und öffnen das Filmmuseum für ein Programm im August, in dem das Haus doch seit Jahrzehnten Sommerpause hält. Angesichts der coronabedingten Budgetkürzungen von zehn Prozent ist das ein wagemutiger Schritt und die Freigabe den Chefs des kommunalen Kinos, dem Stadtmuseum und dem Kulturreferenten Anton Biebl, hoch anzurechnen. Laut Auskunft von Open-Air-Veranstaltern wie beispielsweise dem »Pop-up-Sommerkino powered by M-Net« an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) bewegen sich die Kosten für einen Freiluft-Kino-Abend leichterdings im vierstelligen Bereich. Auch wenn die Veranstaltung hier nicht so kostspielig augefallen sein sollte, ahnt man doch, dass tief in das Stadtsackerl gegriffen wurde.
Anlass für diesen überraschenden und mit einemmal auch überfälligen Move war die Tatsache, dass das Filmmuseum die Zusammenarbeit mit dem Bonner Sommerkino beendet hat, das Stefan Drößler bei Amtsantritt nach München mitgebracht hatte (siehe unser Kinoportrait). Über zwanzig Jahre lang kehrte das Filmmuseum mit Filmen aus dem Bonner Stummfilmprogramm aus der Sommerpause zurück. Nun sei es möglich, so Stefan Drößler, Stummfilme mit einem »deutlich erweiterten Programm« zu präsentieren. Drei Wochen lang zeigen die neuen »Internationalen Stummfilmtage München« frisch restaurierte Filme aus der ganzen Welt in der ganzen Bandbreite der Stummfilmkunst. »Vom großen Melodram bis zur Slapstick-Komödie, von spannendem Genrekino bis zu Klassikern der Avantgarde, von phantastischen Abenteuern bis hin zum frivolen Spiel mit Geschlechterrollen oder zu historischen Dokumenten zur Münchner Stadtgeschichte« sei alles vertreten, betont Drößler. Und der Besuch bietet zusätzlich ein atmosphärisches Erlebnis, selbst für Verächter des Open-Air-Kinos, die dabei vor allem an launige Picknickveranstaltungen auf unbequemen Sonnenstühlen denken, während die Filme zur Nebensache werden.
Groß spannt sich also die Leinwand über dem Westportal des Innenhofs des Stadtmuseums auf. Hier lenkt nichts von den Filmen ab, keine schräge Perspektive, keine Falten in der Projektionsfläche. Lichtstark der Beam. Unter der Leinwand nehmen die Musiker Platz, die das Stummfilmgeschehen begleiten. Oft wird im Duo gespielt, nicht nur mit Klavierbegleitung, was sich auch den akustischen Möglichkeiten der Freiluft verdankt – denn allein der Flügel wirkt im Kinosaal oft schon sehr laut. Im Andenken an den vor über zehn Jahren verstorbenen Stummfilminterpreten Aljoscha Zimmermann hat sich ein gleichnamiges Ensemble gegründet, bestehend aus Tochter Sabrina Zimmermann (Geige) und Mark Pogolski am Klavier. Eingeladen sind auch Richard Siedhoff (Klavier), begleitet von der Oboe des Solisten Mykyta Sierov, ein ungewöhnliches Klangerlebnis für alle, die nicht kammermusikerprobt sind. Masako Ohta gibt an einem präparierten Klavier Eindrücke als Performance-Musikerin, während es bei Neil Brand (Klavier) und dem Violonisten Günter A. Buchwald klassischer zugeht.
Auf das Surren der Projektoren, wie es noch aus Kindheitstagen von Freilichtaufführungen in Erinnerung geblieben ist, wird man bei den Münchner Stummfilmtagen jedoch vergeblich hoffen. Zu wertvoll sind das Filmmaterial und die verbliebenen historischen Kopien, als dass man sie leichtfertig dem Münchner Sommer aussetzen könnte, der mal mit Regenwahrscheinlichkeit um die 80 Prozent und herbstlichen Temperaturen, mal mit feuchter Schwüle aufwartet. Außerdem hat sich Drößler mit seinen digitalen Restaurierungen, gerade auch im Stummfilmbereich, einen internationalen Ruf geschaffen. So kann man sich also unter dem Münchner Sternenhimmel ganz den makellosen digitalen Projektionen hingeben. »Kosmische Reisen« von Vasilij Žuravlëv und Georges Méliès (Die Reise durch das Unmögliche, 1904) laden für ein Erlebnis unter klarem Himmel ein (Dienstag, 17.8.), oder auch die Kurzfilme von Stan Laurel & Oliver Hardy (Donnerstag, 12.8.). Auch einen monumentalen »Schinken« verträgt die Freilichtleinwand gut. Das Grabmal einer grossen Liebe (1928) des Münchner Regisseurs Franz Osten, den er in Indien an Originalschauplätzen drehte, erzählt in opulenten Bildern von der Legende des Taj Mahal um den Töpfer Shiraz, der in die königliche Selima verliebt ist (Freitag, 20.8.).
Falls die Münchner beim Sommer wieder in Ungnade fallen sollten, zieht die Filmvorführung in den Kinosaal um – bei weniger Sitzplätzen (die nicht mehr in allen Aspekten nachvollziehbaren Corona-Maßnahmen greifen immer noch schmerzlich in die Sitzplatzkapazität ein), was Drößler durch zusätzliche Vorstellungen ausgleichen will. Während man unter den vielen kleinen, an der Decke des Filmmuseums angebrachten Lichtern Platz nimmt und den künstlichen Sternenhimmel in Kauf nimmt, wird einem bewusst, dass die Stummfilmtage ein Kinoerlebnis ermöglichen, wie es dies in München noch nie gegeben hat. Das lässt sich hoffentlich, auf gut Amtsdeutsch, »verstetigen«.
Internationale Stummfilmtag München 2021
4. bis 22. August 2021
Filmmuseum München
St.-Jakobs-Platz 1
Online-Reservierung und Programm