Kinos in München – Filmmuseum München
»Es muss nicht immer Nosferatu oder Caligari sein« |
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Purismus unterm Sternenhimmel: Der Kinosaal des Filmmuseums |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
Es ist immer ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn die Saalbeleuchtung ganz langsam erlischt und sich dadurch der Sternenhimmel aus vielen Lichtern auf sich aufmerksam macht. Der Blick richtet sich unwillkürlich an die Decke, um das Schauspiel zu erleben, das pure Verheißung ist: Gleich geht es los mit dem Film, zu dem man gepilgert ist.
Kaum ein anderes Kino kann für sich das Ritualhafte beanspruchen wie das Filmmuseum München. Der Besuch knüpft sich mit verschiedenen Stationen, die man durchquert wie in einem rite de passage, der einen wie Orpheus von der Oberwelt in die Unterwelt von Licht und Schatten führt. Am rundum verglasten Kassenhäuschen im Erdgeschossfoyer ersteht man seine Eintrittskarte mit der Entrichteung eines eher symbolischen Obulus' von vier bzw. drei Euro (für Mitglieder des Vereins Münchner Filmzentrum). Dann geht es die Treppe hinunter. Ein langer Gang im Untergeschoss bringt einem zum Kinosaal, wo der Kartenabreißer und Saalaufseher mit strengem Blick die Gültigkeit der Eintrittskarte bemisst.
Es war damals ein echter Kerberos-Moment, als noch die Cineasten der Stadt den begehrten Job des Kartenabreißers innehatten, schließlich konnten sie als Saalaufseher alle Filme sehen und bekamen auch noch Geld dafür. Sie musterten einen von Kopf bis Fuß, ob die Frequenz der Filmmuseumsbesuche nun schon reiche, um in den hehren Kreis der Cinephilen aufgenommen zu werden.
Im ganz in Schwarz gehaltenen Kinosaal sucht man sich dann wie intuitiv seinen Platz, möglichst immer am selben Ort – prüfende Blicke richten sich dabei auf die zweite Reihe rechts außen: ist Fritz Göttler da?, der allein mit seiner Anwesenheit den Kinobesuch zu einem wichtigen Moment zu erheben vermag. Früher saß am Dienstag, egal, was gespielt wurde, Herbert Achternbusch im Kinosaal, es gab eine Frau mit roséfarbenem Turban, die vor der Vorführung häkelte und ihre immer nackten Füße zwischen die damals noch braunen Plüschsessel streckte. Heute sitzen die Cineasten meist in der dritten oder vierten Reihe, begrüßen sich wortlos mit einem anerkennenden Nicken und sprechen erst nach dem Film miteinander, oben, im zugigen Foyer oder im Stadtcafé, sofern es hier für die Gesprächsdurstigen nach der Vorstellung noch ein Getränk gibt.
Ganze Generationen Filmbegeisteter wurden in diesem rituellen Takt die Treppe hinunter und wieder hinaufgeführt, im Wechsel der unterschiedlichen Leiter. Die ältesten unter den Kinogängern, und damit die unangefochtene und bewunderte erste Generation des Filmmuseums, erinnern sich noch an die Zeit, als das Kino im Zeughaus des Stadtmuseums untergebracht war, im ersten Stock, als der vordere Marstall noch nicht wieder errichtet war.
»Das passierte erst unter Enno Patalas im Jahr 1977«, klärt mich Stefan Drößler auf. Ich sitze im Büro des Filmmuseums im ersten Stock, am Ende eines langen Gangs, in dem sich deckenhoch VHS-Kassetten in Regalen aufreihen. Es riecht nach Papier und konzentrierter Arbeit, allem haftet eine gewissenhafte Strenge an, wie es sich für ein Museum gehört. Filmmuseumsleiter Stefan Drößler sitzt mir gegenüber, neben ihm seine Stellvertreterin Claudia Engelhardt. Wir haben uns getroffen, um über das Filmmuseum zu sprechen, das am 30. November 2013 seinen 50. Geburtstag begeht. Die Geschichte des Filmmuseums, das merke ich bald, ist eine wechselhafte, die sich unter verschiedenen, teils auch ideologisch geführten Grabenkämpfen vollzogen hat.
Das Filmmuseum München nahm als erste Kinemathek Deutschlands seinen Kinospielbetrieb auf, und kann in dieser Hinsicht als ältestes Filmmuseum Deutschlands gelten. »München war die erste Kommune in Deutschland, die sich gezielt für Filmkunst und Kino eingesetzt hat«, erzählt Drößler. Als kommunales Kino wurde es dem Stadtmuseum angegliedert, und zwar als Bestandteil der neu geschaffenen Foto- und Filmabteilung. Der erste Leiter des Filmmuseums, damals noch »Filmabteilung des Photo- und Filmmuseums« wurde der 59-jährige Rudolph S. Joseph, Filmbeauftragter der Stadt. Er eröffnetet das Filmmuseum mit Der Prozess von Georg Wilhelm Pabst und zeigte die Ausstellung »Wie Walt Disneys Zeichentrickfilme entstehen«, die durch Europa tourte. Ausstellungen wie »Die schauspielerische Entwicklung von Sophia Loren« oder »Paul Wegener, ein Pionier der Filmkunst« folgten, und 1967 kaufte Joseph die erste Filmkopie von Michelangelo Antonioni an, L’avventura, in der ungekürzten Originalfassung.
Joseph war ein Emigrant, der zurückgekommen war, und hatte trotz seiner Bemühungen keinen guten Stand als Filmmuseumsleiter. Das hatte mit der Bewegung von ‘68 zu tun, die als Kampf der Generationen ausgefochten wurde, so Drößler. »Es war ihnen völlig egal, ob einer ein Emigrant oder ein Remigrant war, oder ob er hiergeblieben war. Man war einfach gegen die alte Generation.« Hinzu kamen das Oberhausener Manifest und die Aufmerksamkeit der Kritiker auf den Jungen Deutschen Film, während Joseph mehr seine Kontakte spielen ließ, die er von seinen Emigrantenjahren als Produzent aus den USA mitgebracht hatte.
»Die ersten Programme und Ausstellungen wurden von einigen sehr kritisch beurteilt«, so Drößler, »Wilhelm Roth in der 'Süddeutschen Zeitung' schrieb sehr negative Artikel über Joseph«, und fügt hinzu: »In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint es, als wäre das Filmmuseum eine verschlafene Abteilung gewesen, bis Enno Patalas auftauchte.« Dabei fiel Josephs Amtsantritt in eine Zeit, in der sich die Tätigkeit des Filmmuseums im Kontext einer bundesweiten institutionalisierten Filmkultur erst definieren musste und Restriktionen als Zugeständnisse an die kommerziell geführten Kinos unterworfen war. So stand damals im Raum, eine zentrale deutsche Kinemathek für den Ankauf von Filmkopien zu gründen, weshalb Joseph sich anfänglich zurückhielt und vor allem filmbegleitende Materialien für Ausstellungen erwarb. Außerdem durfte er nur das als unkommerziell geltende 16mm-Format vorführen, und dies nur vor 20 Uhr.
Ausgerechnet sein größter Kritiker, Enno Patalas, wurde dann 1973, als Joseph in Pension ging, sein Nachfolger. »Das hat Joseph sehr getroffen«, erklärt Drößler. Es gab daher weder eine Amtsübergabe noch wurde miteinander gesprochen, und in einem Interview, das Eckhart Schmidt mit ihm 1997 in Santa Barbara in Kalifornien führte, spricht Joseph zum ersten Mal über seine Zeit in München. »Es ist herzzerreißend zu sehen, wie er über München redet und sofort in Tränen ausbricht.«
Wenn er so viel zu Joseph sagt, der das Filmmuseum in den ersten zehn Jahren leitete, gehe es ihm nicht darum, Enno Patalas zu schmälern, betont Drößler. Mit seinem Wirken habe Patalas die Vergangenheit jedoch so in den Schatten gestellt, dass die Gründerjahre völlig unbeleuchtet blieben.
Mit Enno Patalas zog der Junge Deutsche Film ins Filmmuseum ein, weniger die erste Generation um Edgar Reitz und Alexander Kluge, die das Oberhausener Manifest verkündet hatte, sondern die zweite und dritte Generation um Rainer Werner Fassbinder, Werner Schroeter oder Vlado Kristl. Patalas' Vorliebe galt den Außenseitern, den verstörenden Radikalen des deutschen Films, Jean-Marie Straub & Danièle Huillet wurden Stammgäste des Hauses. Patalas verschrieb sich außerdem dem Credo des Österreichischen Filmmuseums »Filme kann man nur ausstellen, indem man sie zeigt«. Er fuhr folgerichtig die Ausstellung von filmbegleitenden Objekten zurück, verwandte den freigewordenen Etat zunehmend auf den Ankauf von Filmkopien und intensivierte die Filmrekonstruktionen. Am Schneidetisch von Leni Riefenstahl, die sie dem Filmmuseum überlassen hatte.
Die neue Patalas-Ära manifestierte sich für die Besucher ab 1977 durch einen neues Kino, das im wiedererrichteten Marstalltrakt eingerichtet wurde. Es war puristisch, in einem schwarz ausgeschlagenen Saal, den die 8 x 3,50 Meter große Leinwand dominierte. »Die Sitze hatten dieses hässliche Braun«, befindet Drößler, aber sie folgten ganz dem Konzept des Unsichtbaren Kinos, das Peter Kubelka zuerst im New Yorker Anthology Film Archive und später als dessen Leiter im Österreichischen Filmmuseum eingerichtet hatte. (In einer Spendenaktion, die durch die Freunde des Münchener Filmzentrums durchgeführt wurden, wichen die Sessel 2002 einer roten Bestuhlung, was wiederum Kubelka bei seinem Besuch im Mai 2013 zur Bemerkung veranlasste, diese würden nicht reinpassen und durch die lebhafte Farbe den Charakter des »Unsichtbaren« zerstören.)
Patalas, der den schlechten Zustand der Klassiker alarmierend fand, begann mit Filmrekonstruktionen, die zunächst darin bestanden, Kopien, die er sich aus der ganzen Welt kommen ließ, zusammenzuschneiden, um eine vollständigere Fassung des bisher Bekannten zu erhalten. Der Purismus eines Filmmuseums, das sich ganz auf Essenz und Historie des Films konzentrierte, schlug sich auch in den Programmankündigungen nieder, die Patalas wöchentlich auf einer Schreibmaschine tippte und die lediglich Filmtitel, Land, Jahr, und die wesentlichen Credits enthielten. Wenn ein japanischer oder russischer Film im Original gespielt wurde, wurde in einem Beiblatt, das vor der Vorstellung ausgeteilt wurde, der Inhalt zusammengefasst. Patalas' Wirken wurde derart legendär, dass selbst seine Schreibmaschine zum auratischen Objekt erhoben wurde und heute im Berliner Filmmuseum zu besichtigen ist.
Bis 1992 gelang es Patalas, alle Cineasten hinter sich zu vereinigen und dem Filmmuseum einen sagenhaften Ruhm zu verschaffen. Er versäumte aber, einen Nachfolger aufzubauen. Fritz Göttler, der seit 1984 stellvertretender Leiter des Filmmuseums war, verließ seine Stelle und ging als Kritiker zur »Süddeutschen Zeitung«. Bis zu seiner Pensionierung 1994 hatte Patalas dann das alleinige Sagen im Haus, was auch noch seine Nachfolger spüren durften.
Es folgte Jan-Christopher Horak. Der gebürtige Nordrheinwestfale war als Baby »mit seinen Eltern und seinem Zwillingsbruder in die USA emigriert«, wie auf der Seite der IMDB nachzulesen ist, und kehrte mit 13 Jahren aus Chicago nach Frankfurt zurück, wo er die Amerikanische Schule besuchte. Nach Studien in den USA verfasste er in Münster eine Dissertation mit dem Titel: »Anti-Nazi-Filme der deutschsprachigen Emigration von Hollywood 1939-1945.« Die Wahl Horaks zum neuen Leiter des Filmmuseums, der sich u.a. gegen Heiner Gassen und Fritz Göttler durchsetzte, wurde ein Brückenschlag zum ersten Filmmuseumsleiter Joseph, durch biographische Parallelen und ähnlicher Kulturalität, und ein Schlag in die Magengrube all derer, die sich eine Kontinuität im Geiste Patalas' gewünscht hatten.
Horak holte Robert Fischer ins Filmmuseum, den er aus seiner Zeit in Münster kannte und machte ihn zu seinem stellvertretenden Leiter. Unter seine Ära, die von 1993 bis 1998 dauerte, fällt die Übernahme des Orson-Welles-Nachlasses und der Ankauf der Kopien von Arnold Fanck. Die Besucher des Filmmuseums werden sich aber vor allem an das anfänglich monatlich herausgegebene »Off«-Magazin im Vierfarbdruck erinnern, das die puristischen Patalas-Papiere ablöste. Als Horak eine Stelle in den Universal Studios angeboten bekommt und das Filmmuseum verlässt (heute ist er Leiter des UCLA Film & Television Archive in Los Angeles), übernimmt Robert Fischer als kommissarischer Leiter. Ganze eineinhalb Jahre später muss er zurück in die stellvertretende Position und Platz machen für einen neuen Leiter: Stefan Drößler.
Lupenreines »Bonner Sommertheater«, wie die regelmäßig zum Sommerloch abgehaltenen Politikerintrigen zur Zeit der Bonner Republik genannt wurden, war dann, was sich mit dem Einzug des aus dem Köln-Bonner Raum kommenden Stefan Drößler verband. Er war Leiter der Bonner Kinemathek und hatte dort das »Bonner Sommerkino« ins Leben gerufen, ein Open-Air-Festival für Stummfilme. Wieder gab es keine Kommunikation mit dem, der den Platz als – wenn auch kommissarischer – Leiter räumen musste. »Ich fand ein leergeräumtes Büro vor«, erinnert sich Drößler an den Tag seines Dienstantritt, immer noch erstaunt über den Münchner Empfang, »es war nicht leicht, mich hier zurechtzufinden.«
Robert Fischer, der als Kandidat für die Leitung des Filmmuseums Drößler unterlag, zog bald seinen Hut. Mit Claudia Engelhardt, die seitdem stellvertretende Leiterin des Filmmuseums ist, begann dann eine neue Ära.
Drößler, der 1999 nach München kam, hatte die Renovierung des über zwanzig Jahre alten Kinosaals zur Bedingung seines Amtsantritts gemacht. 2003 war es soweit: Die ein Jahr zuvor gespendeten roten Stühle blieben, der Saal wurde mit neuen Teppichen ausgekleidet und vor allem die Technik auf den neuesten Stand gebracht. Die einzelnen Glühbirnen des Sternenhimmels, die in fünf Meter Höhe schwebten und nur unter Slapstick-Gefahr mittels langer Leitern ausgetauscht werden konnten, wurden durch Glasfaser-Lichtschläuche ersetzt. »Das ist die modernste Kinobeleuchtung, die es gibt«, schwärmt Drößler. Die neue Beleuchtung ist zielgerichtet, so dass man sogar bei eingeschaltetem Saallicht Filme sehen kann. »Du bist wie in einer dunklen Wolke und siehst die Ränder des Raumes nicht«, versucht er das Gefühl der Punktbeleuchtung zu beschreiben, »mit dem senkrechten Licht können bei einer Stummfilmvorführung mit Musikbegleitung die Klaviertasten beleuchtet werden, ohne dass es jemanden stört.«
Wichtig war auch der Leinwand-Cache, mit dem das Bild klare Konturen und räumliche Tiefe erhält. Vier unabhängige Motoren sorgen dafür, dass man nun das Bild auch assymetrisch abcachen kann. Außerdem gibt es seitdem Infrarot für Kopfhörer, die separate Projektionsmöglichkeit digitaler Untertitel und natürlich ein modernes Soundsystem. Außerdem gab es seit 1997 bereits einen Videobeam, der dazu benutzt wurde, VHS-Kassetten zu projizieren.
Die digitale Technik erhielt dann erst 2008 Einzug ins Filmmuseum. »Wir haben in dem Moment digitalisiert, wo der Server nicht nur für DCP offen war«, so Drößler. Es gibt einen Eingang für mindere Formate, also auch für alle Videoformate, nur so sei die Digitalisierung für das Filmmuseum interessant geworden. Ursprünglich hatte die Industrie sogar digitale Projektoren entworfen, die wie analoge gebaut waren und die diese ersetzen sollten. Aber: »Kein Kinobesitzer konnte es sich leisten, den analogen Projektor rauszuschmeißen, weil es eben nicht den digitalen Schnitt gab, bei dem es hieß: 'Ab jetzt ist alles digital!'«
Das Filmmuseum steckt seit dem Einzug der neuen digitalen Technik die Vorführtechnik in ihrer Gesamtheit ab: Gezeigt werden können die analogen historischen Formate, und neben allen professionellen auch alle analogen Amateurformate sowie die Bandbreite des Digitalen.
Seit der Aufstockung der Vorführtechnik durch einen digitalen Projektor gelangen im Filmmuseum mehr und mehr digitale Kopien zur Vorführungen. Dies verdankt sich aber der besonderen Sorge um den richtigen Bildeindruck und kann nicht als pauschale Entscheidung für ein bestimmtes Trägermedium bewertet werden.
»Es gibt Leute, die sich an einer rotstichigen Kopie ergötzen oder einfach nur an der Tatsache, dass Filmmaterial gelaufen ist«, regt Drößler sich auf und lässt dabei
indirekt durchblicken, welcher Kritik er seit der Digitalisierung des Filmmuseums ausgesetzt ist. »Sie erkennen nicht, wenn eine Ausschusskopie gezeigt wurde, die bei jeder Einstellung eine andere Lichtstimmung hat.« Er versuche, eine objektivere Haltung zu entwickeln, die nicht einem Format allein des Formats wegen huldigt. »Es ist ein ideologischer Kampf, der da ausgefochten wird«, meint Drößler, der sich aber vermutlich bald erübrigt haben wird. »Es wird kippen, wenn
sich die Leute beschwerden, wenn es einen Sprung in der Kopie gibt, weil sie anderes gewohnt sind.«
Auch den Hinweis auf die Patina bei Kunstwerken lässt Drößler nicht gelten, und allmählich wird das Missverständnis sichtbar, das sich zwischen ihm und den »Ideologen« aufgetan hat. »Es ist ein Unterschied, ob ein Gemälde langsam zerfällt, oder ob ich eine Kopie von einem Film bekommen kann, die perfekt ist.« Der Graben, das wird deutlich, besteht im Zwischenraum der Worte »Perfektion« und »Patina«. Wie in der Unterscheidung zwischen signifié, dem Bezeichneten, und signifiant, dem Zeichenträger, verläuft hier die Demarkationslinie zwischen historischem Inhalt und Trägermedium. So will »Perfektion« die historische Richtigkeit des Gezeigten, »Patina« hingegen das historische Trägermedium, das unter Umständen auch Gebrauchsspuren aufweisen darf.
Ein ganzes Jahr lang habe Drößler mit seinen Vorführern, die der digitalen Vorführung äußerst skeptisch gegenüberstanden, Vergleiche angestellt. Als Beispiel nennt er Jean Cocteaus Orphée von 1950: »Wir hatten zwei Kopien in der Sammlung, eine Originalfassung, die wir in Frankreich eingekauft hatten, eine OmU-Fassung von der Lupe (Verleih von Walter Kirchner, Anm. d. Red.) und eine DCP (Digital Cinema Package).« Die Originalfassung sei mehrere Generationen (also Umkopierungsgenerationen) besser gewesen als die OmU-Fassung. Bei der DCP jedoch, dessen Ausgangsmaterial das Kameranegativ gewesen war, konnte man pötzlich sehen, was an den Wänden des Filmsets hing, »das war ein völlig anderer Filmeindruck und entsprach dem, was die Leute bei der Premiere gesehen hatten, viel eher als das in den Details zugelaufene Bild unserer 35mm-Kopie«.
»Nicht jede Digitalisierung ist automatisch besser«, weiß Drößler, »aber wenn auf das ursprünglich Ausgangsmaterial zurückgegriffen wird, dann ist sie logischerweise besser als eine analoge Umkopierung, die immer mit Qualitätseinbußen verbunden ist.« Und führt fort: »Bei den digitalen Restaurierungen lassen wir die Originale schön so, wie sie sind und schneiden nicht herum«, alles werde digitalisiert, alle Montagearbeiten digital gemacht. Die Originale, und auch die Nitro-Originale sollen dann bei entsprechenden Bedingungen konserviert werden. »Nur wenn das analoge Ausgangsmaterial zerfällt, sollte man es umkopieren.«
Anders als andere Filmarchive, die sich schwer damit getan haben, die digitale Technik überhaupt zu akzeptieren, habe er versucht, die digitalen Möglichkeiten kreativ, also für die Restaurierung, zu nutzen. Fatal sei, dass sich viele Filmarchive kein Know-how für die digitale Filmrestaurierung angeeignet haben und daher dem Tun der Digitalfirmen ausgeliefert seien. Techniker neigen dazu, alles technisch so perfekt wie möglich zu machen, während dies in historischer Hinsicht eben falsch sein kann, so Drößler. Wie bei der Restaurierung des 4-Kanal-Magnettons von Lola Montez. »Im Tonstudio saßen die Tüftler und haben den Ton restauriert. Der hörte sich glasklar an, wie Dolby-Ton«, Drößler schüttelt sich allein durch die Erwähnung. Er habe dann erwirkt, das für den Magnetton typische Grundrauschen zu lassen, und zwar als historisches Phänomen, nicht aber um etwa den Film historisch erscheinen zu lassen: »Was zum ursprünglichen Werk gehört, 'verbessern' wir nicht. Das ist die rote Linie, die wir nicht überschreiten wollen.«
Sorgfalt bei der Restaurierung walten zu lassen und immer zu überlegen, was der Originalzustand gewesen war, sind die Leitlinien bei der digitalen Restaurierung. Filme in allen Details wieder zugänglich zu machen und einen Bildeindruck wie bei der historischen Premiere zu schaffen, darum soll es gehen. Und wenn beim Ton das Knarzen der Vorführkopie ausbleibt, kann ein Film plötzlich auch in den Details wieder gehört werden. Früher war es mit dem Knistern der Kopie, das sich durch die mechanische Abnutzung oder analoge Umkopierung über die Lichttonspur legte, bisweilen nur ein ahnungsvolles Imaginieren dessen gewesen, was da auf der Leinwand verhandelt wurde. Während man sich oftmals durch die Dialoge mittels einzelner Wortfetzen hangelte, versteht man heute fast jedes Wort.
Die Vorführer drücken heute die Knöpfchen der digitalen Maschinen wie der Portier in Jacques Tatis Playtime, und wenn etwas nicht funktioniert, kommt ein Techniker und sieht online in den Projektor, berichtet Claudia Engelhardt. Die Vorführer Waco Wagner, Gisela Eberspächer und Karin Hofmann können ein Lied davon singen, und auch Gerhard Ullmann und Wolfgang Woehl, die im ersten Stock an den Schneidetischen und digitalen Kopierwerken sitzen, haben schon ihre schweißtreibenden Erfahrungen gemacht, wenn bei der Vorführung plötzlich der Ton ausblieb oder das Bild unergründliche grüne Artefakte zeigte.
Das Programm legen sie zu viert fest. Neben Stefan Drößler und Claudia Engelhardt sind das Klaus Volkmer und Christoph Michel. Im Halbjahresprogramm werden bis zu 18 Filmreihen gezeigt, die die ganze Vielfalt der Filmgeschichte widerspiegeln. Traditionell werden historische Filme aus Deutschland, Europa und dem klassischen Hollywood gezeigt, es gibt Annäherungen an die Filmgeschichte über Regisseure, Schauspieler und Genres. Auch aktuelle Filme finden sich immer wieder im Programm, durch Jahresrückschauen, thematische Programmierungen oder Festivals, die im Filmmuseum zu Gast sind.
»Ich bin absolut gegen Kanonisierung. Filmgeschichte muss man modular sehen! Für jeden bekannten Film gibt es andere Filme, die eine ähnliche Funktion in der Filmgeschichte haben«, erklärt Drößler die Programmstruktur. So entsteht ein weit gefasstes Spektrum der gezeigten Filme, die einen tiefen Einblick in die Filmgeschichte erlauben. »Es muss nicht immer Nosferatu oder Caligari sein«, betont Drößler, das wäre viel zu kurzfristig gedacht. Aber auch Klassiker spielt er ganz bewusst, denn einen Film sehen, heißt, ihn im Kino sehen.
Zum Abschluss proklamiert Drößler noch: »Wir müssen genau definieren, was Kino ist. Das müssen wir museal hochhalten, dabei aber aufpassen, dass wir nicht angestaubt sind. Wir müssen historische Vielfalt und die aktuellen Entwicklungen reflektieren!«
Mehr Nachdenken über das, was wir machen, es bewusst mit Inhalten füllen, und den überkommenen Erwartungen widerstehen: Das erscheint mir ein sehr sympathisches Fazit für meinen Besuch, der auch mich in meinem ideologischen Standpunkt zumindest zum Nachdenken gebracht hat.
Am heutigen Tag wurde in Berlin die große Koalition gebildet. Im Vorfeld gab es eine Petition zur Rettung des Filmerbes, das still, aber kontinuierlich zerfällt.
Jetzt wurde der Wortlaut des Koaltionsvertrags bekannt:
»Unser nationales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben. Es bedarf hierfür neben einer Digitalisierungsförderung des Bundes auch der Beteiligung der Länder und der Filmwirtschaft. Die Stiftung Deutsche Kinemathek ist als eine der zentralen Einrichtungen zur Bewahrung und Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes zu stärken. Die Koalition wird auch das Bundesarchiv personell und finanziell stärken.«
Nicht nur das Bundesarchiv und die Stiftung Deutsche Kinemathek sollte man jedoch zur Rettung des Filmerbes stärken. Auch städtische oder Länder-Institutionen müssen dringend gefördert werden, will man tatsächlich etwas für das Filmerbe erreichen.