28.11.2013
Kinos in München – Filmmuseum München

»Es muss nicht immer Nosferatu oder Caligari sein«

Zuschauerram mit Leinwand im filmmuseum München
Purismus unterm Sternenhimmel: Der Kinosaal des Filmmuseums

Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Ein Besuch im Filmmuseum München anlässlich seines 50-jährigen Bestehens

Von Dunja Bialas

Prolog

Es ist immer ein unbe­schreib­li­ches Glücks­ge­fühl, wenn die Saal­be­leuch­tung ganz langsam erlischt und sich dadurch der Ster­nen­himmel aus vielen Lichtern auf sich aufmerksam macht. Der Blick richtet sich unwill­kür­lich an die Decke, um das Schau­spiel zu erleben, das pure Verheißung ist: Gleich geht es los mit dem Film, zu dem man gepilgert ist.

Kaum ein anderes Kino kann für sich das Ritu­al­hafte bean­spru­chen wie das Film­mu­seum München. Der Besuch knüpft sich mit verschie­denen Stationen, die man durch­quert wie in einem rite de passage, der einen wie Orpheus von der Oberwelt in die Unterwelt von Licht und Schatten führt. Am rundum verglasten Kassen­häu­schen im Erdge­schoss­foyer ersteht man seine Eintritts­karte mit der Entrich­teung eines eher symbo­li­schen Obulus' von vier bzw. drei Euro (für Mitglieder des Vereins Münchner Film­zen­trum). Dann geht es die Treppe hinunter. Ein langer Gang im Unter­ge­schoss bringt einem zum Kinosaal, wo der Karten­ab­reißer und Saal­auf­seher mit strengem Blick die Gültig­keit der Eintritts­karte bemisst.

Es war damals ein echter Kerberos-Moment, als noch die Cineasten der Stadt den begehrten Job des Karten­ab­reißers inne­hatten, schließ­lich konnten sie als Saal­auf­seher alle Filme sehen und bekamen auch noch Geld dafür. Sie musterten einen von Kopf bis Fuß, ob die Frequenz der Film­mu­se­ums­be­suche nun schon reiche, um in den hehren Kreis der Cine­philen aufge­nommen zu werden.

Im ganz in Schwarz gehal­tenen Kinosaal sucht man sich dann wie intuitiv seinen Platz, möglichst immer am selben Ort – prüfende Blicke richten sich dabei auf die zweite Reihe rechts außen: ist Fritz Göttler da?, der allein mit seiner Anwe­sen­heit den Kino­be­such zu einem wichtigen Moment zu erheben vermag. Früher saß am Dienstag, egal, was gespielt wurde, Herbert Achtern­busch im Kinosaal, es gab eine Frau mit rosé­far­benem Turban, die vor der Vorfüh­rung häkelte und ihre immer nackten Füße zwischen die damals noch braunen Plüsch­sessel streckte. Heute sitzen die Cineasten meist in der dritten oder vierten Reihe, begrüßen sich wortlos mit einem aner­ken­nenden Nicken und sprechen erst nach dem Film mitein­ander, oben, im zugigen Foyer oder im Stadtcafé, sofern es hier für die Gesprächs­durs­tigen nach der Vorstel­lung noch ein Getränk gibt.

Ganze Gene­ra­tionen Film­be­geis­teter wurden in diesem rituellen Takt die Treppe hinunter und wieder hinauf­ge­führt, im Wechsel der unter­schied­li­chen Leiter. Die ältesten unter den Kino­gän­gern, und damit die unan­ge­foch­tene und bewun­derte erste Gene­ra­tion des Film­mu­seums, erinnern sich noch an die Zeit, als das Kino im Zeughaus des Stadt­mu­seums unter­ge­bracht war, im ersten Stock, als der vordere Marstall noch nicht wieder errichtet war.

»Das passierte erst unter Enno Patalas im Jahr 1977«, klärt mich Stefan Drößler auf. Ich sitze im Büro des Film­mu­seums im ersten Stock, am Ende eines langen Gangs, in dem sich decken­hoch VHS-Kassetten in Regalen aufreihen. Es riecht nach Papier und konzen­trierter Arbeit, allem haftet eine gewis­sen­hafte Strenge an, wie es sich für ein Museum gehört. Film­mu­se­ums­leiter Stefan Drößler sitzt mir gegenüber, neben ihm seine Stell­ver­tre­terin Claudia Engel­hardt. Wir haben uns getroffen, um über das Film­mu­seum zu sprechen, das am 30. November 2013 seinen 50. Geburtstag begeht. Die Geschichte des Film­mu­seums, das merke ich bald, ist eine wech­sel­hafte, die sich unter verschie­denen, teils auch ideo­lo­gisch geführten Graben­kämpfen vollzogen hat.

Grün­der­jahre

Das Film­mu­seum München nahm als erste Kine­ma­thek Deutsch­lands seinen Kino­spiel­be­trieb auf, und kann in dieser Hinsicht als ältestes Film­mu­seum Deutsch­lands gelten. »München war die erste Kommune in Deutsch­land, die sich gezielt für Filmkunst und Kino einge­setzt hat«, erzählt Drößler. Als kommu­nales Kino wurde es dem Stadt­mu­seum ange­glie­dert, und zwar als Bestand­teil der neu geschaf­fenen Foto- und Film­ab­tei­lung. Der erste Leiter des Film­mu­seums, damals noch »Film­ab­tei­lung des Photo- und Film­mu­seums« wurde der 59-jährige Rudolph S. Joseph, Film­be­auf­tragter der Stadt. Er eröff­netet das Film­mu­seum mit Der Prozess von Georg Wilhelm Pabst und zeigte die Ausstel­lung »Wie Walt Disneys Zeichen­trick­filme entstehen«, die durch Europa tourte. Ausstel­lungen wie »Die schau­spie­le­ri­sche Entwick­lung von Sophia Loren« oder »Paul Wegener, ein Pionier der Filmkunst« folgten, und 1967 kaufte Joseph die erste Filmkopie von Michel­an­gelo Antonioni an, L’avventura, in der ungekürzten Origi­nal­fas­sung.

Joseph war ein Emigrant, der zurück­ge­kommen war, und hatte trotz seiner Bemühungen keinen guten Stand als Film­mu­se­ums­leiter. Das hatte mit der Bewegung von ‘68 zu tun, die als Kampf der Gene­ra­tionen ausge­fochten wurde, so Drößler. »Es war ihnen völlig egal, ob einer ein Emigrant oder ein Remigrant war, oder ob er hier­ge­blieben war. Man war einfach gegen die alte Gene­ra­tion.« Hinzu kamen das Ober­hau­sener Manifest und die Aufmerk­sam­keit der Kritiker auf den Jungen Deutschen Film, während Joseph mehr seine Kontakte spielen ließ, die er von seinen Emigran­ten­jahren als Produzent aus den USA mitge­bracht hatte.

»Die ersten Programme und Ausstel­lungen wurden von einigen sehr kritisch beurteilt«, so Drößler, »Wilhelm Roth in der 'Süddeut­schen Zeitung' schrieb sehr negative Artikel über Joseph«, und fügt hinzu: »In der öffent­li­chen Wahr­neh­mung erscheint es, als wäre das Film­mu­seum eine verschla­fene Abteilung gewesen, bis Enno Patalas auftauchte.« Dabei fiel Josephs Amts­an­tritt in eine Zeit, in der sich die Tätigkeit des Film­mu­seums im Kontext einer bundes­weiten insti­tu­tio­na­li­sierten Film­kultur erst defi­nieren musste und Restrik­tionen als Zuge­ständ­nisse an die kommer­ziell geführten Kinos unter­worfen war. So stand damals im Raum, eine zentrale deutsche Kine­ma­thek für den Ankauf von Film­ko­pien zu gründen, weshalb Joseph sich anfäng­lich zurück­hielt und vor allem film­be­glei­tende Mate­ria­lien für Ausstel­lungen erwarb. Außerdem durfte er nur das als unkom­mer­ziell geltende 16mm-Format vorführen, und dies nur vor 20 Uhr.

»Dann kam Enno«

Ausge­rechnet sein größter Kritiker, Enno Patalas, wurde dann 1973, als Joseph in Pension ging, sein Nach­folger. »Das hat Joseph sehr getroffen«, erklärt Drößler. Es gab daher weder eine Amtsü­ber­gabe noch wurde mitein­ander gespro­chen, und in einem Interview, das Eckhart Schmidt mit ihm 1997 in Santa Barbara in Kali­for­nien führte, spricht Joseph zum ersten Mal über seine Zeit in München. »Es ist herz­zer­reißend zu sehen, wie er über München redet und sofort in Tränen ausbricht.«

Wenn er so viel zu Joseph sagt, der das Film­mu­seum in den ersten zehn Jahren leitete, gehe es ihm nicht darum, Enno Patalas zu schmälern, betont Drößler. Mit seinem Wirken habe Patalas die Vergan­gen­heit jedoch so in den Schatten gestellt, dass die Grün­der­jahre völlig unbe­leuchtet blieben.

Mit Enno Patalas zog der Junge Deutsche Film ins Film­mu­seum ein, weniger die erste Gene­ra­tion um Edgar Reitz und Alexander Kluge, die das Ober­hau­sener Manifest verkündet hatte, sondern die zweite und dritte Gene­ra­tion um Rainer Werner Fass­binder, Werner Schroeter oder Vlado Kristl. Patalas' Vorliebe galt den Außen­sei­tern, den vers­tö­renden Radikalen des deutschen Films, Jean-Marie Straub & Danièle Huillet wurden Stamm­gäste des Hauses. Patalas verschrieb sich außerdem dem Credo des Öster­rei­chi­schen Film­mu­seums »Filme kann man nur ausstellen, indem man sie zeigt«. Er fuhr folge­richtig die Ausstel­lung von film­be­glei­tenden Objekten zurück, verwandte den frei­ge­wor­denen Etat zunehmend auf den Ankauf von Film­ko­pien und inten­si­vierte die Film­re­kon­struk­tionen. Am Schnei­de­tisch von Leni Riefen­stahl, die sie dem Film­mu­seum über­lassen hatte.

Die neue Patalas-Ära mani­fes­tierte sich für die Besucher ab 1977 durch einen neues Kino, das im wieder­errich­teten Marstall­trakt einge­richtet wurde. Es war puris­tisch, in einem schwarz ausge­schla­genen Saal, den die 8 x 3,50 Meter große Leinwand domi­nierte. »Die Sitze hatten dieses hässliche Braun«, befindet Drößler, aber sie folgten ganz dem Konzept des Unsicht­baren Kinos, das Peter Kubelka zuerst im New Yorker Anthology Film Archive und später als dessen Leiter im Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum einge­richtet hatte. (In einer Spen­den­ak­tion, die durch die Freunde des Münchener Film­zen­trums durch­ge­führt wurden, wichen die Sessel 2002 einer roten Bestuh­lung, was wiederum Kubelka bei seinem Besuch im Mai 2013 zur Bemerkung veran­lasste, diese würden nicht rein­passen und durch die lebhafte Farbe den Charakter des »Unsicht­baren« zerstören.)

Patalas, der den schlechten Zustand der Klassiker alar­mie­rend fand, begann mit Film­re­kon­struk­tionen, die zunächst darin bestanden, Kopien, die er sich aus der ganzen Welt kommen ließ, zusam­men­zu­schneiden, um eine volls­tän­di­gere Fassung des bisher Bekannten zu erhalten. Der Purismus eines Film­mu­seums, das sich ganz auf Essenz und Historie des Films konzen­trierte, schlug sich auch in den Programm­an­kün­di­gungen nieder, die Patalas wöchent­lich auf einer Schreib­ma­schine tippte und die lediglich Filmtitel, Land, Jahr, und die wesent­li­chen Credits enthielten. Wenn ein japa­ni­scher oder russi­scher Film im Original gespielt wurde, wurde in einem Beiblatt, das vor der Vorstel­lung ausge­teilt wurde, der Inhalt zusam­men­ge­fasst. Patalas' Wirken wurde derart legendär, dass selbst seine Schreib­ma­schine zum aura­ti­schen Objekt erhoben wurde und heute im Berliner Film­mu­seum zu besich­tigen ist.

Bis 1992 gelang es Patalas, alle Cineasten hinter sich zu verei­nigen und dem Film­mu­seum einen sagen­haften Ruhm zu verschaffen. Er versäumte aber, einen Nach­folger aufzu­bauen. Fritz Göttler, der seit 1984 stell­ver­tre­tender Leiter des Film­mu­seums war, verließ seine Stelle und ging als Kritiker zur »Süddeut­schen Zeitung«. Bis zu seiner Pensio­nie­rung 1994 hatte Patalas dann das alleinige Sagen im Haus, was auch noch seine Nach­folger spüren durften.

Ein Ameri­kaner in München

Es folgte Jan-Chris­to­pher Horak. Der gebürtige Nord­rhein­west­fale war als Baby »mit seinen Eltern und seinem Zwil­lings­bruder in die USA emigriert«, wie auf der Seite der IMDB nach­zu­lesen ist, und kehrte mit 13 Jahren aus Chicago nach Frankfurt zurück, wo er die Ameri­ka­ni­sche Schule besuchte. Nach Studien in den USA verfasste er in Münster eine Disser­ta­tion mit dem Titel: »Anti-Nazi-Filme der deutsch­spra­chigen Emigra­tion von Hollywood 1939-1945.« Die Wahl Horaks zum neuen Leiter des Film­mu­seums, der sich u.a. gegen Heiner Gassen und Fritz Göttler durch­setzte, wurde ein Brücken­schlag zum ersten Film­mu­se­ums­leiter Joseph, durch biogra­phi­sche Paral­lelen und ähnlicher Kultu­ra­lität, und ein Schlag in die Magen­grube all derer, die sich eine Konti­nuität im Geiste Patalas' gewünscht hatten.

Horak holte Robert Fischer ins Film­mu­seum, den er aus seiner Zeit in Münster kannte und machte ihn zu seinem stell­ver­tre­tenden Leiter. Unter seine Ära, die von 1993 bis 1998 dauerte, fällt die Übernahme des Orson-Welles-Nach­lasses und der Ankauf der Kopien von Arnold Fanck. Die Besucher des Film­mu­seums werden sich aber vor allem an das anfäng­lich monatlich heraus­ge­ge­bene »Off«-Magazin im Vier­farb­druck erinnern, das die puris­ti­schen Patalas-Papiere ablöste. Als Horak eine Stelle in den Universal Studios angeboten bekommt und das Film­mu­seum verlässt (heute ist er Leiter des UCLA Film & Tele­vi­sion Archive in Los Angeles), übernimmt Robert Fischer als kommis­sa­ri­scher Leiter. Ganze einein­halb Jahre später muss er zurück in die stell­ver­tre­tende Position und Platz machen für einen neuen Leiter: Stefan Drößler.

Bonner Sommer­theater

Lupen­reines »Bonner Sommer­theater«, wie die regel­mäßig zum Sommer­loch abge­hal­tenen Poli­ti­ker­in­trigen zur Zeit der Bonner Republik genannt wurden, war dann, was sich mit dem Einzug des aus dem Köln-Bonner Raum kommenden Stefan Drößler verband. Er war Leiter der Bonner Kine­ma­thek und hatte dort das »Bonner Sommer­kino« ins Leben gerufen, ein Open-Air-Festival für Stumm­filme. Wieder gab es keine Kommu­ni­ka­tion mit dem, der den Platz als – wenn auch kommis­sa­ri­scher – Leiter räumen musste. »Ich fand ein leer­geräumtes Büro vor«, erinnert sich Drößler an den Tag seines Dien­st­an­tritt, immer noch erstaunt über den Münchner Empfang, »es war nicht leicht, mich hier zurecht­zu­finden.«

Robert Fischer, der als Kandidat für die Leitung des Film­mu­seums Drößler unterlag, zog bald seinen Hut. Mit Claudia Engel­hardt, die seitdem stell­ver­tre­tende Leiterin des Film­mu­seums ist, begann dann eine neue Ära.

Lich­ter­schläuche und Digi­ta­li­sie­rung

Drößler, der 1999 nach München kam, hatte die Reno­vie­rung des über zwanzig Jahre alten Kinosaals zur Bedingung seines Amts­an­tritts gemacht. 2003 war es soweit: Die ein Jahr zuvor gespen­deten roten Stühle blieben, der Saal wurde mit neuen Teppichen ausge­kleidet und vor allem die Technik auf den neuesten Stand gebracht. Die einzelnen Glüh­birnen des Ster­nen­him­mels, die in fünf Meter Höhe schwebten und nur unter Slapstick-Gefahr mittels langer Leitern ausge­tauscht werden konnten, wurden durch Glasfaser-Licht­schläuche ersetzt. »Das ist die modernste Kino­be­leuch­tung, die es gibt«, schwärmt Drößler. Die neue Beleuch­tung ist ziel­ge­richtet, so dass man sogar bei einge­schal­tetem Saallicht Filme sehen kann. »Du bist wie in einer dunklen Wolke und siehst die Ränder des Raumes nicht«, versucht er das Gefühl der Punkt­be­leuch­tung zu beschreiben, »mit dem senk­rechten Licht können bei einer Stumm­film­vor­füh­rung mit Musik­be­glei­tung die Klavier­tasten beleuchtet werden, ohne dass es jemanden stört.«

Wichtig war auch der Leinwand-Cache, mit dem das Bild klare Konturen und räumliche Tiefe erhält. Vier unab­hän­gige Motoren sorgen dafür, dass man nun das Bild auch assy­m­e­trisch abcachen kann. Außerdem gibt es seitdem Infrarot für Kopfhörer, die separate Projek­ti­ons­mög­lich­keit digitaler Unter­titel und natürlich ein modernes Sound­system. Außerdem gab es seit 1997 bereits einen Videobeam, der dazu benutzt wurde, VHS-Kassetten zu proji­zieren.

Die digitale Technik erhielt dann erst 2008 Einzug ins Film­mu­seum. »Wir haben in dem Moment digi­ta­li­siert, wo der Server nicht nur für DCP offen war«, so Drößler. Es gibt einen Eingang für mindere Formate, also auch für alle Video­for­mate, nur so sei die Digi­ta­li­sie­rung für das Film­mu­seum inter­es­sant geworden. Ursprüng­lich hatte die Industrie sogar digitale Projek­toren entworfen, die wie analoge gebaut waren und die diese ersetzen sollten. Aber: »Kein Kino­be­sitzer konnte es sich leisten, den analogen Projektor raus­zu­schmeißen, weil es eben nicht den digitalen Schnitt gab, bei dem es hieß: 'Ab jetzt ist alles digital!'«

Das Film­mu­seum steckt seit dem Einzug der neuen digitalen Technik die Vorführ­technik in ihrer Gesamt­heit ab: Gezeigt werden können die analogen histo­ri­schen Formate, und neben allen profes­sio­nellen auch alle analogen Amateur­for­mate sowie die Band­breite des Digitalen.

Graben­kämpfe

Seit der Aufsto­ckung der Vorführ­technik durch einen digitalen Projektor gelangen im Film­mu­seum mehr und mehr digitale Kopien zur Vorfüh­rungen. Dies verdankt sich aber der beson­deren Sorge um den richtigen Bild­ein­druck und kann nicht als pauschale Entschei­dung für ein bestimmtes Träger­me­dium bewertet werden.
»Es gibt Leute, die sich an einer rotsti­chigen Kopie ergötzen oder einfach nur an der Tatsache, dass Film­ma­te­rial gelaufen ist«, regt Drößler sich auf und lässt dabei indirekt durch­bli­cken, welcher Kritik er seit der Digi­ta­li­sie­rung des Film­mu­seums ausge­setzt ist. »Sie erkennen nicht, wenn eine Ausschuss­kopie gezeigt wurde, die bei jeder Einstel­lung eine andere Licht­stim­mung hat.« Er versuche, eine objek­ti­vere Haltung zu entwi­ckeln, die nicht einem Format allein des Formats wegen huldigt. »Es ist ein ideo­lo­gi­scher Kampf, der da ausge­fochten wird«, meint Drößler, der sich aber vermut­lich bald erübrigt haben wird. »Es wird kippen, wenn sich die Leute beschwerden, wenn es einen Sprung in der Kopie gibt, weil sie anderes gewohnt sind.«

Auch den Hinweis auf die Patina bei Kunst­werken lässt Drößler nicht gelten, und allmäh­lich wird das Miss­ver­s­tändnis sichtbar, das sich zwischen ihm und den »Ideologen« aufgetan hat. »Es ist ein Unter­schied, ob ein Gemälde langsam zerfällt, oder ob ich eine Kopie von einem Film bekommen kann, die perfekt ist.« Der Graben, das wird deutlich, besteht im Zwischen­raum der Worte »Perfek­tion« und »Patina«. Wie in der Unter­schei­dung zwischen signifié, dem Bezeich­neten, und signi­fiant, dem Zeichen­träger, verläuft hier die Demar­ka­ti­ons­linie zwischen histo­ri­schem Inhalt und Träger­me­dium. So will »Perfek­tion« die histo­ri­sche Rich­tig­keit des Gezeigten, »Patina« hingegen das histo­ri­sche Träger­me­dium, das unter Umständen auch Gebrauchs­spuren aufweisen darf.

Ein ganzes Jahr lang habe Drößler mit seinen Vorfüh­rern, die der digitalen Vorfüh­rung äußerst skeptisch gegen­ü­ber­standen, Vergleiche ange­stellt. Als Beispiel nennt er Jean Cocteaus Orphée von 1950: »Wir hatten zwei Kopien in der Sammlung, eine Origi­nal­fas­sung, die wir in Frank­reich einge­kauft hatten, eine OmU-Fassung von der Lupe (Verleih von Walter Kirchner, Anm. d. Red.) und eine DCP (Digital Cinema Package).« Die Origi­nal­fas­sung sei mehrere Gene­ra­tionen (also Umko­pier­ungs­ge­ne­ra­tionen) besser gewesen als die OmU-Fassung. Bei der DCP jedoch, dessen Ausgangs­ma­te­rial das Kame­ra­ne­gativ gewesen war, konnte man pötzlich sehen, was an den Wänden des Filmsets hing, »das war ein völlig anderer Film­ein­druck und entsprach dem, was die Leute bei der Premiere gesehen hatten, viel eher als das in den Details zuge­lau­fene Bild unserer 35mm-Kopie«.

»Nicht jede Digi­ta­li­sie­rung ist auto­ma­tisch besser«, weiß Drößler, »aber wenn auf das ursprüng­lich Ausgangs­ma­te­rial zurück­ge­griffen wird, dann ist sie logi­scher­weise besser als eine analoge Umko­pierung, die immer mit Quali­täts­ein­bußen verbunden ist.« Und führt fort: »Bei den digitalen Restau­rie­rungen lassen wir die Originale schön so, wie sie sind und schneiden nicht herum«, alles werde digi­ta­li­siert, alle Monta­ge­ar­beiten digital gemacht. Die Originale, und auch die Nitro-Originale sollen dann bei entspre­chenden Bedin­gungen konser­viert werden. »Nur wenn das analoge Ausgangs­ma­te­rial zerfällt, sollte man es umko­pieren.«

Anders als andere Film­ar­chive, die sich schwer damit getan haben, die digitale Technik überhaupt zu akzep­tieren, habe er versucht, die digitalen Möglich­keiten kreativ, also für die Restau­rie­rung, zu nutzen. Fatal sei, dass sich viele Film­ar­chive kein Know-how für die digitale Film­re­stau­rie­rung ange­eignet haben und daher dem Tun der Digi­tal­firmen ausge­lie­fert seien. Techniker neigen dazu, alles technisch so perfekt wie möglich zu machen, während dies in histo­ri­scher Hinsicht eben falsch sein kann, so Drößler. Wie bei der Restau­rie­rung des 4-Kanal-Magnet­tons von Lola Montez. »Im Tonstudio saßen die Tüftler und haben den Ton restau­riert. Der hörte sich glasklar an, wie Dolby-Ton«, Drößler schüttelt sich allein durch die Erwähnung. Er habe dann erwirkt, das für den Magnetton typische Grund­rau­schen zu lassen, und zwar als histo­ri­sches Phänomen, nicht aber um etwa den Film histo­risch erscheinen zu lassen: »Was zum ursprüng­li­chen Werk gehört, 'verbes­sern' wir nicht. Das ist die rote Linie, die wir nicht über­schreiten wollen.«

Sorgfalt bei der Restau­rie­rung walten zu lassen und immer zu überlegen, was der Origi­nal­zu­stand gewesen war, sind die Leit­li­nien bei der digitalen Restau­rie­rung. Filme in allen Details wieder zugäng­lich zu machen und einen Bild­ein­druck wie bei der histo­ri­schen Premiere zu schaffen, darum soll es gehen. Und wenn beim Ton das Knarzen der Vorführ­kopie ausbleibt, kann ein Film plötzlich auch in den Details wieder gehört werden. Früher war es mit dem Knistern der Kopie, das sich durch die mecha­ni­sche Abnutzung oder analoge Umko­pierung über die Licht­ton­spur legte, bisweilen nur ein ahnungs­volles Imagi­nieren dessen gewesen, was da auf der Leinwand verhan­delt wurde. Während man sich oftmals durch die Dialoge mittels einzelner Wort­fetzen hangelte, versteht man heute fast jedes Wort.

Das Film­mu­seum im Alltag

Die Vorführer drücken heute die Knöpfchen der digitalen Maschinen wie der Portier in Jacques Tatis Playtime, und wenn etwas nicht funk­tio­niert, kommt ein Techniker und sieht online in den Projektor, berichtet Claudia Engel­hardt. Die Vorführer Waco Wagner, Gisela Eber­spächer und Karin Hofmann können ein Lied davon singen, und auch Gerhard Ullmann und Wolfgang Woehl, die im ersten Stock an den Schnei­de­ti­schen und digitalen Kopier­werken sitzen, haben schon ihre schweiß­trei­benden Erfah­rungen gemacht, wenn bei der Vorfüh­rung plötzlich der Ton ausblieb oder das Bild uner­gründ­liche grüne Artefakte zeigte.

Das Programm legen sie zu viert fest. Neben Stefan Drößler und Claudia Engel­hardt sind das Klaus Volkmer und Christoph Michel. Im Halb­jah­res­pro­gramm werden bis zu 18 Film­reihen gezeigt, die die ganze Vielfalt der Film­ge­schichte wider­spie­geln. Tradi­tio­nell werden histo­ri­sche Filme aus Deutsch­land, Europa und dem klas­si­schen Hollywood gezeigt, es gibt Annähe­rungen an die Film­ge­schichte über Regis­seure, Schau­spieler und Genres. Auch aktuelle Filme finden sich immer wieder im Programm, durch Jahres­rück­schauen, thema­ti­sche Program­mie­rungen oder Festivals, die im Film­mu­seum zu Gast sind.

»Ich bin absolut gegen Kano­ni­sie­rung. Film­ge­schichte muss man modular sehen! Für jeden bekannten Film gibt es andere Filme, die eine ähnliche Funktion in der Film­ge­schichte haben«, erklärt Drößler die Programm­struktur. So entsteht ein weit gefasstes Spektrum der gezeigten Filme, die einen tiefen Einblick in die Film­ge­schichte erlauben. »Es muss nicht immer Nosferatu oder Caligari sein«, betont Drößler, das wäre viel zu kurz­fristig gedacht. Aber auch Klassiker spielt er ganz bewusst, denn einen Film sehen, heißt, ihn im Kino sehen.

Zum Abschluss prokla­miert Drößler noch: »Wir müssen genau defi­nieren, was Kino ist. Das müssen wir museal hoch­halten, dabei aber aufpassen, dass wir nicht ange­staubt sind. Wir müssen histo­ri­sche Vielfalt und die aktuellen Entwick­lungen reflek­tieren!«

Mehr Nach­denken über das, was wir machen, es bewusst mit Inhalten füllen, und den über­kom­menen Erwar­tungen wider­stehen: Das erscheint mir ein sehr sympa­thi­sches Fazit für meinen Besuch, der auch mich in meinem ideo­lo­gi­schen Stand­punkt zumindest zum Nach­denken gebracht hat.

Epilog

Am heutigen Tag wurde in Berlin die große Koalition gebildet. Im Vorfeld gab es eine Petition zur Rettung des Filmerbes, das still, aber konti­nu­ier­lich zerfällt.

Jetzt wurde der Wortlaut des Koal­ti­ons­ver­trags bekannt:

»Unser natio­nales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben. Es bedarf hierfür neben einer Digi­ta­li­sie­rungs­för­de­rung des Bundes auch der Betei­li­gung der Länder und der Film­wirt­schaft. Die Stiftung Deutsche Kine­ma­thek ist als eine der zentralen Einrich­tungen zur Bewahrung und Zugäng­lich­ma­chung des deutschen Filmerbes zu stärken. Die Koalition wird auch das Bundes­ar­chiv personell und finan­ziell stärken.«

Nicht nur das Bundes­ar­chiv und die Stiftung Deutsche Kine­ma­thek sollte man jedoch zur Rettung des Filmerbes stärken. Auch städ­ti­sche oder Länder-Insti­tu­tionen müssen dringend gefördert werden, will man tatsäch­lich etwas für das Filmerbe erreichen.

Zur Geschichte des Film­mu­seum München:

  • Fest­schrift »50 Jahre Film­mu­seum München«, Hrsg. Film­zen­trum München e.V. Erhält­lich an der Kinokasse

Literatur zur Geschichte der Münchner Kinos:

  • »Für ein Zehnerl ins Paradies – Münchner Kino­ge­schichte 1896 bis 1945«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 247 Seiten, € 59
  • »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, € 42
  • »Das Münchner Film- und Kinobuch – Die Biogra­phie der Filmstadt München«, hg. v. Eberhard Hauff, Edition Acht­ein­halb, 1988, 303 Seiten, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 2: Die Stumm­film­zeit aus der Sicht eines Münchner Stadt­teils, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Nie bedeutend ...aber immer noch da – Das Arena – 100 Jahre Kino in der Hans-Sachs-Straße 7«, von Winfried Sembdner, hg. v. Arena Film­theater Betrieb­sGmbH, jezza! Verlag, 96 Seiten, € 10
  • »Wir feiern 100 Jahre Film­theater Send­linger Tor – Eine Kino­ge­schichte. Die Chronik zu 100 Jahrn Film­theater Send­linger Tor«, von Gabriele Jofer, Hrsg. Film­theater Send­linger Tor GmbH. Erhält­lich an der Kinokasse