Der wilde Schlag meines Herzens |
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France: Bruno Dumont kommt ins Theatiner! | ||
(Foto: MFA+) |
Von Dunja Bialas
Léa Seydoux hat als Fernsehreporterin viele Schlachten zu schlagen. In der überhitzten Atmosphäre des gegenwärtigen Frankreich und vor dem Hintergrund schwelender Auslandskonflikte gerät die Journalistin in eine Art mystische Krise mit der modernen Welt. Blanche Gardin, zuletzt zu sehen in Online für Anfänger, leistet ihr als Freundin Beistand, einer ihrer Gegner wird der eigene Ehemann, mit Melancholie von Benjamin Biolay verkörpert. Willkommen in France, dem neuen Film von Bruno Dumont. Die Journalistin heißt übrigens France de Meurs.
France de Meurs! Frankreich der Sitten (mœurs)! Der Film sollte ursprünglich »Par ce demi-clair matin« (deutsch etwa: »Eines dunstigen Morgens«) heißen, nach einer Textsammlung des Philosophen Charles Péguy, der sich Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund des deutsch-französischen Kriegs Gedanken über das Wesen der französischen und deutschen Nationen machte. Dumont hatte sich bereits für seinen Zweiteiler Jeannette / Jeanne den katholischen Sozialisten Péguy vorgenommen, der heute von zeitgenössischen Philosophen wie Alain Badiou und Bruno Latour wieder auf die Lektürelisten gesetzt wird. Der studierte Kino-Philosoph Dumont wiederum hat die Gedanken Péguys zur Vorlage einer abgefahrenen Satire genommen, die jetzt in München auf den Französischen Filmtagen in Vorpremiere zu sehen ist. Bruno Dumont ist anwesend! (Fr, 26.11., 18 Uhr)
Zum zweiten Mal gastieren die früher immer Berlin vorbehaltenen Französischen Filmtage im Münchner Theatiner-Kino. Letztes Jahr durchkreuzte Corona die Veranstaltung, dieses Jahr liegt eine schwere Last auf dem Programm, wenn die Bayerische Staatsregierung mit harten Bestimmungen den Kinobesuch erheblich erschwert. Die Devise lautet nun 2Gplus, man muss geimpft und getestet sein, hinzu kommt die FFP2-Maske am Platz. Eigentlich ein 2Gplusplus.
Das sollte nicht vom Besuch abhalten. Zu sehen sind neue französische Produktionen, die nicht unbedingt einen deutschen Verleih haben. La Fracture von Catherine Corsini, die in Deutschland bislang allenfalls eingefleischten Frankreich-Liebhabern bekannt ist, kommt direkt aus Cannes. Valeria Bruni Tedeschi spielt in der Trennungsgeschichte mit Gipsarm, die wörtliche Einlösung des vielsagenden Titels »Der Bruch«. Am Rande einer Demo kommen ihr Demonstranten in die Quere, ein Sinnbild auch dafür, wie in Frankreich gerade alles zu Bruch zu gehen scheint: das politische Leben, das Private, der menschliche Körper und auch der politische Körper. Fotografiert hat den Film die erfahrene Kamerafrau Jeanne Lapoirie, die man aus der Zusammenarbeit mit Luc Besson, Agnès Varda, André Téchiné und François Ozon kennt. (Do, 25.11., 18 Uhr)
Mathieu Amalric ist einer der großen Frauenschwärme des zeitgenössischen Kinos. Seine Mischung aus Trotteligkeit, Verletzlichkeit, Nachdenklichkeit und Verträumtheit machen ihn zur Inkorporation angesagter Sensibilität. Tralala der Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu (Malen oder Lieben) ist ein Musical, das in Frankreich mit Jacques Demy eine ganz eigene Tradition vorweisen kann und im Dezember mit Leos Carax’ großartigem Annette noch einmal in Höchstform durchstarten kann (wenn auch in englischer Version). Tralala knüpft direkt an die französische Tradition an. Mathieu Amalric ist ein Straßenmusiker namens Tralala (ja, die Franzosen haben einen Hang zur Albernheit), der nach Lourdes (Geburtstadt der Regie-Brüder) fährt, um eine Frau wiederzufinden, in die er sich verliebt hat. Was soll man sagen? Lourdes ist die Stadt der Wunder und der heiligen Komödie. (Sa, 27.11., 18 Uhr)
Mit Tony Gatlif kommt ein schweres Kaliber auf die Leinwand. Der Algerier mit Roma-Wurzeln wurde mit seinen engagierten Filmen über Algerien (La terre au ventre, 1975) oder die Situation der Roma (Corre, gitano, 1981) bekannt. Sein neuer Film Tom Medina spielt in der Camargue, wo er eine Vater-Sohn-Geschichte vor der rauen Wildheit und begleitet von provenzalischen Flamenco-Klängen inszeniert. (So, 28.11., 18 Uhr)
Der Goldene-Palme-Gewinner Jacques Audiard ist ebenfalls ein Schwergewicht des zeitgenössischen französischen Kinos. Gemeinsam mit Céline Sciamma (Porträt einer jungen Frau in Flammen) hat er das Drehbuch für Les Olympiades geschrieben, der im gleichnamigen Viertel des 13. Pariser Arrondissements spielt. Hier kreuzen sich die Wege von drei Frauen und einem Mann, die alle über die Liebe nachdenken. Der in Schwarzweiß gedrehte Film erinnert an die Nouvelle-Vague-Reminiszenzen von Philippe Garrel und ist eine zärtliche Hommage an das französische Kino von dem kraftvollen Genre-Regisseur, der mit Ein Prophet 2009 eine Schneise der Kraft in das französische Autorenkino geschlagen hatte. Der fast Siebzigjährige aber kann auch sensibel und ganz und gar ergreifend sein und hat dem französischen Kino, so man dankbar den ausnahmsweise sehr schönen deutschen Verleihtitel nimmt, einen »wilden Schlag des Herzens« verpasst. (Mi 1.12., 18 Uhr)
Französische Filmwoche
24.11. bis 01.12.2021
Theatiner Filmkunst
Theatinerstr. 32
80331 München
Kartenreservierung: 089 / 22 31 83