Reden ist Silber, Schweigen ist Gold |
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Generationsübergreifender Widerstand mit einem Meer aus Schweigen in Mehmet Ali Konars The Dance of Ali and Zin | ||
(Foto: Mehmet Ali Konar) |
Von Axel Timo Purr
Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. – Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus
Die Autonome Region Kurdistan im Nordirak ist in den letzten Wochen vor allem durch ihre Flüchtlinge in das Zentrum der medialen Aufmerksamkeit geraten. Seien es die Kurden, die versuchten, über Belarus nach Polen zu gelangen, oder das erste namentlich identifizierte Opfer der Katastrophe Ertrinkender auf dem Ärmelkanal – es sind junge, meist gut ausgebildete Kurden, die durch sinkende Ölpreise und die COVID-Pandemie nicht mehr wie bisher von Strukturanpassungsmaßnahmen der Regierung aufgefangen werden und das kurdische Dilemma, ein Volk ohne Staat zu sein, nun in einem wirtschaftspolitischen Kontext reproduzieren.
Wie so oft in krisengeschüttelten Regionen gibt es aber auch in Kurdistan eine gut funktionierende Parallelwelt, mehr noch auf einem Filmfestival wie dem DuhokIFF, das sich seit seinem Beginn als Tor zur Welt verstanden hat, und mehr noch vor allem dazu dienen soll, über die kulturelle Schiene kurdische Identitätsbildung zu fördern. Zwar scheint auch in der perfekten Inszenierung dieses Festivals die Realität durch, gibt es trotz der stadtweit verteilten, ständig brummenden Dieselgeneratoren sekundenlange, kurze Blackouts, und fallen auch hier Kommentare zur wirtschaftlichen Misere, berichten Praktikanten des Filmfests von schweren Zeiten, gibt es aber auch jene, die von fehlender Kreativität der jungen Generation reden und sich dagegen wehren, einen Staat zu fordern, der wie in Ägypten staatliche »Abstelljobs« schafft, die der Staat im Grunde nicht braucht, aber die junge Generation in Sicherheit wiegt und zum Schweigen verdammt.
Einen der potentiellen Jobgeneratoren stellt immerhin die eigene Filmindustrie dar, die seit Jahren überregional Erfolge auf Festivals feiert, aber angesichts der volatilen Sicherheitslage der Region bislang noch keine wirklich tragende Struktur entwickeln konnte, eine Filmwirtschaftsarchitektur, die etwa auch ausländischen Filmproduktionen konstruktive Angebote machen könnte, damit im Ausland populäre Filmthemen wie der Krieg gegen ISIS oder das Schicksal der jesidischen Minderheit nicht etwa in Georgien realisiert werden, sondern vor Ort.
Ein erster Schritt für eine neue Strategie für den kurdischen Film könnte die auf einem Panel im Kongresszentrum Duhoks während des 8. DuhokIFF (15.–23. November 2021) formulierte Forderung nach einer geregelten staatlichen Filmförderung gewesen sein, die zumindest vom anwesenden Kulturminister und Festivalleiter Amir Ali trotz der prekären wirtschaftlichen Lage als realistisch eingeschätzt worden ist und ein wenig Hoffnung für die Zukunft macht, auch wenn das politische Blabla und die verzweifelten Wortbeiträge der Filmschaffenden einen Kontrast bildeten, der auch in Deutschland nur allzu oft Alltag ist. Doch gerade in Kurdistan wäre zumindest eine Minimalrealisierung der anvisierten Ziele tatsächlich ein Segen, denn was in diesem Festival-Jahrgang an überraschend vielfältiger und atemberaubender Qualität in der Sektion »Kurdischer Spielfilm« gezeigt wurde, deutet an, welch erstaunliches Potential dieser Kulturraum allein schon ohne große Förderungen freigelegt hat und was noch alles möglich sein könnte.
Denn nicht nur Filme wie die kurdische Taxi Driver-Version Dirty Lands mit einem großartigen Hallo Ramshty in der Hauptrolle, die so unterschiedlichen Flüchtlingsdramen Little Refugee und Landless mit ihrem identitätsbildenden und nationaltraumata-bewältigenden Anspruch beeindruckten, sondern auch eine erzählerische Perle wie Okul Tirasis Brother’s Keeper mit seiner visuellen Kraft, inhaltlichem Nihilismus und subtilem Humor, der einen ähnlich verstörenden Kinderheim-Mikrokosmos entfaltet wie 2014 Myroslaw Slaboschpyzkyjs großes Jugenddrama The Tribe. Aber auch stilistische Gratwanderungen waren zu sehen. So wie etwa die politische Horror-Groteske Zalava und die semidokumentarische Vaterlandssuche Sidik And The Panther, die den kurdischen Referenzraum nicht nur um Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft erweitert – ohne sich davor zu scheuen, auch auf romantische Ideale und Bilder wie jene Caspar David Friedrichs zu verweisen und sie in den kurdischen Identitätsdiskurs einzubinden.
Diese ungewöhnliche Komplexität findet sich auch in dem wohl stärksten Film der Sektion, dem mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichneten The Dance of Ali and Zin von Mehmet Ali Konar. Der mit einem Budget von 20.000 Dollar realisierte zweite Film Konars erzählt die Geschichte einer kurdischen Familie in der Türkei. Nachdem ein Sohn in türkischer Haft stirbt, entscheidet sich die Mutter gegen den Willen ihres erstgeborenen Sohnes und der übrigen Familie, ihrem jüngeren Sohn zumindest noch eine Hochzeit auszurichten, um sein Leben nicht »unvollendet« verblühen zu lassen.
Der Konflikt nicht nur mit der Familie, sondern auch den türkischen Behörden wird über das überragende Ensemble um Suat Usta, Korkmaz Arslan, Maryam Boubani und Diman Zandi in eindrücklichen, immer wieder wortlosen, aber blickintensiven und gestik-betonten Dialogen dargestellt und über ein filigranes Sounddesign (Toke Borson Odin, Xebat Asmi) und eine eindrückliche Cinematographie (Deniz Enyüksek) noch einmal verstärkt. Konar lässt sich dabei immer wieder ausreichend Zeit, um seine Charaktere zu vertiefen, erzählt von Alltagsritualen wie Einkäufen in der Provinzhauptstadt, den Autofahrten übers Land, dem gemeinsamen Essen und dem Ernten von Honig, um fast nebenbei ein zu Anfang noch undurchschaubares Beziehungs- und Hierarchienetzwerk mehr und mehr zu entblättern und damit zu erklären.
Dabei hat Konar nicht nur den Mut, etwa über eine während der Hochzeitsmusik wehende Jacke im Wind oder die finale Einstellung der untergehenden Sonne mit poetischen Mitteln nicht nur familiäre Prozesse zu erklären. Denn mehr noch gelingt es Konar über eine im kleinen und privaten, auf der Mikroebene der Gesellschaft erzählte Geschichte, die tiefliegenden Konflikte und Probleme des türkisch-kurdischen Konflikts zu präsentieren – so archaisch wie poetisch als auch eindrücklich realistisch und nicht zuletzt zutiefst politisch. Und in eine Sprache, bzw. ein Schweigen eingebunden, das zum einen subtil-komplexes Kommunikationsmittel, zum anderen das letzte verbliebende Mittel des Widerstands ist.
Da Konar diesen Konflikt jedoch nie ganz ins erzählerische Zentrum stellt, gelingt es ihm gleichzeitig, eine universelle, fast schon biblische Geschichte über verlorene Liebe, verlorene Familienbande und eine verlorene Heimat zu erzählen, die gerade in unserer von Migrationsprozessen geprägten Gegenwart einen dankbaren Resonanzraum finden sollte.