Die 1002. Nacht |
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Verkleidet in einer veränderten Welt: Osama (2003) | ||
(Foto: Kino Asyl / Siddiq Barmak) |
Von Dunja Bialas
Kino Asyl wechselt dieses Jahr erneut in den Online-Modus, obwohl die Kinos offen sind und selbst die große Berlinale für den Februar den Präsenz-Fall anstrebt (»bislang gibt es keine Signale, dass die Planung eines Präsenzfestivals nicht weiterverfolgt werden soll«, so das Berlinale-Pressebüro). Allein der Blick auf zwei Werke aus Afghanistan lässt das Kino als Erlebnis- und Debattenraum schmerzlich vermissen. Zusammenhänge zwischen den Ereignissen und Zusammenhalt zwischen den Menschen im Kinoraum herstellen: die Begegnungen wären lohnenswert gewesen, zumal Kino Asyl seit 2015 Menschen erfolgreich miteinander in Dialog bringt und Vorbild ist für integrative Arbeit mit Geflüchteten. Wobei sich »integrativ« sogar zu wenig anfühlt, blickt man auf die Eigenständigkeit, mit der Geflüchtete unter dem Dach des Münchner »Jugendinformationszentrums« (JIZ) das Festivalprogramm kuratieren. Grundidee ist nicht nur Eigenständigkeit, sondern auch die Anerkennung der »mitgebrachten« Kultur, hier in Form von Filmen, die ausdrücklich mit dem einheimischen deutschen Publikum einen Dialog eröffnen sollen. Einen Dialog der Verständigung und des Verständnisses, auch um den Schmerz nachzufühlen, weil die Heimat zurückgelassen wurde, oder die Sehnsucht nach Frieden in den heute verlassenen, von Kriegen oder kriegsähnlichen Zuständen heimgesuchten Ländern.
Mit dem Dialog ist es online leider dahin. Immerhin geben die rund fünfzehn Kuratoren und Kuratorinnen schriftliche Statements ab, die wenigstens einen inneren Dialog mit den programmierten Filmen entfalten können. Auch gibt es vorproduzierte Einführungen, in denen mündlich erklärt wird, was bei der Filmauswahl wichtig war. So ergibt sich eine ganz und gar persönliche Note, und, ja, hinter der Idee treten die Menschen hervor. Eine auch jenseits der Flüchtlingsproblematik gute Idee der Kulturvermittlung.
Ergreifend sind die Statements der afghanischen Kuratoren Morteza und Mostafa. In wenigen Sätzen geben sie dem Drama hinter ihrem Schicksal und dem ihrer Landsleute Ausdruck. Morteza hat den afghanisch-iranischen Film Rona (2018) von Jamshid Mahmoudi ausgewählt. Der Film erzählt eine afghanische Fluchtgeschichte, die zunächst in den benachbarten Iran führt. Von da an soll zumindest Azim den Weg nach Deutschland finden, mithilfe eines Schleusers, seine betagte und sichtlich entwurzelte Mutter soll mit. Die verzweifelt stimmende Geschichte fängt die Situation in Teheran ein: Straßenarbeiten in der Nacht bestimmen das Leben des älteren Bruders, man spürt die Sinnentleertheit in der präzisen Anordnung der Bilder. Oft werden die Protagonisten in die Ferne gerückt, man sieht sie im Bildhintergrund am Ende eines Korridors, oder beim Beten, hinter einer Glasscheibe. Mortaza erläutert in seinem Statement: »Die Essenz ist, dass Geflüchteten oft nur eines bleibt: die Familie.«
Iran ist die erste Anlaufstelle der Flucht. Auch heute melden wieder die Nachrichten, dass täglich tausende Afghanen im Iran ankommen und buchstäblich auf der Straße stehen. Der Iran ist am Limit.
Kurator Mostafa erinnert mit Osama (2003) an den unentrinnbaren Schrecken des Taliban-Regimes. Der iranische Regisseur Mohsen Makhmalbaf hatte Siddiq Barmak in seinem Filmdebüt unterstützt, mit einer Kamera, mit Geld und vor allem auch mit seinen internationalen Kontakten, die zu weiteren Finanzierungen führten. Herausgekommen ist die packende Schilderung von Frauen unter den Taliban, die ihre Freiheiten, und sei es nur, allein auf die Straße zu gehen, verlieren. Als dann die Tochter, gespielt von Marina Golbahari, als Alleinernährerin für die Familie aufkommen muss, kommt ein von aller Romantik befreites Motiv wie aus 1001 Nacht zum Einsatz. Mit der ganzen inhärenten Verkleidungsdramatik schlüpft sie in die Rolle eines Jungen, um in der Taliban-Gesellschaft leben zu können. Das ist existentiell und bitterer Ernst.
Osama wurde bei den Golden Globes als bester ausländischer Film ausgezeichnet und ist Zeugnis für ein international geachtetes afghanisches Kino, das letztes Jahr, mit der Entlassung von Sahraa Karimi, der Direktorin der Afghan Film Organization, ein jähes Ende gefunden hat. »Do not let Afghan cinema die!« hatte sie noch der Weltöffentlichkeit zugerufen. Schon einmal war das afghanische Filmerbe durch die Taliban zerstört worden. Sie stufen Filme als ketzerisch ein und hatten bereits 1996 zu dessen systematischer Zerstörung aufgerufen. Welche Kraft in dem Erzählen afghanischer Prägung liegt – und auch in Zukunft hätte liegen können –, lässt sich in den präsentierten Werken erahnen.
Ergänzt wird der Blick nach Afghanistan durch eine Folge der TV-Serie »Between Me and You«. Kuratiert hat die Folge der Schauspieler Suliman Sanjar, der seit fast fünf Jahren in Deutschland lebt und selbst in der Serie mitspielt. In Kabul war er Theaterdozent an der Universität von Kabul. »Between Me and You« zeigt den Rechtezerfall in Afghanistan und entführt in die Atmosphäre der beliebten Telenovela. Eine Welt von Drama und Leidenschaft, die zuallererst in den Seifenopern ausgelebt wird. Das Kino nimmt es, anders als das Fernsehen, mit dem Leben ungleich ernster, so wie es das Leben auch ernst mit den Menschen meint.
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KINO ASYL online
7.-23. Januar 2022
7 Langfilme und zahlreiche Kurzfilme aus den Ländern Afghanistan, Iran, Palästina, Russland, Senegal, Syrien, Uganda
Kurator*innen u.a. Oury Diallo (Guinea), Adnan Jafar, Mitra, Ali Khorosh Fazli Bayat (Afghanistan), Elena Arminia (Iran), Arash, Mohammad, Morteza (Afghanistan), Osama, Jarcky Boy (SeneGambia), Marie, Suliman Sanjar (Afghanistan), Ayham (Syrien).
Alle Filme sind gebührenfrei unter www.kinoasyl.de abrufbar.
Eine Veranstaltung des JIZ München mit Filmstadt München e.V.