Kino Asyl: Die Welt vor unserer Tür |
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Kino als interkultureller Dialog | ||
(Foto: Max Kratzer/Kino Asyl) |
Von Axel Timo Purr
Wer einmal auf einer Veranstaltung von Kino Asyl gewesen ist und auf dichtgedrängtem Raum erlebt hat, wie begeistert hier Menschen mit Fluchterfahrung die Filmbeiträge aus ihrer und über ihre Heimat präsentieren, der möchte dieses Erlebnis nicht mehr missen und es unbedingt wiederholen. Denn nicht selten haben diese Filmbeiträge eine kollektive Begeisterung, fast schon einen Rausch erzeugt, weil nicht nur ihre Präsentation, sondern auch der Inhalt nur allzu deutlich gemacht haben, dass die hier gezeigten Welten gar nicht so weit vom Münchner Alltag entfernt, dass wir am Ende doch Menschen mit sehr ähnlichen Grunderfahrungen sind und wie es der Zufall der Geschichte so will, es ja vielleicht wir Münchner sein werden, die in zwanzig Jahren in Kabul, Teheran oder Dakar um Asyl bitten werden.
Aber nicht nur dieses initiale Erlebnis gibt es auf jeder Kino-Asyl-Veranstaltung gratis, sondern auch die Filme selbst, die zwischen dem 4. und 9. Dezember, nach zwei Jahren Online-Exil, wieder an realen Münchner Veranstaltungsorten gezeigt werden, an den Kammerspielen München, im NS-Dokumentationszentrum, dem Bellevue di Monaco, der Hochschule für Fernsehen und Film und dem Gasteig HP8.
Das Festival startet am 4. Dezember um 19:00 Uhr im Werkraum der Münchner Kammerspiele, mit einer Reihe von selbstproduzierten Filmen der Kurator:innen mit Fluchterfahrung. Der erste Film dieses Eröffnungsabends wird Blue-yellow Stork von Veronika Havrykova und Nastya sein, der auf die ukrainische Landesgeschichte aus aktueller Perspektive zurückblickt. Es folgt der Kurzfilm Buch der Erinnerung, in dem Maria Matinyan und Sona Nersesyan die journalistische Arbeit zu Kriegsbeginn in Armenien verarbeiten, ein Krieg, der in der deutschen Medien kaum thematisiert wurde. Zum Abschluss wird die ebenfalls selbstproduzierte Dokumentation A pain called migration über die Situation afghanischer Frauen im Iran zu sehen sein.
Der nächste Tag im NS-Dokumentationszentrum (19:00 Uhr) ist wieder »klassisches« Kino Asyl, ohne selbstproduzierte Anteile, das mit dem Kurzfilm Here is Afghanistan über den Einmarsch der Taliban von Khadim Hussain Byhnam eröffnet wird. Ein besonderer Film des diesjährigen Festivals ist der zweite Film des Abends, die ukrainische Tragikomödie My thoughts are silent, die die Ukraine von ihrer anderen, dem deutschen Alltag eher unbekannten, heiteren Seite zeigt, die auch durch das größte Unglück nicht erschüttert wird. Der Film erzählt die Geschichte des 22-jährigen Tontechnikers Vadym, der für seinen zukünftigen Arbeitgeber Geräusche eines seltenen Vogels aufnehmen muss, aber zahlreichen Hindernissen auf dem Weg begegnet.
Und auch die folgenden Abende stehen dann im Zeichen überraschend kuratierter Filmperlen aus den unterschiedlichsten Regionen. Am 6. Dezember wird im Bellevue de Monaco (20:00 Uhr) der armenische Kurz-Experimentalfilm mit dem äthiopischen Drama Rebuni kombiniert, am 7. Dezember (19:00 Uhr) an der Hochschule für Fernsehen und Film treffen dann zwei völlig unterschiedliche iranische Perspektiven aufeinander – Marjane Satrapis Klassiker Persepolis und der iranische Experimentalfilm Woman. Life. Freedom, der aus Videos und Kurzfilmen kompiliert, die Menschen mit ihren Smartphones aufgenommen und anonym auf digitalen Plattform geteilt haben, als die ersten große Demonstrationen in diesem Jahr begannen.
Auch der 8. Dezember ist diesem geografischen Raum vorbehalten, gibt es im Gasteig HP8 (19:00 Uhr) einen Film einer in Deutschland nur ganz selten zu sehenden iranischen Regisseurin zu sehen, Manije Hekmats Woman’s Prison. Eingeleitet wird dieser Film von einem der wenigen Filme aus afghanischer Produktion, Nima Latifis Kurzfilm Qamar, in dem Latifi die Zwangsehe in Afghanistan kritisiert.
Erst für den Abschlussabend im Bellevue di Monaco um 20:00 Uhr geht es wieder in andere Regionen, wird die senegalesische Doku Refugees at the sea gezeigt und erfahren wir im ebenfalls senegalesischen Kammerspiel Talaatay Nder von historischen Frauen, die gegen die Sklaverei und ihre Unterdrücker zu den Waffen griffen. Im dritten Kurzfilm des Abends, Jihad – Journey to Heaven befinden wir uns jedoch wieder im Land der »Läuse« und bei den Taliban und werden mit der Perspektive eines jungen Taliban-Mitglieds konfrontiert, der bewaffnet mit einem Sprengstoffgürtel dazu aufgefordert ist, einen Anschlag in seiner Stadt zu verüben.
Was auf Festivals immer auch enttäuschend sein kann, sei hier jedoch unbedingt empfohlen, weil sie eigentlich immer funktionieren: die Filmgespräche mit den Kurator:innen nach den Filmen, die nicht nur Hintergründe erschließen helfen, sondern auch einen interkulturellen Dialog ermöglichen, der über die Schnittmenge »Filminteresse« bereichernder nicht sein könnte.
KINO ASYL
04.–09.12.2022
Kammerspiele | NS-Dokumentationszentrum | Bellevue di Monaco | HFF | Gasteig HP8
Der Eintritt zu allen KINO ASYL Veranstaltungen ist frei. Um Spenden wird gebeten.