01.12.2022

Kino Asyl: Die Welt vor unserer Tür

Kino Asyl
Kino als interkultureller Dialog
(Foto: Max Kratzer/Kino Asyl)

Nach zwei Jahren Online-Exil kehrt das so ungewöhnliche wie kreative Mitmach-Festival KINO ASYL wieder in die Münchner Heimat zurück. Darüber darf, darüber muss man sich freuen!

Von Axel Timo Purr

Wer einmal auf einer Veran­stal­tung von Kino Asyl gewesen ist und auf dicht­ge­drängtem Raum erlebt hat, wie begeis­tert hier Menschen mit Flucht­er­fah­rung die Film­bei­träge aus ihrer und über ihre Heimat präsen­tieren, der möchte dieses Erlebnis nicht mehr missen und es unbedingt wieder­holen. Denn nicht selten haben diese Film­bei­träge eine kollek­tive Begeis­te­rung, fast schon einen Rausch erzeugt, weil nicht nur ihre Präsen­ta­tion, sondern auch der Inhalt nur allzu deutlich gemacht haben, dass die hier gezeigten Welten gar nicht so weit vom Münchner Alltag entfernt, dass wir am Ende doch Menschen mit sehr ähnlichen Grund­er­fah­rungen sind und wie es der Zufall der Geschichte so will, es ja viel­leicht wir Münchner sein werden, die in zwanzig Jahren in Kabul, Teheran oder Dakar um Asyl bitten werden.

Aber nicht nur dieses initiale Erlebnis gibt es auf jeder Kino-Asyl-Veran­stal­tung gratis, sondern auch die Filme selbst, die zwischen dem 4. und 9. Dezember, nach zwei Jahren Online-Exil, wieder an realen Münchner Veran­stal­tungs­orten gezeigt werden, an den Kammer­spielen München, im NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, dem Bellevue di Monaco, der Hoch­schule für Fernsehen und Film und dem Gasteig HP8.

Das Festival startet am 4. Dezember um 19:00 Uhr im Werkraum der Münchner Kammer­spiele, mit einer Reihe von selbst­pro­du­zierten Filmen der Kurator:innen mit Flucht­er­fah­rung. Der erste Film dieses Eröff­nungs­abends wird Blue-yellow Stork von Veronika Havrykova und Nastya sein, der auf die ukrai­ni­sche Landes­ge­schichte aus aktueller Perspek­tive zurück­blickt. Es folgt der Kurzfilm Buch der Erin­ne­rung, in dem Maria Matinyan und Sona Nersesyan die jour­na­lis­ti­sche Arbeit zu Kriegs­be­ginn in Armenien verar­beiten, ein Krieg, der in der deutschen Medien kaum thema­ti­siert wurde. Zum Abschluss wird die ebenfalls selbst­pro­du­zierte Doku­men­ta­tion A pain called migration über die Situation afgha­ni­scher Frauen im Iran zu sehen sein.

Der nächste Tag im NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum (19:00 Uhr) ist wieder »klas­si­sches« Kino Asyl, ohne selbst­pro­du­zierte Anteile, das mit dem Kurzfilm Here is Afgha­ni­stan über den Einmarsch der Taliban von Khadim Hussain Byhnam eröffnet wird. Ein beson­derer Film des dies­jäh­rigen Festivals ist der zweite Film des Abends, die ukrai­ni­sche Tragi­komödie My thoughts are silent, die die Ukraine von ihrer anderen, dem deutschen Alltag eher unbe­kannten, heiteren Seite zeigt, die auch durch das größte Unglück nicht erschüt­tert wird. Der Film erzählt die Geschichte des 22-jährigen Tontech­ni­kers Vadym, der für seinen zukünf­tigen Arbeit­geber Geräusche eines seltenen Vogels aufnehmen muss, aber zahl­rei­chen Hinder­nissen auf dem Weg begegnet.

Und auch die folgenden Abende stehen dann im Zeichen über­ra­schend kura­tierter Film­perlen aus den unter­schied­lichsten Regionen. Am 6. Dezember wird im Bellevue de Monaco (20:00 Uhr) der arme­ni­sche Kurz-Expe­ri­men­tal­film mit dem äthio­pi­schen Drama Rebuni kombi­niert, am 7. Dezember (19:00 Uhr) an der Hoch­schule für Fernsehen und Film treffen dann zwei völlig unter­schied­liche iranische Perspek­tiven aufein­ander – Marjane Satrapis Klassiker Perse­polis und der iranische Expe­ri­men­tal­film Woman. Life. Freedom, der aus Videos und Kurz­filmen kompi­liert, die Menschen mit ihren Smart­phones aufge­nommen und anonym auf digitalen Plattform geteilt haben, als die ersten große Demons­tra­tionen in diesem Jahr begannen.

Auch der 8. Dezember ist diesem geogra­fi­schen Raum vorbe­halten, gibt es im Gasteig HP8 (19:00 Uhr) einen Film einer in Deutsch­land nur ganz selten zu sehenden irani­schen Regis­seurin zu sehen, Manije Hekmats Woman’s Prison. Einge­leitet wird dieser Film von einem der wenigen Filme aus afgha­ni­scher Produk­tion, Nima Latifis Kurzfilm Qamar, in dem Latifi die Zwangsehe in Afgha­ni­stan kriti­siert.

Erst für den Abschluss­abend im Bellevue di Monaco um 20:00 Uhr geht es wieder in andere Regionen, wird die sene­ga­le­si­sche Doku Refugees at the sea gezeigt und erfahren wir im ebenfalls sene­ga­le­si­schen Kammer­spiel Talaatay Nder von histo­ri­schen Frauen, die gegen die Sklaverei und ihre Unter­drü­cker zu den Waffen griffen. Im dritten Kurzfilm des Abends, Jihad – Journey to Heaven befinden wir uns jedoch wieder im Land der »Läuse« und bei den Taliban und werden mit der Perspek­tive eines jungen Taliban-Mitglieds konfron­tiert, der bewaffnet mit einem Spreng­stoff­gürtel dazu aufge­for­dert ist, einen Anschlag in seiner Stadt zu verüben.

Was auf Festivals immer auch enttäu­schend sein kann, sei hier jedoch unbedingt empfohlen, weil sie eigent­lich immer funk­tio­nieren: die Film­ge­spräche mit den Kurator:innen nach den Filmen, die nicht nur Hinter­gründe erschließen helfen, sondern auch einen inter­kul­tu­rellen Dialog ermög­li­chen, der über die Schnitt­menge »Film­in­ter­esse« berei­chernder nicht sein könnte.

KINO ASYL
04.–09.12.2022
Kammer­spiele | NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum | Bellevue di Monaco | HFF | Gasteig HP8
Der Eintritt zu allen KINO ASYL Veran­stal­tungen ist frei. Um Spenden wird gebeten.