Ertrinken im Meer der Möglichkeiten |
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Auch Albert Serras neuer Film ist am Start... | ||
(Foto: FILMFEST MÜNCHEN / Albert Serra) |
»Fester, fester, fester hab ich gesagt. Fester« – das Korsett kann gar nicht fest genug gezogen werden. Nein, nein, nicht das des locker-flockigen Sommerfilmfests München, das jetzt – wenn man so will durchaus pandemiebedingt – endlich wieder da stattfindet wo es hingehört: im Kino.
Sondern das der Kaiserin von Österreich.
Corsage, der Eröffnungsfilm des Filmfest München von Marie Kreutzer, erzählt von Elisabeth, »Sissi«, und bildet den Auftakt zu zehn Tagen eines heiteren Sommerfestivals.
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Sissi mal ganz anders. Nicht als Bussi-Bussi-Herzensgirl mit Heimatfilm-Appeal, sondern als spröde, ein wenig dauergenervte und gelangweilte reiche Gattin, der ihre Schlösser zu groß und der Mann zu langweilig ist. Die Frau hat echte Probleme...
Eine »feministische Perspektive«, so sagen jetzt manche, habe dieser Film. Aber was ist eigentlich das Feministische daran? Der »weibliche Blick«. Dass es um eine Frau geht, ist ja wohl kaum hinreichend. Ist es ein weiblicher Blick, eine Frau so zu zeigen. wie sie hier gezeigt wird, als irgendwie passiv-aggressive rebellische Schmerzensfrau, die sich dann doch »nimmt was ihr gehört«, und genau weiß, wann und wie sie eine Ohnmacht vortäuschen kann, und wie sie dann fallen
muss, um sich nicht zu verletzen, aber doch glaubwürdig außer Dienst zu sein?
Man wüsste gerne mal, wie dieser Film aufgenommen würde, hätte ihn ein Mann gemacht. Und die Behauptung, das ginge nicht, ist ein bisschen arg schlicht.
Die feministische Perspektive dieses Films ist aber mehr eine Behauptung als Wirklichkeit. Denn zum einen beweist sich Feminismus am wenigsten am Schauplatz eines Hofes im 19. Jahrhundert, wo die Frauen der höfischen Gesellschaft weitaus freier waren als Weberinnen oder Bergwerksarbeiterinnen. Und Sissi ist, unter den ganzen Prinzessinnen des 19. Jahrhunderts, noch einmal ein Spezialfall.
Marie Kreutzer erzählt mehr von einem Menschen als Opfer der höfischen Gesellschaft – Sissis Sohn Rudolf ist nicht weniger ein Opfer als seine Mami.
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Ein guter, interessanter Film. Das einzige echte Problem dieses Films ist seine Hauptdarstellerin: Vicky Krieps, der menschgewordene »Luxemburg-Effekt« (gemeint ist die Filmförderung, die Ausgabe-»Effekte« verlangt), mag manches können, eine Sissi ist sie nicht. Weder in der Tradition von Romy Schneider noch als moderne Frau des 21. Jahrhunderts an einem Hof des 19. Nun lebt aber gerade so ein Film vor allem von seiner Hauptdarstellerin. Wir müssen mit ihr fühlen und leiden.
Geht das? Ich habe meine Zweifel. Hätte zum Beispiel jemand wie Marie Bäumer oder Nicolette Krebitz die österreichische Kaiserin gespielt, dann wären die Verfremdungseffekte der Regisseurin noch weit mehr aufgegangen.
So aber funktioniert nichts wirklich mit dieser Figur in einem ansonsten respektablen Film, der ein sehr bekanntes Thema noch einmal etwas anders erzählt.
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Man muss allerdings auch realistisch sein: Corsage ist nun nicht allein aus romantischen Gründen der München-Eröffnungsfilm, oder deswegen, weil alle ihn so toll finden, sondern weil der Film bereits gut zwei Wochen später, am 7. Juli ins Deutsche Kino kommt, noch dazu von einem Münchner Verleih.
Win-Win auf bayerische Art.
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Ansonsten ist das Filmfest wieder einmal im Guten wie Schlechten das Cannes an der Isar. Schon klar: München ist nicht ansatzweise so wichtig wie das Festival von Cannes und auch sonst hat München wenig Ähnlichkeiten mit einem Badeort an der Côte d’Azur.
Das Filmfest München speckt ab und wird dabei Cannes immer ähnlicher. Denn waren es früher einmal über 300 Filme, und vor der Pandemie immer noch rund 250, so werden in diesem Jahr nur 120 Filme aus 52 Ländern gezeigt. Immerhin. Das entspricht immer noch der Größe der wichtigsten »A-Festivals« wie Cannes und Venedig.
Und von den 120 Filmen im Programm des Filmfest stammen allein 20 Filme, also ein Sechstel, aus dem diesjährigen Cannes-Programm. Weitere sechs Filme stammen aus dem Cannes-Programm vom letzten Jahr, mehr ein weiteres Dutzend Filme aus anderen A-Festivals wie Venedig, Locarno und San Sebastian. Die normalen Kino-Zuschauer muss das nicht weiter kümmern – man sieht hier Voraufführungen von Filmen, die sowieso ins deutsche Kino kommen, denn Filme, die bisher noch keinen Kinoverleih haben, gibt es weitaus weniger unter den internationalen Beiträgen in München.
Zugleich darf man nicht drum herum reden: Die Finanzen des Filmfest werden deutlich knapper. Vor drei Jahren hatte der Ministerpräsident Markus Söder noch großspurig von einer Vervielfachung des Festivaletats schwadroniert – aber damals war auch Wahlkampf. Und dann kam, das immerhin muss man auch der bayerischen Regierungspartei zugute halten, Corona.
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Das Bild, das sich jetzt zeigt, ist diffus: »Im Meer der Möglichkeiten« heißt schon ein Blogeintrag auf der Filmfest-Seite – nicht unzutreffend. Man hätte vielleicht hinzufügen sollen, dass man bei dieser Seefahrt am besten eine Schwimmweste und einen Rettungsring dabeihat, um im Meer der Möglichkeiten nicht zu ertrinken. Das Filmfest bietet einen solchen Rettungsring jedenfalls nicht. Und auch ein Bademeister ist nicht in Reichweite.
Es ist ein unglaublich unübersichtliches, chaotisches Programm, das von außen gesehen keinerlei Orientierung gibt. Was »Cinerebels«, »Cinevision« und »Cinemasters« unterscheidet, können einem auch Filmfestmitarbeiter nur vage erklären.
Ist vielleicht auch egal, Hauptsache Filme.
Das was aber wirklich neu ist, das sind die Kinofilme im Deutschen Wettbewerb. Allein 15 der 35 Weltpremieren befinden sich schon mal in diesem Wettbewerb.
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Aber was sich sonst wirklich lohnt, hat man in Cannes und Venedig schon sehen können: Um nur mal heute zwei Beispiele zu nennen: Verlorene Illusionen von Xavier Giannoli nach einem Roman von Balzac: Opulentes, gut gemachtes Erzählkino – in dem es um die Korrumpierbarkeit der Medien im 19. Jahrhundert geht, was aber gleichzeitig noch hochaktuell ist.
Und dann das absolute Highlight Albert Serras Pacifiction: Ein hypnotischer Dreistünder, der einen mit der ersten Kamerafahrt schon in Bann zieht.
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In einem Schlüsselmoment von Pacifiction erklärt De Roller, der von Benoît Magimel gespielte Hochkommissar der französischen Republik auf der Insel Tahiti, mit einem Hauch von Kulturpessimismus, aber keineswegs von Niederlage, sondern triumphierend, dass Politik »eine Diskothek ist«. Von hier aus beginnt ein langer und intensiver Monolog, in dem er die Ohnmacht der Machthaber erkennt und beschreibt, eher erklärt, dass Politik nur Chimäre, nur
Bestandteil einer Weltsicht ist, nach der die Menschen alles kontrollieren wollen, ohne zu erkennen, dass alles ihrer Macht entweicht, dass es andere, tiefere Kräfte gibt, die die Welt wirklich kontrollieren. Pacifiction ist eine Chronik des Wirkens eben dieser Kräfte, eine Reflexion über politische und menschliche Ohnmacht, und über die Unfähigkeit, das Böse in der Welt auszurotten.
Etwas Schreckliches und Unheimliches kommt allmählich an die
Oberfläche des Sichtbaren, seltsame Kräfte treiben uns auf eine Art Apokalypse zu, in der der von vielen vorhergesagte Verfall des Westens erst noch geschehen muss, aber sicher geschehen wird. Das Böse ist auch in einen Raum eingedrungen, der vor Jahren von einigen als das letzte Paradies des Westens angesehen wurde, der als mögliche Zuflucht seiner ermüdeten Bewohner galt, als Jungbrunnen.
Claire Denis' Film L’intrus erzählte genau von diesem Raum, vor über 15 Jahren. Wir befinden uns im Herzen Polynesiens, aber dieses einstige Paradies ist zu einem miesen Nachtclub verkommen, in dem sich eine Reihe von sinistren Figuren betrinkt, die dazu verdammt sind, als tote Seelen noch durch die dunkelste Nacht zu wandern. Es gibt keine Touristen mehr auf dieser Insel, nur ein paar Parasiten, die auf die Dämmerung warten, um in das Herz ihrer eigenen Hölle einzudringen.
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An diesem Ort am Rande der Welt verkleiden sich die Eingeborenen und halten Rituale aufrecht, die längst zu bloßen Simulakren der Tradition geworden sind. Die Natur allein leuchtet weiter, wird aber nicht mehr in ihrer ganzen Pracht, sondern als etwas Geheimnisvolles betrachtet. De Roller ist auf die Insel gekommen, um ein paar Dinge in Ordnung zu bringen, um an Dingen herumzubasteln, die sein politisches Handeln rechtfertigen. Im Laufe des Films werden wir Zeuge einiger protokollarischer Besuche des Funktionärs, deren großartigster ein Surftest vor den großen Wellen ist, eine Fahrt auf hoher See hinein in die Schattierungen von Blau.
Ein Märchen, eine koloniale Phantasie zwischen Coppola, Fassbinder, Chantal Akerman und Lucrecia Martel – ein wunderbarer Film für München.