39. Filmfest München 2022
Die artechock Awards 2022 (Affordable but neat Swedish Design Edition) |
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Das Stärkste, was das Festival-Programm zu bieten hatte: Hlynur Pálmasons Godland | ||
(Foto: 39. Filmfest München) |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
HØMEBÅS – für die Gästebewirtung wie daheim
Der 50er-Jahre Mehrzwecksaal-Charme des Amerika-Hauses erwies sich zeitloser als die überlebte 80er Zukunftsvision des Gasteig. Als Kino ist’s zwar nicht ideal – aber eine Steigerung gegenüber dem Vortragssaal der Bibliothek... Und wenn’s zum einst von Funny van Dannen geforderten Himmel auf Erden mit Bierzelt mit Live-Musik im Garten noch ein bisserl hin ist, war der Biergartenkongress doch ein
gemütlicher Treffpunkt. Es soll deutsche Fernsehschauspieler geben, die da neun Tage nicht mehr weggekommen sind…
KLØTZ – für die Kleinen, zum Nachbasteln
Wenn man im Kino vor dem Film beim Festival-Trailer eben schnell die Augen schloss, um sie vor der bevorstehenden Bilderflut nochmal kurz auszuruhen, fühlte man sich direkt wie auf einem A-Festival. Der Berlinale, um genau zu sein. Deren Trailer-Musik mit ziemlicher Sicherheit hier als Temp-Track diente.
Öffnete man die Augen dann wieder, staunte man Bauklötze. Das war gar kein Feuerwerk, sondern ein buntes Münchner
Logo-Tetris.
LØS – für die Erleuchtung des Eingangsbereichs
Nach dem Schupfnudelschlamassel letztes Jahr setzt das Filmfest auch dieses Jahr nochmal auf Bayerische (Wir sind Kaiserin!) Folklore. Aber ach, was für cineastische Welten sich auftun zwischen der unverfänglich-amüsanten Ermittlerklamotte im Landhaus-Stil und Marie Kreutzers virtuos tastender Elisabeth-Annäherung und Mythos-Entfernung Corsage! Diese Deconstructed Sisi war mehr als nur ein Magentratzerl für einen Auflauf deutscher B-Prominenz im Bayrischen Hof. So tischt ein Festival auf, das mit Filmen strahlen will.
PRÅZIS – das kleinteilige Schubladenordnungssystem
Im erstaunlich umkämpften Wettbewerb um den besten Über-145 Minuten Film im 4:3 Bildformat, bei dem eine aus dem Schnee aufgetaute Leiche von Raben angepickt wird, hatte letztlich dann doch Godland (Vanskabte
land) das eingefrorene Nasenspitzerl vorn.
Dabei war Felix van Groeningens & Charlotte Vandermeerschs Le otto montagne durchaus ebenso ein Film mit panoramischer Sicht auf eine von Naturgewalten dominierte Landschaft, das Leben und die Vergänglichkeit. Hatte seine Geschichte zweier Freunde über die Jahrzehnte eine gute Verankerung in den
Texturen, dem Licht, der Präsenz des Bergmassivs. Waren das Stadtkind aus Turin und der Bub vom Berg, ihre einerseits alles abzirkelnden, andererseits im Zentrum verharrenden Lebenswege glaubhaft geschnitzt.
Doch nicht nur in dieser unerwarteten Unter-Unterkategorie war Hlynur Pálmasons Godland das Stärkste, was das Festival-Programm zu bieten hatte. Es brauchte keine Minute, um
zu merken, dass man es hier nochmal mit einer anderen Liga von Kino zu tun hatte. Mit einem großartigen Film über den vergeblichen Versuch des Menschen, sich die Naturgewalten irgendwie mit Religion, Mythologie, Bildermachen begreifbar zu machen, oder sogar Untertan. In einer Welt, in der alles Saubere, alles Organisierte, alles Zivilisatorische nur fremd ist – ob es dies einsieht, oder nicht.
Ein Film über das Gefühl, in die Welt auszuziehen, um sie zu besitzen
– um dann am Ende selbiger und seiner selbst festzuhocken. Eingesperrt in der Weite, zusammen mit Menschen, mit denen man plötzlich klarkommen muss, und die da eigentlich genauso wenig hingehören. Mit all den Kleinkriegen, den einstudierten Höflichkeiten, die so vermeintlich nebensächlich sind – jedoch über Leben und Tod entscheiden, weil die Zivilisation nur als Spiel existiert, und nur so lange, wie alle ihren Part erfüllen. Über das Gefühl, wie man zwischen den
Naturgewalten, zwischen plötzlich reißenden Gewässern und brodelnden Vulkanen, zwischen hartem, unbewachsenem Stein und giftigen, die Sinne raubenden Dämpfen plötzlich merkt, wie klein man ist. Wo man dem Göttlichen, dem Schöpferischen, sowas wie einem Ur-Gedanken der Welt so nah ist, dass kein Platz für Pietät bleibt. Wo selbst der Härteste plötzlich kleinlaut um ein Bild von sich bittet. Als Beweis, dass es ihn gibt, dass es ihn gab. Weil man sich verliert – und die echte
Zivilisation, jene da irgendwo über dem Meer, einen schon völlig vergessen hat. Man für sie erst Jahrzehnte später relevant wird. Weil man Bilder hinterlassen hat.
Und freilich ein Film mit einem lustigen Hund und Ida, dem kleinen Mädchen, das auf Pferden steht. [Anm. an die Red.: Ja, sic!, »auf Pferden steht«.]
SPÅT – das Memory Foam-Kissen für eine aufregende Nachtruhe
Nach getanem Weltkino-Tagwerk sich wieder in den roten Bauch des Rio 1 schleichen, um dort noch den verboteneren Filmen zu fröhnen, die dem (Alb-)Traum näher sind und tiefer am Stammhirn kitzeln: Die Genre-Mitternachts-Schiene hat uns gefehlt, und wir freuen uns sehr über ihre Rückkehr, auch wenn sie nun schon gut vor der Geisterstunde beginnt. So entgeht man immerhin den Fängen des gruseligen
Schienenersatzverkehrs!
STØR – für den Erhalt der öffentlichen Ordnung
Wir brauchen gar keine Musik: halbwegs angeregte Gespräche über Filme schienen die Gemüter derer, die nicht dabei waren, hinreichend hochkochen zu lassen. Unklar bleibt, ob es unter den zahlreichen Nachbarn in diesem berühmten Wohnviertel die Forstwirtschaftliche Vereinigung Oberbayern gegenüber oder doch die Geschäftsstelle der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften war, die sich in ihrer Nachtruhe
gestört fühlte. So oder so musste noch vor zwölf das Filmfest die entspannte, genehmigte Abschlussparty dieser städtischen Veranstaltung im Garten des Amerika-Hauses beenden, bevor die geschätzten Gäste (circa 100) wirklich von der Polizei vor die Tür gesetzt worden wären. Mut zur Rebellion: Der Karolinenplatz wird der neue Gärtnerplatz!
ÅNTIMÅRKŮS – für Friends with less money
Nicht, dass wir dem FFMUC nicht mehr Geld gönnen. Trotzdem fühlte sich dieses Jahr wieder stimmiger an als in den Jahren mit mehr Budget. Als wäre man dieses Jahr damit gezwungenermaßen bedachter umgegangen – und hätte sich somit wieder mehr auf die eigentlichen Stärken des Festivals konzentriert: Diskutierenswerte Filme. Das gemeinsame Kinoerlebnis. Local Heros. Die Begegnungen auf den Wegen zwischen den
Kinos, bei denen man einander schnell Filmtipps zuruft. Gefühlt ist doch alles zwischen Sendlinger Tor und Arri wieder mehr eine Festivalmeile, als die rätselhafterweise sich nie etablierende »Feierbanane«. Von der HFF zum Sendlinger Tor schafft man’s auch zu Fuß, mit kurzem Abstecher im Amerika-Haus – wie einst vom Rio ins MaxX mit Festivalzentrumsabstecher ins Gasteig. Nur die Isar müssen wir jetzt noch an den Karolinenplatz leiten.