Loslegen, drehen. Nicht immer lange nachdenken, oder fragen, was gerade gewünscht ist |
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Klaus Lemke (2. v. r.) bei der Premiere von Dancing with Devils (2009) | ||
(Foto: Kaethe17, CC BY-SA 4.0) |
Von RP Kahl
Klaus Lemke war ein Filmemacher, der noch verstanden hat, was Film im Ursprung sein könnte, nämlich die Verbindung aus Sex, Crime, Rock'n'Roll und Unterhaltung. Das war sein Credo, ohne dass er deshalb je Mainstream-Filme gemacht hätte. Das klingt nach einem Widerspruch: Denn einerseits bedeutet es, Filme nicht als Kunst-, sondern als Unterhaltungsmedium wahrzunehmen, andererseits aber dabei keine Konfektionsware herzustellen, um einem großen Zuschauerkreis zu
gefallen.
Sondern sich zu sagen: Film ist nicht in erster Linie Kunst, sondern Unterhaltung. Aber ich nehme mir trotzdem die Freiheit, das zu machen, was mir gefällt, was ich will. Das war Klaus Lemke.
Auf Lemke bin ich erstmals 1995 gestoßen. Ich war 24 Jahre alt, kam aus der DDR. Deswegen sind mir diese frühen, heute berühmten Klaus-Lemke-Filme wie Rocker noch gar nicht so bewusst gewesen. Für mich ging es mit dem letzten Film dieser ersten Ära los, als er noch in klassischer Form gedreht hat: Das Flittchen und der Totengräber. Der Titel sagt schon alles. Dieser Film ist das Gegenteil von politisch korrekt, er ist total unwoke. Sein Begriff des Verhältnisses von Mann und Frau entstammt eventuell einer anderen Zeit. Der Film ist halb improvisiert, mit wenig Geld gedreht, aber immer noch auf 35 Millimeter.
Lemkes Gestus ist gewesen: »Ich halte keine Arbeitsgesetze ein, ich zahle wenig Geld, die Schauspieler gehen einfach mal los. Ich mache das ohne Filmförderung.« Klaus Lemke verkörpert damit all das, was man sich selbst wünscht – dass man nicht politisch korrekt sein muss, dass man nicht darauf achten muss, ob man Green Shooting einhält, dass man sich nicht dauernd in erster Linie fragt, ob man der tollste Arbeitgeber ist, der ganz ordentlich bezahlt und nur sieben Stunden und 20 Minuten am Tag arbeiten lässt und dass man sich vor allem nicht mit Filmförderung und Senderinteressen herumschlagen muss. All das verkörperte er. Deswegen hatte er so eine Fama und war auch so ein Wunschbild von vielen von uns deutschen Filmemachern – ohne dass wir unbedingt alle seine Filme gucken mussten.
Mit diesem Gestus steht Lemke zugleich auch für eine Tradition des Genrekinos, die es in Deutschland gab, bevor diese Filmemacher dann aus den bekannten Gründen Deutschland verlassen mussten und in Amerika gedreht haben.
Es gibt darunter neben den Berühmten auch noch viele Namenlose, die in Amerika düstere Gangsterfilme gedreht haben. Die fehlen als Vater- und Mutterfiguren, auf die man sich berufen kann, der Generation vor mir. Lemke müssen sie auch gefehlt haben. Er ist dann
künstlerisch vielleicht noch in den Bahnhofskinos aufgewachsen, die ich auch nicht mehr kenne, mit dieser Mischung aus Amistreifen, früher Nouvelle Vague – was auch kein normaler Volksschullehrer damals geguckt hat – und »Schundfilmen«, oder was man als Schund ansehen würde, nämlich Softporno- und Gewaltfilme und Krimis.
Vielleicht hat es auch was mit München zu tun, der Stadt, die sich immer als was anderes verstanden hat als das politische West-Berlin von Wim Wenders oder Düsseldorf oder das eingeschlafene Bonn. München war eine Stadt mit Grandezza und Amerikanähe. Und zu Lemke gehören ja dann Namen wie Rudolf Thome, wie Max Zihlmann – vor ein paar Monaten erst gestorben – , auch ein großartiger Drehbuchautor, der Drehbuchautor von Rote Sonne von Thome. Sie bildeten die »Münchner Gruppe«, die zu Unrecht etwas vergessen ist. So bin ich auf Lemke gekommen. Ich hatte Rudolf Thome für mich entdeckt. Das war eine Gruppe von Menschen, die gesagt haben: »Okay, wir lassen uns nicht von Politik und Filmförderung einspannen, das interessiert uns nicht, das lassen wir mal lieber den Alexander Kluge machen, der kann mit seinen SPD-Kontakten die Filmförderung erfinden und dann schöne Kunstfilme machen.« Nichts gegen Alexander Kluge. Aber es ist eine andere Form von Denke. Es muss eben die verschiedenen Möglichkeiten geben.
Auch Lemke hat sich nicht komplett der Marktwirtschaft unterworfen, sondern mit den Geldern des ZDF, für das er lange Zeit Filme gemacht hat, öffentliche Gelder genommen – aber keine »Staatsknete« und natürlich zu ganz anderen, viel gradlinigeren für ihn praktikablen Bedingungen.
Ich habe Riesenrespekt vor Klaus Lemkes Sachen. Er war am Ende eine ganz wichtige Figur, die der nächsten Generation vor Augen hielt, worum es eigentlich gehen sollte, nämlich um die Freiheit beim Filmemachen. Loslegen, drehen. Nicht immer lange nachdenken, nicht immer fragen, was gerade gewünscht und gewollt ist, sondern loslegen.
Da entstanden Filme, in denen oft großartige Szenen drin waren, weil die einfach passiert sind und in dieser Laienhaftigkeit, in der sie gedreht haben, eine große Lebendigkeit hatten. Und er hat immer wieder so tolle Leute entdeckt, zuletzt Saralisa Volm. Wenn Klaus Lemke nicht Saralisa Volm angesprochen hätte, hätte ich mit ihr nicht Als Susan Sontag im Publikum saß machen können. Wenn er nicht Timo Jacobs entwickelt hätte, könnte der nicht seine coolen Filme machen. Henning Gronkowski, Mela Feigenbaum etc. pp. Und na klar, diese ganzen Altstars, angefangen von Thomas Kretschmann, Hollywoodstar, einst Schwimmer aus Ost-Berlin.
Jetzt nach seinem Tod wäre es, glaube ich gut, wenn sich eine Gruppe von Menschen, die mit ihm auf prägende Weise verbunden waren und dann Vatermord begehen mussten wie Volm oder Jacobs, die sich von ihm emanzipieren mussten, auch weil er ihnen vielleicht ein bisschen auf den Keks gegangen ist, wenn die sich zusammentun würden und sagen: Hey, wir machen das Klaus-Lemke-Archiv, wo es jedes Jahr eine Klaus-Lemke-Masterclass gibt, wo wir seinen Geist gemeinsam feiern, und nicht nur jetzt schöne Nachrufe schreiben, über ihn reden, weinen – und danach ist alles vorbei. Ich glaube, die, die von ihm diese Energie mitgekriegt haben, die sollten sich zusammenschließen zu einer Klaus-Lemke-Gesellschaft und diesen Geist in Zukunft hochhalten.
Nach dem Filmfest München wollte er sofort anfangen, was Neues zu drehen. Die Fama geht, dass er es noch geschafft hätte. Also gibt es eventuell noch Material für einen neuen Lemke-Film. Der sollte unbedingt von einer Gruppe von Freunden zu Ende gemacht werden, von Henning Gronkowski oder Detlef Bothe. Irgendjemand muss auch diese Rolle einnehmen, diese Rolle des Außenseiters, sich eine gewisse Narrenfreiheit zu nehmen und daran zu erinnern: Hey, Kinder, nur mit Wokeness, nur mit Green Shooting, nur mit »Wir haben ganz faire Arbeitsbedingungen und danken ganz brav immer der Filmförderung nach jeder Premiere« – wird man nicht zu guten Filmen kommen.
Darum wäre es auch großartig, wenn ein deutsches Filmfestival jetzt eine schöne Klaus-Lemke-Retrospektive zeigen würde – um alle deutschen Filmemacher entsprechend zu schulen und herauszufordern. Ich glaube aber, dass uns da ein Festival außerhalb Deutschlands zuvorkommen wird – die Viennale in Wien. Das ist traditionell ein Hort des Cineastischen. Eigentlich erwarte ich dort eine riesige Lemke-Retrospektive in bester digitaler Form. Natürlich wäre es besser, wenn man in Deutschland ein paar von den alten Sachen auch gleich noch mal neu digitalisieren würde. Dafür gibt es ja Filmförderung, höhö, aber das ist in dem Fall okay, ist ja kulturelles Erbe. Und im besten Falle gäbe es ein Mashup – noch einen Klaus-Lemke-Film ohne Klaus Lemke. Ich sagte ja, viele seiner letzten Filme hatten immer einzelne gute Szenen. Manchmal war der ganze Film schon ein bisschen anstrengend. Aber wenn man daraus den neuen Klaus Lemke, »Das Vermächtnis des Klaus Lemke«, drehen würde, und das als Eröffnungsfilm der Berlinale 2023 zeigen, dann würde ich auf Knien angekrochen kommen. Dafür würde ich sogar eine Maske aufsetzen.