Ein Bayer im Dschungel |
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Das Schiff muss den Berg hoch | ||
(Foto: Studiocanal, Fitzcarraldo (1982)) |
Von Dunja Bialas
»Jeder für sich und Gott gegen alle.« So hat Werner Herzog seine »Erinnerungen« übertitelt, die wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag am 5. September erschienen sind. Mancherorts wird dies als »Ereignis« gefeiert, und in der Tat ist es eine schöne Sache, Herzogs eigentümlich karge Mündlichkeit auf dem Papier nachzuvollziehen, sein Schreiben liest sich wie einer seiner Off-Filmkommentare. Am besten legt man sich bei der Lektüre eine Herzog’sche Kopfstimme zu, leicht bayerisch angehaucht, immer um Hochsprache bemüht, jedes Wort gedehnt, als müsse es beim Formulieren noch einmal extra erfühlt werden. Intensiv kann man seine eigentümliche Sprechweise erleben, wenn man das von ihm eingesprochene Tagebuch »Vom Gehen im Eis« hört, am besten bei einem Spaziergang. Hier wird man Zeuge von einer gigantischen Kraftanstrengung und dem magischen Denken des Regie-Riesen, der 1974 zu Fuß von Pasing nach Paris ging, um die todkranke Filmhistorikerin Lotte Eisner vom Sterben abzuhalten. »Die Eisnerin«, wie er sagt, hatte ihm die Filmgeschichte der 1920er und 30er Jahre nahegebracht, Nosferatu, das Remake von F.W. Murnaus Film, das er 1979 mit Klaus Kinski schuf, verdanke er im Grunde ihr.
Herzog geht assoziativ vor. In seinem Hörbuch, auch in seinen Memoiren. Von den Erinnerungen an seine Kindheit in Sachrang, mit denen er sein Buch beginnt, ist es für ihn nur ein Katzensprung zu seinen Filmen. Beide Sphären sind für ihn miteinander verbunden. »Mein Wissen vom Melken kam mir viel später einmal bei den Astronauten zu Hilfe, die zusammen die Crew eines Spaceshuttles gebildet hatten«, erzählt er. Die Anekdote läuft darauf hinaus, dass Herzog die Astronauten – »alles No-Nonsense-Professionelle« – für die Mitwirkung in seinem Science-Fiction-Film The Wild Blue Yonder (2005) gewinnen konnte, weil er dem Astronauten Michael McCully auf den Kopf zusagte, er könne Kühe melken. »Ich will mir gar nicht vorstellen, in welchen Abgrund der Peinlichkeit ich mich begeben hätte, hätte ich falsch gelegen«, endet er im Modus des Tausendsassas.
Den Titel seiner Erinnerungen hat Herzog seinem Film über Kaspar Hauser entnommen. Weder aber ist er der Wilde, der in die Zivilisation kam, noch ist er ein Einzelkämpfer. Gebührend huldigt er seinen Kameramännern Jörg Schmidt-Reitwein, Thomas Mauch und Peter Zeitlinger sowie Henning von Gierke, dem Ausstatter seines berühmtesten Werks Fitzcarraldo, der eigentlich Maler ist. Mit ihnen hat er die unglaublichsten Dreh-Abenteuer unternommen. Das Motto: »Doing the Undoable«, wie er bei einem Workshop auf Lanzarote den Jungregisseuren einschärft.
Dies wiederum erfährt man in Thomas von Steinaeckers Portraitfilm Radical Dreamer, der Ende Oktober in den deutschen Kinos startet. Jetzt, zu Herzogs Geburtstag, hat er erst einmal Weltpremiere auf dem 3000 Meter hoch gelegenen Telluride Filmfestival, eine fast schwindelerregende Höhe, die gut zu Herzog passt.
Herzog hat sich nie mit Kompromissen, Schalheiten oder angezogenen Handbremsen aufgehalten. Von Steinaecker selbst ist immer noch
überrascht, dass es mit dem Zuschlag für den Herzog-Film geklappt hat. Ein Anruf bei Herzogs jüngerem Halbbruder Lucki Stipetić, der in München die Werner Herzog Stiftung leitet und die Lizenzen seiner Filme überwacht, habe ihm die Tür geöffnet, erzählt er im Gespräch mit »artechock«, das weitere tat seine eigene Profession als Schriftsteller dazu, Werner Herzogs Vertrauen zu gewinnen. Im Film – in dem ausnahmsweise nicht Herzog über sich selbst Regie führt wie beim
Selbstportrait 1986 – geht es an Stationen von Herzogs Leben. Nach Sachrang nahe der Tiroler Grenze, wo Herzog mit seinem älteren Bruder Tilbert aufwächst; auf Lanzarote, wo Herzog seinen Workshop abhält und sich an den Dreh von Auch Zwerge haben klein angefangen (1971) erinnert. Den heutigen Originalschauplatz montiert von Steinaecker mit den Filmausschnitten, es hat sich nichts
geändert seitdem. Die Surrealität des Ortes, die Herzog fasziniert hat, ist noch erfahrbar.
Herzogs erste Filme, darunter Auch Zwerge haben klein angefangen und im selben Jahr Land des Schweigens und der Dunkelheit, tauchen bereits in die Extremformen menschlicher Existenz ein. Sie haben ihn immer am meisten interessiert – vielleicht, weil er sie selbst erlebt hat. Seine Kindheit war von bitterer Armut bei seiner alleinerziehenden Mutter geprägt, Schuhe gab es nur in den Monaten mit »R«, erinnert er sich in seinen Memoiren. »Die Armut war überall und fiel uns nicht als ungewöhnlicher Zustand auf.« Die Erfahrung von Entbehrungen in den unmittelbaren Nachkriegsjahren hat ihn immer wieder die Grenzen überschreiten lassen, physische Grenzen im Jähzorn, den er das »Düstere« seiner Kindheit nennt. Und die Grenzen der Welt, die er schon als Kind durch seine Imagination verschob.
Das Extreme, das Herzog auch als Mensch zu eigen ist, darf jedoch nicht verwechselt werden mit den Sujets und Figuren seiner Filme. So hat es Herzog zumindest Thomas von Steinaecker eingeschärft. Die Verwechslung von ihm und Kinski, seinem »liebsten Feind« (wie die Herzog’sche Kinski-Aufarbeitung von 1999 heißt), konnte er sich aber nur schwer vom Leibe halten. Die Filme mit dem schauspielerischen Berserker, den Herzog schon in Jugendjahren als Mitbewohner der Pension in der Münchner Elisabethstraße kennenlernte, haben Werner Herzog Weltruhm eingebracht. Aguirre, der Zorn Gottes (1971) wurde zur Feuerprobe, die allen Beteiligten fast das Genick brach. Wer mag wohl der gewesen sein, der den anderen zum Äußersten trieb, und wer war eigentlich der Besessenere? Kinski oder Herzog?
Das Missverständnis über das Werk von Herzog war in Deutschland besonders ausgeprägt. Vielleicht auch, weil er sich um Nationalitäten oder gar »Regionaleffekte«, wie sie heute die Filmförderung verlangt, einen feuchten Kehrricht schert. Als Deutscher hat er sich ohnehin nicht wahrgenommen. Als Bayer aber schon.
Fitzcarraldo erschien 1982, zehn Jahre nach Aguirre. Der internationale Verleihtitel war zunächst Bavaria in the Jungle. So ist es in dem Interviewbuch »Herzog on Herzog« nachzulesen, das der australische Schauspieler Paul Cronin mit ihm geführt hat, eine Art »Mr. Herzog, wie haben Sie das gemacht?« »Meine Filme sind nicht sehr deutsch«, sagt er da, »sie sind explizit bayerisch.« Die Bayern beschreibt er als »very
hard-drinking, hard-fighting, very warm hearted, very imaginative«. Fitzcarraldo, sein gefeiertes Meisterwerk, hätte er sonst nur noch Ludwig II. zugetraut: »I always felt that he would have been the only one who could have done a film like Fitzcarraldo, apart from me.« Dazu bräuchte es schon die
»quintessential Bavarian dreaminess«, die ihn und den Schlösserkönig verbindet.
Ein Schloss ließ er nicht bauen, dafür den Traum einer Oper im Dschungel. Es ist hinlänglich bekannt, dass Kinski als Opernbauer Fitzcarraldo nicht Herzogs erste Wahl war, anders als in Aguirre, für den er ihm die Rolle auf den Leib geschrieben hatte. Eigentlich wollte er den Film mit Jack Nicholson und Mick Jagger als dessen Sidekick machen. Die Produktion abzubrechen, weil Nicholson als Baseballfan eigentlich keine Lust auf wochenlange Drehs im Dschungel hatte, war ein Fiasko für Herzog. »If I abandon I would be a man without dreams«, taucht er in von Steinaeckers Film zurück in die Zeit. Dann kam Kinski, der Retter seines Traums, und machte Fitzcarraldo zum Meisterwerk.
Wiederum zehn Jahre später folgten Lektionen in Finsternis. Der Filmtitel geriet zur leidvollen Buchstäblichkeit über die Rezeption seiner Filme in Deutschland: Nach der Berlinale-Weltpremiere wurde ihm vorgeworfen, den Horror des Ersten Golfkriegs ästhetisiert zu haben. Man habe ihn beschimpft und bespuckt, erinnert er sich. Der Film-Verhinderungs-Dreiklang »Fördersystem, Bürokratie, Spießigkeit« brachte ihn schließlich dazu, Deutschland den Rücken zu kehren. Mitte der Neunziger ging er nach Los Angeles und erfand sich mit Grizzly Man (2005) noch einmal neu. In den USA kennt man ihn heute vor allem wegen seiner Dokumentarfilme – ohne den Kinski-Reflex seiner Anhänger.
Nicht so in Deutschland. Nicht nur wegen seiner Identifikation mit Ludwig II. kann man bei Werner Herzog auch an Romy Schneider und Sisi denken. Es ist das ein für allemal über ihn festgezurrte Kinski-Image, das auch Thomas von Steinaecker in Radical Dreamer für ihn abstreifen wollte. Allein, die Produzenten waren dagegen, andere wichtige Figuren aus dem Herzog'schen Werk starkzumachen, so den Straßenmusikanten Bruno S., der Kaspar Hauser wurde, oder Walter Steiner, Bildschnitzer und Skispringer, dem Herzog in Die grosse Ekstase des Bildschnitzers Steiner 1974 ein Denkmal gesetzt hat. Mit Sprüngen bis hinein in die Todeszone wurde der Außenseiter zum Weltmeister.
Herzogs Werk ist grenzensprengend, bis heute. Seine Dokumentarfilme sind vom Imaginären durchsetzt, seine Spielfilme schicken Stars in den Dschungel, wie Christian Bale in Rescue Dawn (2006), oder in die Wüste, wie Nicole Kidman in Königin der Wüste (2015). »Das sind auch Dokumentarfilme der schwierigen Drehs«, sagt Zeitlinger in von Steinaeckers Portrait. CGI, Studios oder Miniaturmodelle sind für Herzog inakzeptabel. Statt dessen wurde es das Fitzcarraldo-300-Tonnenschiff. Mit historisch exakter Prä-Renaissance-Technik zog er es im peruanischen Dschungel über einen Berg.
Man könnte endlos weiterschreiben über ihn. Über seine Selbststilisierung als Außenseiter des Neuen deutschen Films, der seiner Ansicht nach nur »thin-blooded ideological constructs« hervorgebracht hat. Rainer Werner Fassbinder aber lässt er gelten, mit Herbert Achternbusch war er befreundet.
Über das besondere Gefühl zur Heimat fand er auch Nähe zu Edgar Reitz. In Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht (2013) spielt er Alexander von Humboldt, den Naturforscher, den es hinaus in die Welt zog. Genau wie ihn selbst. Die Realität nicht als gegeben hinzunehmen und statt dessen Berge zu versetzen, das hat den Herzog Werner, wie man in Sachrang sagen würde, immer am meisten interessiert.
Literatur: