Jean-Luc Godard 1930-2022
Der & das ganz Andere |
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Adorno hatte also nichts begriffen & verstanden von JLGs Ästhetik oder von Le mépris, sondern sich nur genussvoll in die Nacktaufnahmen Brigitte Bardots vertieft... | ||
(Foto: Public domain, via Wikimedia Commons) |
Von Wolfram Schütte
Wenn ich an Jean-Luc Godard denke, bin ich immer noch stolz darauf, dass es mir 1995 handstreichartig gelungen ist, als ich einmal in der städtischen Jury war, ihm den Frankfurter Theodor-W.-Adorno-Preise zuzuerkennen. Es war wunderlicherweise aber gar nicht so schwer, die Mitjuroren Prof. Alfred Schmidt (den ich noch als »Teddies Kofferträger« während meines Studiums im Frankfurt am Main der Sechziger Jahre am Eingang des Hörsaals VI in Erinnerung hatte) und den Politologen Prof. Iring Fetscher dafür zu gewinnen. Man hatte nur auf die Idee kommen müssen – einem Filmregisseur den alle drei Jahre verliehenen Preis zu geben, der nach dem größten Frankfurter Philosophen benannt war.
Obwohl ich vermute, dass beide Mitjuroren keine Kinogänger oder gar Cinéasten waren und ihnen der Name Jean-Luc Godards nur vom Hörensagen bekannt war, erfuhr ich später – als ich 2003 das Buch »Adorno in Frankfurt« recherchierte und kompilierte –, dass aber »Teddie« (Adorno) zumindest einen Film von Godard gesehen hatte: Le mépris, über den er am 10.2.1965 an den mit den Adornos seit Emigrationszeiten in Los Angeles befreundeten Fritz Lang, der darin mitspielt, unter anderem schrieb: »Der Film selbst schien mir arg verstümmelt, weniger mit Rücksicht auf die Perspektiven der entzückenden Bardot, wie darauf, dass man die auf die Odyssee bezogenen Szenen so zusammengestrichen hatte, dass die Beziehung, die doch offenbar das Zentrum der Konzeption sein soll, überhaupt nicht mehr deutlich wurde«.
TWA hatte also nichts begriffen & verstanden von JLGs Ästhetik oder von Le mépris, sondern sich nur genussvoll in die Nacktaufnahmen Brigitte Bardots vertieft, die Godard erst auf kategorischen Wunsch des italienischen Produzenten Carlo Ponti gemacht & in Le mépris zwangsweise einmontiert hatte.
Der Frankfurter Philosoph sah generell im Film & Kino nichts, was künstlerisch beachtenswert oder gar ästhetisch an die Klassische Musik, Bildende Kunst & Literatur heranreichte. Bekannt ist ja seine Verachtung der Filmtheorie seines Freundes Siegfried Kracauer, der jedoch auch nichts mit Godard anzufangen wusste. Gleichwohl war Adorno der Namenspatron eines Preises, der als einziger der Singularität des Französisch-Schweizerischen Filmregisseurs in der Film- & Kulturgeschichte entsprach.
Einzigartig sind die Großen des Kinos alle durch ihren »Personalstil«- ob z.B. Chaplin oder Keaton, Eisenstein oder Griffith, Murnau oder Dreyer. Letztere sind Godards Favoriten. Aber der am 3. Dezember 1930 in Paris geborene, im schweizerischen Rolle am Genfer See seit Mitte der Siebziger Jahre lebende JLG ist – um einem Begriff zu paraphrasieren, der in der Philosophie Adornos Platzhalter der Metaphysik und des Numinosen bedeutete – »der Ganz Andere«.
Seit es das Kino des Jean-Luc Godard gibt, kann oder muss man von einem Kino vor & einem nach Godard sprechen. Erst mit ihm hat der Kinofilm die Augen ganz aufgeschlagen, sich selbst betrachtet – und mit spielerischem Bewusstsein & dem Bewusstsein des Spielerischen sich hellwach geträumt. (Man denke dabei an Kleists Über das Marionettentheater.)
Das ganz & gar Andere von Jean-Luc Godards kaum noch überschaubarem Oeuvre besteht sowohl in dessen Negation als auch in dessen zeitgleicher Transzendenz des Films & Kinos. Negation des Narrativen & Authentisch-Mimetischen; Transgression des Visuellen ins Akustische & Schriftliche und von der einen erzählten Geschichte in die zitatdurchwirkte Polyphonie der essayistischen Reflexion. (Es gehört zum Signum der Achsenzeit der Moderne, dass das Kino des Jean-Luc Godard zeitgleich mit dem subversiv-multidimensionalen Regietheater auf der Bildfläche erschien.)
Godard hat den Verlust des Zwischentitels nach dem Ende des Stummfilms im Kino revitalisiert & die Montage rehabilitiert; und er hat den Terminus »Tonfilm« aus der Reduktion und Umklammerung des »Talkies« befreit, zu dem sich das Erzählkino & -fernsehen entwickelt hat, so dass für JLG »Kino« (Cinema) ein inszenatorisches Zusammenspiel von »Bildern & Tönen« bedeutete.
Der Film, als die (historisch) letzte Kunst war nach, bzw. durch Godard, zugleich die des Hybriden, weil sie alle früheren Künste in sich aufnahm; das unausgesprochene, aber von JLG ausgeführte & ausformulierte »Gesamtkunstwerk« des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert. Dabei hat JLG die Leinwand & das Videobild zur Projektionsfläche methodischer Analysen der Wahrnehmung & zur poetischen Imagination geistig-sinnlicher Korrespondenzen gemacht.
Der erste Teil seines Oeuvres, die zwischen 1960 (À bout de souffle) und 1967 (Weekend) mehr als 15 in Paris entstandenen Kinofilme, waren seismographische Ankündigungen des Pariser Mai'68. Nachträglich erst wurde das erkennbar. Sie wurden aber kontinuierlich als Ereignisse einer ästhetisch-politischen Innovation weltweit wahrgenommen & bewundert, bestaunt oder verachtet.
Die zweite Phase seines sich zeitweise dem Video zugewandten Schaffens, das mit einer linksradikalen, teilweise auch mit Antisemitismus verdächtigen Politisierung des militant-arroganten Filmemachers einherging, hatte es wesentlich schwerer, noch öffentlich wahrgenommen zu werden.
Mit dem, meist in der Schweiz und zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anne-Marie Miéville entstandenen Spätwerk, etwa von Prénom Carmen (1983) an, nimmt sein Oeuvre, das kaum noch die europäischen Kinosäle erreicht (& die deutschen gar nicht mehr), die Züge eines eremitenhaften Selbstgesprächs an, vor dessen inhärenter Komplexität & Musikalität die Filmkritik weithin kapituliert. So ähnlich kopfschüttelnd dürfte wohl Beethovens Zeitgenossenschaft auf dessen späte Streichquartette reagiert haben.
Reicher, fragiler, von Grund auf ironischer, aber auch bodenloser & luftiger war das Kino nie – als in den nervösen Händen des romantischen Intellektuellen Jean-Luc Godard, oft begleitet von der leicht lispelnden Stimme ihres Schöpfers, diesem lyrisch-essayistischen Beschwörer des Imperfekts, der mit Histoire(s) du Cinéma (1998) dem hundertjährigen Kino & Film seinen
Großen Gesang des Erinnerns & des Abschieds komponiert hat.
Jean-Luc Godard war zuletzt ein melancholischer Solitär, der aus der Zeit gefallen, aber bis zu seinem ultimo momento dennoch präsent geblieben war (& wäre es auch nur noch als Gerücht); ein trotziger Clown Gottes, während dessen endgültiger Abwesenheit.
Wolfram Schütte (geb. 1939) war seit 1967 Redakteur und Filmkritiker der »Frankfurter Rundschau« und als solcher einer der bedeutendsten Impulsgeber der bundesrepublikanischen Filmkultur.