Wenn die Löwinnen brüllen |
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Ein besonderes Fundstück: Neptune Frost | ||
(Foto: 7. QFFM | Neptune Frost) |
Von Dunja Bialas
Jenseits von biologistischen Narrativen – so versteht sich das QFFM, das Queerfilmfestival in München, das dieses Jahr zum 7. Mal abgehalten wird. »Queerness ist immer auch ästhetisch zu begreifen, nicht nur politisch«, fügt Festivalleiter*in Sylva Häutle im Gespräch hinzu. Noch ist Queerness in den Köpfen der heteronormativen Gesellschaft nicht etabliert. Mit »Queerscope« aber, dem Dachverband unabhängiger queerer Filmfestivals in Deutschland, gibt es mittlerweile eine gut aufgestellte bundesweite Organisation, die bereits 21 Festivals verzeichnet – und wer sich für Film und Kino interessiert, kennt die queeren Filme bereits aus dem alltäglichen Kinoprogramm.
Auch die Akzeptanz von Seiten der Politik scheint gegeben, wenn keine Geringere als Kulturstaatsministerin Claudia Roth für das Programmheft der Münchner ein Vorwort beigesteuert hat. Darin spricht sie von der Wichtigkeit der filmischen Sichtbarkeit queerer Lebensweisen. Mit 20 Filmen in fünf Tagen und einem von Arri Rental gestifteten Preis ist durchaus geballte Aufmerksamkeit gegeben, mehr noch durch die hochkarätigen Spiel- und Dokumentarfilme, die noch bis Sonntag, den 16.10. in den City Kinos am Münchner Stachus gezeigt werden.
Ein besonderes Fundstück ist die ruandisch-amerikanisch-französische Koproduktion Neptune Frost von Anisia Uzeyman und Saul Williams. In dem Science-Fiction-Musical wird profunde Kolonialismuskritik geübt, zugunsten einer ökofeministischen Weltverfasstheit. Es geht um Elektroschrott, und das Hacken von IT-Systemen, um eine herrschende Klasse auszuschalten, die in neokolonialer Weise die Bevölkerung ausbeutet. Ein starker Film im Sinne des Afrofuturimus, der auch immer die antiheroische Kollektivität feiert und allein schon deshalb zu einem ganz anderen gesellschaftlichen und gendermäßigen Ergebnis gelangt. (Fr. 14.10. 20:15, Arena)
In Kooperation mit Imma, der Organisation für heranwachsende Mädchen und junge Frauen, zeigt QFFM La colline où rugissent les lionnes (The Hill Where The Lionesses Roar). Die Kosovarin Luàna Bajrami, als Schauspielerin aus Céline Ciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen und dem Annie-Ernaux-Abtreibungsdrama Das Ereignis bekannt, hat hier erstmals Regie geführt. Sie erzählt von drei Freundinnen, die sich in einem kosovarischen Dorf gegen Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit zusammentun. Sie sind die starken Löwinnen, die die Zukunft neu ordnen wollen. (Do 13.10. 18:00, City Kinos)
Das deutsch-spanische Filmdebüt Bulldog von André Szardenings erzählt in sozial-realistischer Weise von einer jungen Mutter und ihrem bereits erwachsenen Kind – und von einer symbiotischen Beziehung, die aufgebrochen wird, als die nur fünfzehn Jahre ältere Mutter sich in Hannah verliebt. Der Sohn stört nun etwas, die Reinigungsaktivitäten von Mutter und Sohn auf Ibiza, wo sie die Ferienhäuser der Abreisenden sauber machen, lassen auf eine vielleicht inzestuöses oder seelischen Missbrauch hinweisende Mutter-Sohn-Beziehung schließen. Atmosphärisch erinnert das an die Filme von Andrea Arnold und an den White-Trash-Kosmos einer heruntergekommenen Arbeiterschicht, die im Aussteigen sich neu zu finden versucht. (Fr. 14.10., 20:15, City Kinos)
Léa Mysius gehört zu jenem jungen französischen Kino, das mit frischem Wind und drängenden Geschichten die Boho-Behäbigkeit aufwirbelt. Vielen wird sie noch vom zärtlich-fragilen Ava in Erinnerung sein und zuletzt von ihrer kraftvollen Nouvelle-Vague-Diversity-Neuschreibung Les Olympiades, Paris 13e, wo sie zusammen mit Céline Sciamma am Drehbuch des fälschlich bisweilen als toxisch gebrandmarkten Jacques Audiard mitwirkte. Jetzt kann bei QFFM ihr neuester Film Les cinq diables (The Five Devils) entdeckt werden. In ihm geht es ähnlich wie in Ava um ein Mädchen mit einer magischen Gabe: Sie kann Gerüche identifizieren und reproduzieren. Damit ist sie eine Wiedergängerin des gefürchteten Grenouille (aus Patrick Süßkinds modernem Märchen »Das Parfum«). Anders als dort geht es hier um die matriarchale Linie, die sie in archaische Abgründe führt. (Sa. 15.10., 20:15, City Kinos)
Mit dem marokkanisch-französischen Le Bleu du Caftan von Maryam Touzani schließt dann das Festival am Sonntag. In einer traditionellen Schneiderei, in der die prachtvollen Kleider noch mit der Hand genäht werden, entspinnt sich zwischen den Seidenfäden eine subtile Liebesgeschichte des Schneiders zu einem jungen und schönen Lehrling. Eine Geschichte wie aus 1001 Nacht, wunderschön fotografiert, mit wunderschönen Menschen, Stoffen und Kleidern, die mit dem Preis der Fipresci bedacht wurde. (So 16.10., 10:15, City Kinos, mit Preisverleihung)
Auffällig, dass sich viele der gezeigten Spielfilme im französischen Kontext ansiedeln. Die immer noch beste Filmnation Europas scheint hier das Kino durch neue Themengebungen von Grund auf zu erneuern: Zum queeren Thema kommen neue Protagonist*innen und leichte, aufregende Erzählweisen. Insofern ist das QFFM auch ein Plädoyer für eine neue Zukunft des Kinos.
7. QFFM – Queer Film Festival München
11.-16.10.2022
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