Menschliche Komödien der Eitelkeiten |
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Introduction (2020) spielt teilweise in Berlin | ||
(Foto: © Jeonwonsa Film Co.Production) |
Am Wochenende ist im Münchner Filmmuseum eine kleine Auswahl der jüngsten Filme des koreanischen Autorenfilmers Hong Sangsoo zu sehen. Anlass ist der deutsche Kinostart seines mittlerweile schon wieder vorletzten Films Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall am 10. November (im Filmmuseum als Preview am Freitag, 4.11., 21 Uhr). Der Film erhielt bei der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb den Preis der Jury. Hong Sangsoo ist als Filmer enorm produktiv, sodass bereits ein weiterer Film von ihm, Walk up, sein 28., auf der eben zu Ende gegangenen Viennale, dem Wiener Filmfestival, gezeigt worden ist, wo Hong Songsoo auch persönlich zu Gast war und sich erstmals seit längerem wieder in einem Filmgespräch öffentlich präsentierte.
Die kleine Auswahl am Wochenende im Münchner Filmmuseum ist eine Art Prolog zu einer großen Werkschau mit Filmen Hongs, die im Dezember 2022 stattfinden soll, genauer gesagt zur Fortsetzung jener Werkschau, die das Filmmuseum bereits vor zehn Jahren, im März und April 2012, begann. Die seit damals entstandenen Filme werden diese Reihe nun weiterführen.
Zugleich fügt es sich, dass eine schöne kleine, sehr kundige Studie von Sulgi Lie zu Hongs Filmen herausgekommen ist: »Hong Sangsoo: Das lächerliche Ernste«, publiziert bei der Edition Le Studio in Wien.
Der Titel dieser Studie bezeichnet, was im Zentrum der Geschichten steht, die Hong erzählt. Immer geht es um die Mühen beim Kommunizieren, in die sich die Menschen bei Hong verstricken: unangenehme zufällige Begegnungen führen zu peinlichen Situationen und lächerlichen
Auftritten. Die Figuren kommen meist aus Kunst und Kultur, wobei die Konstellationen Hierarchien abbilden, die zusätzliche Befangenheiten und Abhängigkeiten mit sich bringen: Lehrer und Studierende, Regisseur und Schaupieler, Meister und Bewunderer, Autoren, Galeristen, Kuratoren, Festivalleiter, Künstler und Kritiker… Das alles wechselnd besetzt von männlichen und weiblichen Protagonist*innen. Spannend wird es natürlich immer dann, wenn diese Beziehungen zu denen
von Liebespaaren werden und die hierarchischen Unterschiede sich brechen und auf überraschende Weise umkehren.
Die enorme Komik bei Hong entspringt zunächst dem Kontrast aus Alltag und Profession, wenn die Intellektuellen und Künstler*innen bei den legendären Soju-Trinkgelagen wegen ihrer Affären und Sexgeschichten in banalste Erklärungsnöte geraten. Vor allem die Männer machen hier keine gute Figur. Und die treten denn auch zunehmend in den Hintergrund in den jüngsten Hong-Filmen, in denen die Frauen im Zentrum stehen.
Man kann Hong nun mit Rohmer vergleichen oder mit Ozu, da trifft
man gewiss Teilaspekte seiner Filme, aber im Wesentlichen verfehlt man sie: Hongs Filme bewahren eine ganz besondere Eigentümlichkeit, und auf sehr erstaunliche Weise ist er überhaupt kein Regisseur der cinephilen Anspielungen – darauf weist Sulgi Lie im erwähnten Buch eindringlich hin. Auch in der äußersten Beschränkung seiner Mittel sehen manche einen stilistischen Minimalismus, wie ihn Bresson praktizierte: doch nichts steht Hong ferner als dessen asketische Strenge
(man denke nur an den vielen Alkohol und den Sex bei Hong) – Hong ist vielmehr ein Meister des Spielerischen. Das ungeheuer Vergnügliche an den endlosen Charaden der Figuren bei Hong ist das spielerische Potential, das hier freigesetzt wird. Die immer wieder neuen Kombinationen und Variationen lassen den Zuschauer unwillkürlich teilhaben an diesen kleinen menschlichen Komödien der gekränkten Eitelkeiten und Verführbarkeiten.
Und wer bei der enormen Produktivität von Hong den Überblick zu verlieren droht und sich nicht sicher ist, den Film (nicht) doch schon gesehen zu haben, der kann jedes Mal erleben: Gerade wenn man die Filme (wieder)sieht, erkennt man sie sofort in ihrer jeweiligen Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit, und es zeigt sich: durcheinanderbringen tut man diese Filme nur, wenn man sich allzu krampfhaft an sie zu erinnern versucht.
Also bleibt nur eins, diese Filme wieder und
wieder anzuschauen. Und besonderes Glück haben natürlich diejenigen, die diese Filme noch nicht gesehen haben. Für einen Einstieg in sein Schaffen bietet sich am Wochenende die Möglichkeit im Münchner Filmmuseum mit fünf Filmen von Hong Sangsoo aus den Jahren 2015 bis 2022.
Literaturhinweis:
Sulgi Lie, »Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste«, Wien: Edition Le Studio 2022.