Wie tickt der Publikums-Nachwuchs? |
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Eisige Kälte herrscht in Churchill, Polar Bear Town | ||
(Foto: Doxs Ruhr | Churchill, Polar Bear Town) |
Von Christel Strobel
»doxs-ruhr« war bisher eingebunden in doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche und bot bereits seit zehn Jahren unter diesem Label eine Auswahl der Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche in den Städten des Ruhrgebiets Bochum, Bottrop, Essen, Dortmund, Gelsenkirchen und Moers mit Gesprächen und medienpädagogischen Projekten. In diesem Jahr nun – während »doxs« in Duisburg auf 20 erfolgreiche Jahre blickt – hat Gudrun Sommer, Initiatorin und bisherige Leiterin, mit DOXS RUHR ein eigenständiges Festival gegründet, das neue Partnerschaften eingeht.
Ausgehend von der Frage, »ob Filmkunstmesse, Festival oder Kinobetrieb: Ideen für die Ansprache von jungem Publikum stehen hoch im Kurs. Wie tickt der Publikums-Nachwuchs? Global oder divers? Ökologisch und politisch engagiert? Was ist Kino im Zeitalter digitaler Netzwerke und Streaming-Plattformen?«
Zum Auftakt des neuen Festivals hat Gudrun Sommer ihre hohen Ansprüche formuliert: »Mit seinen Bezügen zur gesellschaftspolitischen Aktualität und Lebensrealität junger Biografien entfaltet der dokumentarische Film seine genuine Kraft.« 23 Dokumentarfilme waren dazu ausgewählt und in den sechs Partnerstädten im Ruhrgebiet gezeigt und diskutiert.
Gleich am ersten Abend, zur Eröffnung in Bochum, gab es für mich ein überraschendes Wiedersehen mit dem Film Tsumu – Where Do You Go With Your Dreams? (siehe Bericht von den Nordischen Filmtagen Lübeck), hier noch ergänzt mit einem lebhaften Zoom-Gespräch mit dem Regisseur Kasper Kiertzner, was von zwei Bochumer Schülerinnen gut vorbereitet war. Zum Filmprogramm gehörte auch der erste Dokumentarfilm von Yoja Thome One for a million.
Einen besonderen Film hatte Emma Braun aus Wien mitgebracht: Ihr Einblick (Österreich 2022, 20 Min.) gilt einer jungen »Rauchfangkehrerin«, hierzulande Schornsteinfegerin. Ihr Arbeitstag beginnt einsam am noch dunklen Morgen. Von ihrer Tätigkeit im schwarzen Gewand auf den Dächern von Wien vermittelt die Filmemacherin ein geradezu poetisches Bild in Schwarzweiß. Es ist ein stiller Film und es geht auch nicht nur um das Schornsteinfegen, als die junge Frau erzählt: »Man muss zuhören können und ungewöhnliche Orte aufsuchen – manchmal bitte ich Kunden, die Türe offen stehen zu lassen, weil ja noch mein Kollege kommt. Die Betonung liegt auf Kollege.« Die Verbindung von einer romantischen Szenerie – wenn der Blick über die Dächer im Morgendunst streift und die Schornsteine von Ferne rauchen, oder wenn die Schornsteinfegerin die schwarzen Türchen an den Kaminen oben am Dach öffnet, die den Eindruck einer expressionistischen Szenerie vermitteln – mit dem persönlichen Blick der jungen Frau geben hier viel Stoff zum Nachdenken.
In eine ganz andere Welt führt Churchill, Polar Bear Town von Anabelle Amoros (Frankreich 2022, 37 Min.) Im nordkanadischen eisigen Winter, wenn Schneestürme übers Land fegen und Eisbären nahe der Siedlung sich tummeln, ist ansonsten nicht viel los. Halloween und Bingo-Abende sind im Winter so ziemlich die einzige Abwechslung für den verschlafenen Ort Churchill. Da ist die drastische Schilderung einer jungen Frau, die von einem Eisbären angegriffen wurde, ein Ereignis, das von der Presse aufgegriffen wird. Das wiederum bringt die Bewohner und ein paar Touristen in Bewegung. Eine nervöse Spannung macht sich breit, Busse und Jeeps bringen die neugierigen wie ängstlichen Touristen an Plätze, wo sich Eisbären aufhalten, und Hubschrauber kreisen über diesem Gebiet. Es ist der Nervenkitzel, der sie treibt – selbst in so einer klimatisch extremen, aber auch grandiosen Umgebung.
Ein sehr einschneidendes Ereignis für Kinder hat der Film Von dem Moment an war alles anderes von Eef Hilgers (Niederlande 2021, 15 Min.) thematisiert. Hier erzählen Kinder über die Zeit, als ihre Eltern sich trennten. Über allem liegt eine spürbare Traurigkeit, und es ist mitzuempfinden, dass für die Kinder eine Welt zerbricht in dem Moment, wenn ihre Eltern ihnen das gestehen. Eef Hilgers hat die Erzählungen in einfühlsamen (Traum-)Bildern visualisiert, die ein Gefühl für die Situation der betroffenen Kinder vermitteln. Ein sensibler, vielseitig einsetzbarer Dokumentarfilm.
Das Team von DOXS RUHR zieht nach Ende der zehnten, aber ersten eigenständigen Film-Ausgabe eine positive Bilanz – ein guter Start für die Zukunft.
DOXS RUHR hat außer dem Filmprogramm erstmals das Symposium REALITIES mit internationalen Teilnehmern, die in der Kinder- und Jugendfilmszene aktiv sind, veranstaltet – mehr dazu gibt es hier.