16.02.2023
73. Berlinale 2023

Mittwoch kommen die Filme

Verbretterte Berlinale
Verbrettert & verbohrt: Die Berlinale im Jahr 2023
(Foto: privat)

Ein Festival wie Berlin: Die Berlinale ist nicht nur eine Baustelle, sie ist auch ein Kuriositätenkabinett – Berlinale-Tagebuch, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

»Kontro­versen! Es gibt nichts Wich­ti­geres als Kontro­versen. Gerade bei einem Film Festival. Wir haben immer so program­miert, dass die Filme kontro­vers zuein­ander stehen.«
Erika Gregor, 1970-1999 Leiterin des »Inter­na­tio­nalen Forums des Jungen Films« im Jahr 2023

Wer die Berlin-Wahl, das Chaos um ihre Wieder­ho­lung, und überhaupt die ganzen Debatten – und ich meine jetzt nicht die um die »Silves­ter­kra­walle« – in den letzten Monaten über alles Mögliche in Berlin verfolgt hat, der weiß, wie es um die soge­nannte Haupt­stadt bestellt ist. Und den kann nicht über­ra­schen, wie es mit der Berlinale geht, denn die Berlinale ist, seien wir ganz ehrlich, auch nicht schlimmer als eben diese Haupt­stadt. Sie ist ihr adäquater Spiegel. Das fängt an mit dem Aussehen: Das ehemals pracht­volle Gelände mit schönen Namen wie »Marlene Dietrich Platz« und Billy-Wilder-Café, an dem die Berlinale erstmals im Jahr 2001 stattfand, es war auch damals nicht gut, aber immerhin ein Verspre­chen: Großstadt, Metro­polis, man hat gedacht, das wird schon werden, und es wird noch besser. Zumindest dieje­nigen haben das gedacht, die Berlin nicht kennen. Inzwi­schen ist es voll­kommen aus dem Leim, viele Gebäude sind baufällig,

Die Cinestar-Kinos waren schon im letzten Jahr geschlossen, die Cinemaxx-Kinos sind in diesem Jahr auch zum größten Teil keine Berlinale-Kinos mehr, das Arsenal wird wegziehen, die dffb wird ebenfalls wegziehen, und auch die Deutsche Kine­ma­thek. Das einstige »Filmhaus« im Sony-Center ist eine Inhalts-Ruine. Sehr viele Läden waren schon vor zwei Jahren verram­melt, weil sie leer waren und niemand sie mieten wollte, denn wenn nicht gerade Berlinale statt­findet, ist dieses ganze Gelände eher eine Mond­land­schaft. Es gibt dort keine ausrei­chende Logistik für die Berlinale-Besucher und zwar weder für Jour­na­listen noch für Rechtehändler noch für ganz normale Menschen, die einfach einen Film sehen wollen und danach die Unver­schämt­heit besitzen, auch noch zusammen ein Bier trinken zu wollen. Das kann man nämlich kaum irgendwo. Essen kann man schon gar nicht, aber das kann einem in Berlin auch an anderen Orten passieren, weil in der soge­nannten Weltstadt in vielen Restau­rants die Küche um 21:30 Uhr zumacht.

Die Berlinale ist eine Baustelle, und insgesamt sieht es dort ungefähr so aus, als wäre man gerade dabei, die Mauer wieder aufzu­bauen.

+ + +

Passend dazu fährt auch die U-Bahn-Linie U2 zur Zeit noch nicht mal bis zum Alex­an­der­platz, die S-Bahnen der Nord-Süd-Achse fahren erst am kommenden Samstag wieder, einige wichtige Straßen­bahn­li­nien und Buslinien fahren zur Zeit auch nicht. All das war Wahl­kampf­thema, und nicht nur von der Oppo­si­tion gegen die Regierung geführt, sondern auch innerhalb der Regierung, bloß dass man sich da streckt, wer Schuld hat und ob es jetzt überhaupt wichtig ist, dass Auto­ver­kehr in der Stadt möglich ist oder was ein günstiges 29€-Ticket bringt, wenn die Bahnen, die man damit billig benutzen könnte, nicht fahren. Aber egal: Det is Berlin! sagt dazu voller Stolz der Berliner.

+ + +

Genau wie im Fall des Senats dominiert auch bei der Berlinale das Schön­reden.

+ + +

Wie lange möchte man denn noch in dieser Mond­land­schaft ausharren? Möchte man warten, bis das Sony Center abge­rissen ist? Bis die S-Bahn einge­stellt wird?

Es sind von der Berlinale keine Akti­vi­täten erkennbar, dem Festival irgend­eine stadt­po­li­ti­sche, urbane Vision zu geben. Statt­dessen wursch­telt man vor sich hin.
Die Stimmung ist schlecht, vor allem unter den Mitar­bei­tern. Aber auch auf der Leitungs­ebene fragt man sich, was eigent­lich passieren wird: Wollen die beiden Direk­toren ihren Vertrag verlän­gern? Oder wird viel­leicht Franziska Giffey die neue Berlinale-Chefin, falls das mit dem Bürger­meis­te­rinnen-Sessel doch nicht klappt? Man wird ja mal fragen dürfen.
Was man hört aus internen Berlinale-Kreisen, ist, dass die Mitar­beiter sehr hoffen, dass ihre beiden Chefs nicht weiter­ma­chen. Weil sie die Visi­ons­lo­sig­keit der Leitungs­ebene genauso einschätzen, wie wir Beob­achter. Weil sie auch das Gefühl haben, dass die Berlinale-Leitung vernagelt und vermauert ist und viel­leicht auch einfach vor lauter akuten Problemen – die wir nicht leugnen wollen– den Himmel, also die Zukunft ihres Festivals nicht mehr sieht.

+ + +

Man kann aber auch nicht immer alles auf die Pandemie schieben. Das wird in diesem Jahr noch klappen, im nächsten auf keinen Fall. Viel­leicht ist dann die Wirt­schafts­krise schuld oder der Ukraine-Krieg oder was immer dann die neueste Krise ist. Viel­leicht wartet man noch auf den Klima­wandel, damit es irgend­wann im Februar so warm ist, dass man draußen sitzen kann und die laue Sommer­stim­mung auch die Herzen der Leute erwärmt.
Aber was um Himmels Willen soll die Berlinale sein? Was will sie sein? Im Augen­blick ist sie nur ein Haufen voller Probleme, so vieler Probleme, dass man sie in einem Text gar nicht alle erwähnen kann. Und man kommt sich natürlich ziemlich blöd vor als Autor, immer nur zu meckern. Aber der Autor ist in diesem Fall zum Beispiel auch Koor­di­nator der Inter­na­tio­nalen Jury des Film­kri­ti­ker­ver­bandes Fipresci. Und er ist Empfänger der Berlinale-Pres­se­mit­tei­lungen für die ja, vermutet man, die Berlinale selbst verant­wort­lich ist. Konzen­trieren wir uns also mal auf diese beiden Dinge.

+ + +

Zuerst haben wir alle an einen System­fehler geglaubt. Da ist man nach­sichtig, denkt: die Armen, aller Anfang ist schwer, jetzt bekommt aber jemand vom Gäste­s­er­vice mächtig Ärger. Aber als heute die zweite Mail dieser Art kam, merkten wir, dass der Fehler System hat.

Jeden Tag bekommt man in diesem Jahr nämlich eine E-Mail mit soge­nannten »VIP arrivals«, den Ankünften von Filmteams. Darin steht dann tatsäch­lich im Detail, mit welchem Zug oder welchem Flug irgend­welche Promis am Haupt­bahnhof in Berlin oder am Airport ankommen. Viel­leicht wollen die das gar nicht?
Was in jedem Fall soll das? Im ersten Moment könnte man denken: Wir Film­kri­tiker sollen die Leute viel­leicht persön­lich abholen und das auch alles für die Berlinale über­nehmen, womit sie dann ihren Gäste-Shuttle einsparen. Im zweiten Moment habe ich gedacht: Wir sollten viel­leicht ein paar Gala-Gäste kidnappen, und mit ihnen in einem Keller-Kino bessere Filme gucken, als es sie auf der Berlinale gibt. Nebenbei könnte man dann die Berlinale erpressen und so bessere Bedin­gungen für Akkre­di­tierte aushan­deln. Aber was soll das eigent­lich sonst? Was bringt es zu wissen, dass irgend­welche Schau­spieler – zugegeben in der Regel keine Stars – mit bestimmten Flügen der Lufthansa aus Frankfurt ankommen – was sie übrigens heute zumindest nicht getan haben.
Das ist die nächste Kurio­sität: Dass die Streiks am Freitag am Münchner und Frank­furter Flughafen und die heutigen System­aus­fälle bei der Lufthansa, die zu einer de-facto-Sperrung des Frank­furter Flug­ha­fens bereits heute führten, der Berlinale voll in ihr Kontor geschlagen haben. Offenbar denkt auch der liebe Gott, wenn es ihn gibt, dass sich bei der Berlinale dringend mal was ändern muss.

+ + +

Einen System­fehler gab es wirklich: Das neue Ticket­bu­chungs­system für akkre­di­tierte Fach­be­su­cher, das es bis 2020 nicht gab, brach heute morgen prompt für mehrere Stunden zusammen.

Abge­schafft wurden auch die reser­vierten Jury-Plätze: Es gab sie immer – jeden­falls seit ich seit 1997 die Berlinale besuche. Man muss also fest­halten, dass dieses Kontin­gent (das es übrigens bei allen anderen großen Festivals nach wie vor selbst­ver­s­tänd­lich gibt) in diesem Jahr erstmals durch die Berlinale abge­schafft wurde.

Die unab­hän­gigen Jurys bekommen auch keine Einla­dungen zur Eröffnung – insgesamt ist es ein würde­loser, kalter unem­pa­thi­scher Umgang der Berlinale mit Gästen, die dem Festival etwas wert sein sollten.

+ + +

Dann die fehlenden Schreib­räume und Aufent­halts­orte für Jour­na­listen. Es ist ein Unding, dass kein Arbeits­raum zur Verfügung gestellt wird, mit Tischen und guten Licht­ver­hält­nissen. Einer­seits will die Berlinale (möglichst viel, möglichst positive) Bericht­erstat­tung, ande­rer­seits gibt es aber keinen Raum für die Presse, begründet mit billigen Ausreden, wie dass ja eh alle »im Hotel­zimmer« arbeiten würden.

Das ist infam, da ja selbst die, die Hotel­zimmer haben, meist fern vom Potsdamer Platz wohnen.

Vor Corona gab es stets einen Arbeits­raum mit festen Computern. Viele Jour­na­listen brauchen sie und waren äußerst froh, dass es diese Arbeits­mög­lich­keit gab.

Es kann nicht zur Norm werden, dass Jour­na­listen am Boden vor dem eigenen Laptop hocken und viel­leicht dann auch noch Probleme mit ihrem W-Lan haben.

+ + +

Insgesamt nutzt das Festival die Pandemie dazu, auch nach dem Ende der Pandemie die schlechten Verhält­nisse, die kurz­fristig toleriert wurden, auf Dauer zu stellen. Sie instru­men­ta­li­siert die Pandemie, um heute Geld zu sparen und stärkere Kontrolle über ihre Akkre­di­tierten zu haben. Dazu gehört das Ticketing-System, das (wenn es nicht gerade zusam­men­bricht) alle Akkre­di­tierten zwingt, für Vorstel­lungen, die sie besuchen wollen, selbst für Pres­se­vor­füh­rungen, Karten vorab zu buchen, mit festen Sitz­plätzen. So etwas ist schon für normale Kino­be­suche ärgerlich, für akkre­di­tierte Gäste bei Film­fes­ti­vals ist es eine Zumutung – und nur ein Aspekt von dieser Zumutung ist die Tatsache, dass Akkre­di­tierte, allemal Einkäufer und Rechtehändler, auch aus Filmen rausgehen und dann in andere rein, also während­dessen hin- und herspringen. Das wäre im Sinn eines Fach­fes­ti­vals, das sich als würdiger Ort für Fach­be­su­cher versteht, es ist nicht im Sinn eines Publi­kums­fes­ti­vals, dem es vor allem darum geht, möglichst viele Kauf­karten zu verkaufen.
Die Berlinale ist so ein unwür­diger Ort.

Sie ist kein Ort der Kino­kultur, also der Freude und der Lust am Kino, der Lust etwas zu entdecken, der Neugier auf das Unver­hoffte, der Spon­ta­nität. Es gehört zu den schlech­testen Grund­zügen unserer gegen­wär­tigen Gesell­schaft der Zwänge, zur Anpassung des Menschen an die Algo­rithmen, dass unser Leben immer mehr in ein stäh­lernes Korsett gesperrt wird. Die Berlinale arbeitet mit an dieser Art der Abschaf­fung einer bestimmten Freiheit.