73. Berlinale 2023
Mittwoch kommen die Filme |
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Verbrettert & verbohrt: Die Berlinale im Jahr 2023 | ||
(Foto: privat) |
»Kontroversen! Es gibt nichts Wichtigeres als Kontroversen. Gerade bei einem Film Festival. Wir haben immer so programmiert, dass die Filme kontrovers zueinander stehen.«
Erika Gregor, 1970-1999 Leiterin des »Internationalen Forums des Jungen Films« im Jahr 2023
Wer die Berlin-Wahl, das Chaos um ihre Wiederholung, und überhaupt die ganzen Debatten – und ich meine jetzt nicht die um die »Silvesterkrawalle« – in den letzten Monaten über alles Mögliche in Berlin verfolgt hat, der weiß, wie es um die sogenannte Hauptstadt bestellt ist. Und den kann nicht überraschen, wie es mit der Berlinale geht, denn die Berlinale ist, seien wir ganz ehrlich, auch nicht schlimmer als eben diese Hauptstadt. Sie ist ihr adäquater Spiegel. Das fängt an mit dem Aussehen: Das ehemals prachtvolle Gelände mit schönen Namen wie »Marlene Dietrich Platz« und Billy-Wilder-Café, an dem die Berlinale erstmals im Jahr 2001 stattfand, es war auch damals nicht gut, aber immerhin ein Versprechen: Großstadt, Metropolis, man hat gedacht, das wird schon werden, und es wird noch besser. Zumindest diejenigen haben das gedacht, die Berlin nicht kennen. Inzwischen ist es vollkommen aus dem Leim, viele Gebäude sind baufällig,
Die Cinestar-Kinos waren schon im letzten Jahr geschlossen, die Cinemaxx-Kinos sind in diesem Jahr auch zum größten Teil keine Berlinale-Kinos mehr, das Arsenal wird wegziehen, die dffb wird ebenfalls wegziehen, und auch die Deutsche Kinemathek. Das einstige »Filmhaus« im Sony-Center ist eine Inhalts-Ruine. Sehr viele Läden waren schon vor zwei Jahren verrammelt, weil sie leer waren und niemand sie mieten wollte, denn wenn nicht gerade Berlinale stattfindet, ist dieses ganze Gelände eher eine Mondlandschaft. Es gibt dort keine ausreichende Logistik für die Berlinale-Besucher und zwar weder für Journalisten noch für Rechtehändler noch für ganz normale Menschen, die einfach einen Film sehen wollen und danach die Unverschämtheit besitzen, auch noch zusammen ein Bier trinken zu wollen. Das kann man nämlich kaum irgendwo. Essen kann man schon gar nicht, aber das kann einem in Berlin auch an anderen Orten passieren, weil in der sogenannten Weltstadt in vielen Restaurants die Küche um 21:30 Uhr zumacht.
Die Berlinale ist eine Baustelle, und insgesamt sieht es dort ungefähr so aus, als wäre man gerade dabei, die Mauer wieder aufzubauen.
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Passend dazu fährt auch die U-Bahn-Linie U2 zur Zeit noch nicht mal bis zum Alexanderplatz, die S-Bahnen der Nord-Süd-Achse fahren erst am kommenden Samstag wieder, einige wichtige Straßenbahnlinien und Buslinien fahren zur Zeit auch nicht. All das war Wahlkampfthema, und nicht nur von der Opposition gegen die Regierung geführt, sondern auch innerhalb der Regierung, bloß dass man sich da streckt, wer Schuld hat und ob es jetzt überhaupt wichtig ist, dass Autoverkehr in der Stadt möglich ist oder was ein günstiges 29€-Ticket bringt, wenn die Bahnen, die man damit billig benutzen könnte, nicht fahren. Aber egal: Det is Berlin! sagt dazu voller Stolz der Berliner.
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Genau wie im Fall des Senats dominiert auch bei der Berlinale das Schönreden.
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Wie lange möchte man denn noch in dieser Mondlandschaft ausharren? Möchte man warten, bis das Sony Center abgerissen ist? Bis die S-Bahn eingestellt wird?
Es sind von der Berlinale keine Aktivitäten erkennbar, dem Festival irgendeine stadtpolitische, urbane Vision zu geben. Stattdessen wurschtelt man vor sich hin.
Die Stimmung ist schlecht, vor allem unter den Mitarbeitern. Aber auch auf der Leitungsebene fragt man sich, was eigentlich passieren wird: Wollen die beiden Direktoren ihren Vertrag verlängern? Oder wird vielleicht Franziska Giffey die neue Berlinale-Chefin, falls das mit dem Bürgermeisterinnen-Sessel doch
nicht klappt? Man wird ja mal fragen dürfen.
Was man hört aus internen Berlinale-Kreisen, ist, dass die Mitarbeiter sehr hoffen, dass ihre beiden Chefs nicht weitermachen. Weil sie die Visionslosigkeit der Leitungsebene genauso einschätzen, wie wir Beobachter. Weil sie auch das Gefühl haben, dass die Berlinale-Leitung vernagelt und vermauert ist und vielleicht auch einfach vor lauter akuten Problemen – die wir nicht leugnen wollen– den Himmel, also die Zukunft ihres
Festivals nicht mehr sieht.
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Man kann aber auch nicht immer alles auf die Pandemie schieben. Das wird in diesem Jahr noch klappen, im nächsten auf keinen Fall. Vielleicht ist dann die Wirtschaftskrise schuld oder der Ukraine-Krieg oder was immer dann die neueste Krise ist. Vielleicht wartet man noch auf den Klimawandel, damit es irgendwann im Februar so warm ist, dass man draußen sitzen kann und die laue Sommerstimmung auch die Herzen der Leute erwärmt.
Aber was um Himmels Willen soll die Berlinale sein? Was
will sie sein? Im Augenblick ist sie nur ein Haufen voller Probleme, so vieler Probleme, dass man sie in einem Text gar nicht alle erwähnen kann. Und man kommt sich natürlich ziemlich blöd vor als Autor, immer nur zu meckern. Aber der Autor ist in diesem Fall zum Beispiel auch Koordinator der Internationalen Jury des Filmkritikerverbandes Fipresci. Und er ist Empfänger der Berlinale-Pressemitteilungen für die ja, vermutet man, die Berlinale selbst verantwortlich ist.
Konzentrieren wir uns also mal auf diese beiden Dinge.
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Zuerst haben wir alle an einen Systemfehler geglaubt. Da ist man nachsichtig, denkt: die Armen, aller Anfang ist schwer, jetzt bekommt aber jemand vom Gästeservice mächtig Ärger. Aber als heute die zweite Mail dieser Art kam, merkten wir, dass der Fehler System hat.
Jeden Tag bekommt man in diesem Jahr nämlich eine E-Mail mit sogenannten »VIP arrivals«, den Ankünften von Filmteams. Darin steht dann tatsächlich im Detail, mit welchem Zug oder welchem Flug irgendwelche Promis am Hauptbahnhof in Berlin oder am Airport ankommen. Vielleicht wollen die das gar nicht?
Was in jedem Fall soll das? Im ersten Moment könnte man denken: Wir Filmkritiker sollen die Leute vielleicht persönlich abholen und das auch alles für die Berlinale übernehmen, womit
sie dann ihren Gäste-Shuttle einsparen. Im zweiten Moment habe ich gedacht: Wir sollten vielleicht ein paar Gala-Gäste kidnappen, und mit ihnen in einem Keller-Kino bessere Filme gucken, als es sie auf der Berlinale gibt. Nebenbei könnte man dann die Berlinale erpressen und so bessere Bedingungen für Akkreditierte aushandeln. Aber was soll das eigentlich sonst? Was bringt es zu wissen, dass irgendwelche Schauspieler – zugegeben in der Regel keine Stars – mit bestimmten
Flügen der Lufthansa aus Frankfurt ankommen – was sie übrigens heute zumindest nicht getan haben.
Das ist die nächste Kuriosität: Dass die Streiks am Freitag am Münchner und Frankfurter Flughafen und die heutigen Systemausfälle bei der Lufthansa, die zu einer de-facto-Sperrung des Frankfurter Flughafens bereits heute führten, der Berlinale voll in ihr Kontor geschlagen haben. Offenbar denkt auch der liebe Gott, wenn es ihn gibt, dass sich bei der Berlinale dringend mal was
ändern muss.
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Einen Systemfehler gab es wirklich: Das neue Ticketbuchungssystem für akkreditierte Fachbesucher, das es bis 2020 nicht gab, brach heute morgen prompt für mehrere Stunden zusammen.
Abgeschafft wurden auch die reservierten Jury-Plätze: Es gab sie immer – jedenfalls seit ich seit 1997 die Berlinale besuche. Man muss also festhalten, dass dieses Kontingent (das es übrigens bei allen anderen großen Festivals nach wie vor selbstverständlich gibt) in diesem Jahr erstmals durch die Berlinale abgeschafft wurde.
Die unabhängigen Jurys bekommen auch keine Einladungen zur Eröffnung – insgesamt ist es ein würdeloser, kalter unempathischer Umgang der Berlinale mit Gästen, die dem Festival etwas wert sein sollten.
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Dann die fehlenden Schreibräume und Aufenthaltsorte für Journalisten. Es ist ein Unding, dass kein Arbeitsraum zur Verfügung gestellt wird, mit Tischen und guten Lichtverhältnissen. Einerseits will die Berlinale (möglichst viel, möglichst positive) Berichterstattung, andererseits gibt es aber keinen Raum für die Presse, begründet mit billigen Ausreden, wie dass ja eh alle »im Hotelzimmer« arbeiten würden.
Das ist infam, da ja selbst die, die Hotelzimmer haben, meist fern vom Potsdamer Platz wohnen.
Vor Corona gab es stets einen Arbeitsraum mit festen Computern. Viele Journalisten brauchen sie und waren äußerst froh, dass es diese Arbeitsmöglichkeit gab.
Es kann nicht zur Norm werden, dass Journalisten am Boden vor dem eigenen Laptop hocken und vielleicht dann auch noch Probleme mit ihrem W-Lan haben.
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Insgesamt nutzt das Festival die Pandemie dazu, auch nach dem Ende der Pandemie die schlechten Verhältnisse, die kurzfristig toleriert wurden, auf Dauer zu stellen. Sie instrumentalisiert die Pandemie, um heute Geld zu sparen und stärkere Kontrolle über ihre Akkreditierten zu haben. Dazu gehört das Ticketing-System, das (wenn es nicht gerade zusammenbricht) alle Akkreditierten zwingt, für Vorstellungen, die sie besuchen wollen, selbst für Pressevorführungen, Karten vorab zu
buchen, mit festen Sitzplätzen. So etwas ist schon für normale Kinobesuche ärgerlich, für akkreditierte Gäste bei Filmfestivals ist es eine Zumutung – und nur ein Aspekt von dieser Zumutung ist die Tatsache, dass Akkreditierte, allemal Einkäufer und Rechtehändler, auch aus Filmen rausgehen und dann in andere rein, also währenddessen hin- und herspringen. Das wäre im Sinn eines Fachfestivals, das sich als würdiger Ort für Fachbesucher versteht, es ist nicht im Sinn eines
Publikumsfestivals, dem es vor allem darum geht, möglichst viele Kaufkarten zu verkaufen.
Die Berlinale ist so ein unwürdiger Ort.
Sie ist kein Ort der Kinokultur, also der Freude und der Lust am Kino, der Lust etwas zu entdecken, der Neugier auf das Unverhoffte, der Spontanität. Es gehört zu den schlechtesten Grundzügen unserer gegenwärtigen Gesellschaft der Zwänge, zur Anpassung des Menschen an die Algorithmen, dass unser Leben immer mehr in ein stählernes Korsett gesperrt wird. Die Berlinale arbeitet mit an dieser Art der Abschaffung einer bestimmten Freiheit.