16.02.2023

Kreuzigung ohne Erlösung

Netflix vierte Staffel: Maya und Doron
So nah und doch so fern – nicht einmal die Liebe hat noch eine Perspektive
(Foto: Netflix)

Die vierte Staffel der Ausnahmeserie »Fauda« über den israelisch-palästinensischen Konflikt illustriert ernüchternd die gegenwärtige, realpolitische Eskalation. Und das nicht nur in Israel.

Von Axel Timo Purr

Wer sich über die gegen­wär­tige poli­ti­sche Eska­la­tion in Israel nach dem Rechts­rutsch durch die letzten Wahlen wundern und fragen sollte, wie das alles hat passieren können und was nur noch kommen mag, dem sei die Ende Januar 2023 erschie­nene vierte Staffel der israe­li­schen Ausnah­me­serie »Fauda« empfohlen. Natürlich nicht ohne Vorbe­halte, auch wenn bereits die dritte Staffel fast ausnahmslos großes, politisch höchst ambi­va­lentes Thriller-Kino war, das mit einer Doppel­helix aus Empathie und gnaden­losem analy­ti­schem Kalkül sowohl israe­li­sche Siedler zum ersten Mal für die paläs­ti­nen­si­schen Belange inter­es­sierte als auch das Publikum im arabi­schen Raum und in der netflix­weiten Welt sowieso hinter die Kulissen dieses Konfliktes blicken ließ.

Die vierte Staffel setzt diese Entwick­lung fort, erlaubt sich jedoch erstmals ein paar Wieder­ho­lungen, verliebt sich Doron (Lior Raz) etwa wie schon in Staffel 2 in eine Paläs­ti­nen­serin, die als israe­li­sche Poli­zistin nicht besser assi­mi­liert sein könnte. Doch Maya (Lucy Ayoub) ist über ihren radi­ka­li­sierten Bruder Omar (Amir Boutrous) natürlich genauso gespalten und zerrissen wie es die Sonder­ein­heit um Doron ist, die wie in allen Staffeln den paläs­ti­nen­si­schen Terro­rismus im Keim, das heißt verdeckt und am Ende tödlich, ersticken soll.

Doch der Writing Room um Avi Issacharoff, Liora Raz und Noah Stollmann macht schon schnell deutlich, dass er wie bereits in der dritten Staffel die üblichen Thriller-Gefilde, die bei »Fauda« immer wieder auch an ein »Guilty Pleasure« denken lassen, so rasend schnell und Cliff-Hanger-fokus­siert sind die meisten der Folgen konzi­piert, verlassen will.

Statt in das im dritten Teil im Fokus stehende Gaza mit dem Macht­zen­trum der Hamas begibt sich »Fauda« dieses Mal nach Molenbeek, jenen Brüsseler Stadtteil, der durch seinen hohen Migra­ti­ons­an­teil und die Attentate von 2016 immer wieder für negative Schlag­zeilen gesorgt und und einmal mehr die Frage aufge­worfen hat, wie innerhalb Europas mit der Bedrohung durch Terro­rismus umge­gangen werden soll. »Fauda« posi­tio­niert sich auch hier wie so oft ambi­va­lent. Zum andern wird in den Molenbeek-Folgen deutlich gemacht, dass die europäi­sche büro­kra­ti­sierte Terror­bekämp­fung dem israe­li­schen Point & Shoot-Ansatz hoff­nungslos unter­legen ist.

Doch wie in in den anderen Staffeln wird diese Blut-und-Boden-Ideologie, eine der gegen­wär­tigen rechten israe­li­schen Politik nahe­ste­hende Hand­lungs­an­wei­sung, auch gleich wieder hinter­fragt. Ist der vemeint­lich radi­ka­li­sierte Brüsseler Imam genauso wenig stereotyp radi­ka­li­siert wie es die Bewohner von Moolen­beek sind, die über eine fast schon sozio­lo­gisch anmutende »Tür-zu-Tür-Befragung« ihren Stand­punkt verdeut­li­chen, der nicht viel anders beschaffen ist, als die gespal­tenen Ansichten der Sonder­ein­heit selbst oder die eines paläs­ti­nen­si­schen Vaters in der West Bank in einer der späteren Folgen. Jeder hier hat die besten Absichten und wünscht sich ein Land, in dem er frei leben kann, mehr noch als Israelis und Paläs­ti­nenser sich auch in ihren Dialogen in dieser Staffel stärker als sonst schon annähern, sich das Team um Doron fast schon selbst­ver­s­tänd­lich mit dem arabi­sch­is­la­mi­schen »Salam aleikum« begrüßt und auch außerhalb eines Einsatzes das arabische »Habibi« (Liebling) zwischen Männern selbst­ver­s­tänd­lich zum Einsatz kommt.

»Fauda« stellt damit eine viel grund­sätz­li­chere Frage. Es wird nicht gefragt, wie und warum es zu der Verschär­fung des Konfliktes kommen konnte, sondern wie Menschen, die sich kulturell so nah stehen und in jedem Feind auch ihren Freund und dann wieder Feind erkennen, durch politisch radi­ka­li­sierte Struk­turen instru­men­ta­li­siert werden und auf beiden Seiten den Konflikt nicht nur einfach repro­du­zieren, sondern ihn zunehmend vers­tärken.

Die vierte Staffel zeigt zudem sehr realis­tisch, dass diese Eska­la­tion schon lange kein israe­lisch-paläs­ti­nen­si­scher Binnen­kon­flikt mehr ist, sondern auch in Europa und im Iran ausge­tragen wird, so wie es die von den gleichen Machern produ­zierte Parallel-Serie Teheran detail­liert erzählt. Und mehr noch wird über die Figur des bis dahin stets »beson­nenen« Gabi (Itzik Cohen) deutlich, dass in der »Hitze des Gefechts« nicht einmal mehr die Proze­duren des Rechts­staats einge­halten werden.

Das ist näher an der Realität und dem gegen­wär­tigen Kampf um die Justiz­re­form in Israel, als man es für möglich halten könnte, und zeigt, wie nah das Auto­ren­team in »Fauda« schon lange vor den letzten Wahlen am Puls der Zeit operiert hat.

Eine Zeit, die so komplex, voller Chaos (die Über­set­zung des arabi­schen Wortes »Fauda«) und lösungs­re­sis­tent ist, dass »Fauda« in der Abschluss­ein­stel­lung, der aller­letzten, zutiefst depri­mie­renden Szene am Ende der 12. Folge eigent­lich nur noch eins einfällt – der Rückzug in die Ikono­grafie des Glaubens und die so reale wie symbo­li­sche Kreu­zi­gung von Jesus und den Verbre­chern.