04.05.2023
38. DOK.fest München 2023

Materialbewältigung

Eliaat Roz
Eastern Front von Vitali Manski und Yevhen Titarenko
(Foto: DOK.fest München | Lia Erbal)

Filme, Filme, Filme auf dem 38. DOK.fest München. Knappe und vertiefende Einblicke in sechs ausgewählte Werke für eine prall gefüllte Woche – DOK.fest-Marathon, Teil 03

Von Hermann Barth

The Golden Thread – die »Jute Symphony«, ein Film, der inten­sivsten Erzähl­willen hat, großes Doku­men­tar­film-Kino ist, ein Gesamt­kunst­werk, das dem drohenden Untergang der Jute-Industrie, die ein ganzes Jahr­hun­dert lang für Arbeit und beschei­denen Wohlstand von Zehn­tau­senden Menschen rund um Kalkutta sorgte, ein cine­as­ti­sches Denkmal setzt. Regie: Nishtha Jain (City of Photos, Gulabi Gang, Lakhsmi and Me), Welt­pre­miere IDFA.
[Termine & Tickets]

Be water – Voices from Hongkong erzählt, im Rückblick, beein­dru­ckend und beun­ru­hi­gend noch einmal die Geschichte der Regen­schirm-Bewegung 2014 bis zur total(itär)en Zerschla­gung der Demo­kratie. Aus der Sicht früherer Aktivist*innen, die anonym bleiben müssen, mit unge­heurem Bild­ma­te­rial, Handy­auf­zeich­nungen der vergan­genen Jahre – mit den Stimmen der vergeb­li­chen Warner*innen im europäi­schen Parlament (allen voran der des Chine­si­schen mächtige Reinhard Bütikofer) und dem noch lange nicht von allen begrif­fenen, völligen Scheitern der west­li­chen China-Politik. „Das ist erst der Anfang“ lautet die bittere Erkenntnis. Sehr gelun­genes Konzept mit einander ergän­zenden Stimmen, Anima­tionen, wo nötig, einer „Haupt­er­zäh­lung“, reprä­sen­tiert durch eine Prot­ago­nistin, die in Berlin gestrandet ist. Regie „Lia Erbal“ – ein Pseudonym, zum Selbst­schutz vor den erwart­baren Nach­stel­lungen der KP.
[Termine & Tickets]

The Spirit(s) of Music. Gitarrist Bill Frisell, Schlag­zeuger Paul Motian, Percus­sio­nistin Midori Takada, Kontra­bas­sist Thomas Morgan … und immer wieder: Saxo­pho­nist Lee Konitz! Sie alle spielen mit und für den Kompo­nisten Jakob Bro. 14 Jahre lang haben ihn Jørgen Leth und Andreas Koefoed auf Reisen, im Studio, auf der Bühne begleitet. Und fragen immer wieder: Was bedeutet es, sein ganzes Leben der Musik zu widmen? Zusammen zu spielen? Man kann es nicht erklären. Man muss es sehen und hören. Music for Black Pigeons ist mal Medi­ta­tion, mal magische Beschwörung, mal hoch konzen­triert, mal verspielt – „it’s all about matter and energy“, lacht Schlag­zeuger Andrew Syrille, „a cele­bra­tion of life“, und Trau­er­ar­beit, eingedenk derer, die nur noch im Geist mit dabei sind. – Ein „klas­si­scher“ Jørgen Leth, dem Meister des frag­men­ta­ri­schen Erzählens. (66 scener fra Amerika, Nye scener fra Amerika, De fem benspænd / The Five Obstruc­tions, zusammen mit Lars von Trier). Aus kleinen Teilen ein Gesamt­kunst­werk basteln, das sich immer weiter steigert. Jazz erlebbar macht. Lief in Venedig.
[Termine & Tickets]

Ums Überleben. Eastern Front begleitet die „Hospi­tal­lers“, ein ukrai­ni­sches Frei­wil­ligen-Team von Rettungs­sa­ni­tä­tern bei ihren Einsätzen. Sie alle gehören zur „Gene­ra­tion Maidan“. Erzählen auf Heimat­ur­laub, wie der Krieg sie verändert hat, von ihren Traumata, Über­zeu­gungen, Wünschen – und, klar, kehren zurück an die Front.
Regie: Vitali Manski (!) und Yevhen Titarenko, ein jüngerer Kollege, der seit 2014 selbst frei­willig im Sanka unterwegs ist. Dem Grunde nach sind das, wie Sergei Losnitzas Retro­spek­tiven, „vergeb­liche“ Filme. Zeigen, zur Anschauung bringen. Teilhaben, Empathie empfinden. Lief in Berlin in der Reihe Encoun­ters. Vitali Manski, Jahrgang 1963, Film­stu­dium bis 1990 (!), „post-sowje­tisch“, 30 Filme, darunter die berühmt gewordene Trilogie über Gorbat­schov, Jelzin, Putin (2001), Im Strahl der Sonne (2015), über Nordkorea (!), und Putins Zeugen, 2018, das selbst­kri­ti­sche Making-of, 18 Jahre später. Manski, geboren und aufge­wachsen in Lwiw (Lemberg), lebt seit 2014 in Riga. (Und was macht eigent­lich Viktor Kossa­kowsky?)
[Tickets & Termine]

Jackie the Wolf – inter­es­sant, aber sicher nicht als „Recht aufs Sterben“-Themen-Film, sondern als (sehr fran­zö­si­sches, sehr groß­bür­ger­li­ches) Mutter-Sohn-Bezie­hungs-Drama, das, weil Regisseur Tuki Jencquel persön­lich invol­viert ist, nicht auser­zählbar ist (und einige deutliche Schwächen hat).
[Tickets & Termine]

Feminism WTF von Katharina Mueck­stein ist ein schönes, sehr kluges Diskurs-Talkie, mit gut durch­dachten Perfor­mances und Inter­ven­tionen zwischen­drin, um das Thema in Sicht- und Erlebb­bar­keit zu über­führen. Patri­ar­chat abschaffen! Katharina Mueck­stein: Jg 1982, Studium Philo­so­phie und Gender Studies, später Film­aka­demie Wien, Spiel­filme, Mitbe­grün­derin von La Banda Film, Vorstand Frauen Vernet­zung Film, Wichtige Rolle bei #MeToo in Öster­reich..
[Termine & Tickets]