38. DOK.fest München 2023
Materialbewältigung |
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Eastern Front von Vitali Manski und Yevhen Titarenko | ||
(Foto: DOK.fest München | Lia Erbal) |
Von Hermann Barth
The Golden Thread – die »Jute Symphony«, ein Film, der intensivsten Erzählwillen hat, großes Dokumentarfilm-Kino ist, ein Gesamtkunstwerk, das dem drohenden Untergang der Jute-Industrie, die ein ganzes Jahrhundert lang für Arbeit und bescheidenen Wohlstand von Zehntausenden Menschen rund um Kalkutta sorgte, ein cineastisches Denkmal setzt. Regie: Nishtha Jain (City of Photos, Gulabi Gang, Lakhsmi and Me), Weltpremiere IDFA.
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Be water – Voices from Hongkong erzählt, im Rückblick, beeindruckend und beunruhigend noch einmal die Geschichte der Regenschirm-Bewegung 2014 bis zur total(itär)en Zerschlagung der Demokratie. Aus der Sicht früherer Aktivist*innen, die anonym bleiben müssen, mit ungeheurem Bildmaterial, Handyaufzeichnungen der vergangenen Jahre – mit den Stimmen der vergeblichen Warner*innen im europäischen Parlament (allen voran der des Chinesischen
mächtige Reinhard Bütikofer) und dem noch lange nicht von allen begriffenen, völligen Scheitern der westlichen China-Politik. „Das ist erst der Anfang“ lautet die bittere Erkenntnis. Sehr gelungenes Konzept mit einander ergänzenden Stimmen, Animationen, wo nötig, einer „Haupterzählung“, repräsentiert durch eine Protagonistin, die in Berlin gestrandet ist. Regie „Lia Erbal“ – ein Pseudonym, zum Selbstschutz vor den erwartbaren
Nachstellungen der KP.
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The Spirit(s) of Music. Gitarrist Bill Frisell, Schlagzeuger Paul Motian, Percussionistin Midori Takada, Kontrabassist Thomas Morgan … und immer wieder: Saxophonist Lee Konitz! Sie alle spielen mit und für den Komponisten Jakob Bro. 14 Jahre lang haben ihn Jørgen Leth und Andreas Koefoed auf Reisen, im Studio, auf der Bühne begleitet. Und fragen immer wieder: Was bedeutet es, sein ganzes Leben der Musik zu widmen? Zusammen zu spielen? Man kann es nicht erklären. Man muss es
sehen und hören. Music for Black Pigeons ist mal Meditation, mal magische Beschwörung, mal hoch konzentriert, mal verspielt – „it’s all about matter and energy“, lacht Schlagzeuger Andrew Syrille, „a celebration of life“, und Trauerarbeit, eingedenk derer, die nur noch im Geist mit dabei sind. – Ein „klassischer“ Jørgen Leth, dem Meister des fragmentarischen Erzählens. (66 scener fra
Amerika, Nye scener fra Amerika, De fem benspænd / The Five Obstructions, zusammen mit Lars von Trier). Aus kleinen Teilen ein Gesamtkunstwerk basteln, das sich immer weiter steigert. Jazz erlebbar macht. Lief in Venedig.
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Ums Überleben. Eastern Front begleitet die „Hospitallers“, ein ukrainisches Freiwilligen-Team von Rettungssanitätern bei ihren Einsätzen. Sie alle gehören zur „Generation Maidan“. Erzählen auf Heimaturlaub, wie der Krieg sie verändert hat, von ihren Traumata, Überzeugungen, Wünschen – und, klar, kehren zurück an die Front.
Regie: Vitali Manski (!) und Yevhen Titarenko, ein jüngerer Kollege, der seit 2014 selbst
freiwillig im Sanka unterwegs ist. Dem Grunde nach sind das, wie Sergei Losnitzas Retrospektiven, „vergebliche“ Filme. Zeigen, zur Anschauung bringen. Teilhaben, Empathie empfinden. Lief in Berlin in der Reihe Encounters. Vitali Manski, Jahrgang 1963, Filmstudium bis 1990 (!), „post-sowjetisch“, 30 Filme, darunter die berühmt gewordene Trilogie über Gorbatschov, Jelzin, Putin (2001), Im Strahl der Sonne (2015), über Nordkorea (!), und Putins Zeugen, 2018, das selbstkritische Making-of, 18 Jahre später. Manski, geboren und aufgewachsen in Lwiw (Lemberg), lebt seit 2014 in Riga. (Und was macht eigentlich Viktor Kossakowsky?)
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Jackie the Wolf – interessant, aber sicher nicht als „Recht aufs Sterben“-Themen-Film, sondern als (sehr französisches, sehr großbürgerliches) Mutter-Sohn-Beziehungs-Drama, das, weil Regisseur Tuki Jencquel persönlich involviert ist, nicht auserzählbar ist (und einige deutliche Schwächen hat).
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Feminism WTF von Katharina Mueckstein ist ein schönes, sehr kluges Diskurs-Talkie, mit gut durchdachten Performances und Interventionen zwischendrin, um das Thema in Sicht- und Erlebbbarkeit zu überführen. Patriarchat abschaffen! Katharina Mueckstein: Jg 1982, Studium Philosophie und Gender Studies, später Filmakademie Wien, Spielfilme, Mitbegründerin von La Banda Film, Vorstand Frauen Vernetzung Film, Wichtige Rolle bei #MeToo in
Österreich..
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