Der Widerstand der Bilder gegen den Krieg |
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Das Jugoslawien-Museum in Belgrad ist in Wirklichkeit ein Tito-Mausoleum | ||
(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
»You are from Germany, you are full of money!« Sicherlich, ein singulärer Tiefpunkt während des Aufenthalts in Belgrad. Das internationale Dokumentarfilmfestival Beldocs lud in der vergangenen Woche zwanzig junge Erwachsene aus Deutschland und Frankreich zum trilateralen Austausch ein. Die 18- bis 23-Jährigen waren Teilnehmer*innen des französischen Filmfests FIDMarseille und des Münchner UNDERDOX-Festivals, wo es im Juli und Oktober noch hingehen wird.
Es ist Nacht in Belgrad, die Kinovorstellungen sind vorbei, jetzt schnell noch in eine Kaschemme, die versteckt im ersten Stock einer der zahlreichen Beton-Arkaden mitten in der Innenstadt liegt. In der Bar – Wendeltreppe, Tresen, DJ – ist kaum Platz zum Stehen, zwangsläufig kommt man hier auf Tuchfühlung mit den Einheimischen. Die sind in der Bar, authentischer Achtziger-Stil, meist nicht mehr ganz so frische Männer, die Tuchfühlung wird somit schnell auch sehr wörtlich.
Nachzudenken über »Krieg, Militarisierung und das Aufkommen totalitärer Systeme« war für die 16. Ausgabe das Anliegen des internationalen Belgrader Dokumentarfilmfestivals. Zusammengestellt hat es eine Reihe von Filmen, in denen es um die politische Dysphorik geht. Im Programm: Filme über Mariupolis (20 Days in Mariupol, Mariupolis 2), die analytische Studie über das Militär A Field Guide to Coastal Fortifications von Tijana Petrović (Preis für den Besten serbischen Film), dann Silent Sun of Russia der Dänin Sybilla Tuxen, ein Film über drei russische Frauen im Exil, die von einem modernen Leben in Freiheit träumen, und der verstörende Kompilationsfilm Sergej Losnitzas’, Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung. Das nur ein Ausschnitt, der deutlich macht, wie sich ein Filmprogramm in Osteuropa politisch betroffen zeigen kann durch den Eindruck der kriegerischen Ereignisse in der ehemaligen Sowjetunion, ohne dies allzu ostentativ zu betonen.
In der Stadt konnte man währenddessen in einem Souvenirshop Devotionalien vom russischen Angriffskrieg erwerben. Mitten im Zentrum von Belgrad stößt man auf einen prorussischen Touri-Shop, die Fassade ganz aus Glas. Hier soll nicht verborgen bleiben, um was es geht: Neben russischen Soldatenkäppis und Orden kann man hier auch eine Fahne mit dem »Z«, dem Symbol für die sogenannte russische »Geheimoperation« kaufen. Im Shop sind ein paar Leute, Kunden kann man sie aber nicht nennen, denn kaufen tut keiner was. Nur sich umschauen, in diesem besonders geschmacklosen Gruselkabinett. Da ist er, der Ruch der Propaganda.
Dass Propaganda auch in anderer Richtung fehlgeleitet sein kann, machte der schon erwähnte 20 Days in Mariupol deutlich. Im Dialog mit Mariupolis 2 des Litauers Mantas Kvedaravičius führte das Programm vor, was eine guter – und was ein schlechter Dokumentarfilm ist. Wie Propaganda entsteht, wenn allzu leichtfertig auf grelle Effekte gesetzt wird. Der ukrainische Regisseur Mstyslav Chernov, Autor von 20 Days in Mariupol, hat sich ebenso wie Kvedaravičius direkt dem Krieg ausgesetzt. Kvedaravičius bezahlte seinen stillen, nachdenklichen, teilweise auch lyrischen Film mit seinem Leben, und dennoch kommen bis auf eine Stelle keine ästhetisch schockierenden Bilder vor – die Existenz im Bunker birgt Schrecken genug. Ganz anders der Ukrainer Chernov: Er hält drauf, bis es weh tut. Bis das Baby, das im Angriff getroffen wurde, schließlich doch stirbt. Bis man die Leichen, die auf ihren Bahren herumgeschoben werden, nicht mehr sehen will. Das ist Snuff, schnell geschnitten, Musik dazu. Nicht zu ertragen der Film, wo eigentlich doch die Situation schon unerträglich genug ist, für sich sprechen könnte, als ein einziger Verzweiflungsschrei der Realität.
Zum Glück setzen andere Filme im Programm, nicht nur Mariupolis 2, Konterpunkte zu diesem schrillen Kriegsfilm. Konterpunkte, obwohl es auch in ihnen um kriegerische Konflikte geht. Was ist, wenn ein Krieg chronisch wird? Was ist, wenn er unsichtbar wird? Sich in die Erde und die Landschaft zurückzieht? Aber trotzdem noch da ist? Der deutsche Regisseur Daniel Kötter geht in seinem Film Landshaft den geopolitschen Verwerfungen im östlichen Armenien nach, zwischen dem See von Sevan und der Goldmine von Sotk, die seit dem Bergkarabach-Krieg 2020 von den Aserbaidjanern besetzt ist. Kötter taucht in der Art des Sensory Ethnographic Lab in die weite, undefinierte, grün-gräuliche Landschaft ein. Zwischen den Hügeln wenige Häuser, während er dem Weg einer Schafsherde folgt. Tiere kennen keine Grenze, sagt mal der Schäfer, seine Herde würde ständig die grüne Grenze verletzen. Auf einem Hügel geparkt: Schweres Panzergerät des Krieges, auf Armenien gerichtet. Überall geht das karge Leben weiter. Lämmer werden älter, saugen trotzdem noch an der Mutter. Kartoffeln werden geerntet, die Knollen fallen vom Kettenfuhrwerk, das sie aus der Erde hebt, die Frauen gehen Schritt für Schritt in gebückter Haltung hinterher, mit ihren Eimern. Irgendwann stehen überall in der Landschaft weiße, prall gefüllte Kartoffelsäcke.
Kötter filmt, und das macht ihn zum Sensory Ethnographic Lab verwandt, fast unterschiedslos die Natur, die Tiere, die Menschen. Alles greift ineinander, alles ist gleichberechtigt da. Am Ende des Films und der Reise durch eine vom Krieg kontaminierte Landschaft sind die blökenden Schafe ausgelassene Protagonisten, die sich nicht bändigen lassen wollen. Die hierin rennen und dorthin, während Kötters Kamera sich von ihrer ungezähmten Wildheit anstiften lässt, mitrennt, sich mit hinein in die Herde wirft. »Embedded« in der Schafsherde als Symbol des Widerstands gegen den Krieg – das funktioniert hier rein über die Bilder, ohne große Erklärungen.