18.05.2023

Der Widerstand der Bilder gegen den Krieg

Tito
Das Jugoslawien-Museum in Belgrad ist in Wirklichkeit ein Tito-Mausoleum
(Foto: privat)

Das 16. Internationale Filmfestival Beldocs lud mit starken Filmen zum Nachdenken über »Krieg, Militarisierung und das Aufkommen totalitärer Systeme« ein

Von Dunja Bialas

»You are from Germany, you are full of money!« Sicher­lich, ein singulärer Tiefpunkt während des Aufent­halts in Belgrad. Das inter­na­tio­nale Doku­men­tar­film­fes­tival Beldocs lud in der vergan­genen Woche zwanzig junge Erwach­sene aus Deutsch­land und Frank­reich zum trila­te­ralen Austausch ein. Die 18- bis 23-Jährigen waren Teil­nehmer*innen des fran­zö­si­schen Filmfests FIDMar­seille und des Münchner UNDERDOX-Festivals, wo es im Juli und Oktober noch hingehen wird.

Es ist Nacht in Belgrad, die Kino­vor­stel­lungen sind vorbei, jetzt schnell noch in eine Kaschemme, die versteckt im ersten Stock einer der zahl­rei­chen Beton-Arkaden mitten in der Innen­stadt liegt. In der Bar – Wendel­treppe, Tresen, DJ – ist kaum Platz zum Stehen, zwangs­läufig kommt man hier auf Tuch­füh­lung mit den Einhei­mi­schen. Die sind in der Bar, authen­ti­scher Achtziger-Stil, meist nicht mehr ganz so frische Männer, die Tuch­füh­lung wird somit schnell auch sehr wörtlich.

Nach­zu­denken über »Krieg, Mili­ta­ri­sie­rung und das Aufkommen tota­li­tärer Systeme« war für die 16. Ausgabe das Anliegen des inter­na­tio­nalen Belgrader Doku­men­tar­film­fes­ti­vals. Zusam­men­ge­stellt hat es eine Reihe von Filmen, in denen es um die poli­ti­sche Dysphorik geht. Im Programm: Filme über Mariu­polis (20 Days in Mariupol, Mariu­polis 2), die analy­ti­sche Studie über das Militär A Field Guide to Coastal Forti­fi­ca­tions von Tijana Petrović (Preis für den Besten serbi­schen Film), dann Silent Sun of Russia der Dänin Sybilla Tuxen, ein Film über drei russische Frauen im Exil, die von einem modernen Leben in Freiheit träumen, und der vers­tö­rende Kompi­la­ti­ons­film Sergej Losnitzas’, Luftkrieg – Die Natur­ge­schichte der Zers­törung. Das nur ein Ausschnitt, der deutlich macht, wie sich ein Film­pro­gramm in Osteuropa politisch betroffen zeigen kann durch den Eindruck der krie­ge­ri­schen Ereig­nisse in der ehema­ligen Sowjet­union, ohne dies allzu osten­tativ zu betonen.

In der Stadt konnte man während­dessen in einem Souve­nir­shop Devo­tio­na­lien vom russi­schen Angriffs­krieg erwerben. Mitten im Zentrum von Belgrad stößt man auf einen prorus­si­schen Touri-Shop, die Fassade ganz aus Glas. Hier soll nicht verborgen bleiben, um was es geht: Neben russi­schen Solda­ten­käppis und Orden kann man hier auch eine Fahne mit dem »Z«, dem Symbol für die soge­nannte russische »Geheim­ope­ra­tion« kaufen. Im Shop sind ein paar Leute, Kunden kann man sie aber nicht nennen, denn kaufen tut keiner was. Nur sich umschauen, in diesem besonders geschmack­losen Grusel­ka­bi­nett. Da ist er, der Ruch der Propa­ganda.

Russenshop
Mitten in Belgrad (Foto: privat)

Dass Propa­ganda auch in anderer Richtung fehl­ge­leitet sein kann, machte der schon erwähnte 20 Days in Mariupol deutlich. Im Dialog mit Mariu­polis 2 des Litauers Mantas Kvedara­vičius führte das Programm vor, was eine guter – und was ein schlechter Doku­men­tar­film ist. Wie Propa­ganda entsteht, wenn allzu leicht­fertig auf grelle Effekte gesetzt wird. Der ukrai­ni­sche Regisseur Mstyslav Chernov, Autor von 20 Days in Mariupol, hat sich ebenso wie Kvedara­vičius direkt dem Krieg ausge­setzt. Kvedara­vičius bezahlte seinen stillen, nach­denk­li­chen, teilweise auch lyrischen Film mit seinem Leben, und dennoch kommen bis auf eine Stelle keine ästhe­tisch scho­ckie­renden Bilder vor – die Existenz im Bunker birgt Schrecken genug. Ganz anders der Ukrainer Chernov: Er hält drauf, bis es weh tut. Bis das Baby, das im Angriff getroffen wurde, schließ­lich doch stirbt. Bis man die Leichen, die auf ihren Bahren herum­ge­schoben werden, nicht mehr sehen will. Das ist Snuff, schnell geschnitten, Musik dazu. Nicht zu ertragen der Film, wo eigent­lich doch die Situation schon uner­träg­lich genug ist, für sich sprechen könnte, als ein einziger Verzweif­lungs­schrei der Realität.

Zum Glück setzen andere Filme im Programm, nicht nur Mariu­polis 2, Konter­punkte zu diesem schrillen Kriegs­film. Konter­punkte, obwohl es auch in ihnen um krie­ge­ri­sche Konflikte geht. Was ist, wenn ein Krieg chronisch wird? Was ist, wenn er unsichtbar wird? Sich in die Erde und die Land­schaft zurück­zieht? Aber trotzdem noch da ist? Der deutsche Regisseur Daniel Kötter geht in seinem Film Landshaft den geopo­lit­schen Verwer­fungen im östlichen Armenien nach, zwischen dem See von Sevan und der Goldmine von Sotk, die seit dem Berg­ka­ra­bach-Krieg 2020 von den Aser­bai­d­ja­nern besetzt ist. Kötter taucht in der Art des Sensory Ethno­gra­phic Lab in die weite, unde­fi­nierte, grün-gräuliche Land­schaft ein. Zwischen den Hügeln wenige Häuser, während er dem Weg einer Schafs­herde folgt. Tiere kennen keine Grenze, sagt mal der Schäfer, seine Herde würde ständig die grüne Grenze verletzen. Auf einem Hügel geparkt: Schweres Panzer­gerät des Krieges, auf Armenien gerichtet. Überall geht das karge Leben weiter. Lämmer werden älter, saugen trotzdem noch an der Mutter. Kartof­feln werden geerntet, die Knollen fallen vom Ketten­fuhr­werk, das sie aus der Erde hebt, die Frauen gehen Schritt für Schritt in gebückter Haltung hinterher, mit ihren Eimern. Irgend­wann stehen überall in der Land­schaft weiße, prall gefüllte Kartof­fel­säcke.

Kötter filmt, und das macht ihn zum Sensory Ethno­gra­phic Lab verwandt, fast unter­schiedslos die Natur, die Tiere, die Menschen. Alles greift inein­ander, alles ist gleich­be­rech­tigt da. Am Ende des Films und der Reise durch eine vom Krieg konta­mi­nierte Land­schaft sind die blökenden Schafe ausge­las­sene Prot­ago­nisten, die sich nicht bändigen lassen wollen. Die hierin rennen und dorthin, während Kötters Kamera sich von ihrer unge­zähmten Wildheit anstiften lässt, mitrennt, sich mit hinein in die Herde wirft. »Embedded« in der Schafs­herde als Symbol des Wider­stands gegen den Krieg – das funk­tio­niert hier rein über die Bilder, ohne große Erklärungen.