38. DOK.fest München 2023
Perspektive Kino! |
Von Nora Moschuering
Das DOK.fest ist letztes Wochenende zu Ende gegangen, zumindest das Festival im Kino, bei DOK.fest@home kann noch bis zum 21.05. weitergeguckt werden, ohne die große Leinwand und ohne Live-Gespräche, dafür zeitlich und örtlich flexibel, wie es auf der Homepage heißt. Ich werd’s machen und empfehle den Late Bird Online-Festivalpass, war aber auch am Sonntag noch mal im Kino. So lange es da geht, nehme ich es mit, denn natürlich ist es anders, einen Film konzentriert im Kino zu sehen und im Anschluss mit jemandem Revue passieren zu lassen, als reingeschludert alleine im Bett. Um dieses Kino, des gemeinsamen Sitzens und Erfahrens – ich bin Fan – drehte sich zu Beginn des DOK.fests die Konferenz: »Perspektive Kino!«. Wie steht es um das Kino als Ort, als Erfahrungs-Raum, als Stadt-Raum, als demokratischer Raum, als Diskurs-Ort, als gemeinschaftlicher Raum, als Ausgehort, als filmische Praxis? Was machen die Streamer mit ihnen? Was die digitalen Leinwände? Gestartet wurde am 04.05. mit öffentlichen Best Practice Pitches, am 05.05. ging es weiter in geschlossenen Workshops. Sobald die Ergebnisse aus diesen veröffentlicht werden, werden sie hier besprochen.
Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere auch an das Münchner Symposium vom 05. November 2022, zu dem die Filmstadt München e.V. eingeladen hatte und hier nachzulesen, eine gute, ergänzende Lektüre. Dort waren Akteur*innen der Münchner Kulturlandschaft aus den Bereichen Kino, alternative Filmorte, Festivals und der Politik eingeladen. Gemeinsam diskutierte man über die Münchner
Film-, Festival- und Kinolandschaft und die Umbrüche, die teilweise schon vor der Pandemie begonnen hatten, aber mit ihr noch mal verstärkt wurden.
Zurück zur Konferenz: Daniel Sponsel, der Kurator von »Perspektive Kino!«, hat viele der Themen aufgenommen, konzentrierte sich aber am ersten Tag vor allem auf schon Umgesetztes und auf das Thema Digitalisierung. Er hat dazu eine beeindruckende Anzahl an Fachleuten aus ganz Deutschland eingeladen, die nach Möglichkeiten suchen,
das Kino als kulturelle Praxis, als Ort, zu erhalten. Wie begegnet man dem Publikumsschwund durch die fortschreitende Digitalisierung? Wie gewöhnt man das Publikum wieder an das Kino und gewinnt vielleicht Neues dazu? Wie kann man es vermarkten? Wie kann man das Digitale mitdenken?
Leider wurde wenig über die Qualitäten des Kinos gesprochen, über das, was den Raum einzigartig macht, darüber, was einen abendfüllenden Kinofilm von gestreamtem Content unterscheidet und einen
Kinobesuch von einem Bett-Event. Diese Selbstbefragung und Reflexion wäre für mich eigentlich der Ausgangspunkt, aber vielleicht kann man davon ausgehen, dass das ohnehin Jede und Jeder der Anwesenden schon des Öfteren getan hat.
Begonnen wurde mit 30 Best Practice Pitches zu 8 Themenschwerpunkten, die ein wenig an Ted Talks erinnerten und die Grundlage für die Arbeit in den Workshops boten, aber auch zeigten, was und vor allen Dingen wie viel schon umgesetzt wird.
Wie schon bei dem Symposium kristallisiert sich über den Tag heraus, dass der Wunsch nach einem Filmhaus oder einem kommunalen Kino überall groß ist. Neidisch blickt man auf Marc Gegenfurtner (Leitung Kulturamt Stuttgart), der den, wenn man drüber nachdenkt, auch etwas absurden Weg von der Schließung des kommunalen Kinos Stuttgarts 2008, bis hin zum Medienhaus, das 2027 eröffnet werden soll, beschreibt. Dabei betont er, wie wichtig die Bürger*innenbeteiligung,
Zusammenschlüsse und Hartnäckigkeit auf dem Weg zum Filmhaus gewesen sind.
Auch Monika Haas, die Geschäftsführerin der Filmstadt München e.V. wünscht sich so einen kommunalen Filmraum, weil ihr die Leinwände für die zahlreichen Münchner Festivals, die es unter dem Dach der Filmstadt gibt, u.a. durch die Schließung des Gasteigs, aber auch einiger Kinos, abhandenkommen. Für Kinos ist es auch nicht unbedingt leicht, neben dem »Normalbetrieb« Festivals unterzubringen.
Die
Sicht der Kinobetreiber auf diese Wunsch-Räume fehlte dieses Mal, im November hatte sie Christian Pfeil (Monopol, Arena, Rio Filmpalast) erklärt, denn ja, diese Häuser sollen eben keine Konkurrenz zu den bestehenden Kinos werden.
Dabei sind sich alle einig, dass Kinos und Festivals zusammen gehören, die miteinander kooperieren sollten, weil sie gegenseitig Synergien erzeugen. Daneben können Festivals, wie Svenja Böttger (Geschäftsführung Filmfestival Max Ophüls Preis)
meint, auch jenseits der Kinos mit ihrem Label arbeiten und z.B. Schüler und Schülerinnen in ihren Schulen abholen.
Daran anschließend, ein wichtiges Thema, das auch auf dem November-Symposium viel Raum bekam: Die Bedeutung von Film- und Medienbildung für Kinder und Erwachsene, die z.B. auf Festivals (Maya Reichert, Leitung DOK.education) oder in Kinos (Leopold Grün, Geschäftsführung Schulkinowochen) stattfindet, aber leider so gut wie gar nicht in den Schulen, obwohl das fast absurd anmutet, weil wohl keiner anzweifelt, dass wir in einer Welt der Bilder leben (iconic turn) und dass eine Vermittlung davon, wie Bilder entstehen, wie sie wirken und genutzt (manipuliert) werden, heute wichtiger ist denn je.
Junge Menschen, gerade auch in den Nachwehen der Pandemie wieder aus dem Haus zu locken, das möchte der vom BKM geförderte Kulturpass, den Alexander Lücke (Projektreferent Kommunikation, Kulturpass bei der Stiftung Digitale Chancen) vorstellt. Mit dem Pass können 18-20-jährige für 200 Euro verschiedene Kulturangebote besuchen. Denn die Zuschauer*innen sind ja nicht nur dem Kino abhandengekommen. Jetzt ist es allerdings wichtig, dass die Kinos ihre eigenen Zielgruppen
ansprechen und die Leute nicht nur in Konzerte oder in Ausstellungen gehen. Es gibt aber auch reine Kino-Abo-Modelle, z.B. das von Gerhard Wissner (Geschäftsführung Bali Kinos Kassel und Leitung Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest). Sein Abo-Modell bindet aber eher bereits existierende Besucher*innen, die ihn damit unterstützen, ist aber wahrscheinlich zu teuer, als neue zu gewinnen. In München gibt es z.B. das »Lieblingskinoabo« für das Neue Maxim, Monopol, Arena, Rio
Filmpalast und Lichtspieltheater FFB. Es ist natürlich nicht unbedingt immer leicht, einen Verbund zu gründen, schon allein wegen der Abrechnung, aber es lohnt sich vielleicht, denn Abos kennt man ja nicht nur von Zeitungen, sondern auch von den Streamern, und schon bei denen ist es absurd, dass man eigentlich mehrere Abos benötigt. (Bonus/-Prämienkarten, wie sie das Mathäser hat, wären auch denkbar).
Das alles gehört zum Kino-Marketing, Matthias Helwig (Geschäftsführung Kino
Breitwand und Leitung Fünf Seen Filmfestival) unterstreicht zusätzlich, dass es sinnvoll wäre, wenn Kinos mehr an der Vermarktung teilnehmen würden, sie aber dafür leider bisher nicht ausgestattet sind.
Ein Teil davon wäre vielleicht auch die Nutzung oft schon vorhandener Daten, mit denen man, jenseits von Newslettern, Besucher*innen gezielt ansprechen könnte.
Von ganz speziellem Zielgruppenmarketing erzählt Valentin Thurn (Geschäftsführung Thurn Film), man kann es auch Impact Producing nennen, das er selber 2011 zu seinem Film »Taste the waste« gemacht hat. Eine halbe bezahlte Stelle kümmerte sich um gezielte Ansprache und begleitende Aktionen zum Film. Das bedeutet aber viel Arbeit und ist bei dezidiert politischen Themen sicher einfacher als bei einem Film der Berliner Schule.
Man kann natürlich spezifische Filme spezifisch vermarkten, aber wie bekommt und hält man Publikum, das nicht nur zu bestimmten Themen ins Kino kommt? Maria Matinyan (Kuratorin Kino Asyl und Mitbegründerin der sozial-kulturellen Plattform G. Urban) erläutert die Bedeutung von Diversität und Communitys für Kinos und Festivals, sowohl um neues Publikum zu gewinnen, als auch um neue Inhalte und neue Festivals zu schaffen. Korbinian Häutle (Leitung QFFM-Queer Film Festival München, Vorstand QueerScope) und Hanne Homrighausen (Co-Leitung Hamburg International Queer Film Festival und Vorstand QueerScope) betonen die Bedeutung von überregionalen Zusammenschlüssen, z.b. QueerScope. Mitglieder von QueerScope arbeiten sowohl inhaltlich zusammen, bilden aber auch ganz praktisch Einkaufsverbünde.
Seneit Debese (Geschäftsführung Greta&Starks Apps GmbH) stellt Greta&Starks vor, mit der Hilfe einer App können Kinos barrierefreier werden, z.B. durch Mehrsprachigkeit, Tonverstärkung oder Untertitel.
Das Thema barrierefreier Kino-Räume wurde nicht angesprochen, wurde aber auf dem Symposium behandelt.
Besonders über die Social Media Plattformen wollen Gudrun Sommer (Festivalleitung Doxs Ruhr) und Jihad Azahrai (Projektleitung und Community Manager kino.for you, Doxs Ruhr) junge Leute hierarchiefrei und partizipativ zum Kino führen.
Dr. Johannes Litschel (Geschäftsführung Bundesverband kommunale Filmarbeit) stellt »Junges Kino« vor, ein Netzwerk für die Zukunft, das junge Menschen wieder für das Kino begeistern soll. Das Programm startete im letzten
Oktober, Kinos konnten sich mit ihren Ideen für Gelder bewerben und sie damit risikoarm umsetzen. Wichtig ist, dass sie im Anschluss drüber berichten, um so einen Lerneffekt für alle zu erzeugen. Leider endet das Projekt schon im Juni dieses Jahres.
Das Kino bekommt Konkurrenz von etwas Unsichtbarem, etwas, das in den Städten nicht sichtbar ist, und von etwas, das ihm sehr ähnlich ist: dem digitalen Gucken, dem Streaming. Geschaut wird ja ständig, das bewegte Bild an sich ist so lebendig wie nie. Die digitale Leinwand – um es mal so zu nennen, und damit abzugrenzen – kann dabei aber auch eine Chance sein.
Alain Polgar (Head of Business Developmemt bei Pantaflix) erläutert die Arbeit von Pantaflix, mit der
auch das DOK.fest zusammenarbeitet. Ein duales Festival, will sagen, sowohl eine richtige Leinwand als auch die digitale, kann helfen, neue Gruppen anzusprechen und ein Festival barrierefreier zu gestalten. Parallel dazu stellt Jens Geiger-Kiran (Geschäftsführung Cinemalovers) das Konzept von Cinemalovers vor: Sie bieten eine weitere Leinwand für Kinos an, mit der das Programm – gerade bei Ein-Raum-Kinos – sinnvoll ergänzt werden kann.
Ich würde hier auch noch gerne
die Bedeutung der Kinobetreibenden hervorheben, die ja auch als Kurator*innen oder, etwas technischer, als Filterprogramme in der Menge der Filmstarts dienen können, durch Erfahrung, Kompetenz und das Wissen über ihre eigenen Kund*innen.
Zurück zu DOK.fest@home. Nachdem ich also nicht mehr ins Kino kann, weiche ich ins Digitale aus und damit hat sie wieder begonnen: Meine kleine DOK.fest-Gemeinschaft zwischen einer befreundeten Filmemacherin und mir. Sie wohnt nicht in München und schafft es nicht zum DOK.fest wegen Job und Kind und Zeit und Anreise und Geld. Wir haben, wie schon im letzten Jahr, einen privaten Whatsapp-Podcast gestartet, in dem wir uns regelmäßig kurze und auch mal längere Sprachnachrichten zu den Filmen schicken. Denn was bringt schon das Schauen-ganz-alleine, das sich-selbst-Abnicken und Bestätigen, die solitäre Filmerfahrung, ohne Verbalisierung, Rechtfertigung, Assoziationen und Gedanken anderer, das sich-Anstupsen nach dem Kino und das Auseinandersetzen mit dem Gesehenen? Am Schönsten gleich im, vor oder etwas später nach dem Kino, als gemeinsamem Diskursort und Themengeber oder im Notfall eben auch digital.
Austausch fördern, miteinander Ideen entwickeln und voneinander lernen.
Was wir machen, ist eine, na ja sehr kleine, Gemeinschaft zu bilden, das ist es aber auch, was über den Tag immer wieder Thema ist: Die Bedeutung, Informationen zu teilen, solidarisch zu sein, sich zu helfen, sich zusammenzuschließen und nicht in Konkurrenz zueinander zu gehen. Schließlich betreffen die Umbrüche alle, die Lösungen sind aber jeweils regional umzusetzen. Das ist auch der Konferenz gelungen: Menschen zusammenzubringen, die in Deutschland verteilt sind, aber das
Gleiche wollen: Eine kollektive Erfahrung einer aktiven, kritischen Gruppe – wie eben auch im Kino.
Ich bin gespannt auf ihre Ergebnisse.