Das Augenzwinkern der Avantgarde |
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Michael Snow im Filmmuseum München am 23.5.2014 | ||
(Foto: Jakob Gross) |
Von Dunja Bialas
Können Avantgardefilme auch komisch sein? Wer Peter Kubelka, Peter Tscherkassky oder Michael Snow kennt, der weiß, dass die Antwort natürlich »ja« ist. Nichts aber verströmt so viel Schrecken wie das Label »Experimentalfilm«. Anstrengend sei das, sagt man, nur was für Jazzer – und die sind manchmal tatsächlich erschreckend ernst und nerdig. Allesamt Kenner, allesamt Männer, eingeschworener Kreis, nur was für Insider.
Das internationale Filmfestival UNDERDOX will seit nun fast 18 Jahren mit diesem Schrecken vor dem Experimentalfilm aufräumen. Deshalb hat es vor vielen Jahren angefangen, die wichtigen Protagonisten der Szene nach München einzuladen: Die Österreicher Peter Kubelka und Peter Tscherkassky, den wahnwitzigen Briten John Smith, und Miranda Pennell mit ihren choreographierten Wirtshaus-Schlägereien. Die deutsche Filmemacherin Corinna Schnitt mit wildgewordenen Haustieren in einem bürgerlichen Wohnzimmer. Ganz besonders aber überrascht hat Michael Snow, als er 2014 für vier Tage zur UNDERDOX-Halbzeit nach München kam und dort sein Werk persönlich dem Publikum vorstellte. Selbst wenn es der Bild- und Sprachwitz in seinen Filmen schon erahnen ließ – in So Is This (1982) laufen beispielsweise über 60 Minuten lang nur Wörter über die Leinwand, hintersinnige Sprachspiele und Wortverdrehungen, in nonchalanter Tiefgründigkeit.
Snow, 1928 in Toronto geboren, wo er auch Anfang des Jahres mit 94 Jahren verstorben ist, hat größtenteils in New York gewirkt, wohin er in den Sechzigerjahren mit seiner Frau, der Künstlerin Joyce Wieland, ging. Joyce wurde als Silhouette für sein Frühwerk emblematisch, sie ist die »Walking Woman«, der er seine seriellen Arbeiten als bildender Künstler widmete. Die auch immer wieder als Randnotizen, geheime Hinweise in seinem filmischen Werk zurückkehren. In New York ging er in der Film-Makers’ Cinematheque (später: Anthology Film Archives) ein und aus, dort traf er auf Jonas Mekas, Peter Kubelka, Stan Brakhage, den Komponisten Steve Reich. Während seines München-Besuchs räumte er mit der Legende auf: auch in New York waren die Vorstellungen am zentralen Ort der American Avantgarde meist von einer überschaubaren Szene besucht, das große Publikum fand sich nicht ein. Und er staunte in falscher Bescheidenheit über den Ansturm, den sein Besuch damals im Münchner Filmmuseum ausgelöst hat.
Jetzt, zur Halbzeit am heutigen Donnerstag, erinnert UNDERDOX noch einmal an seinen Besuch. Viel Nostalgie ist nicht dabei, eher die Freude, ihn erlebt zu haben, dass er der Einladung gefolgt war, mit weit über Achtzig mit dem Flugzeug aus Toronto kam: Snow is in the air. Nochmals ist Wavelength von 1967 auf 16mm zu sehen, sein ikonischer Film, der mit seinem unterschwelligen Film-noir-Plot (man könnte an Antonionis Blow Up denken) ganz früh die Tonlage seiner Filme setzte. Eigentlich ist Wavelength ein Kamerafilm. Über 45 Minuten lang zoomt die Linse langsam an eine Postkarte heran, die sich in einem Zimmer auf der gegenüberliegenden Wand befindet. Dazu Plotgeräusche aus dem Off. Eine Erkundung über das Sehen und Hören, über die Konzentration und die Choreographie der kinematographischen Apparatur.
Dazu dient als Ergänzung ein weiterer Kamerafilm, ein Roadmovie: Seated Figures von 1988, ebenfalls von 16mm gezeigt, erst 2021 wurde der Film im Centre Pompidou aufgeführt – und schließlich gibt es noch Sshtoorrty von 2005 (35mm).
Michael Snow hat nach der Hochphase des Avantgardefilms, zu der auch seine Teilnahme im belgischen EXPRMNTL Festival in Knokke-le-Zout gehört – Vera Chytilova und Edgar Reitz gehörten der Jury an, die ihm den Grand Prix verlieh – vor allem für den Kunstbereich gearbeitet. Das serielle Prinzip seiner Fotografien entnahm er dem Jazz, er war ein begnadeter Musiker, der angeblich in seiner Anfangszeit nachts als Bar-Pianist arbeitete, um sich seine Kunst zu finanzieren. Und da ist er wieder, der Jazz. Bei Michael Snow aber transformiert er sich zu einem Augenzwinkern.
Die Autorin ist Co-Leiterin von UNDERDOX.
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UNDERDOX Halbzeit: Michael Snow – in memoriam
Donnerstag, 08.06.2023, 19 Uhr
Filmmuseum München
Eintritt: 4 Euro