Cinema Moralia – 300 - Was Kino wirklich ist...
Was Kino wirklich ist... |
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»Barbenheimer«: inzwischen auch ein Offline-Phänomen... | ||
(Foto: Warner Bros./Universal) |
»Because we’re all going to die.«
– Greta Gerwig»I want to see both Barbie and Oppenheimer, I’ll see them opening weekend. Friday I’ll see Oppenheimer first and then Barbie on Saturday. I grew up seeing movies on the big screen. That’s how I make them, and I like that experience; it’s immersive, and to have that as a community and an industry, it’s important.«
– Tom Cruise»...for if cinema were not first and foremost film, it wouldn’t exist.«
Jean Luc Godard
Kino ist das schönste Medium. Wir, die wir dieses Medium als Beobachter begleiten und kommentieren, müssen über soviel reden und schreiben, das mit Kino eigentlich nichts zu tun hat, dass wir darüber manchmal das Wesentliche vergessen.
Dieses Wesentliche ist nicht irgendein Filmfestival, das kürzen muss. Es ist nicht eine Filmproduktion, die Insolvenz anmeldet, auch wenn einem das sehr leidtut. Schon eher die Regisseure, die gerade mit dieser Firma arbeiten, auf sie gehofft haben, und deren Film nun gefährdet ist.
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Das Wesentliche sind auch nicht marginale Filme, die für begrenzte Filterblasen und übersichtliche Echokammern gemacht werden, die nur für die Kunstgalerie entstanden sind, die über ein Filmfestival hinaus niemanden interessieren, die für Kritiker oder für andere Filmemacher gedreht wurden. Solche Gruppen sind manchmal interessant für uns, aber uninteressant fürs Kino.
Das Wesentliche ist noch nicht mal das Kino selbst, dieser Ort. Denn eigentlich geht es um eine Erfahrung, wie man sie vielleicht leichter im dunklen Raum des Kinos macht, aber genauso als Fernsehzuschauer oder vor seinem Computer machen kann. Es geht in erster Linie um Filme, nicht um Orte.
Das Wesentliche sind die Filme, die widersprüchlichste Publikumsgruppen vereinen und die einen Raum schaffen, in dem sie für diese anderthalb oder zwei oder manchmal auch drei Stunden, die ein Film dauert, unterschiedlichste Gruppen verschmelzen. Erst dann, wenn das geschieht, ist Kino Gesellschaft.
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Um das Kino hat man sich in den letzten Jahren viele Sorgen gemacht. Und man macht sie weiter. Es scheint so, dass die Einschläge näher kommen, auch wenn es den Streamern im Augenblick noch schlechter geht, als den Filmverleihern und den Abspielstätten. Trotzdem hat man Tom Cruise und seinen Film Top Gun: Maverick im letzten Jahr als Retter des Kinos bezeichnet. Und trotzdem glaubt man, dass heute in diesen Wochen wieder die Rettung des Kinos nötig ist.
In den nächsten zwei Wochen könnte sich in dieser Lesart das Schicksal des Kinos entscheiden. Denn morgen startet mit Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1 einer der großen Blockbuster dieses Sommers. Der muss die Grundlage legen. Nächste Woche sind es dann zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein können und in deren Unterschiedlichkeit man jetzt wohl tatsächlich mehr erfahren kann darüber, wohin die Reise in der Kinozukunft gehen wird. Beide Filme haben viele Chancen auf Publikumszuspruch und Kultpotenzial, und sind doch keine natürlichen Kassenerfolge.
Die Rede ist von Greta Gerwigs Barbie und von Oppenheimer von Christopher Nolan.
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Wir müssen wieder lernen, im Kino groß zu denken. Und diese beiden Filme könnten uns dabei helfen. Vergangene Woche hat David Steinitz in der »Süddeutschen Zeitung« Imax-Chef Rich Gelfond interviewt, der mehr als 1800 Kinos in knapp 90 Ländern betreibt. Der Mann hat also einen gewissen Überblick. Die Botschaft des Kino-Machers war
optimistisch: »Unser bestes Jahr bislang hatten wir 2019, also kurz vor der Pandemie. Die Umsätze von damals dürften wir aber dieses Jahr knacken. Nach der Pandemie will man nicht mehr auf der Couch sitzen. Die Leute wollen was erleben. Aber während zum Beispiel die Ticketpreise für Konzerte und Sport-Events stark gestiegen sind, ist ein Kinobesuch bei uns noch gut finanzierbar.«
Filme, die eine Kinoauswertung hatten, liefen online viel besser als Filme ohne Kinoauswertung.
Aber die Botschaft war auch sehr klar: In der Krise steckt nicht das Kino und das Filmschauen, sondern die Filmproduktion. Er wünscht sich »große« bildkräftige Filme. »Premiumerfahrungen«.
Die Kinoerfahrung des Zuschauers soll »so immersiv wie möglich« gestaltet werden, riesige Leinwände, superduper-Soundsysteme und eigens dafür konzipierte Kameras. Christopher Nolan ist einer der größten Imax-Fans, ein Verächter des 3-D-Hypes, der seine letzten Filme mit Imax-Kameras
gedreht hat. Sie seien der »Goldstandard«.
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Gut, und jetzt diese Filme. Was ich von Barbie halten soll, das weiß ich noch nicht so richtig. Kann man sich den Film vorstellen? Wenn nicht, dann spricht das ja vielleicht sogar für den Film. Auf Oppenheimer freue ich mich schon seit Monaten, spätestens seit ich die ersten Trailer gesehen habe.
»Counterprogramming«, »Gegenprogrammierung« ist der Fachbegriff für die absichtliche Planung von zwei Filmstarts am selben Tag, die sich an vermeintlich sehr unterschiedliche Zielgruppen richten. Das gab es in Hollywood schon 2008. Da starteten Mamma Mia! und The Dark Knight am selben Wochenende.
Die besten Trailer sind aber die jetzt auftauchenden »Barbenheimer«-Filme.
Auch wenn vieles hier ironisch daherkommt, gibt es einen echten Enthusiasmus für beide Filme, der die Vorfreude beflügelt – so sehr, dass sich »Barbenheimer« zu einem Offline-Phänomen entwickelt hat. Nolan-Fans, Barbie-Fans und Cineasten haben das Eröffnungswochenende der Filme zu einer Ausrede für ein überaus unwahrscheinliches Doppelfeature gemacht – ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Oppenheimer eine dunkel eingefärbte dreistündige Geschichtsstunde über den Mann ist, der für Hiroshima mitverantwortlich ist, während Barbie ein schwindelerregender, sprudelnder Zuckerrausch zu sein scheint. Dennoch sind die Fans so begeistert, dass der Hype um »Barbenheimer« zieht. Gerwig und ihre Hauptdarstellerin Margot Robbie spielen mit und haben ihre Eintrittskarten für Oppenheimer in den Netzwerken zur Schau gestellt, und auch Cillian Murphy (der Oppenheimer spielt) ist mit dabei.
Es gibt jetzt leidenschaftliche Diskussionen über die Reihenfolge, in der man die Filme sehen sollte. Für manche bedeutet »Oppenbarbie«, dass man Oppenheimer zuerst sehen sollte, während »Barbieheimer« bedeutet, dass man Barbie zuerst sehen sollte.
Da liest man dann Dinge wie: »The schedule needs to be black coffee and a cigarette oppenheimer around 11 (its 3 hours) mimosas and brunch barbie around 6/7 dinner, drinks, club,« oder »›Barbieheimer? Oh yeah, I’m there. I have it all planned out. First, I’m seeing Barbie, then Oppenheimer, then Barbie AGAIN if I’m sad from Oppenheimer‹.«
Memes, Witze und Fanartikel gibt es zuhauf, »Barbenheimer«-Shirts, Internet-Bilder von rosa Atompilzen, Bilder von Margot Robbies Barbie, die Cillian Murphys Oppenheimer küsst, sind allgegenwärtig. Die Farbkombinationen Rosa und Schwarz zusammen sind zu einem visuellen Kürzel geworden
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Mindestens noch ein weiterer Film verbreitet schon jetzt ähnliche Erwartungsvorfreude, zumindest bei mir: Napoleon.
Hype und Kult und Subjektivismus und irrationale Begeisterung und Vorfreude wie als Kind auf Weihnachten – das ist Kino wirklich.