30.07.2015
Cinema Moralia – Folge 112

Wie lässt sich Qualität bei einem Film erkennen?

Palo Alto
Ein Film, bei dem man die »Qualität« gleich erkennt: Gia Coppolas Palo Alto – Bestandteil des diesjährigen heißen & tollen Kinosommers...
(Foto: Gia Coppola)

Fragen für die Sommerferien, ein verräterischer Kommentar auf »Blickpunkt Film«, eine Pressemitteilung der Grünen, »neue Gewichtungen« beim BR und zukünftige »Sender ohne Intendanz« – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 112. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ihr jungen Leute solltet nie feige sein! Wenn ihr was sagen wollt, sagt es. Wenn ihr was tun wollt, tut es. Wenn ihr weinen wollt, weint!«
Ein alter Fischer in Still the Water (Futatsume no mado) von Naomi Kawase

Was für ein Monat, dieser Juli! Was für ein Kino­sommer. Ein toller Film jagt den nächsten, und trotz heißen und heißesten Sommer­wet­ters und trotz großer Ferien müssen Sie, geschätzte artechock-Leser, einfach folgende Filme sehen, wenn Sie sich selbst etwas Gutes tun und weiterhin ohne rot zu werden, morgens in den Spiegel gucken wollen: It Follows, Tokyo Tribe, ab dieser Woche Still the Water und irgendwie auch Palo Alto.
Über Letzteren werde ich hier noch mehr schreiben, für heute nur so viel:
Palo Alto ist der erste Film von Gia Coppola, der Tochter von Francis Ford Coppolas ältestem Sohn Gian-Carlo, der 1986 bei einem Boots­un­fall ums Leben kam, als seine einzige Tochter noch nicht geboren war. Trotzdem, betont Gia Coppola, habe sie ihren ersten Film ganz ohne Unter­s­tüt­zung der Familie gemacht. Auch wenn der Name gewiss nicht geschadet hat, glaube man ihr das sofort – und wenn nicht, ist es auch egal: Ein Coppola-Film, nach Kurz­ge­schichten von James Franco, der bei den Film­fest­spielen von Venedig 2013 Premiere hatte, und derzeit exklusiv in wenigen deutschen Kinos läuft. Nahezu zeit­gleich ist Palo Alto, eine groß­ar­tige, bewegende Suburbia-Geschichte mit James Franco, Emma Roberts und Jack Kilmer, aber bereits jetzt auf DVD und Blue Ray erschienen: beim Label »Capelight Pictures«.

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In einem höchst unfair und zudem irre­füh­rend formu­lierten, einfach frechen Text macht sich »Blick­punkt Film« ein weiteres Mal zum Sprach­rohr der dümmeren Hälfte des deutschen Films.
»Grüne blasen zum Sturm auf die Film­för­de­rung« heißt es da. Und dann werden der medi­en­po­li­ti­schen Spre­cherin von Bündnis 90/Die Grünen, Tabea Rößner, »eklatante Schwächen in der Argu­men­ta­tion« vorge­worfen. Der Grund: Rößner hat offenbar das Tabu gebrochen, dass man öffent­lich nicht erwähnen darf, dass die soge­nannte wirt­schaft­liche Film­för­de­rung gar nicht wirt­schaft­lich ist, sondern dass es sich um versteckte Subven­tionen handelt.

Denn tatsäch­lich hat ja selbst unter den geför­derten deutschen Besu­cher­mil­lionären nur jeder fünfte Film in den letzten zehn Jahren die FFA-Projekt­film­för­de­rung zurück­ge­zahlt. Zudem fordert Rößner, dass die Film­för­de­rungs­an­stalt endlich ihre Zahlen offenlegt. »Gerade vor der anste­henden Novelle des Film­för­de­rungs­ge­setzes muss die FFA von unab­hän­giger Seite unter­sucht werden.« Das gefällt der Söld­ner­truppe von Blick­punkt Film natürlich nicht.

Statt­dessen folgt dann ein Ablen­kungs­an­griff offen­sicht­li­cher, trotzdem übler Sorte, der vor allem das Niveau dieses Magazins offenbart: »Versandt wurde die Pres­se­mit­tei­lung von Tabea Rößner von ihrem wissen­schaft­li­chen Mitar­beiter Frédéric Jaeger, der gleich­zeitig als geschäfts­füh­render Vorstand des Verbands der deutschen Film­kritik fungiert. Jaeger hatte zuvor bereits in ähnlicher Form im Vorfeld der Verlei­hung des Deutschen Film­preises in der Berliner Zeitung unter der Über­schrift 'Syste­ma­ti­scher Betrug am Kino' gegen die Film­för­de­rung gewettert.«

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Immerhin wurde die Erklärung Rößners nament­lich gekenn­zeichnet, was man vom erwähnten Blick­punkt-Film-Kommentar nicht behaupten kann.
Aber bei »Blick­punkt Film« haben sie es offenbar bitter nötig. Nach ihren Troll-Attacken gegen die deutsche Film­för­de­rung, die sie dafür verant­wort­lich machen wollten, dass deutsche Filme nicht in Cannes laufen, stürzen sich die Zombies des soge­nannten »Bran­chen­ma­gazin«, das tatsäch­lich laut eigenen Media­daten nicht einmal mit 4000 Exem­plaren gedruckt wird, (geschweige denn gelesen), nun etwas aggrohaft auf alle Kritiker der herr­schenden Verhält­nisse – anschei­nend möchte man sich bei den Anzei­gen­kunden lieb Kind machen.

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Manchmal fragt man sich ja, ob es »Blick­punkt Film« überhaupt noch gibt. Und, dann, gleich als nächstes, warum eigent­lich? Nach dieser reflex­haften Reaktion weiß man wieder warum. Obwohl die BF-Redaktion offenbar nicht merkt, dass eine derartige plumpe Reaktion eher ein Ritter­schlag für die Pres­se­mit­tei­lung der Grünen ist.
Da fragt man sich eher, ob Blick­punkt Film womöglich neben dem diversen indi­rekten Spon­so­ring auch direkte Förder­gelder bekommt? Weil sie doch so viel tun für den deutschen Film?

Zur Sache hat der famose Kommentar im Übrigen nichts beizu­tragen.
Denn das eigent­liche Thema der Film­för­de­rung liegt woanders. Sieht man einmal von der bekannten und schlecht gelösten Frage des Verhält­nisses zwischen kultu­reller und wirt­schaft­li­cher Förderung ab, vergisst man einmal für Augen­blicke, dass kaum Geld in die kultu­relle Förderung fließt und fast alles in die wirt­schaft­liche, dann bleibt die Frage, ob denn Wirt­schaft­lich­keit überhaupt derzeit ein Kriterium ist? De facto spielt Wirt­schaft­lich­keit bei der exis­tie­renden Förderung nur dort eine theo­re­ti­sche Rolle, wo es um hohe Summen geht und viel Geld. Bei kleineren Projekten geht es nicht darum. Förder­schwellen jeder Art sind unfair. Filme, die mehr als ihre Herstel­lungs­kosten einspielen, sind natürlich erfolg­reich, aber was ist mit Filmen, die immerhin 80, 90 oder 95% ihrer Herstel­lungs­kosten wieder einspielen? Sie sind doch zumindest relativ wirt­schaft­lich – die Förder­ge­setze berück­sich­tigen das aber an keiner Stelle.

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Davon abgesehen hier noch mein Ceterum Censeo: Wirt­schaft­lich­keit ist völlig nach­rangig und meinet­wegen sollte gar nix zurück­ge­zahlt werden, wenn nur mal richtig gute oder inter­es­sante Filme raus­kommen. Das ist unser Problem.

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Eine öffent­liche Debatte über die Qualität des deutschen Films wollen die Berliner Akademie der Künste und der Verband der deutschen Film­kritik führen. Hierzu veröf­fent­lichten beide jetzt einen Aufruf, über den wir in den nächsten Wochen nach­denken werden müssen: »›Nach welchen Kriterien wollen wir Filme bewerten?‹ heißt es da, ›Nach welchen Kriterien entscheidet das Publikum? Hat die Kritik einen anderen Zugang zur siebten Kunst? Was verstehen Produzent*innen, Regisseur*innen, Autor*innen, Cutter*innen, Schau­spieler*innen, Kame­ra­leute unter einem guten Film? Wie lässt sich Qualität bei einem Film erkennen? Was macht die Qualität eines Filmes aus?‹
Auch wir von artechock freuen uns über Antworten, und sie dürfen auch länger sein. Auszüge, viel­leicht auch ganze Texte, veröf­fent­li­chen wir gern und leiten sie auch an die Zustän­digen der adk weiter.«

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Viel­leicht sagt uns schon das hier etwas über den Stand der Dinge: »Sehr geehrte Damen und Herren, er ist Kino- und Opern­re­gis­seur, Schau­spieler, Dreh­buch­autor, Libret­tist, Produzent – und jetzt moderiert er auch noch die Verlei­hung der FIRST STEPS Awards: AXEL RANISCH!
Wir freuen uns sehr, dass der unver­gleich­liche Axel Ranisch die 16. Verlei­hung der FIRST STEPS Awards am 14. September 2015 in Berlin im Stage Theater am Potsdamer Platz mode­rieren wird. Der Regisseur, Schau­spieler und Dreh­buch­autor Axel Ranisch, dessen Tragi­komödie Alki Alki gerade auf dem Filmfest München seine Welt­pre­miere feierte, war 2012 mit seinem legen­därem Abschluss­film ›Dicke Mädchen‹ für den FIRST STEPS Award nominiert.
Musi­ka­lisch begleitet wird Axel Ranisch bei seinem Mode­ra­ti­ons­debüt vom deutsch-fran­zö­si­schen Under­ground-Pop-Duo STEREO TOTAL, in deren Musik sich Berliner genialer Dilet­tan­tismus und fran­zö­si­sches ›Je m'en fous spiegeln. Françoise Cactus und Brezel Göring treffen zwar nicht den Geschmack der Mehrheit, das aber seit 20 Jahren und auf allen fünf Konti­nenten.
»FIRST STEPS ist ne ganz schön große Nummer. Mein Herz bubbert vor Freude und Stolz, vor Neugier und Nervo­sität. Dass ich meine geliebte Oma Ruth Bickel­haupt neben mir auf der Bühne weiß, beruhigt mich. Und mit unglaub­li­chem Glück erfüllt mich, dass ich mit zwei Idolen meiner Kindheit (neben Beethoven und Rach­ma­ninoff) durch den Abend führen darf: Françoise Cactus und Brezel Göring von Stereo Total!« (Axel Ranisch)
Axel Ranisch wurde 1983 als dickes Kind zweier Leis­tungs­sportler in Berlin-Lich­ten­berg geboren. Mit 18 Jahren erkrankte er unheilbar am Virus Film. 2011 beendete er sein Regie­stu­dium an der Hoch­schule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babels­berg mit dem No-Budget-Spielfilm Dicke Mädchen (geschätzte Produk­ti­ons­kosten: 517 Euro), der weltweit zahl­reiche Preise gewann und für den FIRST STEPS Award nominiert war. Weitere Spiel­filme folgten bald: Ich fühl mich Disco, Reuber, Alki Alki. Axel Ranisch war Mitautor der Rosa-von-Praunheim-Hommage  Rosa­kinder und Mitbe­gründer der Produk­ti­ons­firma »Sehr gute Filme«. Seit 2013 insze­niert er außerdem Opern und verkör­pert in der Krimi­reihe »Zorn« den fleißigen Krimi­nal­kom­missar Schröder.‹
Der Deutsche Nach­wuchs­preis FIRST STEPS wurde 1999 als private Initia­tive der Film­wirt­schaft von den Produ­zenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann ins Leben gerufen. Er wird heute veran­staltet von der Deutschen Film­aka­demie e.V. mit Unter­s­tüt­zung der vier Grün­dungs­partner UFA FICTION, Mercedes-Benz, ProSie­benSat.1 TV Deutsch­land und Spiegel TV. Allen gemeinsam ist der Wunsch, den Film­nach­wuchs sinnvoll und effektiv zu fördern.«

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Der Süddeut­schen tropfte fast der Speichel aus dem Mund vor Erregung: »Kurz vor seinem Tod« hechelte es, »plante Bernd Eichinger, Groß­träumer des deutschen Kinos, noch eine radikale Version des Nibe­lun­gen­lieds. Vier Seiten aus seinem unver­filmten Drehbuch ›Zorn‹.
Mein Gott! Erschüt­tert wischten wir die Brille ab und lasen weiter, dass Eichinger ›schon in der Film­hoch­schule‹ das Skript ›Der Morgen von Walhalla‹ verfasste. Mitte der Sieb­zi­ger­jahre gab er das Projekt zunächst auf und ließ es ruhen. Offenbar wusste er schon, dass ihn die Götter durch die Urgründe deutscher Geschichte, durch Unter­gänge und Baader-Meinhof-Morgen­röten führen würden, bevor sie ihn noch einmal schreiben ließen: ›Erst 2010 setzte er sich wieder daran, berichtet seine Witwe Katja Eichinger‹ – die, gar nicht wissen kann, ob er nicht auch in den Jahren zwischen 1974 und 2009 auch schon mal dransaß – ›und schrieb ein neues Drehbuch mit dem Titel »Zorn«, dessen erste vier Seiten wir hier abbilden – Faksimile einer unda­tierten, nicht finalen Arbeits­fas­sung aus dem Bestand der Deutschen Kine­ma­thek.‹ Unglaub­liche Enthül­lungen folgen: ›Das schöne Gesicht einer Frau BRUNHILD, ca 35. Sie sieht uns aus magisch anmu­tenden tief­blauen Augen DIREKT an. Ihr flachs­far­benes helles Haar ist zu dicken Zöpfen geflochten: »(Brunhild, bestimmt) Der Beginn birgt das Ende und das Ende den Beginn« So gehts los, das Drehbuch »Zorn«, das das Herz des SZ-Erzählers erobert hat, und ihn zu dem Satz motiviert: »Das ist Eichinger pur, direkt und schnör­kellos, schwel­ge­risch, feti­schis­tisch ... Es geht um Radi­ka­lität, Maßlo­sig­keit, sehr viel Kampf und Tod...«
Man würde das Drehbuch gern lesen – es klingt eher wie Courths-Maler-Kitsch, ich kann nicht glauben, dass Eichinger solche Sätze verfilmt hätte.
Und ja, so soll das deutsche Kino sein: pur, direkt und schnör­kellos, schwel­ge­risch, feti­schis­tisch, radikal, maßlos. Aber wann wären das Eichin­gers Filme je gewesen?‹«

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Ungleich gespannter erwarten wir am Freitag die Premiere der Nibe­lun­gen­fest­spiele in Worms, erstmals unter der Intendanz von Filme­ma­cher Nico Hofmann. Gegeben wird das Stück »Gemetzel«, das der Münchner Autor Albert Oster­maier schrieb, insze­niert wird es von Regisseur Thomas Schadt. Eine spannende Kombi­na­tion und Verschmel­zung von Film und Theater. Und bestimmt weniger schwülstig, als die magisch anmu­tenden tief­blauen Augen von Eichin­gers Brunhilde mit ihrem flachs­far­benen hellen...

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Dem öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk, also dem Radio geht es gut. Eigent­lich. Aber während die Media­daten gerade auch anspruchs­volle Radio­re­dak­tionen in ihrem Beharren auf Qualität uner­wartet stärken, wird bei einem bestimmten Sender abgebaut: dem Baye­ri­schen Rundfunk (BR). Bei BR-Mitar­bei­tern herrscht schon seit einiger Zeit Unruhe über die soge­nannte »Programm­re­form«, der eine Struk­tur­re­form um das Wort »Trime­dia­lität« herum beigemischt wird. Denn das schöne alte Wort Reform, das einmal Aufbruch, Fort­schritt und Besserung verhieß, ist längst zum Codewort für das allge­meine Down­si­zing verkommen.

Beim BR sieht das mit der Reform dann so aus: Die in der Kino­branche hoch­an­ge­se­hene bisherige Fern­seh­di­rek­torin Bettina Reitz verließ über­ra­schend den Sender – nach nur fünf Jahren. Offenbar spielte es keine Rolle, dass sie viele Film-Preise nach München holte. Grund war nach allem was man hört, dass Wilhelm für sie nach der Struk­tur­re­form keinen Platz mehr hatte. Jetzt wird sie Präsi­dentin der Münchner Hoch­schule für Fernsehen und Film und kann beweisen, dass sie nicht, wie natürlich auch vom BR gestreut wird, »in allem geschei­tert« ist.

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Überall wird der Rotstift angesetzt. Die Redak­tionen müssen drei Prozent ihres Budgets einsparen, bei stei­genden Kosten und stei­genden Gebühren. Denn die sprudeln wie ein Fass beim Stark­bier­an­stich. 1,5 Milli­arden Euro Über­schuss werden aus der »Haus­halts­ab­gabe« genannten Rund­funk­ge­bühr bis Ende 2016 erwartet. Doch das Geld liegt derzeit nicht bei den Sendern, sondern auf einem Sonder­konto.

Das dient BR-Intendant Ulrich Wilhelm als – will­kom­mener? – Vorwand für eine radikale Umge­stal­tung des Senders. Gekürzt wird auch vom CSU-Mann Wilhelm einmal mehr bei der Kultur: Offiziell wird zwar von »neuen Gewich­tungen« gespro­chen, de facto aber geht es den letzten Lite­ra­tur­sen­dungen des Baye­ri­schen Fern­se­hens an den Kragen, »Lese­zei­chen« und »Lido« sollen zum Ende des Jahres einge­stellt werden.
Gegen die Abschaf­fung richtet sich jetzt eine Petition von Autoren, Kultur­jour­na­listen, Verlags­leuten, Buch­händ­lern und Lite­ra­tur­in­ter­es­sierten. Hier
kann man unter­schreiben. Es muss schnell gehen, bereits an diesem Donnerstag, 30. Juli, soll im Rund­funkrat darüber entschieden werden.

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Eine weitere »neue Gewich­tung« betrifft den Kanal BR Klassik. Die Philo­so­phin und Jour­na­listin Carolin Emcke berich­tete in ihrer SZ-Kolumne vom Samstag darüber, dass es einen BR-Beschluss gibt, nachdem BR-Klassik seine KW-Frequenz zugunsten des BR-Jugend­pro­gramms »Puls« verlieren soll. Was irgendwie lustig ist, weil gerade die Kids doch angeblich alle Digi­tal­funk und Inter­net­radio hören, nicht Old-School-UKW.
Viel los ist aber offenbar nicht beim mit unglaub­lich viel Gebüh­ren­geld propa­gierten Digi­tal­funk. Bislang hören gerade mal 2, 1 Prozent der baye­ri­schen Bevöl­ke­rung digitales Radio.

Emcke fasst zudem alle Gründe zusammen, die klar machen, was für ein Wind beim BR weht, und wie der Sender seinen – nicht ökono­mi­schen, sondern kultu­rellen, sozialen und poli­ti­schen – Auftrag mit Füßen tritt. Treffend schreibt sie über das »kaum verhoh­lene ökono­mi­sche Kalkül, mit dem Jugend­kanal die soge­nannten werbe­re­le­vanten Ziel­gruppen anzu­spre­chen«, und dass dies kein rele­vantes Kriterium für eine öffent­lich-recht­liche Anstalt sein sollte. Sie schreibt über den »Fetisch der Quote (oder seine rheto­ri­sche Hülle: die Reich­weite)«.

»Quantität bezeugt an und für sich erst einmal nur Quantität. Sonst nichts. Es entspricht in Wirk­lich­keit auch nicht dem an die Gebüh­ren­fi­nan­zie­rung gekop­pelten Bildungs­auf­trag, das eigene grandiose Programm (und die Redak­teu­rinnen und Redak­teure, die es erstellen) absicht­lich in die kultu­relle und gesell­schaft­liche Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu exilieren. Warum ein anspruchs­volles Programm nicht auch als ökono­mi­sche Strategie gedacht werden kann, wo es doch das ist, wofür die Sender bezahlt werden, bleibt ein Rätsel.«

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Und schließ­lich kommt das Kern­ar­gu­ment, das über den BR hinaus gerade auch fürs Fernsehen gilt: Dass die Sender sich, offenbar ohne es zu merken, oder – schlimmer noch – sehenden Auges gerade selbst abschaffen. Denn Emcke schreibt auch, was passiert, wenn sich der Baye­ri­sche Rundfunk nicht noch einmal besinnt und sich der eigenen Stärken beraubt: »Ansonsten braucht es von 2018 an womöglich einfach einen Piraten-Sender für klas­si­sche Musik. Er könnte ›Radio Freie Klassik‹ oder ›Cool Classic Republic‹ oder ›Sender ohne Intendanz‹ heißen und klas­si­sche Musik in all ihrer beglü­ckenden Schönheit, aber auch subver­siven Kraft zeigen. Ein kreativer, lebendig-anspruchs­voller Piraten-Sender für alle Gene­ra­tionen, der, wie Hans Blumen­berg es einmal in seinen ›Begriffen in Gedanken‹ formu­liert hat, Bildung nicht als ›Arsenal‹ begreift, sondern als ›Horizont‹.«

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Nächste Woche in Locarno werden wir unseren Freund und Kollegen Ugo Brus­a­porco wieder­sehen. Zuvor hat der italie­ni­sche Tausend­sassa aber auch noch sein eigenes Festival über die Bühne gebracht, das »San Giò Verona Video Festival«, dem er als »direttore e fondatore« vorsteht. Auch Verona meldet Ugo unter anderem folgende Preise: Beste Kurzfilm-Regie für Hinde Boujemaa und Et Romeo épousa Juliette (Tunisien/Belgien 2014), der offenbar ganz besonders nach Verona passt, »for the clever ironic game, between lightness and gravity, in portraying an intimate situation and social of great urgency.«

Bester Film wurde L’ultima voce, Guido Notari von Enrico Menduni (Italia, 2015). Begrün­dung: »Through the story of a ›voice‹, the film reveals the traces of conti­nuity between the Fascist Italy and that Repu­blican, inves­ti­ga­ting the rela­ti­on­ship between media and power, up to question the current tech­no­lo­gical revo­lu­tion.«
Und den Preis mit dem besonders hübschen Titel: »Premio SOAVE WAYS« (For the film that best expresses the sweetness of life) bekam Picking the musical von Gerard Veltre und Simon Green (Australia, 2014), »A delicate film that takes place in the vineyards of an Austra­lian farm and that is a hymn to the joys of life: love, music, wine, friend­ship, communion and the mixture of people.«

(to be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.