40. Filmfest München 2023
How the Filmfest got its Groove back |
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Teil des Generationswechsels im Weltkino: Tiger Stripes von Amanda Nell Eu | ||
(Foto: 40. Filmfest München) |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
And the Artechock Awards go to …
(Trommelwirbel …)
NIEMANDEN!
Nein, diesmal brechen wir mit unserer – nun ja, wenn nicht lang-, so doch mehrjährigen – Tradition, nach Ende des Filmfests München unsere höchsteigene Preisverleihung nachzureichen. Weil wir nicht auch noch das »The Winner Takes it All«-Prinzip unterstützen wollen, das derzeit allüberall in unserer Kultur grassiert. Wo immer mehr des Geschehens um ein paar wenige Blockbuster, Bestseller, Berühmtheiten kreist, und immer weniger Aufmerksamkeit übrig bleibt für den riesigen Rest.
Dieses Prinzip hat auch die Filmfestival-Landschaft erreicht. Die Kluft zwischen dem Franchise-Kino für die Massen und allem anderen, was auf Leinwänden stattfinden kann, wird tiefer. Für „große“ Filme gelten Festivals zunehmend eher als potentieller Störfaktor im Marketing-Kampagnenplan. Und die geringe Schnittmenge, die bleibt an Filmen mit zugleich Mainstream-Strahlkraft und cineastischem Anspruch – die wird zuverlässig weggeschnappt von Cannes und Venedig.
Das ist selbst für die Berlinale merklich zum Problem geworden, die zunehmend an ihrem Anspruch scheitert, ein A-Festival auf internationaler Augenhöhe zu sein. Sie mag noch immer die Nummer Eins in Deutschland sein. Aber selbst für diese reicht es eben nicht mehr, um noch in den schrumpfenden Kreis der globalen Gewinner gezählt zu werden.
Kurz gesagt: Das ist ein Spiel, das man derzeit nur verlieren kann. Aber somit neue Chance, neues Glück für Festivals, die eben nicht dem Traum hinterher rennen, auf dem Nadelkopf des Top-Levels mitzutanzen. Sondern die es sich halbwegs bequem einrichten ein, zwei Ebenen darunter. Und die sich als Freiraum begreifen für alles, was von diesen Markt-Mechanismen verdrängt wird.
Und genau auf diesen Weg scheint sich das Filmfest München nach Abschied von Diana Iljine mit ihren „Glamour!“-Visionen zu begeben.
Wir wissen freilich nicht, wie’s hinter den Kulissen ausgesehen hat. Dass eine Filmfest-Leiterin kurz vor einer Jubiläumsausgabe ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe kündigt – das lässt vermuten, dass da nicht alles so entspannt lief wie dann die 40. Festivalausgabe selbst. Welche sich auch wirklich nicht anfühlte wie eine
Ehrenrunde für Diana Iljine – die bestimmt auf den „wichtigen“ Empfängen präsent war, aber einem kaum je über den Weg lief, wenn man sich ins reguläre Filmfest-Treiben begab. Es wirkte fast, als wäre sie eigentlich schon gar nicht mehr dabei.
Dafür aber schien eben der alte Münchner Festival-Groove zurück. Dieses »Mia san mia« – selbstbewusst, aber nicht überheblich. Zufrieden damit, wer man ist und wo man steht, statt sich dauernd an Anderen zu messen.
Man will da gar nicht im Ballsaal des Bayerischen Hofs zur Eröffnung dabei sein (außer, ihr wollt uns für nächstes Jahr eine Einladung geben…). Die echten und entspannten Gespräche ergeben sich – wie als wäre es immer schon so gewesen – noch spät,
nach der letzten Vorstellung, im City Innenhof, obwohl man in der Früh schon wieder in die erste Pressevorstellung gehen möchte.
Aber dann ist es einfach zu nett, die Nächte lau, das Bier kalt und die Atmosphäre offen und herzlich. Da sitzen Festivalleitung, Programmer, Publikum und Filmemachende an Tischen nebeneinander und es ergeben sich Gespräche über die Gräben zwischen den Tischkanten hinaus.
Wir geben’s zu: Auch wir haben vorab gemeckert, wo denn bitte dieses Meisterwerk aus dem Cannes-Wettbewerb bleibt, und jene Sundance-Sensation. Wir haben die Augenbrauen hochgezogen, ob’s fürs 40. Jubiläum in Sachen Cinemerit und Retro nicht eine Nummer größer gegangen wäre als „wohlverdient“.
Aber dann fing das Festival an – und es ist uns etwas passiert, das wir beim Filmfest München schon lang nicht mehr hatten: Wir konnten nicht klagen.
Nein,
so kennen wir uns auch nicht! Und wir würden ja gerne – aber alles, was sich dazu angeboten hat, wäre Erbsenzählerei.
Es war endlich wieder ein Festival, bei dem man nicht aufschaut zu Idolen, sondern einander auf Augenhöhe begegnet, egal wer man ist.
Freilich ist’s schön, wenn Stars da sind – aber halt nach dem Motto »Hock’ di her da, samma mehra«, nicht als vermeintliche Hauptattraktion und Daseinsgrund des Festivals.
Wenn der Frears Stephen sich beim Podiumsgespräch als rechter Stoffel erweist, dann juckt das nicht groß. Und umso mehr freut’s, wenn der Spall Timothy
ganz selbstverständlich an einer Bierbank im Innenhof des Amerikahauses sitzt. Und sich auch auf der Bühne als so feiner Kerl erweist, wie man von ihm erhoffte. Alles war erdnaher, auch die Sterne.
So kennt man das von den Fotos vergangener Filmfeste, mit denen vor jeder Vorstellung das 40. Jubiläum als Diashow zelebriert wurde. Freilich sah man da auch Banderas auf dem Red Carpet posen. Aber spannender war doch die Momentaufnahme eins blutjungen, damals noch unbekannten
Tarantinos, irgendwo halb hinter den Kulissen, ins Gespräch vertieft. Lokalhelden, deren einziges Werk einst hier Premiere hatte. Und dann wieder wumms, DiCaprio an einem wenig noblen Restauranttisch. Und dazwischen immer die plätschernde Isar, die wie eine White Noise Maschine das Tempo rausnimmt und sich von all den Stars herzlich wenig beeindruckt zeigt: Das ist die Isar, das sind die Kiesel, da fließt das Wasser lang, da könnte man jetzt die Beine reinhängen. Auch der DiCaprio
Leo.
Die reale Isar rauscht inzwischen freilich am anderen Ende der Stadt. Aber ironischerweise hat wohl just der Gasteig-Umbau dem Filmfest München zum fehlenden Puzzleteil verholfen, um wieder so etwas wie eine „Festivalmeile“ zu etablieren:
Die vermeintliche Notlösung Amerikahaus als Festivalzentrum schließt die Lücke zwischen Arri Kino und Sendlinger Tor. Nun sind die wichtigen Anlaufstationen wieder einigermaßen auf einer Spazier-Route (oder an derselben
Tram-Linie). So dass man sich zwischen Filmen und Terminen begegnet, grüßt, ein paar Worte und Filmtipps austauscht und dann in entgegengesetzte Richtungen weiterläuft. Und es sich trotzdem so anfühlt, als wäre man gemeinsam auf dem Festival unterwegs.
Andernorts nennt man das „Networking“, und versucht es mühsam zu koordinieren. Logistisch fein ausgeklügelte Treffpunkte, die auf dem Reißbrett Sinn ergeben. Meist mit dem Resultat, dass sich die Leute trotzig ihre Trampelpfade zu eigenen Lieblingsplätzen bahnen.
In München gibt es einen einfachen Trick, damit so etwas funktioniert: Freibier.
Den Garten des Amerikahauses zum Biergarten zu machen, war eigentlich schon letztes Jahr eine gute Idee. Aber da
wurde der noch zu sehr als exklusive Lounge für Empfänge genutzt. Dieses Jahr verwarf man den Gedanken, es wäre genau die harte Tür, die Menschen neugierig macht und sie alles geben lässt, um dabei sein zu dürfen – woraufhin dann wieder nur die üblichen Adabeis drin sind.
Stattdessen: Happy Hour. Bierpass. Für alle Akkreditierten. Studierende, Industry, Presse, Filmemachende und das nötige Kontingent an wunderlichen Gestalten, von denen man nicht recht weiß, woher sie ihre
Akkreditierung haben.
Nur eines fehlte noch. Speziell in diesem Jahr, wo einem der Abschied vom Festival ehrlich schwer gefallen ist. Der Tradition nach startet die Abschlussparty für alle um das Festivalzentrum herum. Alle feiern gemeinsam, bevor sich zu später, bzw. früher Stunde immer kleiner werdende Grüppchen bilden, die gemeinsam in die Nacht weiterziehen, um noch etwas am Gefühl festzuhalten. Es war nie ein harter Abschied, es war nie einfach aus. Man hat das Festival nachglühen lassen, bis die
Morgensonne zu sehr gebrannt hat.
Letztes Jahr waren da die Nachbarn am Karolinenplatz die Hürde, die noch vor Mitternacht die Polizei gerufen haben. Man hätte es dieses Jahr freilich probieren können mit Zetteln im Hausflur, dass man am Wochenende feiert, es etwas lauter werden könnte, und sie gerne vorbeikommen können. Aber man hat sich dann für die Nummer Sicher entschieden: Die Motorworld in Freimann, zwischen Zenith und einem Baumarkt – garantiert außer Hörweite jener
Nachbarn.
Das hat… nun, wir können nicht sagen, wie das funktioniert hat. Wir waren nicht da. Und wir kennen auch niemanden, der dort gewesen wäre.
Unser Vorschlag für die nächste Ausgabe: Abschließendes Picknick auf dem Königsplatz! Bring your own Bottle – oder den noch nicht ganz abgestempelten Bierpass.
Das Wichtigste aber: Die Konzentration auf eine etwas reduzierte (aber immer noch üppige) Anzahl von Filmen und ein egalitäreres Programm, das weniger zwischen den ganz großen Namen, Nummern und dem „Ferner liefen“ differenzierte, machte einen tatsächlich entdeckungsfreudiger. Und es belohnte diese Entdeckungsfreude!
Der Zwang der euphorischen Vorab-Stimmen und fremder, bereits verliehener Lorbeeren fiel von einem ab. Man ließ sich gerne treiben, weil man
nicht rigide um feste Highlights herumplanen musste, sondern sich überraschen lassen durfte. Sehr geschmeidig glitt man von Film zu Film – getragen von einem Gefühl, dass man sich gerne alles ansehen kann, aber nicht muss. Und füllte sich den Tag letztlich oft sogar mit mehr Filmen, da man sich freier fühlte.
Selbst die oft monierte Unklarheit der Reihenabgrenzungen beim Filmfest München wurde da eher zum Plus: Ob CineMasters oder CineRebels – es ging nicht um Schubladen, sondern darum, sich vom einzelnen Film angesprochen zu fühlen. Das Diffundierende zwischen den Sektionen passte zum allgemeinen Groove.
(Was nicht heißen soll, dass eine klarere Definition eine schlechte Idee wäre für die Zukunft des Festivals.)
Besser als aller guter Vorsatz, alle Pressemitteilungen über Diversität und Inklusivität, brachte einen dieses Programm ganz zwanglos dazu, mal jenseits des gewohnten cineastischen Beuteschemas neugierige Blicke zu riskieren.
Wir haben so viele nicht-angloamerikanische, nicht-europäische Filme, so viele Debüts geguckt und Werke, in deren Credits uns kein einziger Name bekannt war, wie noch bei keinem FFMUC zuvor. Und haben das alles andere als bereut!
Das hängt freilich auch damit zusammen, dass derzeit im Weltkino ein Generationswechsel stattfindet, der sich abkehrt von den gediegenen Sozialdramen, dem klassischen „Festivalfilm“.
Und dafür junge Filmemachende an den Start bringt, die nicht allein durch die Kunstkino-Traditionen ihrer jeweiligen Länder geprägt sind, sondern die über alle geographischen, historischen, ästhetischen Grenzen hinweg auch insbesondere das Genre-Kino, die Horror, Western,
Gangsterfilme kennen, lieben, verstehen. Und dies für sehr eigene, durchaus „arthousige“ Werke nutzen.
Filme wie Tiger Stripes, Augure, Animalia, Los colonos, Mami Wata, Nação Valente – die von ihren Themen her die herkömmlichen Weltkino-Felder beackern wie Kolonialismus, nationale Traumata, patriarchalische Gesellschaften. Die aber aus der ästhetischen Abdichtung durch
Sozialrealismus, folkloristische Poetisiererei ausbrechen. Und durch das Genrekino einen anderen, emotionaleren, persönlicheren Zugang zu ihren Themen finden.
Gerade das vermeintlich Formelhafte des Genres gibt ihnen die Freiheit, sich offener und durch die Übersetzung ins rein Fiktionale subjektiver damit auseinanderzusetzen. Was ihre Filme paradoxerweise zugleich unmittelbarer und universeller macht.
Und auch in anderer Hinsicht war das Filmfest München diesmal deutlich freier von altgewohnten Berührungsängsten – dem Hang zu einem eher kopfigen Kino, der Scheu vor Film als sinnlichem Medium.
Es gab erfreulich viel Körperlichkeit in den Filmen dieses Jahrgangs. Auf erfreulich selbstverständliche Weise.
Das schien getragen von der Grunderkenntnis, dass man Menschen, Menschenleben eben nicht allein über ihre Psychologie erfasst. Dass ihr Leib nicht eine bloße
Hülle ist.
Filme wie PRETTY RED DRESS, PORNOMELANCOLÍA und teils auch The Inspection, LA PIEL PULPO und THE FEELING THAT THE TIME FOR DOING SOMETHING HAS PASSED näherten sich ihren Figuren über die (queeren) Körper.
Nicht schaulustig, nicht ehrfürchtig. Sondern mit Neugierde und Respekt, die Selbsterfahrung nachfühlbar
machend.
Es ist aber vor allem die Offenheit für spontane und unerwartete Begegnungen, die dieses Filmfest gezeichnet haben.
Da wäre der überraschende Moment, als sich nach der Spätvorstellung im City 2 aus dem Fenster zum Vorführraum ein Marder bemerkbar machte. Das Tier folgte gebannt der Premiere von PRETTY RED DRESS, vermied es dabei aber tunlichst,
während des Films durch den Projektionsstrahl zu laufen und das restliche Publikum zu erschrecken. Erst nach der Vorstellung machte es höflich auf sich aufmerksam, dass es nun auch gerne nach Hause gehen möchte.
Bisher ungeschult in der Konstruktion von Evakuierungsrutschen, baute das Publikum geschwind aus Metallschienen und Bierkästen eine Rampe für das bald „Marten Scorsese“ getaufte Tier. Das kletterte beherzt von seinem Logenplatz und verschwand durch die
Hintertür in die Nacht.
Der Stimmung im Saal tat das keinen Abbruch – im Gegenteil. Das Q&A mit dem Filmteam fand aus Tierschutzgründen im Innenhof statt, wo – zusammengeschweißt von dem Erlebnis – schneller ein lockeres und offenes Publikumsgespräch entstanden ist, als es im Kinosaal möglich gewesen wäre.
Vielleicht bringt statt M – Ein City Jagt Einen Marder noch eine Anekdote aus dem selben Kinosaal das Gefühl des diesjährigen Filmfest München gut auf den Punkt:
Spätvorstellung, BAND – eine isländische Spielfilm-Doku über die reale (und famos erfolglose) feministische (Post-)Performance Frauenband der
Regisseurin. Eh schon alles sehr sympathisch. Und dann das Q&A danach.
Schon will man zum Augenrollen ansetzen, als ausgerechnet die Moderatorin [würd ich rausnehmen:, noch nicht einmal ein Mitglied des Publikums] zu einer dieser berüchtigten „Fragen“ ansetzt, die reiner Vorwand sind, ausführlich einen Schwank aus dem eigenen Leben zu erzählen und dabei nebenher dem Film-Team zu erklären, was sie mit ihrem Film gemeint haben.
Da passiert etwas Unerwartetes,
etwas Ehrliches und Herzliches.
Die Frage bewegt Regisseurin Álfrún Örnólfsdóttir zu echten Tränen der Rührung, weil sie so genau erfasst, was sie mit dem Film erreichen wollte.
Und das ist’s doch, wofür eine Institution wie das Filmfest München da sein sollte: Menschen zusammenbringen, denen Filme wirklich etwas bedeuten. Leute, für die es noch etwas wirklich Besonderes ist, ihre Filme einem Publikum zu zeigen und selbst dabei zu sein. Und um diese Filme ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen zu lassen.
Wir wären schon ungewohnt zufrieden, dass wir überhaupt mal wieder ein Filmfest München in diesem Stil genießen durften. Noch schöner aber: Wann immer man mit Leuten aus dem Programmer-Team ins Gespräch kam, war einhellig zu hören, dass dies die Richtung sei, die man fürs Filmfest München in Zukunft weiter anpeilen möchte.
Uns würde es freuen.
Das Eine, was nicht so recht zum (hoffentlich) neuen, altbewährten Gesicht des Filmfest München passen wollte, war ausgerechnet das Profil, mit dem man sich an die Öffentlichkeit wendet.
Freilich, die Sonnenbrillen als Plakatmotiv waren auch immer ein bisserl fragwürdig. Aber sie hatten als Versprechen jenes Sommergefühl, das sich nun endlich wieder tatsächlich einstellt.
Nun tut man arg künstlerisch, kryptisch und avantgardistisch. Eine der Welt entrückte Dame schaut
uns mit leerem Blick an, wie von einem Filmstill auf sich zersetzendem Zelluloid. Film, das Medium der Vergänglichkeit?
»Durch seine einzigartige Technik, Fotos manuell zu bearbeiten und zu verfremden, entstehen Werke, die die Betrachter:innen zum Träumen, Nachdenken und Loslassen einladen«, erklärt der Pressetext zum Motiv des Fotografen Jean-Vincent Simonet.
Speziell das Loslassen möchten wir dem Filmfest hier ans Herz legen.
Sieh an, haben wir also doch noch etwas zum Meckern gefunden!
Beruhigend, dass selbst in diesen Zeiten des Umbruchs noch die guten alten Traditionen bestehen bleiben. Gell?