Zen oder Die Theorie des Imperfekten |
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Hartgesotten: The French Connection | ||
(Foto: French Connection directed by William Friedkin, 1971) |
»I thought I was bulletproof. And I wasn’t.«
William Friedkin
Ein Mann, der mal ein paar Jahre mit Jeanne Moreau verheiratet war, muss einige Dinge richtig gemacht haben in seinem Leben.
Und wer ihn traf, konnte ahnen, woran das lag: In dem bis zur Abgefucktheit routinierten Filmbetrieb mit seinen formatierten Interviewslots und den absurden Presseagenten, die »20 minutes« krähen und nach 13 Minuten reinkommen und das Interview beenden wollen, war er der Mann des »Relax!«, »Let’s go on!!«. Wenn es ihm Spaß gemacht hat, dann machte
er einfach weiter, wenn ihm das Gegenüber gefiel, oder dessen Fragen oder einfach der Moment, dann machte er viel länger weiter. Er konnte sich das leisten. Er war einfach ein Alphatier aus Hollywood, der um seine Macht wusste und sie charmant gebrauchte.
Bestimmt konnte er »a pain in the ass« sein, er war sicher in seiner Jugend auch mal sehr arrogant und autoritär, aber das habe ich nicht miterlebt und ist vielleicht nur blöde Spekulation. Was ich erlebt habe, war ein Mensch, der sehr sehr kommunikativ war, der sehr gerne über seine Filme gesprochen hat, der sehr offen war, und auch gesagt hat, wenn er meinte, dass ihm selber etwas nicht gelungen ist. Aber auch, wenn er fand: »That’s the best I’ve done. It’s
perfect«, wie über Sorcerer, der nur ein Misserfolg an der Kinokasse war.
Friedkin war sehr aufmerksam, ein guter Beobachter, sehr nahbar, er war lustig. Nie hat man gemerkt, wie alt er war. Mit über 70 wirkte er wie ein End-50er, Anfang 60-Jähriger.
Er war lustig, er war selbstironisch, er war ein sehr sehr guter Erzähler, der auch einen Spaß daran gehabt hat, Anekdoten zu erzählen. Sehr gute Anekdoten mit Pointen – und er hatte keine Angst davor, zu schockieren. Viele andere Leute haben große Angst davor, anzuecken und Leute vor den Kopf zu stoßen. Die hatte Friedkin nicht.
Er war mutig. Er hatte Lust an der Provokation, der Zuspitzung, man konnte das auch sarkastisch und manchmal auch zynisch finden – er hat ganz
bestimmt keine hohe Meinung gehabt von der Filmindustrie, und das hat er auch heraushängen lassen.
Es hat ihn alles auch nicht mehr wirklich gekümmert – er hatte alles gewonnen, was man gewinnen kann, von den Einnahmen aus The Exorcist konnte er den Rest seines Lebens sehr gut leben, und er hat einfach Filme gemacht, weil er das gerne gemacht hat.
Es war ein Glück, einem solchen Menschen über den Weg zu laufen und ein paar Interview-Minuten, zweimal allein, einmal in einer Gruppe, mit ihm zu teilen. Jetzt bleiben noch seine Filme, und die in gewissem Sinn fast genauso großartigen, anekdotensatten, funkensprühenden Interviews und Masterclasses auf YouTube.
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Er war noch sehr jung, als er seinen allergrößten Erfolg erlebte, und dass er sich schon damals, als er erst sechsunddreißigjährig mit The French Connection fünf Oscars gewann, gleich noch vier Jahre jünger gemacht hat, erzählt schon einiges über William Friedkin. Eine Weile wurde er dann in den Annalen als jüngster Regisseur geführt, der je den Regie-Oscar erhielt, bevor man darauf kam, dass er eigentlich 1935 geboren wurde, und man ihn wieder als Rekordhalter strich.
Da war Friedkin schon in einer Krise, die halb künstlerisch, halb kommerziell war – wie bei so vielen Regisseuren New Hollywoods. Er ging dann weder unter wie Michael Cimino, noch gelang es ihm, einfach weiterzumachen, wie das Scorsese oder, ganz anders, Spielberg schafften. Am ehesten kann man ihn mit Coppola vergleichen, mit dem er den Ruhm und die kommerziellen Erfolge der Anfänge ebenso teilte wie später die hybride Selbstüberschätzung und immer wieder harte Bruchlandungen und kleine Zwischenhochs. Paradoxerweise gehört gerade Friedkin, wie kaum ein Zweiter unter den jungen Rebellen der frühen Siebziger dem europäischen, besonders dem französischen Kino verbunden, mit The Exorcist auch zu den Erfindern jenes modernen Blockbusterkinos, das dem Aufbruch den Garaus machte und heute zum Synonym der Hollywood-Macht geworden ist.
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Wer Friedkin vor 16 Jahren im Sommer 2007 auf dem Münchner Filmfest begegnete, wo man ihn seinerzeit mit einer Hommage würdigte, erlebte einen aufgeräumten, heiteren, angesichts kursierender Anekdoten überraschend sympathischen Mann. Einer, der ganz offensichtlich mit sich im Reinen war. Wie merkwürdig, dass jemand so gelassen wirkt, dessen vielleicht allerbeste Film-Szenen genial-hysterische, überbordende, fortwährend unter Hochdruck stehende Autoverfolgungsjagden oder Autofahrten sind – im genialen French Connection, und dann in Sorcerer (1977) und To Live and Die in L.A. (1985), die heute wie eine Summe der Siebziger beziehungsweise der Achtziger erscheinen.
Hätte man es es nicht besser gewusst, hätte man ihn noch in den letzten Jahren mit seinen minimalen Falten und dem dezent, aber perfekt gefärbten Haar übrigens glatt für zwanzig Jahre jünger halten können.
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Ein überaus kommunikativer Mensch. Sehr schlagfertig, schnell, sprudelt er im Gespräch von Anekdoten. Etwa, dass er weder Gene Hackman noch Fernando Rey für die Hauptrollen in French Connection haben wollte; zu Rey kam er durch eine Verwechslung des Agenten, und Hackman sei überhaupt der langweiligste Mensch, den er je getroffen habe. Oder die Geschichte über Hitchcock, für dessen Fernseh-Show »Alfred Hitchcock presents« er eine Folge drehte und der ihm nichts zu sagen hatte, außer dass sich der junge Mann doch bitteschön eine Krawatte anziehen solle.
Auch über Misserfolge machte Friedkin damals im Rückblick souveräne Scherze: Minutenlang beschrieb er genüßlich die Reaktion eines Studiobosses auf Cruising, bekanntlich den größten Skandalfilm in Friedkins Karriere. Erst rückte der Mann unruhig im Kinosessel hin und her, zog sich die Jacke aus, wischte sich immer wieder stöhnend mit einem Taschentuch den Schweiß vom Hals, um schließlich mit einem lauten »Oh no, oh my god – that is the worst film, I’ve ever seen« das Kino zu verlassen.
Cruising, der dann umgeschnitten wurde und bei uns niemals im regulären Kino lief, nannte Friedkin ein Vierteljahrhundert später »fast ein Musical«. Al Pacino spielt einen Cop, der auf der Suche nach einem Serienmörder undercover in die Schwulenszene eindringt und von ihr verführt wird – ein Film noir der Spätsiebziger, der immer noch gut funktioniert. Am meisten fasziniert er aber als New-York-Film, der konsequent jede auch nur ansatzweise touristische Perspektive auf die Stadt ausblendet, eine hässliche, verdreckte Metropole zeigt. Und als sattes, sinnliches Porträt der schwulen S/M-Szene vor den Zeiten von Aids – Reisen in die verlorene Zeit.
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Sein wohl alles in allem neben (oder vor?) French Connection bester Film ist und bleibt die Lohn der Angst-Version The Sorcerer: Psychedelisches Bewegungskino, die ganze Welt in der Hochdruckpresse des mittelamerikanischen Dschungels zur Regenzeit,
pulsierend angetrieben vom Elektrosoundtrack der Tangerine Dream, ein unglaublicher Film, der immer wieder fasziniert und fassungslos macht.
Und der fünf weitere Filme in sich birgt, die man auch unbedingt sehen möchte.
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Es gibt viele Friedkin-Filme, aber fünf »Elefanten«, Meisterwerke: The French Connection; The Exorcist; Sorcerer; Cruising; To Live and Die in L.A..
Gern wieder sehen möchten wir Jade, in dem Linda Fiorentino eine Femme fatale spielte, die à la Barbara Stanwyck die Männer – David Caruso, Chazz Palminteri – zu ihrem eigenen Vorteil um den Finger wickelt – wer erinnert sich noch? Und erst recht das sagenumwobene Interview mit dem uralten Fritz Lang, das in Deutschland nur einmal stark gekürzt zu sehen war. »Lang hat während des Gesprächs immerzu Bratwürste gegessen«, behauptete Friedkin, »darum musste ich so viel herausschneiden.« Erstaunt habe ihn auch, dass Lang seine frühen, in Deutschland entstandenen Stummfilme überhaupt nicht geschätzt habe.
Dass konnte Friedkin nicht passieren. Er kannte seinen Rang, und wer genauer hinhörte und hinguckte, spürte auch manche Verwundung, und bemerkte, dass er hinter der relaxten Pose nicht immer frei war von Eitelkeit. In seinen letzten Jahrzehnten inszeniert er, der von sich sagte: »Ich arbeite nicht nur für Geld«, bekanntlich vor allem Opern, was wahrscheinlich nicht allein an seiner Liebe zur klassischen Musik lag, sondern auch daran, dass man ihn überhaupt nur ab und zu noch mal einen Film machen ließ. Immer wieder mal hörte man von Projekten: Ein Mae-West-Biopic war eine Weile im Gespräch, und dann die Adaption von Don Winslows Krimi »The Winter of Frankie Machine«, ein Projekt, das ihm Martin Scorsese wegschnappte, bevor es sich im Sand verlief.
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Später bei weiteren Begegnungen und Interviews, gleich zweimal in Venedig (zuletzt vor zehn Jahren, als er 2013 den Ehren-Löwen bekam) und 2016 bei einer eindrucksvollen Masterclass in Cannes, präsentierte sich Friedkin immer wieder fast wie ein Zen-Meister des Kinos: »Die Geschichten finden mich. Ich suche nichts.« Was in seinen Filmen am besten funktioniert habe, sei immer aus Zufall entstanden – eine Theorie des Imperfekten, Passiven; eine Anti-Mythologie des Filmemachens. Einen visuellen Stil habe er auch nicht. »Ich versuche, mich der Arbeit anzupassen. Wahre Geschichten geradlinig zu erzählen, der Action zu folgen, ohne mich einzumischen.«
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Aber man muss ihm auch nicht alles glauben, was er erzählte, und was in den unzähligen, fast immer sehr sehenswerten Masterclasses und Interviews zu sehen ist, in denen er ab jetzt auf YouTube weiterleben wird. Etwa, dass die erwähnte weltberühmte Autoverfolgungsjagd in French Connection ohne Absperrungen und recht spontan gedreht wurde – da gibt es gute Gründe zu zweifeln.
Tatsächlich merkt man Friedkins Filmen aber an, dass er als Dokumentarfilmer begann, unter anderem mit einer preisgekrönten Dokumentation über American Football. Doch neben dem authentischen Touch sind Friedkins Filme, gerade wo sie am besten sind, immer auch nervöses Hochdruckkino, fortwährend in Bewegung, in der Ruhe noch zitternd von der vorangegangenen Anstrengung. Oft sind es auch Filme über Männerwelten und deren dunklen Seiten. Damit auch über ein Amerika der Angst, vereinigte Staaten am Rande des Nervenzusammenbruchs. Vor allem French Connection und The Exorcist waren Reisen ins kollektive Unbewusste dieses Amerikas, das zur Hochzeit von Vietnamkrieg und Watergate nach solchen Dekonstruktionen des Polizeiapparats und der all American family lechzte.
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Dies gilt definitiv auch für Bug, Friedkins befremdend-faszinierendes Werk über Paranoia, in der der Horror früherer Filme sich plötzlich nach innen wendet. Auch der passt haargenau zur Befindlichkeit des inneren Amerika in den Jahren des entgleitenden »War on Terror« und der späten Bush jr.-Präsidentschaft: Der Film beginnt mit einem Hubschraubergeräusch und dem Blick auf einen Ventilator – die Anspielung auf den Anfang von Apocalypse Now ist fast zu grob offensichtlich, wäre da nicht auch noch Erinnerung an den »brother in crime« Coppola. Aus dem Off kommt Telefonklingeln. Ashley Judd – keine kann so kaputt und vulgär aussehen und dabei doch so attraktiv bleiben – spielt Agnes, eine Trinkerin, die in einem Motel wohnt. Ihr Mann sitzt im Knast, weil er sie fast totschlug. Ihr Kind verschwand vor neun Jahren spurlos im Supermarkt. Alle Voraussetzungen für eine satte Paranoia sind also vorhanden, und als sie auf Peter trifft und mit ihm ein Verhältnis beginnt, ist es so weit. Denn dieser Veteran ist überzeugt, Opfer eines Experiments des Geheimdienstes zu sein und eine »Wanze« in sich zu tragen.
Innenansichten des Wahns, die schnell eskalieren. Irgendwann zieht Peter sich selbst mit einer Klempnerzange die Zähne, schneidet sich vermeintliche Wanzen aus dem Leib. Und am Ende, als Agnes sicher ist: »I am the super mother bug« – was man Ashley Judd wirklich sehr gern sagen hört –, tun beide, was paranoide Menschen manchmal tun, und zünden ihr Haus über dem Kopf an. Gerade weil er schwer erträglich ist, ist Friedkins Film auch ein treffender Kommentar zur Conspiracy Theory, zur Signatur der amerikanischen Gegenwart – und das ermutigende Zeichen, wozu man auch mit siebzig Jahren noch fähig ist. Zumindest wenn man William Friedkin hieß.
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In vier Wochen wird William Friedkins letzter Film (eine Neufassung der berühmten, mehrfach adaptierten Geschichte »Die Caine war ihr Schicksal«) bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere haben – jetzt wird es eine traurige, posthume Premiere sein, denn am Montag ist der US-amerikanische Regisseur William Friedkin kurz vor seinem 88-Geburtstag gestorben.