17.08.2023

Bitte möglichst nicht umsteigen

Corinth
Corinths Sohn Thomas rudert auf dem Walchensee...
(Foto: Walchensee Museum)

Mit dem Schienenersatzverkehr unterwegs zu Lubitsch und Corinth an den Walchensee

Von Katrin Hillgruber

In Ernst Lubitschs Screwball-Komödie Blaubarts achte Frau verliert der sonst so gelassen und zurück­hal­tend wirkende Gary Cooper mehrfach die Conten­ance, was sehr amüsant anzu­schauen ist. In der Rolle des millio­nen­schweren New Yorker Bankiers Michael Brandon weilt Cooper in einem Luxus­hotel an der Cȏte d’Azur, wo er sich beim schwie­rigen Versuch, ein einzelnes Pyjama-Oberteil zu kaufen, in eine andere Kundin (Claudette Colbert) des Wäsche­ge­schäfts verliebt hat. Da ihr der hoch­ge­wach­sene elegante Ameri­kaner gefällt, kauft sie spontan die zugehö­rige Pyja­ma­hose, obwohl diese für ihren Vater, den Hoch­stapler Marquis de Loiselle, viel zu lang ist. Um sich ange­sichts dieser Aufre­gungen etwas abzu­kühlen, beschließt Michael Brandon, eine Dusche zu nehmen. Doch der Abfluss­stöpsel wider­setzt sich diesem Ansinnen und treibt ihn fast in den Wahnsinn. Daraufhin zwängt sich der 190-cm-Mann in eine reich verzierte Mini-Badewanne, die ihm der Marquis als angeb­liche Original-Wanne von Ludwig XIV. verkauft hat. Wenig über­ra­schend zerspringt das Porzel­lan­gefäß, und Brandon findet sich inmitten von Scherben auf dem Teppich wieder.

Blaubarts achte Frau lief einen Tag nach dem Ausflug der 71. Münchner Film­kunst­wo­chen an den Walchensee in der von Thomas Kuchen­reu­ther kura­tierten Reihe »Ernst Lubitsch – Laughter in the Dark« im ABC-Kino. Als wahr­schein­lich bedeu­tendster deutscher Komö­di­en­re­gis­seur verstand es Lubitsch wie kein Zweiter, unter­haltsam die Tücke des Objekts zu insze­nieren. Und so wirkte diese Vorfüh­rung des 1938 gedrehten Paramount-Films nach einem Drehbuch von Charles Brackett und Billy Wilder wie ein leicht süffi­santer Kommentar zu den Fähr­nissen des ober­baye­ri­schen Schie­nen­er­satz­ver­kehrs, denen sich die 36 Ausflügler:innen am Vortag ausge­setzt sahen.

München Haupt­bahnhof – Penzberg – Bahnhof Kochel am See und schließ­lich Urfeld und Herzog­stand­bahn am petrol­grünen Walchensee: Der Reiseplan für die Hinfahrt um 9 Uhr las sich durchaus flüssig. Aller­dings stellte die Bahn an diesem hoch­fre­quen­tierten Samstag pro Zug im Schie­nen­er­satz­ver­kehr ab Penzberg nur einen Bus zur Verfügung, so dass sich die Anreise für Einzelne bis zu zwei Stunden verzö­gerte. Doch laut Lubitschs »Blaubart« verstärkt Wider­stand das Interesse. Durch die retar­die­renden Momente bis aufs Äußerste gespannt, tröpfelte die Gruppe schließ­lich ins Lovis-Corinth-Museum in Urfeld direkt am Seeufer – und stieß auf Spuren Ernst Lubitschs. Denn der aus dem ostpreußi­schen Tapiau bei Königs­berg/Kali­nin­grad stammende Maler und Zeichner Lovis Corinth (1958-1925) war mit dem Regisseur befreundet. Im Oktober 1920 besuchte er – neben Reich­sprä­si­dent Friedrich Ebert – in Berlin-Tempelhof die Dreh­ar­beiten zu Lubitschs zweitem Histo­ri­en­film Anna Boleyn mit der Stumm­film­diva Henny Porten in der Titel­rolle. Der Aufstieg der Hofdame zur zweiten Frau Heinrich des Achten mit dem Spitz­namen »Blaubart« endete mit ihrer Hinrich­tung. Annas Vergehen: Sie brachte keinen männ­li­chen Thron­folger, sondern »nur« eine Tochter zur Welt.

König Henry VIII. wurde von Emil Jannings darge­stellt, Annas heim­li­cher Liebhaber Sir Henry Norris von Paul Hartmann. Eine Szene zwischen Henny Porten und Paul Hartmann hielt der Schrift­steller Paul Eipper fest, der ebenfalls die Dreh­ar­beiten besuchte. Eippers zoolo­gi­sche Bücher wie »Tiere sehen dich an« waren in der Weimarer Republik Best­seller, gefolgt von nach wie vor höchst lesens­werten Werken wie »Die gelbe Dogge Senta« oder »Du, liebe Katze!«. In den 1950er Jahren gab Eipper im Baye­ri­schen Rundfunk regel­mäßig Ratschläge zur Haus­tier­hal­tung. Seine Beob­ach­tungs­kunst demons­trierte er 1920 nicht minder anschau­lich im Film­studio an Henny Porten, Paul Hartmann und Ernst Lubitsch: »Lubitsch komman­diert 'Ruhe!' und schreit von neuem: 'Hartmann, fass ihre Hand höher, fester, Porten abwenden! Hartmann, zupacken! Einreden! Fest packen! Kopf zurück, Porten! Er sagt dir was, du freust dich, wehrst ab, Hartmann greif zu, heftiger, heftiger! Du liebst sie, du zitterst, dein Mund flüstert, Porten werde ängstlich! Jetzt Hartmann, auf die Knie! – Gut! Licht aus!'«

Paul Eipper also schrieb und Lovis Corinth zeichnete das kostü­mierte Ensemble von Anna Boleyn mit Kohle. Diesen Skizzen ist im Urfelder Museum ein eigener Raum gewidmet. Ernst Lubitsch und Henny Porten machten nach den Dreh­ar­beiten Gegen­be­suche bei den Corinths am Walchensee. 1922 brach der jüdische Schnei­der­sohn Ernst Lubitsch zu einer USA-Reise auf und kam 1932 ein letztes Mal in seine Heimat­stadt Berlin. 1947 starb er in Los Angeles.

Der Münchner Ingenieur und Kunst­sammler Friedhelm Oriwol und seine Frau Inge eröff­neten das Lovis Corinth gewidmete Walchen­see­mu­seum am 21. Juli 2008 im ehema­ligen Urfelder Hotel Post. Auf den Tag genau neunzig Jahre zuvor war Lovis Corinth zum ersten Mal aus Berlin an den tiefsten aller baye­ri­schen Alpenseen gekommen, in den er sich spontan verliebt haben muss. Seine Frau und ehemalige Malschü­lerin Charlotte Berend-Corinth hatte ihm die Reise zum sech­zigsten Geburtstag geschenkt. Daraufhin erwarb die Familie dort ein Sommer­haus, das der Maler bis zu seinem Tod im Jahr 1925 rege nutzte; er schuf 60 Walchensee-Gemälde, darunter den »Baum am Walchensee«. Ein Lovis-Corinth-Themenweg, der direkt gegenüber dem Museum beginnt, gibt darüber Auskunft.

Der Impres­sio­nist Corinth habe vor allem das Licht des Walchen­sees in sich aufge­nommen, sagt Friedhelm Oriwol. Er führt mit sicht­li­chem Samm­ler­stolz durch die Räume mit den rund 300 Graphiken. Das Gebäude wird von einem Winter­garten mit Panorama-Seeblick gekrönt. Der Lubitsch-Kenner und -Verehrer Thomas Kuchen­reu­ther wiederum stieß bei einer seiner Wande­rungen zum nahe­ge­le­genen Jochberg auf das Walchensee-Museum und dessen film­his­to­ri­schen Schatz. Und nicht vergessen sei Janna Ji Wonders’ Doku­men­tar­film Walchensee Forever, der ebenfalls an den dunklen See führt, den die Regis­seurin als »magischen Ort« und »unsterb­li­chen Chro­nisten« begreift. Das Café Bucherer am See wurde 1920 von Wonders’ Urgroß­mutter eröffnet. Dort gibt es köst­li­ches Rhabarber-Baiser – falls die Busfahrer auf der stark frequen­tierten Ufer­straße gewillt sind, Fahrgäste mitzu­nehmen. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, möglichst wenig umzu­steigen, bis die Kochel­see­bahn saniert ist. Ende des Jahres soll es so weit sein, retar­die­rende Momente nicht ausge­schlossen.