Bitte möglichst nicht umsteigen |
||
Corinths Sohn Thomas rudert auf dem Walchensee... | ||
(Foto: Walchensee Museum) |
In Ernst Lubitschs Screwball-Komödie Blaubarts achte Frau verliert der sonst so gelassen und zurückhaltend wirkende Gary Cooper mehrfach die Contenance, was sehr amüsant anzuschauen ist. In der Rolle des millionenschweren New Yorker Bankiers Michael Brandon weilt Cooper in einem Luxushotel an der Cȏte d’Azur, wo er sich beim schwierigen Versuch, ein einzelnes Pyjama-Oberteil zu kaufen, in eine andere Kundin (Claudette Colbert) des Wäschegeschäfts verliebt hat. Da ihr der hochgewachsene elegante Amerikaner gefällt, kauft sie spontan die zugehörige Pyjamahose, obwohl diese für ihren Vater, den Hochstapler Marquis de Loiselle, viel zu lang ist. Um sich angesichts dieser Aufregungen etwas abzukühlen, beschließt Michael Brandon, eine Dusche zu nehmen. Doch der Abflussstöpsel widersetzt sich diesem Ansinnen und treibt ihn fast in den Wahnsinn. Daraufhin zwängt sich der 190-cm-Mann in eine reich verzierte Mini-Badewanne, die ihm der Marquis als angebliche Original-Wanne von Ludwig XIV. verkauft hat. Wenig überraschend zerspringt das Porzellangefäß, und Brandon findet sich inmitten von Scherben auf dem Teppich wieder.
Blaubarts achte Frau lief einen Tag nach dem Ausflug der 71. Münchner Filmkunstwochen an den Walchensee in der von Thomas Kuchenreuther kuratierten Reihe »Ernst Lubitsch – Laughter in the Dark« im ABC-Kino. Als wahrscheinlich bedeutendster deutscher Komödienregisseur verstand es Lubitsch wie kein Zweiter, unterhaltsam die Tücke des Objekts zu inszenieren. Und so wirkte diese Vorführung des 1938 gedrehten Paramount-Films nach einem Drehbuch von Charles Brackett und Billy Wilder wie ein leicht süffisanter Kommentar zu den Fährnissen des oberbayerischen Schienenersatzverkehrs, denen sich die 36 Ausflügler:innen am Vortag ausgesetzt sahen.
München Hauptbahnhof – Penzberg – Bahnhof Kochel am See und schließlich Urfeld und Herzogstandbahn am petrolgrünen Walchensee: Der Reiseplan für die Hinfahrt um 9 Uhr las sich durchaus flüssig. Allerdings stellte die Bahn an diesem hochfrequentierten Samstag pro Zug im Schienenersatzverkehr ab Penzberg nur einen Bus zur Verfügung, so dass sich die Anreise für Einzelne bis zu zwei Stunden verzögerte. Doch laut Lubitschs »Blaubart« verstärkt Widerstand das Interesse. Durch die retardierenden Momente bis aufs Äußerste gespannt, tröpfelte die Gruppe schließlich ins Lovis-Corinth-Museum in Urfeld direkt am Seeufer – und stieß auf Spuren Ernst Lubitschs. Denn der aus dem ostpreußischen Tapiau bei Königsberg/Kaliningrad stammende Maler und Zeichner Lovis Corinth (1958-1925) war mit dem Regisseur befreundet. Im Oktober 1920 besuchte er – neben Reichspräsident Friedrich Ebert – in Berlin-Tempelhof die Dreharbeiten zu Lubitschs zweitem Historienfilm Anna Boleyn mit der Stummfilmdiva Henny Porten in der Titelrolle. Der Aufstieg der Hofdame zur zweiten Frau Heinrich des Achten mit dem Spitznamen »Blaubart« endete mit ihrer Hinrichtung. Annas Vergehen: Sie brachte keinen männlichen Thronfolger, sondern »nur« eine Tochter zur Welt.
König Henry VIII. wurde von Emil Jannings dargestellt, Annas heimlicher Liebhaber Sir Henry Norris von Paul Hartmann. Eine Szene zwischen Henny Porten und Paul Hartmann hielt der Schriftsteller Paul Eipper fest, der ebenfalls die Dreharbeiten besuchte. Eippers zoologische Bücher wie »Tiere sehen dich an« waren in der Weimarer Republik Bestseller, gefolgt von nach wie vor höchst lesenswerten Werken wie »Die gelbe Dogge Senta« oder »Du, liebe Katze!«. In den 1950er Jahren gab Eipper im Bayerischen Rundfunk regelmäßig Ratschläge zur Haustierhaltung. Seine Beobachtungskunst demonstrierte er 1920 nicht minder anschaulich im Filmstudio an Henny Porten, Paul Hartmann und Ernst Lubitsch: »Lubitsch kommandiert 'Ruhe!' und schreit von neuem: 'Hartmann, fass ihre Hand höher, fester, Porten abwenden! Hartmann, zupacken! Einreden! Fest packen! Kopf zurück, Porten! Er sagt dir was, du freust dich, wehrst ab, Hartmann greif zu, heftiger, heftiger! Du liebst sie, du zitterst, dein Mund flüstert, Porten werde ängstlich! Jetzt Hartmann, auf die Knie! – Gut! Licht aus!'«
Paul Eipper also schrieb und Lovis Corinth zeichnete das kostümierte Ensemble von Anna Boleyn mit Kohle. Diesen Skizzen ist im Urfelder Museum ein eigener Raum gewidmet. Ernst Lubitsch und Henny Porten machten nach den Dreharbeiten Gegenbesuche bei den Corinths am Walchensee. 1922 brach der jüdische Schneidersohn Ernst Lubitsch zu einer USA-Reise auf und kam 1932 ein letztes Mal in seine Heimatstadt Berlin. 1947 starb er in Los Angeles.
Der Münchner Ingenieur und Kunstsammler Friedhelm Oriwol und seine Frau Inge eröffneten das Lovis Corinth gewidmete Walchenseemuseum am 21. Juli 2008 im ehemaligen Urfelder Hotel Post. Auf den Tag genau neunzig Jahre zuvor war Lovis Corinth zum ersten Mal aus Berlin an den tiefsten aller bayerischen Alpenseen gekommen, in den er sich spontan verliebt haben muss. Seine Frau und ehemalige Malschülerin Charlotte Berend-Corinth hatte ihm die Reise zum sechzigsten Geburtstag geschenkt. Daraufhin erwarb die Familie dort ein Sommerhaus, das der Maler bis zu seinem Tod im Jahr 1925 rege nutzte; er schuf 60 Walchensee-Gemälde, darunter den »Baum am Walchensee«. Ein Lovis-Corinth-Themenweg, der direkt gegenüber dem Museum beginnt, gibt darüber Auskunft.
Der Impressionist Corinth habe vor allem das Licht des Walchensees in sich aufgenommen, sagt Friedhelm Oriwol. Er führt mit sichtlichem Sammlerstolz durch die Räume mit den rund 300 Graphiken. Das Gebäude wird von einem Wintergarten mit Panorama-Seeblick gekrönt. Der Lubitsch-Kenner und -Verehrer Thomas Kuchenreuther wiederum stieß bei einer seiner Wanderungen zum nahegelegenen Jochberg auf das Walchensee-Museum und dessen filmhistorischen Schatz. Und nicht vergessen sei Janna Ji Wonders’ Dokumentarfilm Walchensee Forever, der ebenfalls an den dunklen See führt, den die Regisseurin als »magischen Ort« und »unsterblichen Chronisten« begreift. Das Café Bucherer am See wurde 1920 von Wonders’ Urgroßmutter eröffnet. Dort gibt es köstliches Rhabarber-Baiser – falls die Busfahrer auf der stark frequentierten Uferstraße gewillt sind, Fahrgäste mitzunehmen. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, möglichst wenig umzusteigen, bis die Kochelseebahn saniert ist. Ende des Jahres soll es so weit sein, retardierende Momente nicht ausgeschlossen.