Der Müll, die Berge und der See |
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Beim nächsten Strandurlaub darf man ruhig mal an diese Szene hier denken: Nikolaus Geyrhalters Matter out of Place erzählt viel, auch ohne Worte | ||
(Foto: Fünf Seen Filmfestival | Nikolaus Geyrhalter) |
Von Alexander Fogus
Das Thema Klimakrise spielt auf dem Fünf Seen Filmfestival eine prominente Rolle. Schon der Eröffnungsfilm des Festivals, Christian Petzolds Roter Himmel, erzählt die Geschichte eines frustrierten Autors mit Schreibblockade vor dem Hintergrund eines unaufhaltsam schwelenden Waldbrands, dessen drohende Vernichtungskraft wortwörtlich (vorerst nur) am Horizont erkennbar ist.
In der Sektion »Kino & Klima«, die das Fünf Seen Filmfestival zum dritten Mal durchführt, wird das dräuende Thema explizit gemacht. Als Dokumentarfilme zeigen die fünf in der Sektion verorteten Filme Landschaften und Menschen, die von der Klimakrise direkt betroffen sind. Ob in ihrer unmittelbaren Umgebung oder ihrem Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft für jetzige und zukünftige Generationen. Um die Thematik noch näher an die Lebensrealität der Zuschauer*innen zu bringen, gibt es nach den Filmvorstellungen Gesprächsrunden mit den Mitorganisator*innen der Reihe von unserklima.jetzt und oft auch den Filmemacher*innen, zusätzlich gibt es eine separate Diskussionsrunde mit der Lokalpolitik.
Dabei wird das Thema »Klima« weit gefasst. Die gezeigten Filme handeln von den Bemühungen, den Kohleabbau zu stoppen, aber auch von gemeinschaftlichen Formen der Landwirtschaft, Plastikteilchen, dem Kreislauf der Abfalllagerung oder den Verstrickungen der Justiz. Ebenso vielfältig ist der filmische Ausdruck der jeweiligen Thematik innerhalb des Dokumentarfilmgenres, wo von Naturlandschaften zu Weltallbildern, Erzählungen der Protagonisten zur (vermeintlichen) Reduktion auf die Aussagekraft der Bilder alles vorhanden ist.
In Finite: The Climate of Change des britischen Klimaaktivisten Rich Felgate wird der Klimawandel nicht nur im Titel am direktesten thematisiert. Der Film beginnt mit Bildern, die dystopisch anmuten, aber schon jetzt Realität sind: Überflutungen, zerstörte Landschaften und Protestierende im Schlagabtausch mit der Polizei. Im Zentrum stehen zwei Gruppen, die sich der geplanten Zerstörung des Pont Valley in Großbritannien bzw. des Hambacher Forsts in Deutschland für den Kohleabbau entgegenstellen. Es wird schnell geschnitten, wichtiger als die persönlichen Motive einzelner Personen ist das gallische Auflehnen im Zusammenhalt gegen übermächtige Konzerne mit so monströsen Mitteln wie den Kohlebaggern. Im Gedächtnis bleiben aber vor allem kleine Momente, wenn der Fund eines seltenen Molchs einen juristischen Kniff für die Verzögerung des Abbaus ermöglicht oder der starre Gesichtsausdruck einer von Polizisten an die Wand gedrückten Demonstrantin Entschlossenheit zeigt und einen Ruf nach Hilfe in die Kamera sendet.
Auch Ernte teilen des Berliners Philipp Petruch widmet sich lokalen Vereinigungen, geht aber ausführlicher auf die Menschen dahinter ein. Die Betreiber*innen und Mitglieder dreier deutscher »Solawis« (soziale Landwirtschaften) erzählen von ihren Beweggründen, den Anbau und die Verteilung ihrer Lebensmittel genossenschaftlich zu organisieren. Neben ideologischen Gründen sind es wirtschaftliche Zwänge wie der Preisdruck großer Abnehmer und eine gewünschte Abkehr von städtischen Stressfaktoren, die den Zusammenschluss in einer naturnahen und solidarischen Gemeinschaft notwendig machen. Mehr erzählerische Stringenz hätte dem Film gutgetan, in der Einleitung wird der persönliche Bezug des Regisseurs als Faden aufgenommen, danach jedoch nicht mehr weitergeführt.
Mit Science-Fiction-Bildern startet Plastic Fantastic von Isa Willinger. Erst ein vermeintlicher schwarzer Himmel voller sich bewegender Sternchen, dann eine vorüberziehende braune Wand. Alles fast wie Kubricks 2001-Weltraumtor. Schnell wird klar: Die Sterne sind Plastikteilchen, die Wand gehört zu einem Untergrundgewölbe, das als Lager für Plastikabfälle dient. Die Hybris der Menschen aber erinnert durchaus an 2001. Als einziger Film der Reihe lässt Plastic Fantastic auch die Vertreter*innen der Industrie ausführlich zu Wort kommen. Diese haben sich den Wortschatz der Umweltschutzbewegung angeeignet, erkennen ihre eigene problematische Rolle sogar teilweise an. Konkrete Maßnahmen lassen sie sich jedoch nicht entlocken, gerne wird auf vermeintliche Notwendigkeit, zukünftige Verbesserungen und individuelle Verantwortung verwiesen. Visuell pointiert kontrastiert der Film diese zwei Seiten. Während Umweltschützer*innen in Naturbilder eingewebt sind und vor prominenten grünen Hintergrundelementen berichten, befinden sich die PR-Abteilungen der Plastikindustrie in grauen Büroräumen, die Interviews werden vor städtischem Horizont geführt.
Müll als Fokus nimmt sich Matter Out of Place des Österreichers Nikolaus Geyrhalter an, der visuell ansprechendste der gezeigten Filme. Gänzlich ohne Talking Heads oder Voice Over verlässt sich Geyrhalter auf sein Gespür für dynamische Kompositionen. Einzelne Einstellungen hält er oft minutenlang. So entstehen inmitten der Tristesse von endlosen Müllhaufen komische Kurzgeschichten: Ein Bagger gräbt aus einem Feld Tonnen von Müll aus, um ihn kurz darauf wieder fein säuberlich einzugraben. Ein Lkw-Fahrer müht sich mehrere Minuten lang ab, die ständig hängenbleibenden Plastiksäcke von der Ladefläche zu bekommen. Das Panorama des Films spannt sich weit auf, von der Schweiz und Österreich über Griechenland, Albanien, Nepal bis in die USA, überall wird Müll produziert, weitergeleitet oder abgelagert. Wo die anderen Filme Industrie- und Naturbilder gegeneinanderstellen, betreibt Geyrhalter keine Mülltrennung, auch keine ideologische. Müllberge gehen über in echte Berglandschaften, Abfall und Natur sind schon zu eng verknüpft, um sie zu unterscheiden. Eine Gruppe von Tauchern entreißt mühselig einzelne Autoreifen den Korallenriffs, während gigantische Müllgräben im Sekundentakt befüllt werden. Nichtsdestotrotz endet der Film mit einer hoffnungsvollen Note: Beim »Burning Man«-Festival bevölkert eine Menschenmasse innerhalb kurzer Zeit die Wüstenlandschaft Nevadas. Nachdem die Feierwütigen verschwunden sind, durchkämmt eine Gruppe den Sand nach jeder noch so kleinen Hinterlassenschaft, um die Spuren in der Landschaft minimal zu halten und die Zusammenkunft auch in den Jahren danach möglich zu machen.
Dass eine kleine Rubrik eines Filmfestivals nicht die gesamte Komplexität der Klimakrise einfangen kann, ist offensichtlich. Die inhaltliche Vielfalt der gezeigten Filme ist dennoch erstaunlich. Zudem versteht das Fünf Seen Filmfestival »Klima« als gesellschaftliches und politisches Thema über die Kunstebene hinaus und bietet folgerichtig Diskussionen und Informationen zum Engagement außerhalb des Kinobesuchs. Eine Schwerpunktsetzung, die dem Thema gebührt, und an der sich viele größere Filmfestivals ein Beispiel nehmen sollten.