31.08.2023

Der Müll, die Berge und der See

Matter out of Place
Beim nächsten Strandurlaub darf man ruhig mal an diese Szene hier denken: Nikolaus Geyrhalters Matter out of Place erzählt viel, auch ohne Worte
(Foto: Fünf Seen Filmfestival | Nikolaus Geyrhalter)

Das Fünf Seen Filmfestival zeigt zum dritten Mal Filme zum weitumfassenden Klimakomplex: Das sei dringend zur Nachahmung empfohlen

Von Alexander Fogus

Das Thema Klima­krise spielt auf dem Fünf Seen Film­fes­tival eine promi­nente Rolle. Schon der Eröff­nungs­film des Festivals, Christian Petzolds Roter Himmel, erzählt die Geschichte eines frus­trierten Autors mit Schreib­blo­ckade vor dem Hinter­grund eines unauf­haltsam schwe­lenden Wald­brands, dessen drohende Vernich­tungs­kraft wort­wört­lich (vorerst nur) am Horizont erkennbar ist.

In der Sektion »Kino & Klima«, die das Fünf Seen Film­fes­tival zum dritten Mal durch­führt, wird das dräuende Thema explizit gemacht. Als Doku­men­tar­filme zeigen die fünf in der Sektion veror­teten Filme Land­schaften und Menschen, die von der Klima­krise direkt betroffen sind. Ob in ihrer unmit­tel­baren Umgebung oder ihrem Wunsch nach einer lebens­werten Zukunft für jetzige und zukünf­tige Gene­ra­tionen. Um die Thematik noch näher an die Lebens­rea­lität der Zuschauer*innen zu bringen, gibt es nach den Film­vor­stel­lungen Gesprächs­runden mit den Mitor­ga­ni­sator*innen der Reihe von unser­klima.jetzt und oft auch den Filme­ma­cher*innen, zusätz­lich gibt es eine separate Diskus­si­ons­runde mit der Lokal­po­litik.

Dabei wird das Thema »Klima« weit gefasst. Die gezeigten Filme handeln von den Bemühungen, den Kohle­abbau zu stoppen, aber auch von gemein­schaft­li­chen Formen der Land­wirt­schaft, Plas­tik­teil­chen, dem Kreislauf der Abfall­la­ge­rung oder den Verstri­ckungen der Justiz. Ebenso viel­fältig ist der filmische Ausdruck der jewei­ligen Thematik innerhalb des Doku­men­tar­film­genres, wo von Natur­land­schaften zu Welt­all­bil­dern, Erzäh­lungen der Prot­ago­nisten zur (vermeint­li­chen) Reduktion auf die Aussa­ge­kraft der Bilder alles vorhanden ist.

Entschlos­sen­heit

In Finite: The Climate of Change des briti­schen Klima­ak­ti­visten Rich Felgate wird der Klima­wandel nicht nur im Titel am direk­testen thema­ti­siert. Der Film beginnt mit Bildern, die dysto­pisch anmuten, aber schon jetzt Realität sind: Über­flu­tungen, zerstörte Land­schaften und Protes­tie­rende im Schlag­ab­tausch mit der Polizei. Im Zentrum stehen zwei Gruppen, die sich der geplanten Zers­törung des Pont Valley in Groß­bri­tan­nien bzw. des Hambacher Forsts in Deutsch­land für den Kohle­abbau entge­gen­stellen. Es wird schnell geschnitten, wichtiger als die persön­li­chen Motive einzelner Personen ist das gallische Auflehnen im Zusam­men­halt gegen über­mäch­tige Konzerne mit so mons­trösen Mitteln wie den Kohle­bag­gern. Im Gedächtnis bleiben aber vor allem kleine Momente, wenn der Fund eines seltenen Molchs einen juris­ti­schen Kniff für die Verzö­ge­rung des Abbaus ermög­licht oder der starre Gesichts­aus­druck einer von Poli­zisten an die Wand gedrückten Demons­trantin Entschlos­sen­heit zeigt und einen Ruf nach Hilfe in die Kamera sendet.

Auch Ernte teilen des Berliners Philipp Petruch widmet sich lokalen Verei­ni­gungen, geht aber ausführ­li­cher auf die Menschen dahinter ein. Die Betreiber*innen und Mitglieder dreier deutscher »Solawis« (soziale Land­wirt­schaften) erzählen von ihren Beweg­gründen, den Anbau und die Vertei­lung ihrer Lebens­mittel genos­sen­schaft­lich zu orga­ni­sieren. Neben ideo­lo­gi­schen Gründen sind es wirt­schaft­liche Zwänge wie der Preis­druck großer Abnehmer und eine gewünschte Abkehr von städ­ti­schen Stress­fak­toren, die den Zusam­men­schluss in einer natur­nahen und soli­da­ri­schen Gemein­schaft notwendig machen. Mehr erzäh­le­ri­sche Stringenz hätte dem Film gutgetan, in der Einlei­tung wird der persön­liche Bezug des Regis­seurs als Faden aufge­nommen, danach jedoch nicht mehr weiter­ge­führt.

Pola­ri­sie­rung

Mit Science-Fiction-Bildern startet Plastic Fantastic von Isa Willinger. Erst ein vermeint­li­cher schwarzer Himmel voller sich bewe­gender Sternchen, dann eine vorü­ber­zie­hende braune Wand. Alles fast wie Kubricks 2001-Weltraumtor. Schnell wird klar: Die Sterne sind Plas­tik­teil­chen, die Wand gehört zu einem Unter­grund­ge­wölbe, das als Lager für Plas­tik­ab­fälle dient. Die Hybris der Menschen aber erinnert durchaus an 2001. Als einziger Film der Reihe lässt Plastic Fantastic auch die Vertreter*innen der Industrie ausführ­lich zu Wort kommen. Diese haben sich den Wort­schatz der Umwelt­schutz­be­we­gung ange­eignet, erkennen ihre eigene proble­ma­ti­sche Rolle sogar teilweise an. Konkrete Maßnahmen lassen sie sich jedoch nicht entlocken, gerne wird auf vermeint­liche Notwen­dig­keit, zukünf­tige Verbes­se­rungen und indi­vi­du­elle Verant­wor­tung verwiesen. Visuell pointiert kontras­tiert der Film diese zwei Seiten. Während Umwelt­schützer*innen in Natur­bilder eingewebt sind und vor promi­nenten grünen Hinter­grund­ele­menten berichten, befinden sich die PR-Abtei­lungen der Plas­tik­in­dus­trie in grauen Büroräumen, die Inter­views werden vor städ­ti­schem Horizont geführt.

Out of Place

Müll als Fokus nimmt sich Matter Out of Place des Öster­rei­chers Nikolaus Geyr­halter an, der visuell anspre­chendste der gezeigten Filme. Gänzlich ohne Talking Heads oder Voice Over verlässt sich Geyr­halter auf sein Gespür für dyna­mi­sche Kompo­si­tionen. Einzelne Einstel­lungen hält er oft minu­ten­lang. So entstehen inmitten der Tristesse von endlosen Müll­haufen komische Kurz­ge­schichten: Ein Bagger gräbt aus einem Feld Tonnen von Müll aus, um ihn kurz darauf wieder fein säuber­lich einzu­graben. Ein Lkw-Fahrer müht sich mehrere Minuten lang ab, die ständig hängen­blei­benden Plas­tik­säcke von der Lade­fläche zu bekommen. Das Panorama des Films spannt sich weit auf, von der Schweiz und Öster­reich über Grie­chen­land, Albanien, Nepal bis in die USA, überall wird Müll produ­ziert, weiter­ge­leitet oder abge­la­gert. Wo die anderen Filme Industrie- und Natur­bilder gegen­ein­an­der­stellen, betreibt Geyr­halter keine Müll­tren­nung, auch keine ideo­lo­gi­sche. Müllberge gehen über in echte Berg­land­schaften, Abfall und Natur sind schon zu eng verknüpft, um sie zu unter­scheiden. Eine Gruppe von Tauchern entreißt mühselig einzelne Auto­reifen den Koral­len­riffs, während gigan­ti­sche Müll­gräben im Sekun­den­takt befüllt werden. Nichts­des­to­trotz endet der Film mit einer hoff­nungs­vollen Note: Beim »Burning Man«-Festival bevölkert eine Menschen­masse innerhalb kurzer Zeit die Wüsten­land­schaft Nevadas. Nachdem die Feier­wü­tigen verschwunden sind, durch­kämmt eine Gruppe den Sand nach jeder noch so kleinen Hinter­las­sen­schaft, um die Spuren in der Land­schaft minimal zu halten und die Zusam­men­kunft auch in den Jahren danach möglich zu machen.

Dass eine kleine Rubrik eines Film­fes­ti­vals nicht die gesamte Komple­xität der Klima­krise einfangen kann, ist offen­sicht­lich. Die inhalt­liche Vielfalt der gezeigten Filme ist dennoch erstaun­lich. Zudem versteht das Fünf Seen Film­fes­tival »Klima« als gesell­schaft­li­ches und poli­ti­sches Thema über die Kuns­t­ebene hinaus und bietet folge­richtig Diskus­sionen und Infor­ma­tionen zum Enga­ge­ment außerhalb des Kino­be­suchs. Eine Schwer­punkt­set­zung, die dem Thema gebührt, und an der sich viele größere Film­fes­ti­vals ein Beispiel nehmen sollten.