Anlass zum Urlaub |
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Eröffnete das Festival: Margarethe von Trottas Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste | ||
(Foto: MFA+) |
Von Dunja Bialas
Was gibt es Schöneres, als bei dieser Hundshitze ins kühle Nass zu springen? Und, wenn die Tage wieder kühler werden (was ab Montag der Fall sein soll), ins dunkle Kino zu gehen? Zu beidem ist jetzt wieder Gelegenheit, und zwar in und bei den Voralpenseen des Fünfseenlands, das grob gesagt, zwischen Starnberg, Tutzing und Gauting liegt. Die Regionalkundigen mögen uns jetzt verzeihen. Zwischen diesen Koordinaten spannt sich in etwa das Fünf Seen Filmfestival (FFSF) auf, das dieses Jahr bereits zum 17. Mal stattfindet, überwiegend in den Breitwand-Kinos von Festivalleiter Matthias Helwig in Starnberg, Gauting und Seefeld. Abwechslung findet sich beim Open Air im Seebad Starnberg, im Pfarrstadl Weßling, auf der MS Starnberg bei einer Dampferfahrt und bei Gala-Veranstaltungen in der Schlossberghalle Starnberg.
So mondän wie die Kulisse – malerischer Blick auf die Alpen, »blauer Teppich« am Seebad, Schloss und überhaupt der See, an dem Kini und Kino eine überraschende Liaison bilden – sind auch die diesjährigen Gäste des Festivals. Der Schwerpunkt liegt bei der Crema des deutschen Films. Eröffnet wurde am Dienstag im Beisein von Margarethe von Trotta im Seebad Starnberg mit Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste. Ihre wütend-emanzipatorischen Bachmann-Biographie mit Vicky Krieps als aufrechte Ingeborg Bachmann und Ronald Zehrfeld als breitem Max Frisch, mit dem erstere eine ungleiche Liaison unterhielt – es war eben noch die Nachkriegszeit und die Männer hatten das Sagen –, zeigte sie einem aufgeschlossenen 700-Leute-Freibad-Publikum. Ein triumphaler Auftakt für das Festival, der der Münchner Filmemacherin und ihrem neuesten Werk angemessen gerecht wurde. Trotta setzt das Schauspiel von Krieps und Zehrfeld atmosphärisch in Szene, lässt in Rom Max Frisch reichlich unnütz durch die Stadt tapern, am Rockzipfel der ungleich weltgewandteren Bachmann. Ein wenig Autofiktion mag hier durch Trottas Film durchscheinen, schließlich war und ist Italien die temporäre Wahlheimat der Münchnerin, und sie eine aufrechte Filmemacherin.
Wie wichtig der Almauftrieb auf dem blauen Teppich für die Region ist, zeigt, dass es sich das Festival nicht nehmen lässt, die bei der Eröffnung anwesenden Gäste aufzuzählen, wozu weder das Filmfest München noch etwa die Berlinale – Vergleiche adeln! – sich bemüßigt fühlen, vielleicht auch, weil es etwas provinziell wirkt. Das Festival vermeldet die Anwesenheit der Regisseurinnen Caroline Link und Dagmar Hirtz, der Schauspieler*innen Johanna Bittenbinder, Heinz-Josef Braun, Ulrike Willenbacher und von Produzentin Molly von Fürstenberg, deren Mann Veith (Regisseur, Drehbuchautor und Produzent) übrigens gerade von den Filmkunstwochen München geehrt wurde.
Die Verwurzelung in der Heimat lässt sich auch an der Namensstifterin für den Ehrenpreis des Festivals ablesen, der ausschließlich der schauspielerischen Leistung einer Frau gewidmet ist. Es muss Matthias Helwig hoch angerechnet werden, dass er Hannelore Elsner an sein Festival binden konnte und den Frauen in ihrem Namen den Teppich ausrollt. Schauspielerin Paula Beer wird dieses Jahr die Ehre zuteil, und folgt damit den Grandezzen Barbara Auer, Nina Hoss, Birgit Minichmayr und Sandra Hüller. Anlass ist ihre Leistung in Christian Petzolds Roter Himmel, der von der deutschen Filmwirtschaft schmählich behandelt wurde. Helwig, der auch immer kulturpolitisch denkt, mag dies für die Preisvergabe zusätzlich motiviert haben.
Bei seiner Eröffnungsrede zumindest unterließ er es nicht, einen Seitenhieb auf die heruntergeschraubte Förderpraxis zu tätigen. »Wenn man den Kulturetat gleich lässt, bedeutet das angesichts der Teuerung im Moment eine 20-prozentige Kürzung«, stellte er ernüchtert fest – was auch an angekündigten Kürzungen bei Festivals, beispielsweise der Berlinale (zum Vergleich siehe oben), ablesbar ist.
Nichterhöhung von Etats verlangt bei gleichbleibendem Programm die Notwendigkeit von Mehreinnahmen und Publikumssteigerung. Auch deshalb setzt das Festival auf große Namen, aber natürlich nicht nur. Vor allem will das Fünf Seen Filmfestival dem breiten und tourismusgewöhnten Publikum mit See- und Alpenblick auch den Blick auf die Kinoleinwand und den Spaß daran nahebringen. Als Ehrengäste sind angekündigt Maria Schrader mit ihren Filmen She Said, Ich bin dein Mensch und Vor der Morgenröte (mit Josef Hader als melancholischem Stefan Zweig) und der streitbare Ulrich Seidl, der in Deutschlandpremiere seinen skandalumwitterten Böse Spiele – Rimini Sparta zeigt. Außerdem wird dieses Jahr erstmals der FSFF-Kamerapreis verliehen: Er geht an Frank Griebe, der mit Lola rennt deutsche Kinogeschichte geschrieben hat – der Film feiert dieses Jahr 25-jähriges Jubiläum. Persönlich stellt er Cloud Atlas, Lara und The Dive vor. Letzterer ist ein Tiefseefilm von Maximilian Erlenwein, was natürlich wieder zum Festival passt. Erstaunlich ist insgesamt, dass Frank Griebes Zusammenarbeit auch mit dem späteren Tom Tykwer nicht seinem künstlerischen Ansehen geschadet hat.
In den folgenden acht Tagen laufen 130 Filme aus 36 Ländern, über 70 Filmschaffende sind persönlich bei Vorstellungen anwesend, meldet das Festival. Einer davon ist Charly Hübner: Der Schauspieler wird sein Regiedebüt Sophia, der Tod und ich vorstellen. Desweiteren sollte man sich nicht den Auftritt von Dominik Graf und seinen herausragenden Jeder schreibt für sich allein entgehen lassen.
Thematisch überlässt man beim Fünf Seen Filmfestival das Publikum nicht der Beschaulichkeit. Zum dritten Mal steht der Klimawandel im Fokus. Zu sehen sind State of Necessity, ein Spielfilm des Schweizers Stéphane Goël, und Nikolaus Geyrhalters essayistischer Matter Out Of Place, der in ruhigen Einstellungen den Rohstoffkreislauf unseres konsumatorischen Lebens erarbeitet. Isabella Willinger rüttelt mit Plastic Fantastic auf, Ernte teilen porträtiert solidarische Landwirtschaft in Norddeutschland und Finite: The Climate Of Change des britischen Klimaaktivisten Rich Felgate schließlich nennt sich im Untertitel »An Urgent Documentary«. Das steht dann für sich.
An dieser Stelle würden wir jetzt gerne alle ermahnen, ja bloß mit dem ÖPNV anzureisen. Jedoch, wie ist die Realität? Es wird Schienenersatzverkehr zwischen Westkreuz und Gauting, und zwischen Gauting und Starnberg gemeldet. So wird das nie was mit dem Erreichen der Klimaziele. Das Festival stellt auf Anfrage Shuttlebusse zwischen den Spielstätten bereit, empfiehlt aber die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln…
Für die autoabstinenten Münchner ist der Besuch deshalb wohl nur eine Option, wenn man sich irgendwo einquartieren kann und das Festival als Anlass zum Urlaub nutzt. Wir empfehlen auch, aufgrund unserer traumatischen Schienenersatzverkehr-Erfahrung beim Filmkunstwochen-Ausflug zum Walchensee: Hitchhiking!