24.08.2023

Anlass zum Urlaub

Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste
Eröffnete das Festival: Margarethe von Trottas Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste
(Foto: MFA+)

130 Filme aus 36 Ländern sind die Schlagzeile für das 17. Fünf Seen Filmfestival. Aber ohne das Mondäne der Region zu begreifen, kann man wohl auch das Festival nicht verstehen

Von Dunja Bialas

Was gibt es Schöneres, als bei dieser Hunds­hitze ins kühle Nass zu springen? Und, wenn die Tage wieder kühler werden (was ab Montag der Fall sein soll), ins dunkle Kino zu gehen? Zu beidem ist jetzt wieder Gele­gen­heit, und zwar in und bei den Voral­pen­seen des Fünf­seen­lands, das grob gesagt, zwischen Starnberg, Tutzing und Gauting liegt. Die Regio­nal­kun­digen mögen uns jetzt verzeihen. Zwischen diesen Koor­di­naten spannt sich in etwa das Fünf Seen Film­fes­tival (FFSF) auf, das dieses Jahr bereits zum 17. Mal statt­findet, über­wie­gend in den Breitwand-Kinos von Festi­val­leiter Matthias Helwig in Starnberg, Gauting und Seefeld. Abwechs­lung findet sich beim Open Air im Seebad Starnberg, im Pfarr­stadl Weßling, auf der MS Starnberg bei einer Damp­fer­fahrt und bei Gala-Veran­stal­tungen in der Schloss­berg­halle Starnberg.

Blauer Teppich

So mondän wie die Kulisse – male­ri­scher Blick auf die Alpen, »blauer Teppich« am Seebad, Schloss und überhaupt der See, an dem Kini und Kino eine über­ra­schende Liaison bilden – sind auch die dies­jäh­rigen Gäste des Festivals. Der Schwer­punkt liegt bei der Crema des deutschen Films. Eröffnet wurde am Dienstag im Beisein von Marga­rethe von Trotta im Seebad Starnberg mit Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste. Ihre wütend-eman­zi­pa­to­ri­schen Bachmann-Biogra­phie mit Vicky Krieps als aufrechte Ingeborg Bachmann und Ronald Zehrfeld als breitem Max Frisch, mit dem erstere eine ungleiche Liaison unter­hielt – es war eben noch die Nach­kriegs­zeit und die Männer hatten das Sagen –, zeigte sie einem aufge­schlos­senen 700-Leute-Freibad-Publikum. Ein trium­phaler Auftakt für das Festival, der der Münchner Filme­ma­cherin und ihrem neuesten Werk ange­messen gerecht wurde. Trotta setzt das Schau­spiel von Krieps und Zehrfeld atmo­sphärisch in Szene, lässt in Rom Max Frisch reichlich unnütz durch die Stadt tapern, am Rock­zipfel der ungleich welt­ge­wand­teren Bachmann. Ein wenig Auto­fik­tion mag hier durch Trottas Film durch­scheinen, schließ­lich war und ist Italien die temporäre Wahl­heimat der Münch­nerin, und sie eine aufrechte Filme­ma­cherin.

Wie wichtig der Almauf­trieb auf dem blauen Teppich für die Region ist, zeigt, dass es sich das Festival nicht nehmen lässt, die bei der Eröffnung anwe­senden Gäste aufzu­zählen, wozu weder das Filmfest München noch etwa die Berlinale – Vergleiche adeln! – sich bemüßigt fühlen, viel­leicht auch, weil es etwas provin­ziell wirkt. Das Festival vermeldet die Anwe­sen­heit der Regis­seu­rinnen Caroline Link und Dagmar Hirtz, der Schau­spieler*innen Johanna Bitten­binder, Heinz-Josef Braun, Ulrike Willen­ba­cher und von Produ­zentin Molly von Fürs­ten­berg, deren Mann Veith (Regisseur, Dreh­buch­autor und Produzent) übrigens gerade von den Film­kunst­wo­chen München geehrt wurde.

Auftakt mit kultur­po­li­ti­schen Warn­hin­weisen

Die Verwur­ze­lung in der Heimat lässt sich auch an der Namens­stif­terin für den Ehren­preis des Festivals ablesen, der ausschließ­lich der schau­spie­le­ri­schen Leistung einer Frau gewidmet ist. Es muss Matthias Helwig hoch ange­rechnet werden, dass er Hannelore Elsner an sein Festival binden konnte und den Frauen in ihrem Namen den Teppich ausrollt. Schau­spie­lerin Paula Beer wird dieses Jahr die Ehre zuteil, und folgt damit den Gran­dezzen Barbara Auer, Nina Hoss, Birgit Minich­mayr und Sandra Hüller. Anlass ist ihre Leistung in Christian Petzolds Roter Himmel, der von der deutschen Film­wirt­schaft schmäh­lich behandelt wurde. Helwig, der auch immer kultur­po­li­tisch denkt, mag dies für die Preis­ver­gabe zusätz­lich motiviert haben.

Bei seiner Eröff­nungs­rede zumindest unterließ er es nicht, einen Seiten­hieb auf die herun­ter­ge­schraubte Förder­praxis zu tätigen. »Wenn man den Kultur­etat gleich lässt, bedeutet das ange­sichts der Teuerung im Moment eine 20-prozen­tige Kürzung«, stellte er ernüch­tert fest – was auch an angekün­digten Kürzungen bei Festivals, beispiels­weise der Berlinale (zum Vergleich siehe oben), ablesbar ist.

Ehren­gäste

Nich­ter­höhung von Etats verlangt bei gleich­blei­bendem Programm die Notwen­dig­keit von Mehr­ein­nahmen und Publi­kums­stei­ge­rung. Auch deshalb setzt das Festival auf große Namen, aber natürlich nicht nur. Vor allem will das Fünf Seen Film­fes­tival dem breiten und touris­mus­ge­wöhnten Publikum mit See- und Alpen­blick auch den Blick auf die Kino­lein­wand und den Spaß daran nahe­bringen. Als Ehren­gäste sind angekün­digt Maria Schrader mit ihren Filmen She Said, Ich bin dein Mensch und Vor der Morgen­röte (mit Josef Hader als melan­cho­li­schem Stefan Zweig) und der streit­bare Ulrich Seidl, der in Deutsch­land­pre­miere seinen skan­dal­um­wit­terten Böse Spiele – Rimini Sparta zeigt. Außerdem wird dieses Jahr erstmals der FSFF-Kame­ra­preis verliehen: Er geht an Frank Griebe, der mit Lola rennt deutsche Kino­ge­schichte geschrieben hat – der Film feiert dieses Jahr 25-jähriges Jubiläum. Persön­lich stellt er Cloud Atlas, Lara und The Dive vor. Letzterer ist ein Tief­see­film von Maxi­mi­lian Erlenwein, was natürlich wieder zum Festival passt. Erstaun­lich ist insgesamt, dass Frank Griebes Zusam­men­ar­beit auch mit dem späteren Tom Tykwer nicht seinem künst­le­ri­schen Ansehen geschadet hat.

In den folgenden acht Tagen laufen 130 Filme aus 36 Ländern, über 70 Film­schaf­fende sind persön­lich bei Vorstel­lungen anwesend, meldet das Festival. Einer davon ist Charly Hübner: Der Schau­spieler wird sein Regie­debüt Sophia, der Tod und ich vorstellen. Deswei­teren sollte man sich nicht den Auftritt von Dominik Graf und seinen heraus­ra­genden Jeder schreibt für sich allein entgehen lassen.

Wind of Change

Thema­tisch überlässt man beim Fünf Seen Film­fes­tival das Publikum nicht der Beschau­lich­keit. Zum dritten Mal steht der Klima­wandel im Fokus. Zu sehen sind State of Necessity, ein Spielfilm des Schwei­zers Stéphane Goël, und Nikolaus Geyr­hal­ters essay­is­ti­scher Matter Out Of Place, der in ruhigen Einstel­lungen den Rohstoff­kreis­lauf unseres konsu­ma­to­ri­schen Lebens erar­beitet. Isabella Willinger rüttelt mit Plastic Fantastic auf, Ernte teilen porträ­tiert soli­da­ri­sche Land­wirt­schaft in Nord­deutsch­land und Finite: The Climate Of Change des briti­schen Klima­ak­ti­visten Rich Felgate schließ­lich nennt sich im Unter­titel »An Urgent Docu­men­tary«. Das steht dann für sich.

An dieser Stelle würden wir jetzt gerne alle ermahnen, ja bloß mit dem ÖPNV anzu­reisen. Jedoch, wie ist die Realität? Es wird Schie­nen­er­satz­ver­kehr zwischen Westkreuz und Gauting, und zwischen Gauting und Starnberg gemeldet. So wird das nie was mit dem Erreichen der Klima­ziele. Das Festival stellt auf Anfrage Shut­tle­busse zwischen den Spielstätten bereit, empfiehlt aber die Anreise mit den öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln…

Für die auto­abs­ti­nenten Münchner ist der Besuch deshalb wohl nur eine Option, wenn man sich irgendwo einquar­tieren kann und das Festival als Anlass zum Urlaub nutzt. Wir empfehlen auch, aufgrund unserer trau­ma­ti­schen Schie­nen­er­satz­ver­kehr-Erfahrung beim Film­kunst­wo­chen-Ausflug zum Walchensee: Hitch­hi­king!