Schlimmer geht’s immer |
»Ich dachte, dass Kontinuität gewährleistet werden könnte, wenn ich weiterhin Teil des Festivals bliebe, aber in der neuen Struktur, so wie sie nun vorgestellt wurde, ist ganz klar, dass die Bedingungen für mich, als künstlerischer Leiter weiterzumachen, nicht mehr gegeben sind.«
– Carlo Chatrian am 02.09.23
Zur Berlinale fällt einem schon lange nichts mehr ein. Aber dafür fällt der Berlinale immer wieder irgendetwas Neues ein, um noch schlechter dazustehen als zuvor.
Der neueste Streich, wie absichtlich mitten ins Festival von Venedig gelegt, ist die öffentlich verkündete, angeblich auf vielen Gesprächen mit Ungenannten basierende »Umstrukturierung« der Berlinale und der öffentliche Umgang mit dem scheidenden künstlerischen Leiter.
+ + +
Carlo Chatrian ist ein feiner Mensch. Zurückhaltend, vergleichsweise bescheiden, kein Mann der großen Gesten, auch keiner, der gerne auf die Pauke haut, oder mit Macht und Tricks seine Interessen durchsetzt. Auch ist er keine Rampensau, der gerne den großen öffentlichen Auftritt hat und sich wohlfühlt, wenn er vor großen Massen redet. Vielleicht war er auch deswegen keineswegs der ideale Direktor für ein A-Festival. Denn dort ist es manchmal nötig, mit härteren Bandagen zu kämpfen und genau diese genannten Eigenschaften an den Tag zu legen. Und es ist für den öffentlichen Auftritt auch manchmal nötig, diesen Auftritt zu genießen und entsprechendes Charisma zu entfalten, entsprechende Massenwirkung. Man muss Zirkusdirektor sein (wollen).
Dieter Kosslick konnte das perfekt. Darum war er vielleicht kein guter, aber ein sehr effizienter und in gewissem Sinn erfolgreicher Berlinale-Leiter. Und vor allem darum hat er sich fast 20 Jahre auf diesem Posten gehalten.
+ + +
In den letzten Jahren, den meisten der Ära Kosslick und auch in den letzten vier Jahren, die von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek geleitet wurden, habe ich viel an der Berlinale zu kritisieren gehabt. Ich habe kaum etwas davon zurückzunehmen, im Gegenteil bestätigt eigentlich alles, was in den letzten 20 Jahren passiert ist und auch in den letzten vier Jahren, all das, was ich schon vor 15 Jahren geschrieben habe. Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die alles guthießen, die alle kuratorischen Entscheidungen von Chatrian überzeugend fanden oder seine Entscheidungen für die Struktur der Berlinale und für bestimmte Personalien. Ganz im Gegenteil! Es gibt daran eine Menge auszusetzen.
Es geht nicht darum, dass die Ministerin nicht das Recht hätte einen Vertrag nicht zu verlängern. Worum es aber sehr wohl geht, das ist der Stil des Hauses BKM.
+ + +
Das Ganze ist vor allem ein weiterer Beleg dafür, wie nachhaltig Dieter Kosslick die Berlinale beschädigt hat. Denn die Probleme der Berlinale sind ja nicht vor vier Jahren vom Himmel gefallen. Es sind Kosslicks Altlasten. Die beiden neuen Leiter als Doppelspitze schienen insbesondere strukturell eine gute Lösung zu sein, um den von Kosslick hinterlassenen Augiasstall aufzuräumen. Im Ergebnis ist die Berlinale aber jetzt noch chaotischer, noch schlechter, noch marginaler, als sie vorher war.
Was am jetzigen Zustand mit am Schlimmsten ist, ist die Tatsache, das die nicht so kleine Gruppe der fundamentalistischen Kosslick-Anhänger, insbesondere in der West-Berliner Lokalpresse, also der »Berliner Morgenpost«, dem »Tagesspiegel«, dem »rbb«, dass die alle sich jetzt auch noch ein bisschen im Recht fühlen können und argumentieren können: »Wir haben es ja immer gesagt, keiner kann es so gut wie Dieter.«
Das ist natürlich Bullshit! Keiner kann es so schlecht wie Dieter,
das beweist der Vergleich mit Cannes oder mit Venedig, das jetzt gerade wieder stattfindet.
Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek waren im Wesentlichen die Konkursverwalter, genau gesagt diejenigen, die den ästhetischen und kulturpolitischen Bankrott der Berlinale aufhalten sollten – und die durch ihre politischen Entscheidungen komplett enttäuscht haben, nicht mal ernsthafte Versuche unternommen haben, um das zu leisten.
Sie sind feige gewesen, sie hätten von Anfang an viel mehr und deutlicher verändern müssen.
Sie sind kommunikativ Totalausfälle gewesen.
Sie haben falsch programmiert.
Und dass jeder wusste, dass sie beide nicht erste Wahl waren, hat ihre Position zusätzlich geschwächt.
+ + +
Zu recht wurde darum von vielen Verbänden, auch vom »Verband der deutschen Filmkritik« (VdFk), eine neue Struktur gefordert und ein Ende dieser Art von Doppelspitze.
An Venedig sieht man, wie man es machen kann und machen muss: Direktor Barbera macht alles, ihm redet kein Präsident rein.
Ein Intendant muss sich aber gute Berater suchen und darf nicht glauben, er könne alles selber und alleine. Und er muss auch auf die hören.
Die Ministerin hat selbst genau dieses Problem: Sie glaubt, sie könne alles selber. Aber Claudia Roth hat nur die Kraft zu zerstören, nicht aber neue Strukturen zu schaffen. Sie verschleppt ihre Aufgaben, ist ungeliebt in der Filmbranche wie in weiten Teilen ihrer eigenen Partei. Manche Zungen in Berlin flüstern, der letzte Film, den sie gesehen habe, sei der von ihr gern erwähnte Panzerkreuzer Potemkin gewesen – bei der Uraufführung.
+ + +
Zugleich hat Claudia Roth noch nie besonders guten Stil gehabt, und sich in der Art und Weise ihres Vorgehens hier einmal mehr unterboten. Neben widersprüchlichen Aussagen und Irreführung der Beteiligten stört mich vor allem Roths Feigheit, nicht dazu zu stehen, dass sie Chatrian rauswerfen wollte, sondern alles zu verfloskeln und zu verklausulieren, dass er, wollte er nicht würdelos dastehen, gezwungen war, selbst den Schnitt durchs Tischtuch zu machen.
Nun stellen sich neue, wichtige Fragen: Was heißt Intendanz? Wer wird die Intendanz? Wer sitzt in der Findungskommission? Traut such das BKM zu einer öffentlichen Ausschreibung? Es besteht die Gefahr, dass Roth die Berlinale mit einem weiteren Fehlgriff zerlegt.
Wer könnte es werden? Leider viele schlechte Lösungen. Drei gute, leider unwahrscheinliche wären: Ex-Locarno und Quinzaine-Chef Olivier Père. Vanja Kaludjercic, die Chefin von Rotterdam. Und Sebastian Höglinger, einer der zwei bisherigen Diagonale-Leiter (sein Co-Direktor Peter Schernhuber), hat vermutlich jetzt einen zu guten Job.
Wer immer es wird, muss aber wissen: Es gibt so viele Baustellen, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll.
+ + +
Schließlich: es nervt echt total. Nicht nur mit Deutschen und mit Österreichern sondern auch in Gesprächen mit Ausländern selbst aus anderen Kontinenten, aus Asien oder aus Amerika ist die Berlinale ein Dauerthema, selbst ihnen muss man erklären, was da los ist, und warum sich eine deutsche Ministerin derart stillos an einem bis vor kurzem gewollten und verdienten Festivalleiter vergeht.