09.11.2023

Visions of young filmmakers

The Boy
Filmemacher ohne Zukunft: Der von der Hamas getötete Yahav Winner
(Foto: Miami Jewish Film Festival)

Das 42. Filmschoofest Munich vereint junge Stimmen aus der ganzen Welt

Von Dunja Bialas

Die Neuvor­stel­lung als Chef: hat er bereits hinter sich. Schon am vergan­genen Donnerstag stellte Christoph Gröner als neuer Festi­val­di­rektor die erste von ihm verant­wor­tete Festi­val­aus­gabe vor. Was für die Berlinale innigst gewünscht wird, ein Inten­dan­ten­mo­dell, hat die Münchner Film­wo­chen GmbH, unter der das Filmfest München und das Film­school­fest firmieren, schon reali­siert: Christoph Gröner führt die Geschäfte und ist außerdem, zusammen mit seiner Co-Kuratorin Julia Weigl, fürs Programm verant­wort­lich.

Als lässiges »Warm up« gab sich die Veran­stal­tung, zu dem der Freun­des­kreis Filmfest München einge­laden hatte. Vier Preis­trä­ger­filme aus dem Vorjahr wurden gezeigt, der Eintritt war frei, die Laune war gut, und es gab sogar ein Film­ge­spräch mit Regis­seurin Mila Zhluk­tenko, die ihren mit dem Starter-Filmpreis gekrönten Aralkum sehr präzise einführte. Die anste­hende Edition des Film­school­fests, die an diesem Sonntag in der Münchner Film­hoch­schule HFF eröffnet wird, ist bereits die 42. – obwohl das Filmfest München dieses Jahr erst seinen 40. feierte. Ist ja auch mal schön, wenn die kleine Schwester älter ist als die große.

Bevor wir jetzt aber an dieser Stelle beginnen, darüber zu sinnieren, ob der Alters­un­ter­schied mögli­cher­weise etwas mit den Start­schwie­rig­keiten des großen Filmfests zu tun hat, bei denen ein gewisser Alfred Wurm auf der Suche nach dem Glamour zwischen Cannes, New York und seinem Büro, das eine teure Villa bezogen hatte, Millionen D-Mark verbrannt hat, ohne dass überhaupt ein einziger Film in München zu sehen war (zur skan­dalösen Früh­ge­schichte des Filmfest München siehe hier), nehmen wir doch lieber freudig zur Kenntnis, dass Gröner und Weigl weg wollen vom Glamour-Narrativ, das seit der ersten Stunde wie ein Fluch über dem Filmfest liegt. Noch die letzte Leiterin, Diana Iljine (der man auf der Viennale Berlinale-Ambi­tionen zutraute, so der Gossip) wurde berufen, unter anderem, weil sie mit ihrer holly­woo­desken Erschei­nung Glamour anziehen sollte.

Dieses Glamour-Gerede aber, das macht Christoph Gröner im Gespräch deutlich, sollte jetzt endlich vorbei sein. Das entspricht auch der Realität von Festivals. Immer schwie­riger wird es, selbst für die Berlinale, die immerhin ein A-Festival mit Welt­pre­mieren ist, inter­na­tio­nale Stars anzu­lo­cken, damit diese mehr oder minder müßig­gän­ge­risch für ihren Film werben. Gröner findet, man müsste den Anrei­senden mehr bieten, zumindest Master Classes, eine Ausstel­lung oder ähnliches. Aber, so räumt Gröner am Schluss noch ein, ganz ohne roten Teppich wird und soll es natürlich nicht gehen. Er soll aber nicht mehr das bestim­mende Filmfest-Narrativ sein.

Das kleine Film­school­fest, das in den beiden Kinos der Münchner Film­hoch­schule HFF abge­halten wird, situiert sich auch dieses Jahr mit seinen 40 Filmen von 35 inter­na­tio­nalen Film­hoch­schulen von Haus aus jenseits von roten Teppichen. Hier sieht Gröner viel Potential, das in den vergan­genen Jahren nicht ausge­schöpft wurde. Als erste Neuerung haben Gröner und Weigl zwei Slots geschaffen, die Filme nach ihrer Origi­nal­sprache bündeln, fran­zö­sisch- und spanisch­spra­chige Filme, die das Fremd­spra­chen-Publikum (Schule, VHS, Studium) anlocken sollen. Veran­stal­tungen am Vormittag geben den Rahmen für Gesprächs­for­mate. Bei kosten­losem Eintritt zu besuchen sind eine Master­class mit dem italie­ni­schen Kame­ra­mann Luca Bigazzi, der u. a. mit Paolo Sorren­tino gear­beitet hat, ein Panel mit dem Münchner Ingo Fliess, dessen Produk­tion Das Lehrer­zimmer für den Auslands-Oscar ins Rennen geschickt wurde, und ein Gespräch darüber, wie Diver­sität nach­haltig in Film­hoch­schulen »imple­men­tiert« werden kann. Anders als in vergan­gener Zeit (ohne Garantie, denn das Film­school­fest wurde von der Autorin schon länger nicht mehr besucht) beginnen die Film­pro­gramme erst mit der 18-Uhr-Schiene, richten sich damit auch dezi­dierter an das Münchner Publikum, das in der HFF als Spielort jetzt auch mehr Platz hat als vormals im Film­mu­seum.

Die einzelnen Programme – es werden ausschließ­lich Kurzfilme gezeigt – sind nüchtern durch­num­me­riert. Ein Teaser gibt den Inhalt der gezeigten Filme im berühmten Pitching-Satz wieder. Tipp: Am besten, man lässt einfach den eigenen Termin­ka­lender entscheiden. Zwischen dem 13. und dem 18. November sollten sich Zeit­fenster zu den Slots um 18:30, 20 und 21 Uhr finden lassen.

Einen Film jedoch sollte man sich vormerken: The Boy. Der 23-minütige Kurzfilm ist ein Vermächtnis des jungen israe­li­schen Filme­ma­chers Yahav Winner – er hat den Angriff der Hamas auf den Kibbuz Beeri am 7. Oktober nicht überlebt. Sein Film berichtet vom Alltags­leben in dem Kibbuz, von Vater Avinoam und Sohn Barak, die ihre Felder bewirt­schaften. Ein gigan­ti­scher Stachel­draht­zaun trennt sie vom Gaza­streifen. »Unter der Ober­fläche brodelt es, die Situation droht zu eska­lieren«, heißt es zum Film, er ist ein brisantes Zeugnis vom Leben unter perma­nenter Anspan­nung. The Boy läuft im Programm 3, am 14.11. (Dienstag) um 18:30 Uhr.

Auch die anderen Filme, die kein so entsetz­li­ches Schicksal begleitet, gilt es natürlich zu entdecken. Sie sind junge Stimmen einer neuen Gene­ra­tion, die die Selbst­ver­s­tänd­lich­keiten der Alten hinter­fragen, die beim »Weiter so« nicht mehr mitmachen wollen, die neugierig auf das Leben sind. Ob die jungen Filme­ma­cher*innen aber »Future Story­tel­lers« sind? Das Film­school­fest hat sie in seinem neuen Unter­titel so gelabelt, was fast wirkt, als würde man – seien wir mal realis­tisch – nicht unbedingt annehmen, dass die jungen Talente allesamt Filme­ma­cher*innen werden. Ist ja auch schwierig, in der Branche. Und als Story­teller ist man ja viel breiter aufge­stellt: Man eignet sich für die Game-Branche, für die Werbung, selbst für eine schnöde Pres­se­mel­dung wird Story­tel­ling empfohlen.

Sicher­lich aber wird man auch bei dem dies­jäh­rigen Film­school­fest viele Filme entdecken können, die gerade kein Story­tel­ling betreiben. Zumindest drei der vier Filme beim »Warm up« deuteten eindeutig in Richtung Erzähl­ver­wei­ge­rung. Ahnungs­voll ließen sie ihre Geschichten in den Zwischen­räumen der Bilder, im Unaus­ge­spro­chenen und sogar Nicht­ge­zeigten entstehen. Das ist viel mehr als eine gut erzählte Geschichte. Das ist pure Poesie.