16.11.2023

Kritiken-Kaleidoskop

filmschoolfest

In aller Kürze: Wie sind die Werke der Young Filmmakers? Der Filmkritik-Nachwuchs hat sie sich angesehen

Von artechock-Redaktion

Hier gibt’s Punkte-Bewer­tungen auf einen Blick!

All My Scars Vanish in the Wind | Programm 3
R: Angélica Restrepo Guzmán, Carlos Velandia | Hoch­schule für Film und Fernsehen der Natio­nalen Univer­sität von Kolumbien

All My Scars Vanish in the Wind
Schnee­treiben im Kino (Foto: Film­school­fest Munich)

Fast wie Schnee­treiben muten die animierten Bilder dieses Films an, rücken ihn die Nähe eines Kunst­films. Ein schwarzer Hinter­grund, keine Tiefe. Die gerade so erkenn­baren Objekte nur ange­deutet durch Massen an roten Punkten, Partikel, die die gezeigte Welt nur (alb)traum­artig erahnen lassen. Jeder neue Horror dieser Lebens­ge­schichte, den die stummen Unter­titel erzählen, sind begleitet von einem bedroh­lich wirkenden Klang­tep­pich. Durch­bro­chen werden sie nur von einzelnen, mehr­far­bigen Sequenzen die durch Geräusche und Formen eine idyl­li­sche Natur imitieren.
Keines der Bilder steht still, sie sind flüchtig wie Erin­ne­rungen, aber dennoch die Bausteine eines großen Ganzen: die Kulmi­na­tion in der Figur einer Mutter, geprägt durch ihr Leben, die ihrem Kind die Freiheit verspricht. – Anna Schell­kopf

Vergan­gen­heit wird zur Gegenwart. Der Film thema­ti­siert die Erfahrung des Erinnerns, trau­ma­ti­sche sowie tröstende Gefühle, die durch den raffi­nierten Einsatz von Farben erkennbar werden. Mithilfe von spielend leuch­tenden Partikeln vermit­telt der animierte Kurzfilm eine narrative Kulisse wie in einem 3D-Space. Das visuelle Expe­ri­ment zeigt Formen und Orte, die an ein Gefühl aus einer Erin­ne­rung gebunden sind und mithilfe eines Geräusch-Ambientes ein einzig­ar­tiges audio­vi­su­elles Erlebnis proji­zieren. Das 'erken­nende Sehen' der Zuschau­enden wird auf die Probe gestellt, da die Moment­auf­nahmen vergäng­lich und ständig in Bewegung sind. Man wird Teil eines aktiven Prozesses des Erinnerns und kehrt an Orte zurück, die nur in der Erin­ne­rung einer Mutter fort­be­stehen. Eine seltene Erfahrung, lohnens­wert! – Ellen Trautwein

Allé­gresse | Programm 6
R: Gillie Cinneri | Institut des Arts de Diffusion (IAD)

Eine Komödie der kleinen Absei­tig­keiten. Die kriselnde Beziehung zwischen einem unbe­hol­fenen Vater und seiner betont patenten acht­jäh­rigen Tochter steht im Zentrum dieses Films. Er verliert sich etwas in den viel­zäh­ligen, aber selten konse­quent ausge­nutzten, humo­ris­ti­schen Techniken, die hier zusam­men­kommen und dabei eine Frag­ment­samm­lung von Lachern auslösen. Frei nach dem Konzept: Da wird schon für jede*n was dabei sein. Passend dazu offenbart sich das zentrale komische Element als das sanft Skurrile, was sich bemüht verträg­lich nie in Bereiche der Angreif­bar­keit wagt. Nur wider­willig ergibt sich Allé­gresse dem Kurz­film­format und scheint vielmehr wie eine lang­ge­ra­tene Vorschau eines Featu­re­films. So spielt sich diese seichte Typen­komödie in ein massen­ver­träg­li­ches Mittel­feld, in dem sie weder anecken noch begeis­tern kann. – Lee Rede­pen­ning

Cadáver | Programm 5
R: Benjamin Kodboel | National Film and Tele­vi­sion School Dänemark

Sie sind bei der Überfahrt von Gibraltar nach Spanien ums Leben kommen. Der Doku­men­tar­film begleitet Bestatter Martín bei seiner täglichen Arbeit, zeigt bild­ge­wal­tige und detail­ver­liebte Aufnahmen, ohne Scheu vor starken Kontrasten in Licht- und Farb­ge­bung oder davor, die gesamte Breite der Leinwand zu nutzen. Respekt­voll kümmert sich der Fami­li­en­vater um die Bestat­tung der Menschen und Benach­rich­ti­gung der Angehö­rigen. Und ebenso respekt­voll beleuchtet Regisseur Benjamin Kodboel die Tragödien, die sich im Mittel­meer tagtäg­lich abspielen. Er erinnert daran, dass das Mittel­meer, das beliebte Feri­en­ziel, auch die Seegrenze zu Europa bildet – und damit ein Massen­grab von einst hoff­nungs­vollen, jungen Menschen. – Lilith Pape

Devil | Programm 4
R: Jan Bujnowski | The Polish National Film, Tele­vi­sion and Theatre School in Łódź

Ein Teufel geht um im Polen der 90er Jahre. Naja, eigent­lich handelt es sich um einen Mann in kitschiger Verklei­dung, der arglosen alten Leuten herrlich selbst­ge­machte Weih­was­ser­brunnen und ähnliche pseu­do­re­li­giöse Mittel gegen Dämonen und böse Geister andrehen will. Doch wie seine Hörner, ist auch die Conman-Attitüde eine Verklei­dung, der »Teufel« wirkt einfühlsam und im besten Sinne mensch­lich. Betont nost­al­gisch gehalten, weckt Devil Asso­zia­tionen an alte Horror­filme: Die warmen Farben und das Flackern des 16mm Films gene­rieren eine unwirk­liche Camp-Ästhetik, die aber zugleich einen träu­me­risch-positiven Charakter entwi­ckelt. Der Film oszil­liert rapide und leicht­füßig zwischen Komik und einer Melan­cholie, in der Einsam­keit und die Frage nach Exis­tenz­si­che­rung in einem frisch post-sowje­ti­schen Land mitschwingt. – Lee Rede­pen­ning

Father.Son | Programm 7
Regisseur: Jakub Gomółka | Polish National Film School in Łódź

Father. Son
(Foto: Film­school­fest Munich)

Show the bright side. Der polnische Doku­men­tar­film zeigt auf einzig­ar­tige Weise das Wieder­sehen von Mariusz und seinem erwach­senen Sohn. Beide waren im Knast und versuchen, sich wieder im Alltag zurecht­zu­finden. Drogen­sucht, Hoff­nungs­lo­sig­keit und der Ausschluss aus der Gesell­schaft bestimmen ihr Leben nach dem Gefängnis. Der Film thema­ti­siert eindrucks­voll die fehlende Perspek­tive von verur­teilten Straf­tä­tern und schafft es, dabei eine gefühl­volle Vater-Sohn-Beziehung zu erzählen. Er richtet den Blick auf die Lebens­welt der beiden Straf­täter, dadurch stehen ihre Gefühle und Erfah­rungen im Zentrum der Aufmerk­sam­keit, ohne jedoch die Straf­taten zu verharm­losen. Die außer­ge­wöhn­liche emotional offene Beziehung zwischen Vater und Sohn prägt die Doku und gibt einen neuen Blick auf das Leben nach dem Gefängnis. – Jakob Gerstmayr

The Fuse | Programm 10
R: Kevin Haefelin | Columbia Univer­sity

Wenn aufgeben doch nur so einfach wäre. Müllmann Cassius hätte seinem Leben nach seiner unver­hofften Entlas­sung am liebsten kurzer­hand ein Ende gesetzt. In einer herun­ter­ge­kom­menen Wohnung zu sterben, in der er ohne Einkommen nicht bleiben kann, scheint ihm jedoch so leicht nicht vergönnt. Im finsteren Setting der nächt­li­chen New Yorker Bronx eröffnet die düstere Tragik in kurz­wei­ligen 18 Minuten sukzes­sive eine komö­di­an­ti­sche Ebene. Der Plot kommt dabei völlig ohne Kitsch aus und der Prot­ago­nist, ohne sich an mehr als einer Handvoll einsil­biger Wörter zu bedienen. Denn die kontrast­reiche Bild­ge­walt und sein ausdrucks­loser Blick, der Cassius keines­wegs an Eindruck verlieren lässt, sprechen für sich. – Anne Krones

Kinship | Programm 10
R: Orin Kadoori | Tel Aviv

Zwischen zwei Köpern schwindet mit der Einfüh­rung einer dritten Person die Hoffnung, dass der Kurzfilm von einem porträ­tierten Paar handelt – statt von inzes­tuöser Intimität. Die Perspek­tive auf Vater und Tochter ist scho­nungslos, provo­ziert voyeu­ris­ti­sches Unbehagen. Auch wenn der familiäre Bann zwischen dem Vater und seinem adoles­zenten Kind niemals explizit gebrochen wird: das trans­gres­sive Spiel hält an und ebenso die Abscheu beim Betrachten. – Kinship löst eine ganze Menge aus. Doch auch wenn die Kame­ra­ar­beit pointiert ist, und durchaus für Begeis­te­rung sorgt, überwiegt doch die Verär­ge­rung über schamlos ausge­schlach­tete Grenzen. – Anne Krones

Mud Crab | Programm 2
R: David Robinson-Smith | Austra­lian Film Tele­vi­sion and Radio School

Mud Crab
Einer der Favoriten von Lee Rede­pen­ning und Anna Schell­kopf (Foto: Film­school­fest)

Düster und bedroh­lich vermit­telt Mud Crab mehr eine Impres­sion als eine Geschichte. Aus dem Off berichtet eine Erzäh­lerin von ihrer Beob­ach­tung eines jungen Mannes, während die Kamera ihn förmlich seziert. Mit ihren Augen sehen wir ihn, den sehnigen, durch­trai­nierten Ober­körper entblößt, mehr Fleisch als Person. Wir werden – ohne je einen Faust­schlag zu sehen – Zeug*innen und Mittäter*innen der Gewalt, die an ihm verübt wird. In ständiger Beglei­tung von drückender Streich­musik, die zwischen Asso­zia­tionen von kunst­vollem Horror und Trance changiert, entsteht eine soghafte, vers­tö­rende Atmo­sphäre. David Robinson-Smith konstru­iert in 12 Minuten ein Portrait eines Leidenden, das wie ein Gemälde keine Geheim­nisse preisgibt, den Blick bannt und lange im Gedächtnis bleibt. – Lee Rede­pen­ning

The Night Practice | Programm 5
R: Bogdan Alec­sandru | Univer­si­tatea Națională de Artă Teatrală și Cine­ma­to­gra­fică »I.L. Caragiale« (UNATC)

Ein Spiel mit Erwar­tungen. Anfangs wirkt der Film fast ein wenig platt, erinnert an queeres Jugend-Kino, das in poeti­scher Lang­sam­keit die Begegnung zweier Jungen bei einem vor toxischer Masku­li­nität strot­zenden Fußball­trai­ning erzählt. Die beiden umkreisen einander zaghaft, elegisch, immer an der Grenze zum Streit. Als der Prot­ago­nist den Kuss des myste­riösen Neuzu­gangs in einen Vampir­biss trans­for­miert, wirkt der Twist doppelt: Neben der Über­ra­schung über den Genre­sprung, erstaunt besonders, wer hier als das Monster gezeichnet wird. Statt einer gängigen Lesart des Vampirs, dessen Homo­se­xua­lität die hete­ro­nor­ma­tive Ordnung angreift, gelingt in der Umkehrung der Rollen­zu­wei­sung ein zeit­ge­mäßer Kommentar zu der Mons­tro­sität inter­na­li­sierter Homo­phobie. – Lee Rede­pen­ning

Phalène | Programm 7
R: Sarah-Anaïs Desbenoit | ENS d’arts Paris-Cergy

Phalène
(Foto: Film­school­fest Munich)

Auf der Suche nach Nähe und Distanz. Wie zwei Nacht­falter – so die Über­set­zung des titel­ge­benden fran­zö­si­schen »Phalène« – wandern die beiden Zwil­lings­schwes­tern durch ihre eigene Geschichte. Dabei erscheint diese nicht an die Zeit gebunden, es entfaltet sich eine fast bedrü­ckenden Ruhe. Diese wird nur untermalt von den Geräu­schen der Natur, die einen Rhythmus vorzu­geben scheint. Die Schwes­tern bewegen sich beinahe synchron, in tiefer Verbun­den­heit. Bald jedoch zerbricht etwas zwischen den ihnen. Ob Traum oder Realität: dies bleibt verborgen. Ein magischer Kurzfilm, in dem die Bilder ihren ganz eigenen Zauber erhalten. – Clara Mittl­meier

Of Kisses and Capes | Programm 8
R: Eléna Weiss | Hamburg Media School

Eine ganz normale Beziehung. Das sucht die Prot­ago­nistin Isi in ihrer Part­ner­schaft mit Finn. In diesem packenden Kurzfilm über Intimität und Sexua­lität zwischen Menschen mit körper­li­cher Behin­de­rung wird ein authen­ti­scher Blick auf die Unsi­cher­heiten und Zweifel in Intim­si­tua­tionen geworfen. Isi führt mit Finn eine glück­liche Beziehung, es fehlt nur eins zu einem »normalen« Liebes­ver­hältnis: Sex. Der Film zeigt auf eine nahbare Weise die Angst vor Intimität und rückt ein Tabuthema in den Fokus. Mit allerlei popkul­tu­rellen Anspie­lungen passt dieser Film genau in den Zeitgeist und schafft es, mit seiner witzigen, aber dennoch ernsten Art, die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Dazu kommt ein heraus­ra­gender Cast um Leonard Grobien und Floren­tine Schlecht, der dem Film glaub­würdig Leben einhaucht. – Jakob Gerstmayr

Poisoned Well | Programm 1
R: Radek Ševčík | Academy of Performing Arts in Bratis­lava

Eindring­lich und volls­tändig in schwarz-weiß zeigt der Doku­men­tar­film die Folgen eines tödlichen Attentats auf drei queere Menschen vor einem slowa­ki­schen Nachtclub. Es wäre ein Leichtes gewesen, nur die Täter zu thema­ti­sieren. Die Bilder von Protesten, Soli­da­rität und des Selbst­ver­tei­di­gungs­kurses fokus­sieren aber viel mehr die Stärke und Resilienz einer Gruppe von Menschen, die noch immer für ihren recht­mäßigen Platz in der Gesell­schaft kämpfen muss – und vermit­telt dennoch gnadenlos die Ausmaße der Bedrohung, der sie ausge­setzt sind. In vierzehn Minuten entwi­ckelt der Film durch die harte, unbe­schö­nigte Darstel­lung der Gewalt und der Tiefe des Hasses gegen LGBTQ+- Personen eine starke emotio­nale Wirkung, die noch lange nachhallt. – Anna Schell­kopf

Super­du­per­me­ga­gi­gasingle | Programm 1

R: Håkon Anton Olavsen | Norwe­gi­sche Film­schule (Den norske film­skolen)

SUPERDUPERMEGAGIGASINGLE
Favorit aus Programm 1: Ein Ski-Maskott­chen (Foto: Film­school­fest Munich)

Après-Ski im Fell­kostüm. Der Kurzfilm entfaltet eine humor­volle, und dennoch nach­denk­lich stimmende Geschichte über die Heraus­for­de­rungen der modernen Liebe. Er folgt Vebjørn, einem jungen Mann, der als Ski-Maskott­chen tätig ist. Die zufällige Begegnung mit einer jungen Frau führt ihn in unge­wohnte emotio­nale Tiefen. Hier zeigt der Film seine Stärke: Er balan­ciert zwischen Humor und Ernst­haf­tig­keit, ohne dabei ins Klischee­hafte abzu­driften. Die Entwick­lung von Vebjørns Charakter und sein Ringen mit der eigenen Unsi­cher­heit bieten einen fesselnden Einblick in seine Psyche. Der Film versteht es, auf einzig­ar­tige Weise mit seiner humo­ris­ti­schen, fast schon lächer­li­chen Art auf aktuelle Probleme hinzu­weisen. Alko­ho­lismus und uner­füllte Sexua­lität in Bezie­hungen werden en passant miter­zählt und machen den Film absolut sehens­wert. – Jakob Gerstmayr

Im fröh­li­chen super­duper Eisbär­kostüm in Diensten einer Kinder­ski­schule (ver)steckt (sich) ein megagiga-trauriger norwe­gi­scher Skilehrer (Martin Marki) mit Clown­qua­li­täten. Als Maskott­chen braucht und darf er nicht reden. Gut: Das macht seinen Charme aus, aber es isoliert ihn auch, schützt vor Nähe. Der Abschluss­film des jungen Norwegers Håkon Anton Olavson hält die Schwebe zwischen dem Bewusst­sein der Leere und Belie­big­keit aller plap­pernden Nähe­rungs­ver­suche und der Sehnsucht nach Öffnung. Dazu muss man sich trauen (auf Auffor­de­rung einer begehrten Frau), das Aller­pein­lichste in Worte zu fassen: ich bin fast dreißig und habe noch nie mit einer Frau geschlafen, oder auch wortlos: ich häng mich auf, ich jag mir eine Kugel durch den Kopf, es sei denn du lässt dich von meiner panto­mi­misch gewor­fenen Angel aus dem kalten Meer auf meine Eisbä­ren­scholle ziehen. – Martin Wagner

Ein singendes und tanzendes Bären­mas­kott­chen. So beginnt der norwe­gi­sche Kurzfilm, der das Film­school­fest eröffnet und sichert sich mit seinem lustigen Einstieg sogleich die Aufmerk­sam­keit des Publikums. Im Laufe des Films lernen die Zuschauer den Prot­ago­nisten besser kennen, der als Maskott­chen eines Skire­sorts arbeitet und der sozial etwas unge­schickt ist und daher auch noch nie eine Freundin hatte. Als er dann jedoch auf der Skipiste mit einer jungen Frau zusam­men­s­tößt, könnte sich das für ihn ändern. Der Film nimmt die Zuschauer mit auf die gefühl­volle Reise eines jungen Mannes, der sich seinen Unsi­cher­heiten stellen muss, als eine junge Liebe zu knospen beginnt. Durch charmante und humor­volle Szenen und Figuren kann der Film über­zeugen und dem Publikum immer wieder einen Lacher entlocken. – Marion Biendl

Einsam sein, wo andere Urlaub machen. Das ist das Schicksal von Vebjørn, der als Skipis­ten­mas­kott­chen seine späten 20er bestreitet. Er ist verklemmt, toll­pat­schig und chronisch vereinsamt, unter­stri­chen durch seine fusselige Eisbären-Arbeits­klei­dung, die ihn visuell isoliert und als etwas kindlich-rücks­tändig zeichnet. Nach dem Zusam­men­stoß mit der hübschen und char­manten – aber sonst mit wenig charak­ter­li­cher Tiefe geseg­neten – Polina, entfaltet sich diese Romcom brav nach Schema F. In Aufbau und Gestal­tung lassen sich altbe­währte Muster erkennen, die von ange­nehmer Musik und einem auffällig evoka­tiven Licht­de­sign bis zur leicht anti­quiert anmu­tenden Darstel­lung der weib­li­chen Haupt­figur reichen. Ein diskur­siver Blick auf das Stigma des Single-Seins und der Existenz an Tran­si­torten bleibt dabei leider nur ein B-Plot. – Lee Rede­pen­ning

Taste of Home | Programm 5
R: Âni Võ | HFF München

Die eigene Freiheit oder die der Familie: Vor diese schwie­rige Wahl wird die viet­na­me­si­sche Prot­ago­nistin gestellt. Wir erleben das harte Schicksal einer jungen Frau, die versucht, sich aus den Fängen des Menschen­han­dels zu entwinden. Der Film gibt einen Einblick in die Ängste einer Betrof­fenen und schafft es, mit ihr zu hoffen, dass sie sich befreien kann. Dabei schließt sie Freund­schaft mit dem kleinen Mädchen Linh, welches dem Film mit seiner Unschuld und Guther­zig­keit trotz des düsteren Themas eine gewisse Wärme verleiht. Diese rührende Verbin­dung zwischen den zwei jungen Frauen bildet das Herzstück des Films. Auch wenn das Ende nicht so kommt, wie man es sich wünschen würde, werden Gefühle der Sympathie und des Vers­tänd­nisses für die jungen Viet­na­me­sinnen erzeugt. – Marion Biendl

The Things to Come | Programm 3
R: Santiago Ráfales | Escuela Superior de Cine y Audio­vi­suales de Catalunya

The Things to Come
(Foto: Film­school­fest Munich)

Eine Gruppe von Kindern genießt das Ende des Sommers in der Abge­schie­den­heit des kata­la­ni­schen Inlands: Abzähl­verse bestimmen Zufalls-Paare, die sich hinter einem Baum küssen dürfen. Als es die Kinder­freunde Sara und Biel trifft, geht etwas kaputt: Die Unbe­schwert­heit, mit der sie sich im Haus der Eltern versteckten, sich gegen­seitig schminkten und dabei filmten, ist weg. »Was ist passiert?« fragt sie ihn später ange­sichts einer Schramme am Knie. »Ich bin gefallen!« Sie bläst ihm sanft über die Haut. Santiago Ráfales' Kurzfilm bleibt konse­quent in der Welt der beiden 10jährigen Prot­ago­nisten, die ihre Zuneigung auch über ihren Sünden­fall hinter dem Baum der Erkenntnis hinaus retten. Die auto­bio­gra­phi­sche Vignette endet mit einem Countdown, der im Versteck­spiel des Lebens das Start­si­gnal ist für die Suche nach dem/r Vermissten. – Martin Wagner

Through Gloom | Programm 1
R: Arnas Balčiūnas | Litaui­sche Akademie für Musik und Theater

Warmes Gelb, goldene Lichter, der Hinter­grund der Auto­scheibe ein verwischtes Dunkel ohne erkenn­bare Details. Die Welt schrumpft auf den Innenraum eines Autos, besteht nur noch aus zwei Personen. Eine junge Frau, erschöpft von ihrem Leben, und ein alter Mann, unglück­lich gefangen in seinem Job. – Die Situation ist untermalt mit phäno­me­naler Musik, die die Zuse­henden in eine liminale Welt entführt und volls­tändig der bedrü­ckenden, doch gleich­zeitig sehr zarten Stimmung auslie­fert. Der kammer­spiel­ar­tige Film mutet an wie eine Vater-Tochter-Geschichte, erfüllt sie aber doch nicht. Er bleibt auch mit seinem Ende in diesem zwie­späl­tigen Raum, arbeitet nur mit der Andeutung des »Zugs nach Nirgendwo«, und lässt das Publikum nur ein schreck­li­ches Ende ahnen, das gleich­zeitig hofft, falsch zu liegen. – Anna Schell­kopf

Today’s Sunlight Falls Weakly on You | Programm 6
R: Lim Yuzheng | Puttnam School of Film & Animation in Singapur

Dichter Dschungel, Regen und Nebel­schwaden: Die stillen, ausschließ­lich in schwarz-weiß gehal­tenen Aufnahmen werden nur von einigen wenigen Aufnahmen einer Frau durch­bro­chen. Die Bilder wirken ein wenig, als würden sie außerhalb der Zeit exis­tieren. Eine leise Stimme erzählt von Geistern und seltsamen Träumen, sie verschmilzt mit den asso­zia­tiven Bildern von einer bedrohten, verschwin­denden Natur zu einer fast schon traum­ar­tigen Erfahrung.
Abwech­selnd sehr weit entfernte und sehr nahe Aufnahmen der Frau lassen sie fast wie einen Fremd­körper erscheinen, ein Element das gleich­zeitig dazu­gehört, aber dennoch nicht ganz passt.
Einem Doku­men­tar­film ähnlich und in der Machart eines Kunst­films erschafft der Film ein tief­berüh­rendes Erin­ne­rungs­stück über die Natur und den Fort­schritt, der sie bedroht. – Anna Schell­kopf

The Voice of Others | Programm 9
R: Fatima Kaci | La Fémis Paris

Es ist ein schmerz­hafter Film, der es in Sekunden, in Blicken, in dem (Nicht-)Öffnen eines Fensters schafft, die Entmensch­li­chung, die an europäi­schen, hier fran­zö­si­schen, Migra­ti­ons­behörden statt­findet, erfahrbar zu machen. Neben der Behand­lung der Asyl­su­chenden als subhumane Akten­zei­chen, wird auch die Prot­ago­nistin, eine Über­set­zerin bei Abschie­bungs­ver­fahren, rein als ein neutrales »Gerät« behandelt. Eindrucks­volle Groß­auf­nahmen kontras­tieren die Emotionen in den Gesich­tern der Anwe­senden mit der entwür­di­genden, gewalt­vollen Kälte der Beam­tinnen – stets junge, weiße Frauen, die schluss­end­lich die Entschei­dungs­ge­walt über den Wert dieser Leben haben. In den empa­thi­schen Akten der tief bewegend gespielten Prot­ago­nistin zeigt sich die Zerris­sen­heit zwischen der Mensch­lich­keit des Indi­vi­duums und dem Käfig der stäh­lernen und brutalen Macht der Büro­kratie. – Lee Rede­pen­ning

Eine Koope­ra­tion mit der Ludwig-Maxi­mi­lians-Univer­sität München.