Das Festival der großen Filme |
![]() |
|
Alice Rohrwachers La Chimera | ||
(Foto: Piffl) |
Von Dunja Bialas
In vierzehn Filmen um die Welt – 2006 hatte der Filmfest-München-Mitarbeiter und Kurator Bernhard Karl die Idee, die besten und spannendsten Filme der Welt gebündelt in einem eigenen Festival zu zeigen. Gesammelt hat er sie auf seinen Reisen zu den internationalen A-Festivals, und es waren sicherlich mehr als nur vierzehn, die er dort jährlich sah. Karl hatte die Idee, Paten die Filme vorstellen zu lassen. So würden sie nicht monströs als Best-of oder gar Meisterwerke auf das Kinopublikum einprasseln, sondern könnten auf Augenhöhe in ihrer kinematographischen Besonderheit vorgestellt werden. Und damit als Teil einer neu anbrechenden, auf die Zukunft gerichteten Filmgeschichte. Ein Festival war geboren.
Siebzehn Jahre lang war es allein den Berlinern vergönnt, im Dezember zum Abschluss des Kinojahrs das Feuerwerk an hochgradigen Filmen zu erleben – bis Bernhard Karl, gebürtiger Münchner, an seine Heimat dachte. Und nun ist zum ersten Mal sein umfangreiches (und vierzehn Filme übersteigendes) Festival auch in München zu sehen, allerdings vorerst noch ohne Filmpaten.
In Berlin funktioniert das laut Karl mit wenigen Mitteln aufgestellte Festival in enger Zusammenarbeit mit dem World Cinema Fund der Berlinale. Eine Kooperation mit den Yorck-Kinos erleichtert außerdem das Abspielen der teuren Werke. In München hat Bernhard Karl mit den ebenfalls zu den Yorck-Kinos gehörenden, dennoch eigenständig operierenden City-Kinos eine adäquate Abspielstätte gefunden, wo er seit vergangenem Montag und noch bis kommenden Samstag insgesamt zwanzig Filme zeigt. Wer jetzt in Panik verfällt, auch weil er viel verpasst hat, dem sei tröstend gesagt: Fast alle Filme werden demnächst auch im regulären Kinoprogramm zu sehen sein.
Vorausschauen lohnt aber unbedingt. Gleich am heutigen Donnerstag läuft Alice Rohrwachers La Chimera, in dem sie von Grabräubern erzählt, die sich in den Achtzigerjahren in der Toskana über die Schätze der Etrusker hermachen. Es geht, wie oft bei Rohrwacher, auch um eine nostalgisch gemeinte, aber nie überhöhte Italianità, der sie mit analogem Filmmaterial und tiefem Humanismus ein Denkmal setzt. Während die Grabräuber dem Reichtum hinterherjagen, sucht der sie begleitende Archäologe seine verstorbene Geliebte. Wer oder was ist wohl die titelgebende Schimäre?
Wie La Chimera war auch Olfas Töchter in Cannes im Wettbewerb zu sehen und sorgte dort für einiges Aufsehen. Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Haia (Der Mann, der seine Haut verkaufte) kreiert aus einer minimalistischen Laborsituation einen intensiven Erinnerungsfilm: Vier Schwestern rekonstruieren ihr Aufwachsen mit der alleinerziehenden Mutter Olfa, Schauspielerinnen übernehmen, wenn die Wahrheit über das Vergangene zu weh tut. Warum hat die Mutter ihre Töchter immer wieder geschlagen, einmal gar die Älteste mit dem Besen verprügelt, weil sie im Gothic-Look herumlief? Der Islam und seine Codes sollten nach dem Vorfall die traditionsbewusste Mutter ärgern, waren nicht ernst gemeintes Updressing. Irgendwann aber wurde daraus eine fanatische Obsession: Die ältesten Schwestern schlossen sich dem IS an und verschwanden spurlos. Ein Grenzen auslotender Dokumentarfilm über ein familiäres Trauma.
Direkt aus der Münchner Filmhochschule stammt das stark betitelte »genre-bending documentary« Life Is Not a Competition, But I’m Winning, was durchaus als Credo für Julia Fuhr Mann gelten kann. Ihr HFF-Abschlussfilm hatte Weltpremiere in der Settimana della Critica von Venedig und handelt von den übersehenen, gefoulten und ausgegrenzten Sportikon*innen der Geschichte. Eine Spielhandlung wird mit Archivmaterial von Sportlerinnen montiert, die wegen ihres Geschlechts am Gewinnen gehindert wurden. Disqualifiziert, umoperiert und ausgegrenzt ist der horrifizierende Dreiklang, hinter dem sich die Schicksale verbergen. Julia Fuhr Mann will mit ihrem Film für Aufklärung sorgen, die History als Queer-Story neu schreiben und vor allem aber auch eine andere Zukunft denken. Adäquat zum Plädoyer für das dritte Geschlecht inszeniert sich der Film als drittes Genre – und siedelt sich gekonnt zwischen dem Dokumentar-, Essay- und Spielfilm an.
Wer Genre lieber eindeutig gefasst haben will, findet bei »14 Films« mit Only the River Flows des Chinesen Wei Shujun einen sehr männlichen Neo noir, der in den Neunzigerjahren spielt. Demgemäß spielen Musikkassetten, Femmes fatales und Inspektoren tragende Rollen. Der Film sorgte im Arthouse-überlasteten Cannes für große Begeisterung. Gedreht auf 16mm ist er sogar in der Materialwahl eine Feier eines fast verschwundenen Kinos.
Around the World in 14 Films Station in München
11.-16.12.2023
City-Kinos