Jahresrückblick: Flops und Tops 2023 |
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Die beste Schauspielerin des Jahres im besten Film des Jahres: Sandra Hüller in Anatomie eines Falls | ||
(Foto: Plaion Pictures) |
Von Dunja Bialas
Future is not now: Schon jetzt ist das Zukunftskonzept des Auswärtigen Amts ein Flop. Im »strategischen Dialog« wurde im September im Zuge der »umfassenden Transformation« des Goethe-Instituts die Filmfestivalförderung abgeschafft, die gerade erst aus der Zuständigkeit des Auswärtigen Amts an das Goethe-Institut übertragen worden war. Geopfert wurde die auch für kleinere Budgets gedachte »de+-Förderung« von Festivals mit internationaler Ausrichtung. De facto wird damit vom Auswärtigen Amt der kulturelle Austausch erschwert, eine Tradition, die seit Gründung der Filmfestivals in der Nachkriegszeit ein wichtiger Bestandteil der internationalen und interkulturellen Völkerverständigung war. Nota bene: Internationale Kulturprogramme anderer Sparten, die vom Auswärtigen Amt nicht an das Goethe-Institut übergegangen waren, sind von der Streichung nicht betroffen. Filmfestivals können der deutschen Regierung kaum viel wert sein.
Auch im »ressortabgestimmten Referentenentwurf« zur Novellierung des seit 1967 bestehenden und seitdem kontinuierlich geänderten Filmförderungsgesetzes (FFG) finden Filmfestivals keine Erwähnung. Die AG Filmfestival wies im Juni in einem Brandbrief darauf hin, dass Filmfestivals in den letzten 20 Jahren »zu einem wesentlichen Faktor in der Wahrnehmungsökonomie und somit festem Bestandteil der Verwertungskette von Filmen« geworden seien und damit Gegenstand des zum 1.1.2024 zu novellierenden FFG sein sollten. Zu erinnern ist bei diesem politischen Versagen auch an das Credo des Koalitionsvertrags und an den damit verbundenen Auftrag an die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Kinos und Festivals »verlässlich« zu fördern.
Das Mitglied der Findungskommission Mariette Rissenbeek hat sich noch 2019 als Nachfolgerin für den langjährigen Festival-Direktor Dieter Kosslick selbst gefunden. Ende März gab sie bekannt, ihren Vertrag als geschäftsführende Berlinale-Chefin aus Altersgründen nicht zu verlängern, wodurch auch der künstlerische Co-Leiter Carlo Chatrian von der Fliehkraft des angestoßenen Personalkarussells erfasst wurde: Kulturstaatsministerin Claudia Roth fand das Ein-Personen-Modell à la Kosslick doch wieder zukunftsträchtig für die Berlinale, weshalb Chatrian keine Möglichkeiten mehr für sich beim deutschen A-Festival sah. Seine Personalie scheint aber ohnehin nur als Interimslösung geplant zu sein, muss man doch davon ausgehen, dass Rissenbeek bei Vertragsabschluss sehr wohl wusste, wie alt sie im Jahre 2024 sein werde – und sich trotzdem »finden« ließ.
Auch 2023 ging ein auf der Berlinale ausgezeichneter deutscher Spielfilm ohne BKM-Verleihförderung in die deutschen Kinos. Selbst wenn man die Filme von Angela Schanelec und insbesondere den betroffenen Music für Kassengift hält, muss man zugeben, dass hier ein Systemfehler vorliegt: Zunächst wird der Film mit öffentlichen Geldern gefördert (Darlehensprinzip), dann läuft er auf der mit knapp 11 Millionen Euro aus BKM-Mitteln geförderten Berlinale und gewinnt dort den Silbernen Bären. Der nicht dotierte Preis soll Ruhm für Folgeeinladungen und -gelder anziehen. Anders im Hause Roth: Die BKM-Jury überging den Film bei der Verleihförderung. Sie hatten den Film nicht verstanden, wurde kolportiert. Music floppte mit knapp 5000 Zuschauern an der Kinokasse. Was sind der BKM wohl ihre künstlerischen Filme wert?
Manchmal ist mehr Geld aber auch nicht gut. Die kulturelle Verleihförderung der BKM ist seit Juli auch für größere Projekte geöffnet. Die Obergrenze für die maximale Förderhöhe ist von 50.000 Euro auf 150.000 Euro angehoben, die Begrenzung auf 40 Kopien bei Kinostart entfällt. Klingt doch erst einmal gut, oder? De facto wird damit die kulturelle Verleihförderung auch für besser ausgestatteten Arthouse-Mainstream geöffnet. Die FFA wird damit in diesem Sektor entlastet und kann sich nun auf die deutschen Blockbuster konzentrieren. Zur auswertenden Wiedervorlage im nächsten Jahr.
Die fürs erste Halbjahr vorliegende Kinobilanz verzeichnet mit 45,2 Millionen Tickets einen Anstieg von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Maßgeblich beteiligt waren Avatar: The Way of Water (5,7 Mio.), Der Super Mario Bros. Film (5), John Wick: Kapitel 4 (1,7). Mit Manta Manta – Zwoter Teil (1,1) und Sonne und Beton (1,1) konnten auch zwei deutsche Blockbuster unter den Top Ten mitspielen. Den Barbenheimer-Effekt gab es erst im zweiten Halbjahr, zu dem noch keine Zahlen vorliegen. Jetzt schon aber ist bekannt: Allein der Doppel-Wumms bringt 10 Millionen Zuschauer, davon 5,9 Mio. von Barbie und 4,1 Mio. von Oppenheimer. Ein Kinobetreiber warnt trotzdem vor allzuviel Euphorie : Der Barbenheimer-Effekt verfälsche seiner Einschätzung nach die Jahresbilanz und verstelle den Blick darauf, dass die Kinos nach wie vor am Kämpfen sind. Zur Wiedervorlage nach Veröffentlichung der Jahres-Kinobesuchszahlen.
Die zurückhaltend und nuanciert spielende Sandra Hüller ist die Antithese zur komödiantisch aufgedrehten Margot Robbie (Barbie), verpasst dem Kino aber trotzdem eine ordentliche Vitalspritze. Knapp 200.000 Leute sahen Anatomie eines Falls – der für Viele beste Film des Jahres hat der deutschen Schauspielerin eine Golden-Globe-Nominierung eingebracht. Auch nächstes Jahr geht der Sandra-Hüller-Boom weiter: Jonathan Glazers The Zone of Interest kommt am 29.2. in die deutschen Kinos. Der Film steht auf der Shortlist für den Auslands-Oscar und ist für drei Golden Globes nominiert.
Auf Oscar-Kurs ist auch der deutsche Beitrag Das Lehrerzimmer. Selbst wenn dem Film des Münchner Produzenten Ingo Fliess nicht der große Erfolg beschieden sein sollte wie dieses Jahr der Netflix-Produktion Im Westen nichts Neues, folgt der im Academy-Format gedrehte Film dem Trend der medialen Nostalgie. Dazu gehört auch das Drehen auf Kodak-Filmmaterial: The Old Oak (Ken Loach), Asteroid City (Wes Anderson), Fallende Blätter (Aki Kaurismäki), Past Lives (Celine Song), Killers of the Flower Moon (Martin Scorsese), Oppenheimer (Christopher Nolan) und Maestro (Bradley Cooper) sind auf 35mm gedreht. Christopher Nolan brachte Oppenheimer sogar auf 70mm heraus. Der Zelluloid-Boom geht nächstes Jahr weiter: Yorgos Lanthimos (Poor Things) und Andrew Haigh (All of Us Strangers) drehten ebenfalls auf Kodak. Zelluloid ist jetzt sogar auch ohne belichtetes Filmmaterial angesagt: Sofia Coppola wollte Priscilla auf analogem Material drehen, das aber gab das Budget nicht her. Als Trost bringt sie den digitalen Film jetzt als 35mm-Kopie in ausgewählte Kinos.
Filme wie früher kamen dieses Jahr geballt auf die Leinwand – die neue Zuschauer-Generation konnte mit Killers of the Flower Moon (Martin Scorsese, 81), Rapito (Marco Bellocchio, 84) und The Old Oak (Ken Loach, 87) einen hervorragenden Hattrick alter weißer Männer sehen. Nicht ganz so alt (66) ist Aki Kaurismäki, der dieses Jahr mit Fallende Blätter eine späte Fortsetzung seiner proletarischen Trilogie aus den Achtzigerjahren vorgelegt hat. Auch Wim Wenders darf mit seinen 78 Jahren in die Liga der alten Männer gerechnet werden. Obwohl er unermüdlich Film für Film vorlegt, hat man schon lange keinen so schönen Wenders mehr gesehen wie Perfect Days, der jetzt als japanischer Beitrag für den Oscar nominiert wurde. Wetten aber, dass es mit der Altherrenriege bald vorbei sein wird? Wir freuen uns schon jetzt auf das Spätwerk der Regie-Damen. Eines gibt es bereits: Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste von Margarethe von Trotta (81). Das Alterswerk der Frauen: zur Wiedervorlage im nächsten Jahrzehnt.