Cinema Moralia – Folge 313
Das Canceln canceln! |
||
Szene aus István Szabós Mephisto... | ||
(Foto: Mubi) |
»Pas de liberté pour les ennemis de la liberté.«
– Louis Antoine de Saint-Just
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass unsere These zutrifft, dass es in Deutschlands Kultur (auch im deutschen Film) ein spezielles Berlin-Problem gibt, dann ist das das neueste Kapitel im Antisemitismus-Streit, der in der deutschen Kultur seit den Hamas-Massakern vom 7. Oktober tobt.
+ + +
Was genau war geschehen? Der Berliner CDU-Kultursenator Joe Chialo – »Kunst ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält« – hatte am vergangenen Donnerstag verkündet, dass öffentliche Kultur-Zuwendungen zukünftig an die Bedingung geknüpft werden sollen, dass Geförderte einer sogenannten Antidiskriminierungsklausel zustimmen. Chialo wurde in der Mitteilung seines Hauses mit der Aussage zitiert, Kulturinstitutionen wie Förderstellen trügen Verantwortung dafür, »dass mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden«.
In vielen Medien und quer durch die politischen Lager wurde diese Nachricht begrüßt und offenbar als notwendig empfunden. Es geht um einen Weg, um den Antisemitismus in der Kunst und unter vielen Berliner Künstlern zu beseitigen.
Die TAZ kommentierte glasklar: »Der Berliner Senat will Förderungen in Zukunft an ein Bekenntnis zur
IHRA-Antisemitismusdefinition knüpfen. Das ist unbedingt notwendig.«
Er sei gegen diejenigen Berliner Kulturschaffenden gerichtet, »die weiterhin Israel kritisieren wollen, ohne sich Antisemiten schimpfen lassen zu müssen.« Es fehlten dieser angstbesessenen Linken »selbstkritische Positionen zu den regressiven und judenfeindlichen Tendenzen der Berliner Kulturszene oder ein klares Bekenntnis dazu, dass Israel ebenso existieren darf wie jedes andere Land.«
In der ZEIT hieß es zu den Protestbriefen, die reflexartig und reflexartig anonym am Tag danach zu lesen waren: »Der Inhalt des offenen Briefs spiegelt auf geradezu prototypische Weise eine Seite der aktuellen Debatte in der deutschen Kulturszene um den Terrorangriff der Hamas auf Israel und den darauf begonnenen Krieg im Gazastreifen wider. Es ist die zumeist israelkritische Seite, die im aktuellen Diskurs über Silencing klagt und zu der auch manche linke Jüdinnen und Juden gehören, die sich nun verstärkt Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt sehen. ... Und schließlich zeigt [der Brief] am Beispiel Berlins, in welchem geradezu unauflösbaren Konflikt sich deutsche Kulturpolitik, Kulturinstitutionen und weite Teile der Kunst- und Kulturszene in Bezug auf Antisemitismus derzeit befinden. Man ist einander offenkundig in tiefem Misstrauen verbunden.«
+ + +
Klar ist: Es geht in dem Aufruf gar nicht primär darum, etwas zu bekämpfen. Denn man kann Antisemitismus, Israelfeindschaft, Rechtsextremismus und Linksfaschismus nicht abschaffen. Man kann aber, wenn man denn will, dafür sorgen, dass sie öffentlich nicht stattfinden. Man kann damit auch dafür sorgen, dass der soziale Druck wegfällt, aufgrund dessen manche Leute überhaupt erst BDS-Aufrufe unterschreiben – um ihren Freunden oder ihrer Berliner Arbeits-Bubble zu
gefallen.
Es ist dabei schon bemerkenswert, wie plötzlich die Anwältinnen der Cancel Culture hochempfindlich reagieren, weil man Antisemitismus canceln möchte.
Zugleich liegen die Dinge natürlich wieder einmal komplizierter, als sie sich in den allzu bekannten Schwarz-Weiß-Positionen widerspiegeln lassen.
Weder ist das Vorhaben des CDU-Senators vollkommen unproblematisch, noch die Kritik daran. Die Kern-Frage der »Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit« und der Realgehalt hinter der Formel von der »wehrhaften Demokratie« ist allerdings auch für die deutsche Filmszene zentral. Kann man die Freiheit dadurch schützen, dass man
den Freiheitsgegnern Raum gibt? Oder muss man ihnen die Freiheit nehmen? Das ist das Kerndilemma moderner Demokratien – schon vor der Entstehung der postmodernen Rechtsextremisten aka AfD.
+ + +
Exkurs: Es war ein nachdenklicher, aber auch ein glanzvoller Abend am Dienstag in der Berliner Akademie der Künste: Der ungarische Regisseur Istvan Szabo, der fließend deutsch sprechend, auf der Bühne der Akademie im Gespräch mit dem Filmhistoriker Ulrich Gregor zu hören war, wurde in den 1980er Jahren weltberühmt durch seine Trilogie über Geburt und Folgen des
europäischen Faschismus: Drei Filme in denen der Österreicher Klaus-Maria Brandauer jeweils die Hauptrolle spielte: Mephisto von 1981 nach Klaus Manns Roman, über einen opportunistischen Künstler, Oberst Redl von 1985, über einen verschlossenen schwulen Offizier inmitten des Untergangs der
österreichisch-ungarischen Monarchie und Hanussen von 1988, über einen jüdischen Hellseher und Hypnotiseur, der für Hitlers Propagandamaschine vereinnahmt wird – sie erzählen in drei Varianten die uralte Geschichte vom Teufelspakt.
»Mephisto« gewann den Oscar. Die anderen Filme bekamen Oscarnominierungen und zwei silberne Palmen in Cannes. In seinem neuesten Film
»Abschlussbericht« von 2020 erzählt Szabó die Geschichte eines Professors, der in sein altes Heimatdorf zurückkehrt. Dort stößt er auf ein Klima der Unterwürfigkeit, der Verdächtigungen und der Manipulation, das Szabo als ein Psychogramm des gegenwärtigen Ungarn offenlegt.
Zugleich will Szabo eine universale Geschichte erzählen über die Geburt des Faschismus, über Macht und Korruption und die Dilemmata von Außenseitern.
Der eigentliche Anlass des Berliner Abends war die Übergabe von Teilen von Szabos Archivs an die Akademie der Künste.
Szabos Filmporträts, denen er auch noch 1999 die Familiengeschichte Sunshine – Ein Hauch von Sonnenschein hinzufügte, erzählen auf kluge Weise von den Dilemmata von Außenseitern, die zugleich Züge eines Hochstaplers haben: Juden, Schwule, Bisexuelle, Esoteriker. Sie werden den Diktatoren zu Sündenböcken. Szabó macht die Geschichte des Teufelspakts im Wesentlichen zu
einer tragischen Geschichte menschlicher Unechtheit, indem er den immensen Druck dokumentiert, der auf den Einzelnen ausgeübt wird, und ihn zwingt ihre angeborene Freiheit zu verleugnen, opportunistisch zu sein oder böse, kriecherisch zu werden, sein wahres Selbst zu verschleiern.
Wie Hendrik Höfgen in Mephisto hat auch Oberst Redl sein Leben schon verloren, bevor es zu Ende ist, denn
sein Status wird nur durch Verleugnung und Leistung erreicht.
Dieses Werk hat nun seinen dauerhaften Ort an der Akademie der Künste in Berlin. Ein Geschenk für Deutschland.
+ + +
Denn darum geht es: Wie sichern wir unsere freiheitlichen Verhältnisse, wie sorgen wir dafür, dass nicht die Feinde der Demokratie den Laden übernehmen – in der einen oder anderen Form? Das ist keine Panikmache, denn man kann einen Republik auch zerstören, ohne mitzuregieren.
Dass unsere Medien – leider auch die öffentlich-rechtlichen – in ihrer derzeitigen, allein an kurzfristiger Aufmerksamkeit und Verkäufen aka »Quote« orientierten Berichterstattungsstruktur an der Zerstörung mancher Grundlagen kräftig mitwerkeln, ist nicht zu übersehen: Talkshows haben die AfD erst aufgebaut, indem sie ihren »Argumenten« ohne Faktenchecks Raum boten. Rankings, die wie in einer Bestsellerliste monatlich die augenblickliche Popularität von Politikern auflisten, als sei das ein Qualitätskriterium oder auch nur »eine Nachricht« sind ein weiteres Beispiel. Die Verwendung von Meinungsumfragen als Argument, als gehe es in der Politik darum, augenblicklich Zustimmung und jederzeit breite Mehrheiten zu finden, und nicht darum zu überzeugen und auch gegen Widerstände das Richtige zu tun, ein drittes.
Solche Überlegungen sind wichtig, denn das Beschriebene hat seinen Anteil. Man kann sie anstellen, wie viele andere – etwa zu Sinn und Unsinn öffentlicher Protestformen und zum Gebrauch von Begriffen wie »Widerstand«, ob bei den augenblicklichen Bauernprotesten, aber auch bei den »Fridays for Future« oder Corona.
+ + +
Hier aber – zurück zur Antisemitismusklausel – geht es um einen anderen Aspekt des selben Problemfelds: Die Mehrheit der Kunst- und auch der Filmszene ist ihrem Selbstverständnis nach »links« oder »linksliberal«. Diese Begriffe bedeuten für die, die sie gebrauchen, allerdings etwas sehr Verschiedenes. Darüber kann und darf man streiten.
Nicht streiten darf man allerdings darüber, dass Menschenverachtung, Antisemitismus und Rassismus inakzeptabel sind.
Sie sind eben keine »Meinung«.
Was ich allerdings schon seit längerer Zeit insbesondere in Berlin beobachte – auch wohl, weil Berlin ein internationalerer Ort ist, der von internationalen Debatten, vor allem aus dem angelsächsischen Raum intensiver geprägt wird, als der Rest der Republik –, ist dass die verschiedenen Gruppen dieser Linken große Energie und geistig-politischen Aufwand darauf verwenden, sich miteinander zu streiten, und wenig Energie und geistig-politischen Aufwand darauf, den Gegner zu bekämpfen. Dieser Gegner, die Rechte, macht es umgekehrt. Kein neues Phänomen.
Schuld an dieser falschen Ausrichtung sind zwei Phänomene, die Sozialwissenschaftler schon lange beschreiben: Die auch an diesem Ort öfters kritisierte Identitätspolitik. Und das was man Kulturalisierung nennt: Die Verlagerung politischer und ökonomischer Konflikte in Fragen von Lebensstil und Weltanschauung und auf das Feld der Kunst.
Beides sind Phänomene der Postmoderne und ihres naiven Angriffs auf das Projekt der Moderne.
+ + +
Identitätspolitik und Kulturalisierung haben viele Aspekte, die zusammengenommen eine Gefahr für die Demokratie sind. Ich kann diese Behauptung jetzt hier nicht im Einzelnen gut begründen – ein andermal! –, darum muss sie These bleiben.
Aus ihr folgen aber all jene Schritte der Gesellschafts- und Kulturpolitik der letzten Jahre, die gemeinsam haben, Identitätspolitik und Kulturalisierung zu bekämpfen und nicht weniger, als eine Neuausrichtung der Kultur einzuleiten. Um zu zeigen, warum sie notwendig sind, dazu kann man auf den Antisemitismuseklat der letzten documenta verweisen, auf die schändlichen Shoa-Relativierungs-Tagung »Hijacking Memory« im Berliner HKW, der Erfolg der antijüdischen BDS-Propaganda unter deutschen Kulturschaffenden. Wir können froh sein, dass es bislang noch keinen Antisemtitismuseklat im deutschen Film gegeben hat.
Einer dieser Schritte ist die Antisemitismusklausel des Berliner Senats. Sie steht keineswegs allein, sondern bewegt sich im Rahmen der – allerdings nicht immer so konkret formulierten – Schritte anderer Bundesländer: Es sind in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen jeweils schwarz-grüne Regierungen. Aber man kann sicher sein, dass weitere Landesregierungen bald folgen werden.
+ + +
Derartige Klauseln sind auch, das darf dabei nicht vergessen werden, eine Gegenmaßnahme gegen Einschüchterungsversuche die von Palästina-freundlicher und Hamas-verstehenden Seite kommen.
Worum es geht, und womit man es hier zu tun hat, das kann man Nicht-Berlinern am besten deutlich machen, indem man auf die Vorgänge an der UdK verweist, die wir hier bereits beschrieben haben. Sie sind aber kein Einzelfall.
Nehmen wir die Berliner Akademie der Künste (AdK): Kurz vor Weihnachten sah sich die AdK-Präsidentin, die Filmregisseurin Jeanine Meerapfel, gezwungen, die Kunstfreiheit an der
Akademie gegen haltlose Angriffen durch einzelne israelfeindliche, antisemitische Künstler, etwa die Südafrikanerin Candice Breitz, zu verteidigen und klarzustellen: »Es ist in meinen Augen richtig, dass der Staat kein Geld für Veranstaltungen gibt, die die BDS-Bewegung oder deren Ziele aktiv unterstützen, die also gegen die Existenz Israels gerichtet
sind.«
Meerapfel sieht die Verwahrlosung der politischen Debatte und beschreibt die derzeitige Situation so: »Kaum macht man den Mund auf, wird man einem Lager zugeteilt. Da ist ein wildes Streitbedürfnis entstanden, mit dem irgendwelche
Emotionen bewältigt werden sollen.«
Die Mehrheit der Kunstszene praktiziert zugleich eher Opportunismus: Kein Fingerbreit dem Antisemitismus, aber bitte niemanden ausladen.
Weitere ähnliche Debatten stehen uns bevor. Sie beginnen erst. Sie werden nicht nur um Antisemitismus kreisen, um Kunstfreiheit, sondern auch um Diversität, Gleichstellung und Inklusion, um gute Ideen, die die Verhältnisse besser machen sollten, aber jetzt Unfreiheit und Ungerechtigkeit befördern und die demokratischen Gesellschaft auseinanderreißen.
Längst tobt um diese Themen in anderen Ländern ein Kulturkampf. Er erreicht uns jetzt.
+ + +
Auffallend ist in dem sich nun regenden Widerstand gegen derartige Positionen und gegen die Antisemitismusklausel ist genau diese Eskalationslust und die durchdrehende Rhetorik. Filmemacherinnen mit ostdeutscher Vergangenheit erklären mir im Gespräch ohne Ironie: »Wir leben in einer neuen DDR« und behaupten »Dafür sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen.«
Aber nicht alles ist gleich ein »Bekenntniszwang«. Meiner Ansicht nach sollte ein Bekenntnis gegen Antisemitismus allerdings selbstverständlich sein, und da ist ja ein mehrfachen aktuellen Hintergrund gibt, ist so etwas vielleicht auch nötig. Wir erwarten auch, dass die Leute für Demokratie eintreten und für Menschenrechte. Die Frage ist ob Antisemitismus darunter fällt. Für manche offenbar nicht.
Im Übrigen geht es hier nur darum, unter welchen Bedingungen öffentliche Gelder vergeben werden – es geht in keiner Weise darum, irgendwem persönliche Meinungen vorzuschreiben. Auch diese Behauptung ist zwei Gänge zu hoch geschaltet. Kunstfreiheit ist ebenso gesichert wie Meinungsfreiheit. Aber es gibt keinen Anspruch aller Künstler auf öffentliche Gelder ohne jede Bedingung. Wenn wir seit langem Gelder vergeben unter der Bedingung, dass die Leute gerecht bezahlt werden, Arbeitszeiten einhalten und grün produzieren, dann können wir doch vielleicht auch Gelder vergeben unter der Bedingung, dass man sich gegen Antisemiten positioniert.
+ + +
Man muss aber, unter den derzeitigen gegebenen Umständen noch einen Schritt weiter gehen.
Nach 1945 gab es mit guten Gründen eine Entnazifizierung nicht nur des Kulturbetriebs, sondern der ganzen deutschen Gesellschaft. und Reeducation. Das war gut so, und die zwingende Voraussetzung dafür, dass auf deutschem Boden unter post-nazi-Verhältnissen überhaupt Freiheit und offene Gesellschaft wieder möglich waren.
Daran sollten und müssen wir uns jetzt ein Beispiel nehmen.
Diesmal ist der Anlass schrecklich genug, aber glücklicherweise nicht so schrecklich wie 1945. Diesmal haben wir aber auch keinen Befreier, die uns besetzten und mit Zwang nachhalfen, wo das zwanglose Argument nicht genügte.
Diesmal müssen wir es selber machen. Aber wir brauchen eine Reeducation und Ent-Hamasifizierung des Kulturbetriebs und größerer Teile der deutschen Gesellschaft.
+ + +
Es ist eine paradoxe Bwegung: Wir müssen das canceln canceln. Das ist nicht anders als die paradoxe Bewegung, Krieg zu führen um Kriege zu verhindern, und Freiheit einzuschränken um sie zu sichern. Es ist die Praxis des berühmten Böckenförde-Dilemmas: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.«
Genau darum müssen wir sie garantieren.