29.02.2024
Wo Pommes???

Wo Pommes ???

Wir waren Kumpel
Auf der Zeche
(Foto: Filmperlen)

Zu Wir waren Kumpel von Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek

Von Nora Moschuering

Der Februar ist glamourös, gar nicht typisch für die soliden Pommes, aber wahr­schein­lich schwappt das Berlinale-Gefühl in den Süden rüber oder, im Fall von Wir waren Kumpel, in den Westen, ins Ruhr­ge­biet. Nun also auf den roten Teppich mit ihnen, als Bild freilich für Aufmerk­sam­keit, ich komme damit auf meinen letzten Text zurück und die Frage danach »Wen wir sehen wollen«. Vieles natürlich. Unter­schied­li­ches, das ist es, was der Film kann: Verschie­denen Menschen und ihren Lebens­wirk­lich­keiten Zeit widmen, ihrer Komple­xität und Viel­schich­tig­keit, und damit unter­scheidet er sich vom Netz und seinen Influencer*innen, seiner Show und seinen affi­zie­renden Kurz-Dramen. Das gilt besonders für den Doku­men­tar­film, er kann eintau­chen in reale Lebens­wirk­lich­keiten und damit im besten Fall für Kommu­ni­ka­tion, Austausch und Vers­tändnis sorgen, also für vieles von dem, was ich mir in den 90ern durch das Internet erhofft habe, siehe P.S. des letzten Textes. Wir waren Kumpel macht genau das.

2018: 5 Kumpel an ihren letzten Arbeits­tagen in der Zeche, der letzten deutschen Stein­koh­le­zeche in Betrieb, die bald still­ge­legt wird. Wir begleiten die fünf in den Jahren danach. Was passiert mit dem eigenen Selbst­ver­s­tändnis, wenn die Arbeit, die man 20 bis 30 Jahre gemacht hat, zu Ende ist. Arbeit spielt eine Rolle, ihre Bedeutung für den Alltag, die Familie, Freund­schaft, aber daneben auch die Herkunft, der Weg in die Zeche und die Suche nach neuen Betä­ti­gungs­fel­dern, beruf­li­chen und privaten.

Da sind Locke und Langer (Wolfgang Herrmann und Marco Edelmann), die eine Fahr­ge­mein­schaft bilden. Sie stehen vor Sonnen­auf­gang auf und treffen sich auf einem Parkplatz, um gemeinsam in der Morgen­däm­me­rung zur Schicht zu fahren. Wir beob­achten das liebe­volle Genervt­sein alter Bekannter, auf den Rücken klopfen, die Nähe, die entstanden ist, weil man über Jahre mitein­ander unter widrigen Bedin­gungen gear­beitet hat, sich aufein­ander verlassen kann, einander die Kohle­reste vom Rücken geschrubbt hat ... gute Freunde, die die Arbeit zusam­men­ge­bracht hat. Beide wissen, dass der Tag näher rückt, an dem die Zeche geschlossen wird, aber: »Das Leben geht weiter!« Ganz praktisch, erst mal scheinbar ganz unsen­ti­mental. Es ist ja auch nichts Plötz­li­ches, es ist etwas, das schon als eine Art voraus­ei­lender Nostalgie-Schatten über ihnen liegt. Locke und Langer arbeiten unter Tage, sie liegen auf der Kohle, die auf dem Förder­band trans­por­tiert wird, durch schmale, dunkle Gänge. In Essen, Bochum, Duisburg überall kann man mitt­ler­weile die Geräte sehen, still­ge­legt, hier laufen sie noch: Förder­bänder, Bagger, Bohrer, Schaber. Es ist schön, dass man den Menschen lange zusehen kann, dass man Zeit bekommt, noch mal mitzu­gehen, in ein leben­diges Unter-und-über-Tage. Das sind beein­dru­ckende und fast epische Bilder, während man die Geschichten der einzelnen Kumpel kennen­lernt.

Über Tage fährt Kiri (Kiris­h­anthan Nadarajah), der vor über 20 Jahren aus Sri Lanka gekommen ist, die riesige Werkslok. Auch hier wieder Schienen, Güter­wag­gons und die Lok, die Kiri steuert. In der Pause sieht man ihn und die anderen Kumpels zu Mittag essen, Witze machen, über die Jahre reden und dabei schwarzen Kaffee trinken. Dann ist da Thomas (Thomas Hagedorn), der über Tage putzt, die Dusch­ka­binen, mit seinem Kollegen, wie sie die Besucher*innen ausrüsten, die unter Tage fahren und ihnen den Nutzen der Stahl­kappen erklären. Und Martina (Martina Klimatzki), eine Transfrau und Deutsch­lands einzige Frau, die unter Tage gear­beitet hat, wie sie stolz erklärt, die durch die Tunnel fährt und erzählt, wie sie ihre Arbeit begonnen hat, wie ihr mit der Zeit immer klarer wurde, dass sie eine Tran­si­tion möchte, aber dass das nichts an ihrer Verbun­den­heit zu ihrer Arbeit geändert hat.

Dann stoppen die Förder­bänder, der Stein­koh­le­bergbau in Deutsch­land endet hier ... aber nicht das Leben der Arbei­tenden. Kiri verab­schiedet sich von der Lok, er spricht seine Gedanken in sein Handy, beschreibt, was in ihm vorgeht: Man weiß nicht mehr, wo man hingehört. Er ist stolz auf seine Arbeit. Langer steckt seine Kleidung in einen Sack und zieht sie nicht mehr in der Kaue an den Ketten nach oben. Langer und Locke seifen sich ein letztes Mal richtig ein und schrubben sich das Schwarz von den Körpern. Die Zeche wird abge­rissen und die 5 müssen raus, raus aus dem Arbeits­alltag, raus und was Neues suchen.

Thomas, lebt mit seiner Mutter zusammen, die ihm freund­lich aber bestimmt erklärt, wie man abstaubt, und mit der er gemeinsam Hack­bäll­chen vor dem Fernseher isst. Thomas wagt sich ans Kochen, aber nicht so sehr an einen neuen Job. Langer wird Busfahrer, weil: Das macht Sinn, die Kinder müssen doch zur Schule. Martina zieht um, sie findet Arbeit im Salz­bergbau und sucht nach einer Partnerin. Locke sucht nach einem Lebens­sinn und er vermisst Langer. Freund­schaft und wie man sie ohne die Verbun­den­heit durch die Arbeit weiter am Leben erhalten kann, spielt für ihn eine große Rolle. Kiri hat über einen Herz­in­farkt drüber gear­beitet, ihn gar nicht mitbe­kommen. Aber das sind nur die Eckpunkte, der Film begleitet alle seine Prot­ago­nist*innen liebevoll auf ihrem Weg, und über die Zeit kommt man ihnen und auch ihren Familien immer näher. Das erinnert ein bisschen an Nikolaus Geyr­hal­ters groß­ar­tigen Über die Jahre, nur dass im Ruhr­ge­biet mehr Möglich­keiten zum Weiter­ma­chen bestehen als im Wald­viertel.

Außerdem treffen die verschie­denen Gene­ra­tionen aufein­ander, die jugend­li­chen Kinder von Langer und Locke, so etwa wie die rauchenden Schlote der Verbren­nungs­in­dus­trien auf der einen Seite der Autobahn und die Windräder auf der anderen, aber mit Vers­tändnis. Auch die anderen Prot­ago­nist*innen zeigen, dass man später im Leben etwas ändern kann, auch wenn es nicht immer einfach ist und nicht allen von ihnen leicht fällt. So hat Locke zwar keinen Job, will aber reisen. Langer aber ist überzeugt: In Frank­reich sind wir verloren, da sprechen alle fran­zö­sisch und außerdem: Wer bringt die Kinder zur Schule? Langer hat zwar einen Job, aber eigent­lich hat sich nicht viel geändert. Kiri, immer fleißig und verläss­lich, erfährt, dass er seinen Körper über­for­dert hat, macht sich aber über seine Frau lustig, die offenbar im Home-Office ihrem Beruf nachgehen kann, indem sie einfach nur so »rumklickt« und er kommt gar nicht auf die Idee, dass das auch für ihn, nach seinem Herz­in­farkt, ideal sein könnte. So fällt dem einen das eine leichter und dem anderen das andere.

So geht es auch um Männer und Männer­bilder, die so unter­schied­lich sind, wie die Prot­ago­nist*innen – auch Martina hat da einiges dazu zusagen –, die sich an die Realität anpassen bzw. auf Verän­de­rungen reagieren müssen. Der Film begleitet sie alle liebevoll und beob­achtet mit Humor zwischen­mensch­liche Bezie­hungen, das Suchen, das Scheitern und das Weiter­ma­chen über Tage.

Wir waren Kumpel startet am Donnerstag in den Kinos, läuft aber auch am 08.03. um 14:00 auf der Nonfik­tio­nale, einem unbedingt empfeh­lens­werten Festivals für Doku­men­ta­ri­schen Film in Bad Aibling.