Wo Pommes???
Wo Pommes ??? |
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Auf der Zeche | ||
(Foto: Filmperlen) |
Von Nora Moschuering
Der Februar ist glamourös, gar nicht typisch für die soliden Pommes, aber wahrscheinlich schwappt das Berlinale-Gefühl in den Süden rüber oder, im Fall von Wir waren Kumpel, in den Westen, ins Ruhrgebiet. Nun also auf den roten Teppich mit ihnen, als Bild freilich für Aufmerksamkeit, ich komme damit auf meinen letzten Text zurück und die Frage danach »Wen wir sehen wollen«. Vieles natürlich. Unterschiedliches, das ist es, was der Film kann: Verschiedenen Menschen und ihren Lebenswirklichkeiten Zeit widmen, ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit, und damit unterscheidet er sich vom Netz und seinen Influencer*innen, seiner Show und seinen affizierenden Kurz-Dramen. Das gilt besonders für den Dokumentarfilm, er kann eintauchen in reale Lebenswirklichkeiten und damit im besten Fall für Kommunikation, Austausch und Verständnis sorgen, also für vieles von dem, was ich mir in den 90ern durch das Internet erhofft habe, siehe P.S. des letzten Textes. Wir waren Kumpel macht genau das.
2018: 5 Kumpel an ihren letzten Arbeitstagen in der Zeche, der letzten deutschen Steinkohlezeche in Betrieb, die bald stillgelegt wird. Wir begleiten die fünf in den Jahren danach. Was passiert mit dem eigenen Selbstverständnis, wenn die Arbeit, die man 20 bis 30 Jahre gemacht hat, zu Ende ist. Arbeit spielt eine Rolle, ihre Bedeutung für den Alltag, die Familie, Freundschaft, aber daneben auch die Herkunft, der Weg in die Zeche und die Suche nach neuen Betätigungsfeldern, beruflichen und privaten.
Da sind Locke und Langer (Wolfgang Herrmann und Marco Edelmann), die eine Fahrgemeinschaft bilden. Sie stehen vor Sonnenaufgang auf und treffen sich auf einem Parkplatz, um gemeinsam in der Morgendämmerung zur Schicht zu fahren. Wir beobachten das liebevolle Genervtsein alter Bekannter, auf den Rücken klopfen, die Nähe, die entstanden ist, weil man über Jahre miteinander unter widrigen Bedingungen gearbeitet hat, sich aufeinander verlassen kann, einander die Kohlereste vom Rücken geschrubbt hat ... gute Freunde, die die Arbeit zusammengebracht hat. Beide wissen, dass der Tag näher rückt, an dem die Zeche geschlossen wird, aber: »Das Leben geht weiter!« Ganz praktisch, erst mal scheinbar ganz unsentimental. Es ist ja auch nichts Plötzliches, es ist etwas, das schon als eine Art vorauseilender Nostalgie-Schatten über ihnen liegt. Locke und Langer arbeiten unter Tage, sie liegen auf der Kohle, die auf dem Förderband transportiert wird, durch schmale, dunkle Gänge. In Essen, Bochum, Duisburg überall kann man mittlerweile die Geräte sehen, stillgelegt, hier laufen sie noch: Förderbänder, Bagger, Bohrer, Schaber. Es ist schön, dass man den Menschen lange zusehen kann, dass man Zeit bekommt, noch mal mitzugehen, in ein lebendiges Unter-und-über-Tage. Das sind beeindruckende und fast epische Bilder, während man die Geschichten der einzelnen Kumpel kennenlernt.
Über Tage fährt Kiri (Kirishanthan Nadarajah), der vor über 20 Jahren aus Sri Lanka gekommen ist, die riesige Werkslok. Auch hier wieder Schienen, Güterwaggons und die Lok, die Kiri steuert. In der Pause sieht man ihn und die anderen Kumpels zu Mittag essen, Witze machen, über die Jahre reden und dabei schwarzen Kaffee trinken. Dann ist da Thomas (Thomas Hagedorn), der über Tage putzt, die Duschkabinen, mit seinem Kollegen, wie sie die Besucher*innen ausrüsten, die unter Tage fahren und ihnen den Nutzen der Stahlkappen erklären. Und Martina (Martina Klimatzki), eine Transfrau und Deutschlands einzige Frau, die unter Tage gearbeitet hat, wie sie stolz erklärt, die durch die Tunnel fährt und erzählt, wie sie ihre Arbeit begonnen hat, wie ihr mit der Zeit immer klarer wurde, dass sie eine Transition möchte, aber dass das nichts an ihrer Verbundenheit zu ihrer Arbeit geändert hat.
Dann stoppen die Förderbänder, der Steinkohlebergbau in Deutschland endet hier ... aber nicht das Leben der Arbeitenden. Kiri verabschiedet sich von der Lok, er spricht seine Gedanken in sein Handy, beschreibt, was in ihm vorgeht: Man weiß nicht mehr, wo man hingehört. Er ist stolz auf seine Arbeit. Langer steckt seine Kleidung in einen Sack und zieht sie nicht mehr in der Kaue an den Ketten nach oben. Langer und Locke seifen sich ein letztes Mal richtig ein und schrubben sich das Schwarz von den Körpern. Die Zeche wird abgerissen und die 5 müssen raus, raus aus dem Arbeitsalltag, raus und was Neues suchen.
Thomas, lebt mit seiner Mutter zusammen, die ihm freundlich aber bestimmt erklärt, wie man abstaubt, und mit der er gemeinsam Hackbällchen vor dem Fernseher isst. Thomas wagt sich ans Kochen, aber nicht so sehr an einen neuen Job. Langer wird Busfahrer, weil: Das macht Sinn, die Kinder müssen doch zur Schule. Martina zieht um, sie findet Arbeit im Salzbergbau und sucht nach einer Partnerin. Locke sucht nach einem Lebenssinn und er vermisst Langer. Freundschaft und wie man sie ohne die Verbundenheit durch die Arbeit weiter am Leben erhalten kann, spielt für ihn eine große Rolle. Kiri hat über einen Herzinfarkt drüber gearbeitet, ihn gar nicht mitbekommen. Aber das sind nur die Eckpunkte, der Film begleitet alle seine Protagonist*innen liebevoll auf ihrem Weg, und über die Zeit kommt man ihnen und auch ihren Familien immer näher. Das erinnert ein bisschen an Nikolaus Geyrhalters großartigen Über die Jahre, nur dass im Ruhrgebiet mehr Möglichkeiten zum Weitermachen bestehen als im Waldviertel.
Außerdem treffen die verschiedenen Generationen aufeinander, die jugendlichen Kinder von Langer und Locke, so etwa wie die rauchenden Schlote der Verbrennungsindustrien auf der einen Seite der Autobahn und die Windräder auf der anderen, aber mit Verständnis. Auch die anderen Protagonist*innen zeigen, dass man später im Leben etwas ändern kann, auch wenn es nicht immer einfach ist und nicht allen von ihnen leicht fällt. So hat Locke zwar keinen Job, will aber reisen. Langer aber ist überzeugt: In Frankreich sind wir verloren, da sprechen alle französisch und außerdem: Wer bringt die Kinder zur Schule? Langer hat zwar einen Job, aber eigentlich hat sich nicht viel geändert. Kiri, immer fleißig und verlässlich, erfährt, dass er seinen Körper überfordert hat, macht sich aber über seine Frau lustig, die offenbar im Home-Office ihrem Beruf nachgehen kann, indem sie einfach nur so »rumklickt« und er kommt gar nicht auf die Idee, dass das auch für ihn, nach seinem Herzinfarkt, ideal sein könnte. So fällt dem einen das eine leichter und dem anderen das andere.
So geht es auch um Männer und Männerbilder, die so unterschiedlich sind, wie die Protagonist*innen – auch Martina hat da einiges dazu zusagen –, die sich an die Realität anpassen bzw. auf Veränderungen reagieren müssen. Der Film begleitet sie alle liebevoll und beobachtet mit Humor zwischenmenschliche Beziehungen, das Suchen, das Scheitern und das Weitermachen über Tage.
Wir waren Kumpel startet am Donnerstag in den Kinos, läuft aber auch am 08.03. um 14:00 auf der Nonfiktionale, einem unbedingt empfehlenswerten Festivals für Dokumentarischen Film in Bad Aibling.