28.03.2024
Kinos in München – Die Betreiber von ABC und Leopold

Plötzlich Platzhirsche

Daniela Bergauer und Michael Hehl
Daniela Bergauer und Michael Hehl mit Margit Blümel, der erfahrenen Mitarbeiterin von Kuchenreuther. Sie bleibt
(Foto: artechock)

Das Kinokarussell dreht sich weiter: Das ABC und die Leopold Kinos haben mit Daniela Bergauer und Michael Hehl neue Betreiber – Portrait der Münchner Kinomacher, Teil 2

Von Dunja Bialas

Er dürfe vorab überhaupt nichts sagen, hätten ihm seine Anwälte gesagt. Erst nachdem die Unter­zeich­nung für die Übergabe vollzogen war, ging die Nachricht raus: Thomas Kuchen­reu­ther hat seine Kinos verkauft. Das ABC und die Leopold Kinos, beide in Bestlage direkt an der Münchner Freiheit, haben jetzt neue Besitzer. Der Zuschlag ging an das Kino­be­trei­ber­paar Daniela Bergauer, 41, und Michael Hehl, 38, die das Liliom-Kino in Augsburg betreiben. Für München sind die beiden Newcomer, die keiner auf dem Zettel hatte.

Der Coup

Damit ist Kuchen­reu­ther für die Kenner der Münchner Kinoszene einer der größten Coups überhaupt gelungen. Der Kino­be­treiber führte seit 1965 das Leopold-Kino, das ABC, das Kino im Olym­pia­dorf, das Fantasia, das Odyssee und die Kinos Münchner Freiheit kamen hinzu, andere Kinos wurden sogar extra für ihn gebaut, wie das Eldorado in der Sonnen­straße und das neue Leopold, das früher im heutigen Tele­kom­shop direkt an der Leopold­straße lag. Trotz dieser langen Kino­gra­phie wirkt Kuchen­reu­ther auch heute noch alterlos, in Gedanken und Taten immer umtriebig, Berg­wan­de­rungen halten ihn in Form. So wurde hinter der Hand über sein Alter gerätselt und speku­liert, wie es in seinen Kinos weiter­gehen könnte, wenn er einmal abdanken sollte. Doch niemand hat damit gerechnet, dass dies Knall auf Fall, so ganz ohne Vorwar­nung, passieren würde.

Er werde dieses Jahr achtzig, sagt er am Telefon, seine Kinos hätten eine andere Energie verdient. Er habe in den letzten Jahren auch einiges schleifen lassen, was er hätte moder­ni­sieren müssen. Daniela Bergauer und Michael Hehl: die beiden seien für ihn die perfekte Besetzung dafür. Wie Thomas Kuchen­reu­ther und seine Frau Susanne, sie haben schon mit 20 Jahren mit dem Kino­ma­chen begonnen, sind auch Daniela und Michael im echten Leben ein Paar. Die beiden hätten ihn an sie selbst erinnert, sagt Kuchen­reu­ther, und lässt wieder einmal seine roman­ti­sche Ader durch­bli­cken – ähnlich verzückt hatte er auf die neuen Thea­ti­ner­be­treiber Claire Schleeger und Bastian Hauser gesehen.

Die Kondi­tionen

Außerdem seien sie immer in seinen Kinos gewesen, wohnen beide in der Nähe von Schwabing, das Kuchen­reu­ther mit seinen Kinos – vor wenigen Jahren zählten noch die Kinos Münchner Freiheit dazu – cine­as­tisch geprägt hatte. Und auch wenn die Übernahme sehr teuer wurde, betreiben Daniela Bergauer und Michael Hehl nun zwei beliebte Licht­spiel­häuser in Bestlage, Mathias Wild von den Museum-Licht­spielen, jetzt stiller Teilhaber, hat sie dabei finanz­kräftig unter­s­tützt. Es hat sich gelohnt. Die Kinos können sich sehen lassen, erst kürzlich wurden die Leopold-Säle mit neuen Sesseln ausge­stattet, aus dem ABC hat Kuchen­reu­ther seit dem Aus seiner Kinos Münchner Freiheit ein cine­as­ti­sches Kleinod gemacht. Sie hätten von den Vermie­tern sehr gute Kondi­tionen angeboten bekommen, erzählen Hehl und Bergauer beim Treffen. Die Miet­ver­träge gehen über 20 Jahre, für das teure Leopold gilt in den ersten Jahren eine Schonzeit, bevor die reguläre Miete verlangt werde. Bergauer und Hehl gehört jetzt auch die Leopold ABC Kinos GmbH, die sie wiederum über eine neu gegrün­dete KG erworben hätten. Das muss man auch erst einmal hinkriegen.

Daniela Bergauer, Michael Hehl
Leopol­dinas: Daniela Bergauer und Michael Hehl (Foto: Leopold, ABC Kinos)

Der hand­ge­schrie­bene Brief

Wie sie das geschafft haben? Michael Hehl sei vor etlichen Jahren mit seinem Temper­clay-Film­ver­leih zu Kuchen­reu­ther gekommen. Es ging damals um Good Time der Safdie-Brüder, erzählt Kuchen­reu­ther, der sich wie immer an Filme erinnert, nicht aber an Jahres­zahlen, was ihm den Titel »Monsieur Cinéma« einge­bracht hat. »Ich habe ihn als Film­fa­na­tiker kennen­ge­lernt«, sagt er aner­ken­nend, was aber noch nicht erklärt, weshalb die beiden neben starken anderen Bewerbern nun den Zuschlag erhalten haben. Michael Hehl hat dazu seine eigene Version. Ausge­rechnet in den Corona-Jahren hatten sie die Lust bekommen, noch ein anderes Kino neben dem Liliom zu machen. »Wir haben gemerkt, dass wir noch viel mehr kura­tieren wollen«, also Filme sichten und auswählen und dann »in eine Form packen, um sie fürs Publikum sichtbar zu machen«. Hehl hatte Kuchen­reu­ther schon direkt auf die Kinos ange­spro­chen, der meinte nur, dass er sich das gar nicht leisten könne. Ein hand­ge­schrie­bener Brief kam dann noch ins Spiel, wo sie ihr Ansinnen bekräf­tigten, Hehl habe nicht locker gelassen. Seit letztem Jahr haben sie dann verhan­delt.

Sie hatten sich ohnehin schon empfohlen, durch die Kino­ar­beit, die sie die Corona-Jahre über unter Extrem­be­din­gungen kennen­ge­lernt hatten: Erst 2019 hatten sie das Liliom im ehema­ligen Augs­burger Brun­nen­pump­werk aus dem 16. Jahr­hun­dert über­nommen. Die Infra- und Programm­struktur des 1989 gegrün­deten Kinos seien sie in den pande­mie­be­dingten Schließungs­mo­naten syste­ma­tisch neu ange­gangen, erzählen Hehl und Bergauer, und hätten das in die Jahre gekommene Kino an der Stadt­mauer mit guten Zahlen wieder aus seinem Dorn­rö­schen­schlaf geholt. Selbst die Corona-Jahre haben sie positiv in Erin­ne­rung: »Gerade in Krisen­zeiten ist das Kino ein Ort, zu dem man schon hingehen will, auch um eine Begegnung, und sei es mit Abständen, zu den Leuten zu erreichen«, sagt Daniela Bergauer. »Da war eine Stimmung in den Sälen, Tränen, Lachen, die Leute waren begeis­tert.« Für jüngere Leute sei es wohl leichter, wieder »in den Flow« zu kommen, das mache sich auch im Kino­be­trieb bemerkbar.

Die neue Münchner Freiheit

Daniela Bergauer, die wie Michael Hehl ein geis­tes­wis­sen­schaft­li­ches Studium absol­viert hat, hat in den Corona-Jahren noch einen selbst­ver­ord­neten kauf­män­ni­schen Crashkurs durch­ge­zogen. Jetzt haben sie sich aufge­teilt, in programm­pla­nende und geschäfts­füh­rende Aufgaben. Sie beherrscht die Finanz-Termi­no­logie perfekt, und wirkt vertrau­ens­voll und sympa­thisch. Er ahmt gerne Sprech­weisen nach und sorgt für Unter­hal­tung, in Verhand­lungen mit Verlei­hern und beim Einladen von Gästen kann er aber auch beharr­lich werden. Das Liliom führen sie natürlich weiter, vor Ort kümmern sich Theater- und tech­ni­sche Leiter ums Kino. Um den Kontakt zu den Mitar­bei­tern zu halten, und für Publi­kums­ge­spräche mit Gästen werden sie natürlich im Liliom sein. Gäste und Gespräche: das wollen sie in Zukunft auch für ihre Münchner Kinos etablieren – wenn sie sich einge­ar­beitet haben und sich ihre Hand­schrift zu erkennen gibt.

Denn auch für sie kam der Zuschlag jetzt sehr plötzlich. »Innerhalb von einer Woche kam der Vertrag«, wenige Tage nach Unter­zeich­nung hätten sie schon die erste »Dispo« gemacht und die Film­bu­chungen der Woche mit den Verlei­hern ausge­han­delt. Kuchen­reu­ther wiederum spricht sehr erleich­tert davon, dass er nach Jahr­zehnten der Kino­ar­beit zum ersten Mal an einem Montag wieder wirklich frei­ge­habt hätte. Er wolle den Jungen alles über­lassen, sagt er, gerade erst habe er Alex Paynes About Schmidt gesehen, wo es um die unge­be­tenen guten Ratschläge der Älteren an die Jüngeren gehe. »Das passiert mir nicht«, habe er sich gesagt. »Das Kino braucht einen frischen Wind.« Für ihn werde es irgend­wann sicher­lich einen Tren­nungs­schmerz geben, sagt er. Aber jetzt freue er sich erst einmal über die neue Münchner Freiheit.