Kinos in München – Die Betreiber von ABC und Leopold
Plötzlich Platzhirsche |
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Daniela Bergauer und Michael Hehl mit Margit Blümel, der erfahrenen Mitarbeiterin von Kuchenreuther. Sie bleibt | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
Er dürfe vorab überhaupt nichts sagen, hätten ihm seine Anwälte gesagt. Erst nachdem die Unterzeichnung für die Übergabe vollzogen war, ging die Nachricht raus: Thomas Kuchenreuther hat seine Kinos verkauft. Das ABC und die Leopold Kinos, beide in Bestlage direkt an der Münchner Freiheit, haben jetzt neue Besitzer. Der Zuschlag ging an das Kinobetreiberpaar Daniela Bergauer, 41, und Michael Hehl, 38, die das Liliom-Kino in Augsburg betreiben. Für München sind die beiden Newcomer, die keiner auf dem Zettel hatte.
Damit ist Kuchenreuther für die Kenner der Münchner Kinoszene einer der größten Coups überhaupt gelungen. Der Kinobetreiber führte seit 1965 das Leopold-Kino, das ABC, das Kino im Olympiadorf, das Fantasia, das Odyssee und die Kinos Münchner Freiheit kamen hinzu, andere Kinos wurden sogar extra für ihn gebaut, wie das Eldorado in der Sonnenstraße und das neue Leopold, das früher im heutigen Telekomshop direkt an der Leopoldstraße lag. Trotz dieser langen Kinographie wirkt Kuchenreuther auch heute noch alterlos, in Gedanken und Taten immer umtriebig, Bergwanderungen halten ihn in Form. So wurde hinter der Hand über sein Alter gerätselt und spekuliert, wie es in seinen Kinos weitergehen könnte, wenn er einmal abdanken sollte. Doch niemand hat damit gerechnet, dass dies Knall auf Fall, so ganz ohne Vorwarnung, passieren würde.
Er werde dieses Jahr achtzig, sagt er am Telefon, seine Kinos hätten eine andere Energie verdient. Er habe in den letzten Jahren auch einiges schleifen lassen, was er hätte modernisieren müssen. Daniela Bergauer und Michael Hehl: die beiden seien für ihn die perfekte Besetzung dafür. Wie Thomas Kuchenreuther und seine Frau Susanne, sie haben schon mit 20 Jahren mit dem Kinomachen begonnen, sind auch Daniela und Michael im echten Leben ein Paar. Die beiden hätten ihn an sie selbst erinnert, sagt Kuchenreuther, und lässt wieder einmal seine romantische Ader durchblicken – ähnlich verzückt hatte er auf die neuen Theatinerbetreiber Claire Schleeger und Bastian Hauser gesehen.
Außerdem seien sie immer in seinen Kinos gewesen, wohnen beide in der Nähe von Schwabing, das Kuchenreuther mit seinen Kinos – vor wenigen Jahren zählten noch die Kinos Münchner Freiheit dazu – cineastisch geprägt hatte. Und auch wenn die Übernahme sehr teuer wurde, betreiben Daniela Bergauer und Michael Hehl nun zwei beliebte Lichtspielhäuser in Bestlage, Mathias Wild von den Museum-Lichtspielen, jetzt stiller Teilhaber, hat sie dabei finanzkräftig unterstützt. Es hat sich gelohnt. Die Kinos können sich sehen lassen, erst kürzlich wurden die Leopold-Säle mit neuen Sesseln ausgestattet, aus dem ABC hat Kuchenreuther seit dem Aus seiner Kinos Münchner Freiheit ein cineastisches Kleinod gemacht. Sie hätten von den Vermietern sehr gute Konditionen angeboten bekommen, erzählen Hehl und Bergauer beim Treffen. Die Mietverträge gehen über 20 Jahre, für das teure Leopold gilt in den ersten Jahren eine Schonzeit, bevor die reguläre Miete verlangt werde. Bergauer und Hehl gehört jetzt auch die Leopold ABC Kinos GmbH, die sie wiederum über eine neu gegründete KG erworben hätten. Das muss man auch erst einmal hinkriegen.
Wie sie das geschafft haben? Michael Hehl sei vor etlichen Jahren mit seinem Temperclay-Filmverleih zu Kuchenreuther gekommen. Es ging damals um Good Time der Safdie-Brüder, erzählt Kuchenreuther, der sich wie immer an Filme erinnert, nicht aber an Jahreszahlen, was ihm den Titel »Monsieur Cinéma« eingebracht hat. »Ich habe ihn als Filmfanatiker kennengelernt«, sagt er anerkennend, was aber noch nicht erklärt, weshalb die beiden neben starken anderen Bewerbern nun den Zuschlag erhalten haben. Michael Hehl hat dazu seine eigene Version. Ausgerechnet in den Corona-Jahren hatten sie die Lust bekommen, noch ein anderes Kino neben dem Liliom zu machen. »Wir haben gemerkt, dass wir noch viel mehr kuratieren wollen«, also Filme sichten und auswählen und dann »in eine Form packen, um sie fürs Publikum sichtbar zu machen«. Hehl hatte Kuchenreuther schon direkt auf die Kinos angesprochen, der meinte nur, dass er sich das gar nicht leisten könne. Ein handgeschriebener Brief kam dann noch ins Spiel, wo sie ihr Ansinnen bekräftigten, Hehl habe nicht locker gelassen. Seit letztem Jahr haben sie dann verhandelt.
Sie hatten sich ohnehin schon empfohlen, durch die Kinoarbeit, die sie die Corona-Jahre über unter Extrembedingungen kennengelernt hatten: Erst 2019 hatten sie das Liliom im ehemaligen Augsburger Brunnenpumpwerk aus dem 16. Jahrhundert übernommen. Die Infra- und Programmstruktur des 1989 gegründeten Kinos seien sie in den pandemiebedingten Schließungsmonaten systematisch neu angegangen, erzählen Hehl und Bergauer, und hätten das in die Jahre gekommene Kino an der Stadtmauer mit guten Zahlen wieder aus seinem Dornröschenschlaf geholt. Selbst die Corona-Jahre haben sie positiv in Erinnerung: »Gerade in Krisenzeiten ist das Kino ein Ort, zu dem man schon hingehen will, auch um eine Begegnung, und sei es mit Abständen, zu den Leuten zu erreichen«, sagt Daniela Bergauer. »Da war eine Stimmung in den Sälen, Tränen, Lachen, die Leute waren begeistert.« Für jüngere Leute sei es wohl leichter, wieder »in den Flow« zu kommen, das mache sich auch im Kinobetrieb bemerkbar.
Daniela Bergauer, die wie Michael Hehl ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert hat, hat in den Corona-Jahren noch einen selbstverordneten kaufmännischen Crashkurs durchgezogen. Jetzt haben sie sich aufgeteilt, in programmplanende und geschäftsführende Aufgaben. Sie beherrscht die Finanz-Terminologie perfekt, und wirkt vertrauensvoll und sympathisch. Er ahmt gerne Sprechweisen nach und sorgt für Unterhaltung, in Verhandlungen mit Verleihern und beim Einladen von Gästen kann er aber auch beharrlich werden. Das Liliom führen sie natürlich weiter, vor Ort kümmern sich Theater- und technische Leiter ums Kino. Um den Kontakt zu den Mitarbeitern zu halten, und für Publikumsgespräche mit Gästen werden sie natürlich im Liliom sein. Gäste und Gespräche: das wollen sie in Zukunft auch für ihre Münchner Kinos etablieren – wenn sie sich eingearbeitet haben und sich ihre Handschrift zu erkennen gibt.
Denn auch für sie kam der Zuschlag jetzt sehr plötzlich. »Innerhalb von einer Woche kam der Vertrag«, wenige Tage nach Unterzeichnung hätten sie schon die erste »Dispo« gemacht und die Filmbuchungen der Woche mit den Verleihern ausgehandelt. Kuchenreuther wiederum spricht sehr erleichtert davon, dass er nach Jahrzehnten der Kinoarbeit zum ersten Mal an einem Montag wieder wirklich freigehabt hätte. Er wolle den Jungen alles überlassen, sagt er, gerade erst habe er Alex Paynes About Schmidt gesehen, wo es um die ungebetenen guten Ratschläge der Älteren an die Jüngeren gehe. »Das passiert mir nicht«, habe er sich gesagt. »Das Kino braucht einen frischen Wind.« Für ihn werde es irgendwann sicherlich einen Trennungsschmerz geben, sagt er. Aber jetzt freue er sich erst einmal über die neue Münchner Freiheit.