Kinos in München – Die Kuchenreuther-Kinos
»Wer das Kino liebt, muss mit dem ABC beginnen« |
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München leuchtet: Das Kuchenreuther-Kleinod in der Herzogstraße |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas
Als ich mich mit Thomas Kuchenreuther am Telefon zu einem Treffen verabrede, um mit ihm über das ABC-Kino zu sprechen, wendet er gleich ein: Wenn, dann müssten wir über alle seine Kinos sprechen, also auch über das Leopold und die Kinos Münchner Freiheit. »Die gehören alle zusammen: Auch in den größeren Kinos laufen gute Filme, das kann man gar nicht trennen!« Die Trennung, von der Kuchenreuther, Betreiber der genannten Kinos spricht, ist die von Arthouse und Mainstream. Die Arthouse-Kinos: das sind die Kinos, in denen die »guten« Filme aus einem ausgesuchten Verleihprogramm laufen. Zielgruppe: ein cineastisch gebildetes Publikum. In den Mainstream-Kinos dagegen versammelt sich, gemäß dem Vorurteil der Cineasten, die vergnügungssüchtige Masse, die in die großen Produktionen der Industrie strömt, die man allenfalls unter Anführungszeichen »Filme« nennen kann. Meist sind die Besucher jung, lärmend und mit fünf-Liter-Eimern voll Cola und Popcorn bewehrt. Jeweils.
Das ABC-Kino ist das Vorzeige-Arthouse-Kinos der Kuchenreuthers, während das Leopold und die Kinos Münchner Freiheit ein eher aus gemischtes Programm zeigen, das auf ein größeres Publikum abzielt. Vergeblich sucht man aber in allen drei Kinos überdimensionale Verzehr-Kübel. Im Gegenteil: Schon im Eingangsbereich des Leopold werden wir auf die Plakate hingewiesen, die im Schaufenster hängen. »Das sind alles Plakate von Cannes«, Kuchenreuther liebe sie, sie würden so etwas wie die Quintessenz des Kino-Gefühls für ihn bedeuten, ebenso wie das große Gemälde, das flächendeckend eine Wand ziert. Es zeigt eine Szene aus einem der Werke Akira Kurosawas, dem japanischen Meisterregisseur, der maßgeblich für das Leopold-Kino wurde.
Bei Thomas Kuchenreuther, das wird uns schnell klar, haben wir es mit einem lupenreinen Cineasten zu tun, mit einem, der das Kino und die Filme liebt und der in seinem Kopf schon längst die Mauer zwischen Arthouse und Mainstream niedergerissen hat. Ihm geht es nur um die guten Filme jenseits des Schubladendenkens, und das sind dann z.B. auch die Filme von Christopher Nolan, die ein großes und ein cineastisch vorgebildetes Publikum gleichermaßen begeistern können.
Der unerschüttliche Ruf des ABC-Kinos als einzige Arthouse-Leinwand der Kuchenreuthers (der flüchtige Blick ins heutige Programm verrät, dass in allen drei Kinos interessantes und gutes Arthouse gezeigt wird, in den Kinos Münchner Freiheit sogar teilweise im Original) verdankt sich wohl dem bestechendem Charme des »Kino-Sauriers« aus der Frühzeit der Kinematographie, wie Kinohistorikerin Monika Lerch-Stumpf das ABC einmal nannte. Nächstes Jahr, im Oktober 2014, werden die einstigen Odeon-Lichtspiele 100 Jahre alt. Das ABC weist die typische Charakteristik der jetzt hundertjährigen Kinos auf (siehe auch die über hundertjährigen Kinos Gabriel, das Arena und das Maxim): es ist ebenerdig. Damals schossen die Kinos nur so aus dem Boden. Läden verwandelten sich – genau umgekehrt zur heutigen Entwicklung – in die Dunkelkammern der Kinematographie, denen damals noch ganz das Stigma verruchter Vergügungsstätten anhaftete.
Kommt man also von der Straße durch die kleine Eingangstür direkt ins ABC, fällt einem sofort der altertümliche Charme ins Auge. Allein schon die stark geschminkte ältere Dame an der Kasse nimmt einen ganz für das Kino ein. Sie weist auf die 60er-Jahre-Lüster hin, jammert ein wenig über die Energiesparleuchten, die jetzt in den Fassungen stecken und den Anblick etwas verschandeln. Aber: Alles ist hier renoviert. Vor zwei Jahren wurden in dem großzügigen Saal die Sessel komplett ausgetauscht (ein paar dürften jetzt die Wohnzimmer der Stadt zieren, Kuchenreuther hatte sie gegen Selbstabholung verschenkt), das Kino bekam eine neue Sound-Anlage und letztes Jahr dann auch einen digitalen Projektor. Das ABC ist dennoch nostalgisch geblieben, es ist das gemütlichste der Kuchenreuther-Kinos, intim und anspruchsvoll. Chabrol hat bei einem Besuch Ende der sechziger Jahre, da hatten die Kuchenreuthers gerade das ABC übernommen, über das kleine Kino in der Schwabinger Herzogstraße gesagt: »Wer das Kino liebt, muss mit dem ABC beginnen.« Nach unserem Treffen mit Thomas Kuchenreuther wissen wir: Wer das Kino liebt, muss in Wirklichkeit mit den Kuchenreuthers beginnen.
Begonnen hat die Kino-Besessenheit der Familie mit dem Kuchenreuther-Großvater, der schon zu Stummfilmzeiten in Erlangen die Lamm-Lichtspiele leitete. Weiter ging es 1936 mit der Schauburg in Erlangen, erbaut von Michael Kuchenreuther, dem Vater, und betrieben zusammen mit Mutter Thea. »Meine Mutter ist heute neunzig und schaut immer noch in den Zeitungen, ob alle Anfangszeiten stimmen. Wenn was nicht stimmt, krieg ich einen Anruf«, sagt Kuchenreuther und schmunzelt ein wenig. Zwanzig Jahre später, 1956, folgte dann das zweite Kino in Erlangen, das Atrium, Bauherr war wieder Michael Kuchenreuther. Und das ist vielleicht das Besondere: Die Kuchenreuthers sind nicht nur Kino-Betreiber, sie sind auch Kino-Gründer und Kino-Bauer. Thomas Kuchenreuther hatte damals im Atrium begonnen, Programm zu machen. Als sich die Gelegenheit bot, gingen er und sein Anfang des Jahres verstorbener Bruder Steffen Kuchenreuther nach München und begannen gemeinsam, in München Kinogeschichte zu schreiben.
Angefangen haben sie 1965 im Leopold, zwei Jahre vor Übernahme des ABC. »Der Kinobesitzer hatte sich umgebracht«, erzählt Kuchenreuther trocken, »und sie haben einen Nachfolger gesucht«. Das Kino sei damals ganz schlecht gegangen, man habe nur B-Western gespielt und sich nicht gegen die Konkurrenz des an der Leopoldstraße gelegenen Marmorhauses behaupten können, das damals erstens noch existierte und zweitens als 650-Plätze-Kino die großen internationalen Erfolgsfilme bekam. »Dem Leopold ging es damals ganz schlecht. Ich habe es dann übernommen, und es war am ersten Tag gleich ausverkauft.« Thomas Kuchenreuther gerät ins Schwärmen, als er sich an die Münchner Anfänge des Kinomachens erinnert. Seine teddybärbraunen Augen, mit denen er uns ansieht, werden zu tiefen Erinnerungsbrunnen. »Eine meiner tollsten Filmerfahrungen war gleich am Anfang mit Ikiru von Kurosawa. Das Kino war gesteckt voll! Ich hatte gerade noch einen Platz gefunden, rechts vor der Leinwand. Das Auge hat sich nicht eingerichtet, und alles gerade gerichtet, was es normalerweise tut, wenn man bisschen weiter am Rand sitzt, die Schräge ausgleichen. Ich hab den Film wirklich total schräg und schief gesehen. Aber es war trotzdem unglaublich beeindruckend!«
Das Filmprogramm aus der Anfangszeit des Leopold, so wird uns klar, während Thomas Kuchenreuther schwärmt, bekam allein schon deshalb den Ruf des Legendären, weil der Betreiber die Filme in sein Kino holte, die er selbst sehen wollte – was in Zeiten des immergleichen Kino-Repertoires, das die Kinos außerhalb des Stadtzentrum spielen mussten, die Ausnahme war. Es folgten Spezial-Festivals wie das »Western-Festival«, das »Piratenfilm-Festival« oder die »Hitchcock-« und »Jerry-Lewis«-Festivals. In einem der Vorführungen, es war bezeichnenderweise beim »Melodramen-Festival«, saß Rainer Werner Fassbinder im Publikum – und weinte. Es war in Imitation Of Life von Douglas Sirk, eine Erfahrung, die Fassbinder zu einem Essay verfasst hat. »Und dies war der Beginn.«
Es war der Auftakt, um aus den Kinobetreibern Kuchenreuther die Kuchenreuther Film GmbH mit Produktion und Verleih zu machen. Die Festivals waren aufwendig durchzuführen, kaum ein Film war durch einen deutschen Verleiher zugänglich. So ließen die Kuchenreuther-Brüder kurzerhand die Filme durch Deutschland touren und koppelten sie an eine Verleihtätigkeit – eine bahnbrechende Entscheidung, um das öde Verleihangebot auszustechen. 1970 konnte man über den Kuchenreuther-Coup in der »Zeit« lesen: »Die erstmals entwickelte Initiative, ein systematisch vorgestelltes Genre dem Filmpublikum gleichzeitig in mehreren Großstädten der Bundesrepublik zu präsentieren, ist weniger von filmästhetischem als vielmehr –politischem Interesse. Sie könnte diejenigen widerlegen, die keinen Ausweg aus der fatalen gegenseitigen Abhängigkeit von Verleih- und Kinogewerbe sehen und die Kinobesitzer in erster Linie für das Hintertreppenniveau der Filmprovinz Bundesrepublik (sic!) verantwortlich machen. Das Modell kann nur zur Nachahmung empfohlen werden.«
Die überaus erfolgreichen Cineasten-Festivals zogen die zukünftigen Münchener Filmemacher wie Fassbinder oder Wim Wenders an – Wenders, so erinnert sich Thomas Kuchenreuther, hatte als Student bei seinem »Rock'n'Roll-Festival« The Girl Can’t Help It von Frank Tashlin gesehen und daraufhin einen euphorischen Artikel für die »Süddeutsche« verfasst. »Das war der erste Verleih, den wir gemacht haben«, es folgten Godards Pierrot le fou, als Wiederaufnahme, Also sprach Bellavista von Luciano de Crescenzo und The Big Easy von Jim McBride.
Bald kamen Filmproduktionen dazu. Thomas Kuchenreuther hatte sich die Filmrechte von »Malina« von Ingeborg Bachmann gesichert und die Verfilmung Werner Schroeter vorgeschlagen. Dazu kam Drehbuchautorin Elfriede Jelinek und Isabelle Huppert als Hauptdarstellerin. »Sie zu überreden war eine Mordsarbeit, ihr Vater ist jüdisch und sie wollte damals nicht in Deutschland arbeiten, es hatte aber auch mit Geld zu tun. Das haben wir dann noch hingebracht«, erinnert sich Thomas Kuchenreuther. Das war 1991. Zwei weitere Filme folgten, weniger glamourös, aber ebenso wichtig, Herbert Achternbuschs Ab nach Tibet! und Hades.
Wichtig waren die Kuchenreuther-Kinos nämlich auch für die Münchner Filme-Macher, auch abseits von Fassbinder und Wenders. Klaus Lemke und Eckhart Schmidt zeigten im Leopold ihre ersten Filme, Bernd Eichinger war Stammgast von Leopold, ABC und den Kinos Münchner Freiheit – die Constantin Film befindet sich gleich nebenan. Die Kernkompetenz aber, so möchte man sagen, war bei den Kuchenreuthers immer das Kinomachen. Und das Kino-Übernehmen. Und das Kino-Bauen.
So bauten sie 1994 das Untergeschoss des damaligen Hertie in die Kinos Münchner Freiheit um, der »Kuchenreuther-Multiplex«, der vor kurzem durch zwei Säle erweitert wurde und jetzt über vier Leinwände verfügt. Kurios ist der Eingang zum Kino: Man kommt entweder ganz klassisch über die Straße und geht dann die Treppen zum geräumigen, marmorgetäfelten Foyer hinab. Oder man gelangt direkt vom U-Bahn-Sperrengeschoss durch eine Tür ins Foyer – wie uns Thomas Kuchenreuther gerade gezeigt hat. Jetzt sitzen wir hier an einem Bistrotisch, eben kommt auch ein Hund ins Kino, was Thomas Kuchenreuther zu einem Spontankommentar hinreißen lässt: »Tiere hören sieben Mal lauter, er sitzt da im Dunkeln und weiß nicht, wie ihm geschieht, eigentlich bin ich gegen Hunde im Kino.« Aber er toleriert’s. Es ist Nachmittag, das Foyer ist spärlich gefüllt, es wird Kaffee getrunken, aber auch Prosecco. Es ist still und unaufgeregt, und die Säle, die wir gerade besichtigt haben, sind schön. Groß, aber nicht riesig, aber auch nicht zu klein, mit steil abfallenden Sitzreihen.
Ähnlich wie im Eldorado, erbaut 1971. Eines der vielen Kinos, die die Kuchenreuthers gebaut oder übernommen haben und wieder aufgeben mussten. Wie das Savoy in Pasing (1966). Wie das Cinema Olympiadorf (1972), das heute das Forum 2 ist und immens wichtig war für alle, die mit Hans Strobel den Kinderfilm und das Kino entdecken konnten. Wie das Odyssee und Fantasia (1978). 1999 zog das Leopold aus dem legendären Stammhaus direkt an der Leopoldstraße eine Hausnummer weiter, in einen Neubau, um mit drei Leinwäden den veränderten Anforderungen an die Programmierung standhalten zu können.
Inzwischen hatten in Schwabing schon das Marmorhaus, der Türkendolch und die Lupe dichtgemacht, das Filmcasino am Odeonsplatz folgte. Auch wenn die Konkurrenz weniger wurde: »Jedes Kino, das zumacht, bedauere ich.« Heute hat Schwabing immer noch eine hohe Kinodichte: Das Theatiner als Ausläufer von Schwabing, als Brücke zur Innenstadt, dann das Arri, das Isabella, das Rottmann und schließlich das Monopol, ein Kino, das früher mal in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Kinos Münchner Freiheit lag, und sich vom Spirit der Kuchenreuthers anstecken ließ: Einfach mal umziehen.
In Schwabing läuft alles zusammen. Wir sehen vor unserem inneren Auge die Kinolandschaft der Stadt liegen. Uns schwirrt der Kopf. Viele Kinos, viele Namen, viel Filmtitel, viel Münchner Kinogeschichte wurden uns in den letzten zwei Stunden genannt. Meistens erinnerte sich Thomas Kuchenreuther nicht an die Jahreszahlen, wohl aber an die Filmtitel, mit denen die Kinos jeweils eröffneten. Und an die vielen namhaften Gäste, die zu ihnen kamen. Mittlerweile ist Thomas Kuchenreuther für uns »Monsieur Cinéma«. Zuletzt stülpt er auch noch die Stadt für uns um und verrät, wie ein Kino-Macher eine Stadt erkundet: »Die Kinos, das alles ist sehr wichtig für die Atmosphäre in einem Stadtviertel. Wenn ich in einer fremden Stadt bin, gehe ich erst in die Kinos und von da in die Restaurants und in die Cafés.« Dieses Jahr werden die Kinos Münchner Freiheit nach einer langen Pause wieder vom Münchner Filmfest bespielt werden. Ein Festival kehrt in das Herz Schwabings zurück, und das Publikum wird es zu schätzen wissen. Nicht nur wegen der legendären Eiscafés der Leopoldstraße.