22.11.2012
Kinos in München – Das Maxim

Das hundertjährige Politkino

Fassades des Maxim-Kinos mit Leuchtschrift
Immer noch politisch:
Das letzte Kino Neuhausens

Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Das Maxim, das letzte Stadtteilkino in Neuhausen, feiert 100. Geburtstag

Von Dunja Bialas

An diesem Nach­mittag ist viel los im Foyer. Besucher belagern die kleine Bar, trinken Espresso und Tee, unter­halten sich. Andere sehen sich die Kunst­werke im Foyer an. An einer Wand hängt ein über­großes 3D-Plakat mit einer Bade­schön­heit, die geradezu aus ihrem Schwimm­reifen heraus­zu­fallen scheint: Es ist Bimovie-Zeit im Maxim.

Eine schöne Wieder­be­geg­nung mit dem Kino, das am kommenden Wochen­ende seinen 100. Geburtstag feiert, und um das es in letzter Zeit etwas still geworden ist. Aufmerk­sam­keit bekam das Maxim in den vergan­genen Jahren immer dann, wenn es um seinen baulichen Zustand oder seine tech­ni­sche Ausrüs­tung ging, oder gar darum, seinen Bestand zu schützen: 2009 gab es einen regel­rechten Eklat, als bekannt wurde, dass das Haus, in dem das Maxim behei­matet ist, verkauft worden war, und der neue Eigen­tümer durch kräftige Mieter­höhungen versuchte, sich finan­ziell zu sanieren. Das Ende des Maxim drohte, und hätte Siegfried Daiber, der das Kino seit Ende der 70er betreibt, nicht wie die tapferen Gallier gegen alle Widrig­keiten gekämpft und sich für den Erhalt seines Kinos einge­setzt, gäbe es heute das Maxim sicher­lich nicht mehr. »Sogar ein Konkur­rent aus der Kino­branche fand sich unter den Anwärtern auf die Räume«, erinnert sich Daiber. »Das hat mir schwer zugesetzt, denn es war bekannt, dass ich weiter­ma­chen will.« Heute hat sich die Miete verdop­pelt, Neben­kosten müssen – anders als früher – extra gezahlt werden. »Früher hat sich das Kino locker getragen, jetzt ist es mühsamst kosten­de­ckend«, seufzt Daiber.

Grün­der­jahre und Hoch­zeiten

Einst, noch gar nicht so lange her, pulsierte das Kino als Begeg­nungs­stätte. Das Maxim hatte sich in den 80er-Jahren den Ruf erar­beitet, Politkino zu sein. In das letzte Kino Neuhau­sens kam man aus der ganzen Stadt, hier sah man wichtige Filme des Weltkinos, guckte über Europa hinaus und in die Welt hinein. Herzstück waren die ange­regten, mit Enga­ge­ment betrie­benen Diskus­sionen nach dem Film, in die sich Kino­be­treiber Daiber gerne einmischte. Tage wie heute, wo »Bimovie« statt­findet, oder im Dezember, wenn das »Festival des geschei­terten Films« in das Maxim zurück­kehren wird, holen diesen Geist für ein paar Tage zurück.

Haupt­sache links: Programm­blätter aus den 80er Jahren (Scans: Cinepur)

Sigi Daiber erinnert sich: Als er in das Maxim einstieg, war es ein Kino, »das am Sterben war, schon damals war das Inventar ziemlich alt«. Unter­schied­liche Besit­zer­inter­essen waren sich in den Jahren zuvor gegen­seitig im Weg gestanden. Dann gab es die Idee, das Kino mit neuem Elan zu über­nehmen. Sigi Daiber wurde dazu einge­laden; er hatte als Schüler mal als Film­vor­führer gear­beitet. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Ingenieur bei Siemens und ließ sich aufs Maxim unter der Voraus­set­zung eines Hobby-Kinos ein: Ein paar Mal die Woche vorführen, auf das Jahr verteilt ein wenig Programm machen, das waren die Anfänge für Daiber im neuen Maxim. Wenige Jahre später war Daiber der einzige, der übrig geblieben war, und er hängte seinen Job bei Siemens an den Nagel. Von nun an galt es, das Kino als Lebens­un­ter­halt zu betreiben. »Der normale Kino­be­trieb aber hat mich nie inter­es­siert«, sagt Daiber. Die Moti­va­tion, das Kino zum Beruf zu machen, entstand aus dem Geist der Programm­kino-Szene, die sich damals gerade bildete. Andere Filme zeigen, die noch nicht in den großen Kinos der Stadt gelaufen waren, poli­ti­sche Filme und Filme aus dem außer­eu­ropäi­schen Ausland, das war fortan das Credo des Maxim. Film­reihen zu Jean Rouch oder Chris Marker brachten dem Maxim zwar keine tollen Zuschau­er­zahlen, dafür aber treue Anhänger. Dazu wurde kräftig poli­ti­siert, Haupt­sache man war irgendwie links. »Es waren damals Hoch­zeiten für uns!«, sagt er mit Blick auf die Polit-Kinoszene.

Cinepur

»Wir brauchen dringend ein Darlehen«: Das Maxim in den 80er Jahren (Foto: Cinepur)

Sigi Daiber

Sigi Daiber ganz oben (Foto: Cinepur)

Es herrschte Grün­der­stim­mung in München, Anfang der 80er Jahre. Studenten der HFF, darunter Nicolas Humbert, Mathias Allary, Nico Hofman und Werner Penzel, trafen sich im Maxim und schlossen sich zur Coope­ra­tive »Der andere Blick« zusammen. Der Verein »Filmstadt München« wurde ins Leben gerufen, mit Daiber als einzigem Kino­be­treiber-Mitglied. 1985 kam das Inter­na­tio­nale Doku­men­tar­film­fest, als west­deut­sches Pendant des damals noch abge­schot­teten DDR-Doku­men­tar­film­fes­ti­vals Leipzig. Voran­ge­trieben wurde die Gründung durch die AG Dok (dem Zusam­men­schluss deutscher Doku­men­tar­filmer), und die Wahl fiel auf München als »Austra­gungsort«: Die Stadt hatte mit dem Filmstadt-Verein gezeigt, dass die Szene lebendig war und sich zu orga­ni­sieren wusste. Gudrun Geyer, mit der Sigi Daiber liiert war, leitete dann das Doku­men­tar­film­fest, 16 Jahre lang.

Daiber ist ein wenig abge­schweift in seiner Erzählung über seine Anfänge im Maxim. Das Kino kann aber nur verstanden werden, wenn der Kontext bekannt ist, die Zeit, in der es sich damals neu formierte: Alles hing mit allem zusammen. »Im ersten Jahr fand das Doku­men­tar­film­fest in der Lupe statt, die machte mehr her«, erzählt Sigi weiter. »Das Maxim war der AG Dok von Anfang an zu popelig.« Aber vom Jahre zwei an war es dann dabei, bis es Mitte der 2000er Jahre als Spielstätte wieder gestri­chen wurde – in der Zwischen­zeit war das Dokfest in andere Dimen­sionen gewachsen. Aus dieser Zeit aber haben sich die Erin­ne­rungen einge­prägt, daran, wie Stühle in das Kino geschleppt wurden, weil die knapp 100 Sitz­plätze dem Zuschau­er­an­sturm nicht genügten, und wie es hoch herging, im Foyer und in den Diskus­sionen.

Maxim Saal

Der Kinosaal heute

Cinepur

…und in den 80er Jahren (Foto: Cinepur)

Der Lauf der Zeit

Wann kam der Wende­punkt fürs Maxim? »Vieles versackt im Laufe der Jahre in Routine, man hat nicht mehr den großen Elan«, gibt Daiber zu. Rück­bli­ckend stellt er fest: »Ein Fehler war vermut­lich, dass ich mich an einen Verleih gehängt habe, an Neue Visionen.« 1997 gegründet, hatte dieser zunächst in München kein Kino, das sein Programm spielen wollte. Sigi Daiber wollte ihn unter­s­tützen und spielte seine Filme – bis der Verleih wuchs und plötzlich auch für andere Kinos inter­es­sant wurde. »Da hat man keine Chance mehr«, als Maxim-Kino, etwas abgelegen an der Lands­huter Allee und mit dem alter­tüm­li­chen Inventar.

Daiber hat seitdem abge­schlossen mit der Idee des Programm­kinos, das auch Premieren spielt. »Durch­lauf­er­hitzer zu sein für neue Filme funk­tio­niert nicht mehr.« Bisweilen hat er überhaupt kein Programm mehr bekannt gegeben, wie wir bei Artechock wissen. Auch die Zeiten, als verläss­lich um Weih­nachten herum Tarkowski gespielt wurde, mit der Ankün­di­gung als letzte Chance, die Filme im Original zu sehen, sind vorbei. Wir kamen damals in Scharen, genossen die Wärme des Kino-Ofens und inte­grierten die Geräusche des vorbei­rau­schenden Verkehrs bereit­willig in die atemlose Stille von Solaris und Stalker.

Daiber erinnert sich gerne an die vielen jungen Tarkowski-Pilger, die sein Kino füllten. Mit der »Wende« aber fielen die unter­ti­telten Film­ko­pien der Freunde der Deutschen Kine­ma­thek weg; der ehemalige DDR-Progress-Verleih mit seinen Synchron-Fassungen hielt fortan das Tarkowski-Verwer­tungs-Monopol.

In Zukunft will, ja, muss das Maxim andere Wege beschreiten, um einen Ausweg aus der Film-Misere zu finden: »Ich möchte 111 Jahre Maxim feiern!«, sagt Daiber, und es klingt wie ein selbst­be­wusstes Statement gegen alle schon gehörten Unkenrufe. Die Zukunft sieht er darin, aus dem Maxim wieder einen echten Treff­punkt zu machen. »Home-Cinema« könne jeder, sich daheim einen Film beamen, dazu gehört heute nicht viel. Sich aber mit Gleich­ge­sinnten im Kino treffen, das könnte auch in Zukunft wichtig sein. Das Kino für Grup­pie­rungen öffnen, die für ihre Treffen einen Ort suchen, auch um einen Film zu sehen: Das könnte klappen, in etwa diese Richtung könnte die Reise gehen.

Das Hundert­jäh­rige

Jetzt aber wird das Maxim erst mal 100 Jahre alt. Das Haus, in dem es sich befindet, wurde 1902 errichtet, ganz am Anfang war das Kino ein Kaufhaus mit kleinen Läden zur Straße hin, davon zeugen noch die Rundbögen an seiner Front­seite, ehemalige Schau­fenster. 1911 ist es dann umgezogen, und es fand sich der Antrag, ein Kino einzu­richten. 1912, das Grün­dungs­jahr des »Theater des Westens«, wie das Maxim anfangs hieß, war ein »Boom-Jahr«, die Kinos schossen als »Rendi­te­ob­jekte« förmlich aus dem Boden, wie Winfried Sembdner in der Fest­schrift zum ebenfalls 100-jährigen Bestehen des Arena-Kinos schreibt. Für Siegfried Daiber ist es die Zeit »im Kino-Konglo­merat«, vermut­lich war das Kino damals nur eine Spielstätte einer größeren Kette. In den 50er Jahren wurde das Kino dann umgebaut und in »Maxim« umbenannt. Seitdem gibt es den vorderen Eingang, es gab ein kleines Kassen­häu­schen, bevor man den Kinosaal betrat. Erst in den 70er Jahren wurde das Foyer geöffnet, damals noch mit abge­hängter Decke, die die Neuan­kömm­linge um Sigi Daiber entfernten. Unter der Leimfarbe kam das einzig­ar­tige Fresko zum Vorschein, das noch von der reichen Kauf­manns­zeit in den Nuller-Jahren zeugt. Seitdem hat sich baulich nicht viel geändert: die Holz­dielen knarzen seit den 50er Jahren, der Verkehr rauschte schon in den 70ern vorbei, wenn noch nicht so massiv. Geblieben ist auch die ganz eigene Maxim-Atmo­sphäre. Im Foyer wird man gemütlich umfangen wie in einer Einladung, nach dem Film noch zu bleiben. Wenn man im Kinosaal in einer der histo­ri­schen, aber nicht unbe­quemen, gepols­terten Holz­sessel sitzt, spürt man das alte Maxim, meint man, das Hundert­jäh­rige aus all den Ritzen und Fugen der Holz­ver­klei­dung zu vernehmen, ganz als würde es flüsternd viele Geschichten aus hundert Jahren erzählen wollen. Das Maxim ist das Gegenteil eines unsicht­baren Kinos, es ist ein Kino, das die Aufmerk­sam­keit auf sich zieht. Das sagt: Schaut her, ich bin alt, und das ist gut so!

Maxim Detail

Der Laut­stär­ke­regler im Kinosaal. Das weiße Knöpfchen weckt bei Bedarf den Vorführer

Anarchie und Alltag

Ein markantes Erken­nungs­zei­chen aber ist seit ein paar Jahren verschwunden: Das Anarcho-A links unten auf der Leinwand. »Das hatte jemand mit Filzstift auf die Leinwand gemalt, als wir Beruf Neonazi spielten.« – Und dann wurde es immer wieder erneuert? Sigi lacht. »Nein, wir haben es mit Tipp-Ex übermalt, mit der Folge, dass es bei der Projek­tion so richtig schön zum Vorschein kam.« Seit 2007 hat das Kino eine neue Leinwand, ein Über­bleibsel von den Dreh­ar­beiten zu Pornorama, in dem das Maxim eine wichtige Dreh-Location war. Was sollte denn noch erneuert werden im Maxim? Daiber fällt die Warm­luft­gas­hei­zung ein, die den Kinosaal in ein dumpfes Grund­geräusch bettet, und der Beamer, um auch BluRay zeigen zu können.

Es gibt viele Freunde des Maxims, auch solche, die Daiber dabei helfen möchten weiter­zu­ma­chen. Eine dieser Grup­pie­rungen ist die in Neuhausen ansässige Jour­na­lis­ten­aka­demie, die auch gute Kontakte zum zustän­digen Bezirks­aus­schuss hat. Sie hat u.a. eine Benefiz-Veran­stal­tung für eine Aufpols­te­rung der Maxim-Stühle initiiert. »Wenn vieles noch nicht geschehen ist, dann hat das auch mit mir in der Vergan­gen­heit zu tun«, gesteht Sigi Daiber. Jetzt immerhin lässt er am kommenden Samstag sein Kino feiern, das Fest wird durch die Jour­na­listen ausge­richtet. Gezeigt wird passen­der­weise Im Lauf der Zeit von Wim Wenders, den Daiber ausge­sucht hat. »Was sonst so passiert, weiß ich nicht«, es wird gewis­ser­maßen eine Über­ra­schungs­party für das Haus.

Wir sitzen im Foyer des Kinos. Über uns das beein­dru­ckende Decken­fresko, die Attrak­tion des Maxims überhaupt, wie ich noch einmal bemerke. »Ich dachte immer, das Schönste am Maxim wären die Filme!«, sagt Daiber. – »Ja, auch, aber die Filme wechseln, das Fresko bleibt.« – »Oh, dann werde ich einfach auch die Filme nicht mehr wechseln!« So vergnügt hört sich Sigi Daiber heute wieder an.

Literatur zur Geschichte der Münchner Kinos:

  • »Für ein Zehnerl ins Paradies – Münchner Kino­ge­schichte 1896 bis 1945«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 247 Seiten, € 59
  • »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, € 42
  • »Das Münchner Film- und Kinobuch – Die Biogra­phie der Filmstadt München«, hg. v. Eberhard Hauff, Edition Acht­ein­halb, 1988, 303 Seiten, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 2: Die Stumm­film­zeit aus der Sicht eines Münchner Stadt­teils, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Nie bedeutend ...aber immer noch da – Das Arena – 100 Jahre Kino in der Hans-Sachs-Straße 7«, von Winfried Sembdner, hg. v. Arena Film­theater Betrieb­sGmbH, jezza! Verlag, 96 Seiten, € 10
  • »Wir feiern 100 Jahre Film­theater Send­linger Tor – Eine Kino­ge­schichte. Die Chronik zu 100 Jahrn Film­theater Send­linger Tor«, von Gabriele Jofer, Hrsg. Film­theater Send­linger Tor GmbH. Erhält­lich an der Kinokasse

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Zum 100. Geburtstag des Maxim findet am 24.11. eine Jubiläums­ver­an­stal­tung statt. Gezeigt wird Im Lauf der Zeit von Wim Wenders, als Vorfilm Und mehr bedarf es nicht, ein Portrait über Sigi Daiber. Beginn: 19 Uhr
MAXIM Kino, Lands­huter Allee 33, 80637 München, Tel. 089 / 168721